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KAPITEL SECHS

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Laceys nächste Station war der Kunstladen in Weymouth. Auf diesen Stopp freute sie sich besonders. Seit ihrem Dekorations-Anfall im Crag Cottage interessierte sie sich sehr für Ölgemälde und war gespannt, ob sie ein paar seltene Stücke finden würde. Doch noch bevor sie auch nur die Chance hatte, den Parkplatz von Sawyer & Sons zu verlassen, knurrte ihr Magen lautstark.

Lacey wurde bewusst, dass sie heute nicht genug gegessen hatte. Wenn man bedachte, an wie vielen köstlichen Gerichten sie schon vorbeigelaufen war, war es eine Schande, dass sie keines davon probiert hatte!

Sie öffnete eine App auf ihrem Handy, um nachzusehen, ob es auf dem Weg nach Weymouth gute Restaurants gab. Enttäuschenderweise war ein Lebensmittelgeschäft in einer Tankstelle die einzige Option in ihrer Nähe.

„Chips und Sandwiches zum Mittagessen?“, sagte Lacey zu Chester und versuchte, die Situation positiv zu sehen. „Das ist die perfekte Ausrede, um ein paar merkwürdige britische Snacks zu probieren.“

Tom überzeugte Lacey immer davon, kein britisches Junkfood zu probieren, indem er sie mit dem Duft eines seiner Spezial-Gebäckstücke weglockte, sodass sie dachte, dass sie gar nichts verpasste.

Bei dem Gedanken an Tom spürte Lacey ein Ziehen in der Brust. Sie schob die Gedanken beiseite und startete den Wagen. Als sie den Geländewagen aus dem Parkplatz des Auktionshauses herausmanövrierte, sah sie durch den Rückspiegel, wie Colin die Treppe hinunterging. Sie stieg aufs Gaspedal und raste davon.

Es war ein sonniger Tag und die von Bäumen gesäumten Landstraßen sahen im Sonnenschein einfach umwerfend aus. Lacey fuhr an Hügeln und Feldern vorbei, bevor sie die kleine Tankstelle neben einem sehr traditionell aussehenden britischen Pub namens The Red Lion fand. Sie tankte Toms Geländewagen auf (es war schließlich nur höflich, ihn mit einem vollen Tank zurückzugeben) und ging dann in den Laden, wo sie sich die Regale mit den bunt verpackten Snacks ansah. Sie entschied sich für eine Schachtel Jaffa Cakes (bei der es sich dem Bild auf der Vorderseite nach um runde Biskuitkuchen mit Orangengeleefüllung und Schokoladenüberzug zu handeln schien), eine Tüte Chips in der Geschmacksrichtung ‚eingelegte Zwiebel‘ (deren grellviolette, mit Zeichentrickmonstern bedruckte Verpackung eindeutig auf Kinder abzielte) und ein gewöhnliches Schinkensandwich aus der Kühltruhe.

An der Kasse schnappte sie sich noch ein Hundeleckerli für Chester. Dann ging sie mit ihrem nährstoffarmen Picknick zurück zum Lieferwagen und begann hinter dem Lenkrad zu mampfen, während sie den gewundenen Landstraßen zum letzten Ziel ihrer Schatzsuche folgte.

Chester streckte sich auf der Rückbank des Lieferwagens aus und verspeiste lautstark sein knochenförmiges Leckerli.

„Ich gebe dem Sandwich fünf von zehn Punkten“, sagte sie im Rückspiegel zu ihm. „Das Brot war etwas durchgeweicht. Und der Schinken war irgendwie geschmacklos. Und es war bei weitem nicht gut genug gewürzt.“ Sie hielt inne. „Wenn ich es mir recht überlege, gebe ich ihm eine Vier.“

Sie war von Toms selbstgebackenen Broten sehr verwöhnt, wie Lacey jetzt klar wurde, und auch von dem biologischen Schinken mit Honigkruste, den er immer auf dem Bauernmarkt kaufte.

„Dann wollen wir mal diesen Monster-Snack probieren.“

Sie riss die Packung auf und der Zwiebelgeruch wehte heraus. Vorsichtig nahm Lacey einen der monsterfußförmigen Chips heraus und steckte ihn in ihren Mund.

Sie bereute es sofort. Der Geschmack war intensiv und die pikante Schärfe schien Geschmacksknospen anzuregen, die die letzten neununddreißig Jahre über untätig gewesen waren.

Ihre Augen tränten und sie legte die Tüte auf den Beifahrersitz.

„Und das soll für Kinder gedacht sein?“, rief sie aus.

Tom hatte also recht. Was die britischen Snacks betraf, war ihr bisher nichts entgangen.

Als Lacey ein Straßenschild nach Weymouth sah, bog sie ab und fuhr in das malerische Städtchen hinein. Die Stadt verlief an einem Fluss, überall standen kleine Häuschen und die Bäume am Straßenrand standen in voller Blüte.

Der kleine Kunstladen befand sich im Anbau eines Kirchengebäudes – ein Neubau aus gelben Ziegelsteinen mit einem Fenster in der Form eines Kruzifixes aus Blockglas. Die Kirschbäume im Hof warfen ihre rosa und weißen Blüten ab, als wären es Schneeflocken.

Lacey parkte neben dem Bordstein und ging dann durch die großen Glastüren hinein.

Das Innere des Kunstladens war groß und hell und die Fenster und Dachluken ließen im Sommer viel Sonnenlicht herein, während eine kühle Brise aus der Klimaanlage für eine luftige Atmosphäre sorgte. Die Wände waren strahlend weiß, die Dielenböden aus heller, lackierter Buche und es war so ruhig, dass Lacey das Gefühl hatte, sie müsse still sein. Sie legte einen Finger an ihre Lippen, um Chester zu verstehen zu geben, dass auch er still sein sollte. Er legte zustimmend den Kopf schief, aber das Klicken seiner Krallen war trotzdem noch auf den Dielen zu hören, als er Lacey folgte, die den Raum auf Zehenspitzen durchquerte und auf die Auslagen zuschlich.

Lacey inspizierte die Drucke auf der Suche nach einem zum Thema Pferde. Es gab viele Nachahmungen von berühmten Gemälden von Edgar Degas und George Stubbs, aber nach dem, was Gina ihr erzählt hatte, waren die Besucher des Pferdefestes nicht die Art von Leute, die sich Nachdrucke an die Wand hängten. Sie würden Originale wollen.

Lacey wollte gerade zum Tresen gehen, um mit dem Angestellten zu sprechen, wurde aber durch einen wunderschönen Wandteppich abgelenkt, der an der Wand hing. Es handelte sich um einen wunderschönen Appliqué in Rot und Gold. Er war zwar nicht für ihre bevorstehende Auktion geeignet, dafür aber perfekt für den großen leeren Raum neben dem großen Fenster auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock von Crag Cottage.

Plötzlich spürte Lacey, wie Chester mit seiner Schnauze gegen ihre Handfläche stupste.

„Ich weiß“, murmelte sie. „Ich sollte nicht für mich selbst einkaufen. Aber sieh ihn dir doch nur mal an. Er ist herrlich.“

Chester jaulte verzweifelt.

„Kann ich Ihnen helfen?“, sagte eine Männerstimme hinter Lacey.

Sie wirbelte auf dem Absatz herum und sah, dass der Verkäufer hinter ihr stand. Er war ein stattlicher Mann, klein und untersetzt, mit einem freundlichen, faltigen Gesicht.

„Ich habe mir gerade diesen wunderschönen Wandteppich angesehen“, erklärte Lacey ihm.

Der Mann schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. „Danke, ich bekomme nicht oft Komplimente für meine Appliqués.“

„Sie haben ihn gemacht?“, rief Lacey überrascht aus.

„Ja“, sagte er.

Er wirkte sehr bescheiden, dachte Lacey. Fast schon peinlich berührt von seinem außergewöhnlichen Talent.

„Es gibt keinen großen Markt für Wandteppiche“, fuhr er wehmütig fort. „Oder für Original-Gemälde, leider. Die meisten Leute sind nur hinter Drucken von berühmten Malern her.“

Lacey tauschte einen Blick mit Chester aus. Wie konnte sie jetzt, nachdem sie die bedauernswerte Geschichte des Mannes gehört hatte, widerstehen?

Chesters Augenbrauen zuckten, als würde er sich geschlagen geben.

„Nun, dann bin ich wohl nicht wie die meisten Menschen“, sagte Lacey zu dem Mann. „Ich nehme ihn.“

Seine Augen leuchteten. „Wirklich? Sie nehmen ihn?“

Sie nickte. „Ich nehme ihn. Und ich würde sehr gerne sehen, welche Originale Sie sonst noch verkaufen.“

Der Mann sah begeistert aus. „Aber natürlich. Hier entlang, bitte.“

Er machte eine Geste mit seinem Arm und Lacey folgte ihm, als er durch einen Torbogen in den nächsten Raum eilte. Hier sah es noch mehr aus wie in einem Museum oder einer Galerie, da sich an den Wänden ein Gemälde neben das andere reihte.

Lacey ging sofort auf ein Ölgemälde zu, eine Landschaft mit Frühlingsbäumen an einem Fluss und grasenden Pferden im Vordergrund. Das war genau das, was sie gesucht hatte. Sie näherte sich dem Gemälde und las die Signatur: John Mace. Der Name kam ihr bekannt vor. Er war ein beliebter britischer Künstler und dies war genau die Art von Kunstwerk, die sie auf ihrer Auktion verkaufen wollte.

„Ich nehme das hier“, teilte sie dem Angestellten mit. Sie war ganz kribbelig vor Aufregung.

Der Angestellte eilte herbei und klebte einen kleinen roten Aufkleber daneben. Dann ging Lacey zum nächsten Bild, das ihr ins Auge gefallen war.

Es war ein Aquarell von Mabel Gear, einer Künstlerin aus den 1950er Jahren, deren Gemälde häufig für Grußkarten nachgedruckt wurden. Daneben stand ein ebenso großartiger Fund – eine Graphitmasterskizze mit Pferden vom französischen Künstler Alexandre Pau De Saint Martin aus dem Jahr 1800.

„Die beiden nehme ich auch“, sagte Lacey.

„Sie mögen Pferde“, kommentierte der Verkäufer und platzierte aufgeregt seine kleinen roten Aufkleber neben den beiden Kunstwerken.

„Eigentlich eher meine Kunden“, sagte sie zu ihm. „Ich bin Auktionatorin und werde auf dem Sommer-Pferdefest in Wilfordshire eine Auktion veranstalten.“

Die Augen des Kunsthändlers weiteten sich anerkennend. „Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Ich habe genau das Richtige für Sie!“

Er eilte zu einer Tür an der Seite des Raumes und zog im Gehen einen Schlüsselbund aus seiner Tasche. Während er mit einer Hand die Tür aufschloss, winkte er mit der anderen Lacey zu, damit sie ihm folgte. Neugierig durchquerte Lacey den Raum.

Als der Ladenbesitzer die Tür öffnete, kam dahinter eine Art Lagerraum – das Atelier des Künstlers – zum Vorschein. Es war voller Industrieregale und Sägemehl. Das Licht, das durch zwei schmutzige Dachluken fiel, erhellte einen Webstuhl sowie eine große Werkbank, die mit Holzblöcken und Schleifgeräten bedeckt war.

„Also, wo habe ich ihn hingetan?“, fragte der Kunsthändler und ließ seinen Blick über die Regale schweifen. „Ah! Hier.“

Er trat beiseite und enthüllte die Bronzeskulptur eines Jockeys.

Lacey fiel die Kinnlade runter. Sie erkannte ihn sofort. Es war ein Isidore Bonheur, einer der bedeutendsten französischen Tierbildhauer des 19. Jahrhunderts. Seine gegossenen Bronzeskulpturen waren begehrte Antiquitäten. Eine Statue in gutem Zustand konnte bei einer Auktion Tausende von Pfund einbringen.

„Darf ich mir den mal genauer ansehen?“, fragte Lacey. Ihre Hände zitterten vor Aufregung.

„Natürlich“, sagte der Kunsthändler. „Ich bewahre ihn hier hinten auf, weil niemand daran interessiert zu sein scheint.“

„Ich bin interessiert“, murmelte Lacey.

Lacey inspizierte die Skulptur. Sie stellte einen triumphierenden Jockey dar, der die Flanke seines Pferdes tätschelte. Sie war aus Bronze gefertigt und der Sockel war aus Marmor. Die Skulptur zählte zu den beliebtesten Werken des Künstlers, sie war ein kommerzieller Erfolg, den er, wenn sie sich richtig erinnerte, in vier verschiedenen Größen gegossen hatte, und sie war in ausgezeichnetem Zustand, so gut wie ohne Kratzer oder Spuren. Es war ein atemberaubender und prächtiger Fund, bei dem es Lacey fast den Atem verschlug.

Zumindest bis sie das Preisschild sah. Zweitausend Pfund.

Lacey versteifte sich. Das war eine Menge Geld für nur einen Artikel. Als sie mit Suzy die Lodge renoviert hatte, hatte sie auf die harte Tour gelernt, was passieren konnte, wenn man zu viel Geld für Objekte ausgab. Die Sache hätte für sie fast den finanziellen Ruin bedeutet. Und wenn sie die Skulptur kaufte, wäre von dem Gewinn, den ihr der Verkauf der römischen Münze eingebracht hatte, kein Penny mehr übrig.

„Wie ich sehen kann, möchten Sie noch etwas darüber nachdenken“, sagte der Ladenbesitzer. „Ich werde Sie einen Moment mit Ihren Gedanken allein lassen und mich um diesen Kunden kümmern.“

Lacey war so von der Skulptur verzaubert gewesen, dass sie weder gehört hatte, dass sich die Tür geöffnet hatte, noch das Geräusch der schweren Schritte eines anderen Kunden, der herumlief und sich die Kunstwerke ansah.

„Natürlich“, sagte sie. „Vielen Dank.“

Der Kunsthändler ging in den anderen Raum und ließ Lacey allein, damit sie ihre Optionen abwägen konnte.

Die Skulptur war ein erstaunlicher Fund. Sie würde ihrer Auktion mit Sicherheit etwas Aufmerksamkeit verschaffen. Vielleicht könnte sie sogar DAS Schlüsselobjekt sein, wegen dem die Leute überhaupt zur Auktion kamen. Ob es ihr gelingen würde, ihre Investition wieder hereinzuholen, würde am Auktionstag ganz von ihrem Können abhängen. Solange sie nicht anfing zu stottern und die Menge richtig im Griff hatte, könnte es für sie einen großen Gewinn bedeuten. Aber ein großer Gewinn war auch ein großes Risiko. Ihre übliche Methode bestand darin, eine Reihe verschiedener, einzigartiger und qualitativ hochwertiger Objekte anzubieten, Prachtstücke, die sich auch der Durchschnittsbürger noch leisten konnte, wenn er sich etwas gönnen wollte. Diese Skulptur konnte allerdings nur an die Besucher des Festivals verkauft werden. Wenn sie während ihrer Auktion nicht gekauft wurde, musste sie ein ganzes Jahr warten, bis die Pferdefans wiederkamen. Und ein Jahr lang auf einem ganzen Haufen teurer Objekte sitzen zu bleiben, war alles andere als ideal.

Während Lacey ihre Optionen abwog, konnte sie die murmelnden Stimmen des Kunsthändlers und seines Kunden im Nebenraum hören. Die Stimme des Kunden kam ihr irgendwie bekannt vor, dann traf Lacey die Erkenntnis.

„Moment mal …“, murmelte sie, ging zur Tür und spähte hinaus.

Sie hatte recht. Es war Colin.

Ein tödlicher Kuss

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