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KAPITEL VIER

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Atemlos und ungeduldig eilten Olivia und Charlotte nur fünf Minuten vor Geschäftsschluss in den Eisenwarenladen im nahegelegenen Dorf Collina.

Olivia trug noch immer ihre Arbeitsklamotten. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich umzuziehen. Als sie in die Villa zurückkehrte, hatten sie und Charlotte sich in einem Miniatur-Tornado aus Handlungseifer in den Fiat gezwängt und waren in einer Geschwindigkeit ins Dorf gerast, die selbst einen waschechten Italiener stolz gemacht hätte.

Olivia hatte nicht einmal abgebremst, als sie das beschauliche Schloss am Rande der Stadt passierten. Es war für sie ein Ritual geworden, es zu bewundern, und sie wusste, dass sie in der Vergangenheit schon einige Staus verursacht hatte, während sie ihren Hals gereckt hatte, um es zu bestaunen. Sie wurde es niemals leid, seine bröckelnden Mauern und grauen Steinzinnen anzusehen und sich zu fragen, wie es wohl vor hundert Jahren in seiner gesamten Pracht ausgesehen haben mag.

Diesmal, einzig auf ihre dringende Aufgabe konzentriert, hatte sie nicht einmal einen Seitenblick darauf geworfen.

Olivia rief der mütterlichen Verkäuferin ein freundliches buon giorno zu und bahnte sich dann schnurstracks ihren Weg in die Abteilung mit dem Zubehör für die Weinherstellung.

Der Eisenwarenladen war genau wie das Dorf Collina selbst, dachte Olivia. Überraschend klein und eng, und doch gab es dort alles, was man brauchte.

Was sollte sie kaufen? Sie starrte verwirrt auf die dicht bepackten Regale. Sie hatte gehofft, hier viel systematischer vorgehen zu können. Sie hatte nicht einmal die Zeit gehabt, eine Liste zu machen.

„Wir werden einen Wagen brauchen, stimmts? Ich hole einen Wagen“, sagte Charlotte.

Sie eilte zurück zum Eingang, während Olivia in den Gängen auf und ablief und überlegte, welchen Dünger sie wählen sollte und ob der Boden ihrer Farm auch Kalk brauchen würde. Es war zu spät, über den Kompost auch nur nachzudenken.

Dann war da noch die Frage, welche Trauben sie anbauen sollte. Das war auch eines der Dinge, über die sie noch nicht nachgedacht hatte. Olivia dachte panisch sowohl an ihre Unterhaltung mit Antonio zurück als auch an das Wissen, dass sie während ihrer Arbeit hinter der Weintheke aufgeschnappt hatte.

Ihre Farm lag ohne Zweifel weit oben und hatte hügelige Hänge.

Vermentino sollte demnach dort gut wachsen, und wenn er das tat, würde Chardonnay das auch tun.

Antonio hatte Nebbiolo gepflanzt, aber laut ihm waren das für den Anbau recht empfindliche Trauben, und als Anfänger brauchte sie zähe, widerstandsfähige Trauben. Die einheimischen roten Sangiovese-Trauben würden besser wachsen, entschied sie. Sie waren hier zuhause und würden hoffentlich einfacher wachsen.

Sie legte noch eine Gießkanne in den Einkaufswagen, zusammen mit einem Rechen und einem Spaten.

Die kleine Plastikgießkanne schien ihr unzureichend, als Olivia an die riesigen, hügeligen Flächen dachte, die sie zu bepflanzen hatte, aber die Alternative war, eine Bewässerungsanlage zu installieren, und das wäre ein teures und zeitaufwändiges Unterfangen. Eine Gießkanne musste fürs Erste reichen.

„Ich bin eine Macherin“, redete sie sich optimistisch ein.

„Ich werde dir beim Gießen helfen“, sagte Charlotte. Auch sie beäugte zweifelnd die limettengrüne Kanne. „Ich kann dir bei allem helfen, was du tun musst. Immerhin ist die Farm ein echt spaßiges Projekt.“

„Wirklich?“, fragte Olivia. Für sie fühlte es sich gerade eher entmutigend als spaßig an.

„Absolut. Mir hat die Landwirtschaftsidee schon immer gefallen. Als eine Tochter der Erde habe ich schon immer das Potenzial dazu in mir gespürt.“

Olivia blickte Charlotte dankbar an, aber erwischte sich dabei auch, wie sie dem Mann hinter ihrer Freundin in die funkelnden, braunen Augen starrte. Olivia fragte sich, wie lange er schon geduldig dort wartete, während sie sich durch die Regale wühlte, von ihrem Panikeinkauf völlig vereinnahmt.

„Sorry, wir halten Sie auf.“ Olivia versuchte, den Einkaufswagen so gut wie möglich zur Seite zu schieben, um ihn vorbeigehen zu lassen.

„Nein, kein bisschen. Ich hab’s nicht eilig.“ Er hielt inne und musterte sie genauer.

Olivia starrte zurück. Egal, wie beschäftigt sie auch mit ihren Einkäufen war, sie kam nicht umhin zu bemerken, dass er in etwa in ihrem Alter war, fit und stark wirkte und ein schelmisches Lächeln und außergewöhnlich gut gestyltes Haar hatte. Seine dunklen Haare waren perfekt getrimmt, mit einem leichten Zickzackscheitel und die Spitzen zu einwandfreien Stacheln gegelt. Sogar sein Dreitagebart war präzise getrimmt.

„Verzeihen Sie meine Neugier, signora“, sagte er. „Ich kenne nur eine Farm hier, die zum Verkauf steht. Sprechen Sie von dem Grundstück auf dem Berg, oberhalb der strada regionale?“

Er meinte die schmale Teerstraße, die von Collina zum nächsten, drei Meilen entfernt gelegenen Dorf führte, vermutete Olivia.

„Ja, genau die.“

„Ernsthaft? Sie haben sie gekauft?“ Sein Lächeln breitete sich zu einem ungläubigen Grinsen aus. „Dieses alte Ding?“

„Ja“, antwortete Olivia defensiv.

Lachte er sie etwa aus? Er war eindeutig ein Einheimischer, der die Gegend kannte. Wusste er etwas, von dem sie nichts wusste?

War ihre Investition etwa ein drastischer Fehler gewesen?, fragte sich Olivia mit einem Schaudern.

„Es ist eine wunderschöne Farm“, insistierte sie. „Die Aussicht ist wunderbar.“

Er hob fragend eine Augenbraue.

„Stimmt, ja, ein perfekter Ort für ein Ferienhaus.“

Doch nun starrte er in ihren Einkaufswagen.

„Aber Sie machen dort keinen Urlaub. Bauen Sie dort Wein an? Wein? Jetzt? An diesen Hängen?“

„Ja, ich werde heute Abend mit dem Pflanzen beginnen. Ich hoffe auf eine Ernte nächsten Sommer“, sagte Olivia.

Der Mann schüttelte fröhlich lachend den Kopf.

Americanos! Was für ein Volk! Ich liebe es, wie verrückt Sie sind, so optimistisch. Keine Herausforderung zu groß! Hübsche Lady, ich wünsche Ihnen alles Gute – aber Sie werden mehr brauchen als meine Wünsche.“ Noch immer vor sich hin kichernd schlängelte er sich an dem Einkaufswagen vorbei zur Kasse.

Charlotte starrte ihm fragend nach.

„Hat er dich wegen etwas gewarnt?“, fragte sie.

Olivia zuckte die Schultern. „Ich glaube, er wollte uns nur ärgern“, sagte sie. Zumindest hoffte sie das.

Als sie sich den Inhalt ihres Wagens ansah, fiel ihr auf, dass diese Last-Minute-Shopping-Tour ein teures Vergnügen werden würde. Sie hoffte, dass sie mit all dem keine desaströse Entscheidung getroffen hatte.

Nachdem sie ihre Einkäufe in den winzigen Kofferraum ihres Fiats gezwängt hatten, fuhren sie zum Farmhaus zurück. Es war Hochsommer und sie hatten daher noch etwa dreieinhalb Stunden Tageslicht übrig, aber Olivia wusste, dass sie sich ins Zeug legen mussten. Sobald sie mit der Saat fertig waren, würden sie sich in dem Restaurant unten an der Straße mit Pizza und Wein belohnen.

Sie war froh, dass sie in dem staubigen, oberen Schlafzimmer eine alte Jogginghose verstaut hatte, da sie wusste, dass sie ein paar lottrige Klamotten brauchen würde, die sie anziehen konnte, wenn sie hier arbeitete.

Sie lief die Treppe hinauf, schälte sich aus ihrem Arbeitsrock und zog die ausgewaschene Stoffhose an. Sie trug sie für all ihre Arbeiten auf dem Grundstück und im Garten. Die Hose war nicht nur fleckig und schmutzig, sondern sie hatte auch ein großes Loch am Hinterteil, das sie sich an einem Rosenbusch eingehandelt hatte.

Olivia faltete ihren schicken Rock und das Jackett und legte sie auf den Fensterrahmen, welchen sie gestern saubergewischt hatte und welcher somit die einzige staubfreie Oberfläche im ganzen Haus war.

Sie hielt einen Moment inne und starrte aus dem Fenster.

Eines Tages würde dieser leere, hallende Raum ihr Schlafzimmer sein. Hier würde sie schlafen, das Zimmer erwärmt von den abendlichen Sonnenstrahlen, und nach dem Aufwachen über die morgendlichen Hügel blicken. Die hohe Decke und die geräumige Fläche wären perfekt für ein Doppelbett und einen gemütlichen Ohrensessel, zusammen mit einem rustikalen Schreibtisch und vielleicht einem riesigen, altmodischen Kleiderschrank.

Oder wären eingebaute Schrankwände einfacher?

Die Entscheidung quälte Olivia noch immer, und sie wusste, dass sie sie bald treffen werden müsste. Aber das war eine einfache Entscheidung, denn sie wusste, dass dabei nichts schiefgehen konnte und beide Optionen letztendlich funktionieren würden. Dasselbe galt für die Zimmerwände. Sollte sie den cremegoldfarbenen Ton einfach nur auffrischen oder sich für einen helleren Weißton entscheiden? Auch hier gab es keine falsche Antwort.

Wo sie die Samen pflanzen sollte, die sie gerade gekauft hatte, war allerdings eine schwere Entscheidung, denn es bestand die Möglichkeit, dass sie es vermasselte.

Von unten hörte sie Charlotte aufgeregt quieken.

Olivia lief die Treppe hinunter, um zu sehen, was passiert war.

„Schau, sie ist wieder da! Erinnerst du dich noch an die Katze von vor ein paar Tagen? Sie ist wieder hier. Vielleicht hatten die Leute, die die Decke ausgebessert hatten, sie eine Zeitlang verschreckt.“

„Oh, wie schön, dich zu sehen.“

Olivia beugte sich vor, wackelte mit den Fingern und redete der kleinen, nervösen, schwarzweißen Katze zu, die sich dieses verlassene Farmhaus anscheinend als Heim ausgesucht hatte. Sie war zwar scheu, aber nicht mehr so sehr wie zu Anfang. Sie hoffte wahrscheinlich auf etwas zu essen. Charlotte kramte in ihrer Handtasche nach einem Beutel mit Futter.

„Ich habe nur noch eins übrig.“

Triumphierend leerte sie den Inhalt in die Plastikschale, die sie gekauft und auf der Veranda stehengelassen hatte.

Während sie neben Charlotte stand, fiel Olivia auf, dass sie beide ein identisches, liebevolles Lächeln auf den Lippen hatten, während sie zusahen, wie die Katze hungrig ihr Abendessen verschlang. Egal, wie dringend das Pflanzen war, Olivia konnte sich einfach nicht von dem belohnenden Anblick losreißen, bis die Katze endlich den letzten Brocken aus der Schüssel geleckt hatte und mit einer zufriedenen Katzenwäsche begann.

„An die Arbeit“, verkündete sie.

Sie stöberte im Kofferraum, hob einen Sack Dünger heraus und griff wahllos eine Packung Samen.

„Vermentino also“, sagte sie. „Du wirst die Spitzenreitersaat auf der Glass-Farm werden.“

Sie begutachtete das Gelände.

„Logisch gedacht würde ich vorschlagen, sie etwas abseits zu pflanzen. Am Haus wird viel gearbeitet werden, und wir wollen sie nicht dort aussähen, wo womöglich Fahrzeuge fahren müssen oder Material geliefert wird.“

„Wie wäre es, wenn wir diese Charge ganz hinten auf der Rückseite der Farm anbauen, in der Nähe dieses Lagerhauses, dass verschlossen ist?“, schlug Charlotte vor.

„Auf dieser Seite gibt es kein Wasser“, erinnerte sich Olivia, und Charlotte nickte.

„Bevorzugen die Trauben nicht trockenen Boden? Wir können sie jetzt gießen. Ein paar Touren hin und wieder zum Wässern könnten ausreichen.“

„Gute Idee“, entschloss Olivia.

„Ich bin heute der Wasserträger“, stellte sich Charlotte freiwillig zur Verfügung.

Mit dem Spaten in der Hand machte sich Olivia auf den Weg den Berg hinauf.

Nach einem kurzen, flotten Marsch kam sie an dem alten Nebengebäude an.

Wie viel Abstand sollte sie zwischen den Samen lassen? Olivia dachte hastig zurück an die Reben, die sie auf La Leggenda gesehen hatte. Zwei große Schritte zwischen jeder Pflanze würde ausreichen.

Mit der Spitze des Spatens zeichnete sie ein großes Rechteck in den sandigen Boden mit seiner Fülle an wilden Kräutern und Pflanzen. Dann begann sie, kleine Beete für die Samen anzulegen und streute eine Handvoll Dünger auf jedes davon. Sie grub jedes Beet kräftig um und verspürte jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn die Spatenspitze gegen massiven Stein traf. Das konnte doch nicht möglich sein, oder? Der Boden war bestimmt eher einfach nur sehr fest.

Nach einer halben Stunde intensiven Grabens, war ihre erste Stätte bereit zum Besäen.

Als Charlotte erneut über die Bergkuppe gestiegen kam und sich während ihres nun dritten Trips den Schweiß von der Stirn wischte, begann Olivia gerade, die Samen in die frischgegrabenen und gewässerten Beete zu pflanzen.

Das war aufregend, anstrengend und furchterregend zugleich, stellte sie fest und versuchte, ihre Ängste zu verdrängen und mit positiver Energie zu ersetzen, während sie auf dem feuchten Boden kniete und die Erde festdrückte. Hieß es nicht, dass Pflanzen deine Gedanken und Gefühle spüren können? Sie würde diese Saat mit Hoffnung und Fröhlichkeit überschütten müssen.

„Und nun wachst, ihr Lieben!“, rief Olivia, und Charlotte blickte sie neugierig an.

Sie stellte sich wieder auf die Füße und klopfte sich den Dreck von den Knien ihrer Jogginghose.

„Wie wäre es, wenn wir uns von hier zurückarbeiten und ein kleines Feld mit Chardonnay in der Nähe der Ruine pflanzen und den Sangiovese danach hinter der großen Scheune?“

„Das klingt – naja, um ehrlich zu sein, klingt das sehr anstrengend“, lachte Charlotte. „Aber lass uns ans Werk gehen. Je eher die Babys in der Erde sind, umso eher können wir anfangen, Wein zu machen!“

Auf dem Weg zurück stellte Olivia überrascht fest, dass jeder Muskel ihres Körpers brannte. Dieser Weinanbau war harte Arbeit! Sie begann zu verstehen, wieso Antonio so schlank und fit war.

Sie nahm das Paket mit Sangiovese-Samen in die Hand. Auf diese freute sie sich besonders. Egal, wie die anderen Sorten gelangen, dieser einheimische Wein musste mit Sicherheit einen klaren Vorteil haben.

Sie stieg den Berg hinunter und markierte die Beete mit der Kante ihres Spatens.

Danach legte sie eine Pause vom Graben ein und lehnte sich auf den Spaten, während sie sich den schmerzenden Hintern rieb.

Als sie den näherkommenden Schatten hinter sich bemerkte, rief sie, „Diese müssen noch gegossen werden, Charlotte.“

„Müssen sie das, signora?“

Olivia ließ erschrocken ihren Spaten fallen.

Die Stimme hinter ihr war warm, tief und unverkennbar männlich.

Sie wirbelte herum und starrte in die grinsenden Augen des Mannes aus dem Eisenwarenladen.

Ein erlesener Todesfall

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