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KAPITEL FÜNF

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„Was tun Sie denn hier?“, kreischte Olivia.

Ihre Empörung verdeckte ihre Verlegenheit – aber nur ganz knapp. Sie hatte sich vorgelehnt und sich gerade den Hintern massiert, als er sich ihr von hinten genähert hatte.

Und schlimmer noch, sie hatte ein riesiges Loch hinten in ihrer Hose. Olivia spürte, wie ihr Gesicht vor Demütigung rot anlief, als sie sich daran erinnerte.

Das war kein günstiger Moment für einen unangekündigten Besuch.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht so überrumpeln“, sagte der Mann mit einem verschwörerischen Zwinkern. „Ich kam gerade hier vorbei. Ich dachte, ich schaue mal rein und biete meine Hilfe an.“

Er beugte sich hinab und hob den Spaten auf. Hastig wirbelte Olivia herum, um ihn im Blick zu behalten. Sie wollte den Riss in ihrer Hose so gut wie möglich versteckt halten, obwohl er ihn bestimmt schon bemerkt haben musste.

Welche Unterhose trug sie?

Sie glaube, heute Morgen die graue gewählt zu haben. Und die Jogginghose war auch grau, also war der breite Riss hoffentlich gut getarnt gewesen.

„Sie haben ziemlich hart gearbeitet“, sagte der Mann und blickte über die beiden Reihen aus Beeten, die sie bereits ausgehoben hatte. „Allerdings fällt mir sofort auf, dass Sie einige Dinge falschmachen. Sie haben noch nie Wein angebaut, stimmts?“

Sie machte es falsch? Wie dreist, so etwas zu sagen! Olivia fühlte Wut über seinen beleidigenden Ton in sich aufsteigen. Wie konnte man denn bitte falsch graben? Sie musste doch nur den Spaten in den Boden rammen und die Erde auflockern. Olivia hatte nicht geglaubt, dass es hier einen richtigen und einen falschen Weg gab, und außerdem war sie sehr stolz auf die säuberlichen Beete, die sie angelegt hatte.

„Ich habe schon einmal Wein angebaut“, sagte sie trotzig. Was auch stimmte. Sie hatte gerade etwa hundert Samen an anderen Stellen auf ihrem Grundstück gesät. Nach beinahe drei heißen, ermüdenden Stunden harter Arbeit war sie ein erfahrener Experte.

„Das glaube ich nicht.“ Der stachelhaarige Mann hatte ihren Schwindel bemerkt. „Ich sehe bereits, was Sie falschmachen. Sie sind eine Anfängerin, die nichts weiß und alles erst ordentlich lernen muss. Soll ich Ihnen zeigen, welchen großen Fehler Sie gemacht haben? Bevor Sie all Ihr Geld verschwenden, dass Sie ausgegeben haben?“

Er hielt noch immer den Spaten fest, und das auf eine Art, die ihr sagte, dass er ihn nicht willig zurückgeben würde, und sein Lächeln gefiel ihr gar nicht. Es war, als lachte er sie aus, genau wie der Tonfall seiner Stimme. Er war wahrscheinlich hierhergefahren, damit er ihr wegen ihres Vorhabens seine chauvinistische Art aufdrücken und sich ein wenig aufspielen konnte.

Er schritt zügig auf die andere Seite ihres Mini-Weinbeets, und Olivia wirbelte herum, bewusst, dass sie ihm weiterhin zugewandt bleiben musste.

Hatte sie heute Morgen wirklich die graue Unterwäsche angezogen? Jetzt, wo sie daran zurückdachte, fiel ihr auf, dass die ganz hinten in der Schublade gewesen war, und sie hatte es eilig gehabt, als sie sich angezogen hatte.

Sie wünschte, sie könnte sich erinnern. Ihre Unfähigkeit sich zu erinnern, zusammen mit dem Schock über diesen unerwünschten Besuch, ließen ihr Gesicht glühen. Sie war sich sicher, dass er das auch bemerkt hatte. Olivia gewann den Eindruck, dass dieser unsympathische Mann, dessen Frisur für seine missratene Persönlichkeit viel zu gut aussah, keinen Trick unversucht ließ.

„Geben Sie mir den Spaten zurück“, forderte sie, plötzlich unfähig, sich mit dieser komplexen Situation auch nur noch eine weitere Minute auseinanderzusetzen.

„Darf ich es Ihnen denn jetzt zeigen?“, fragte er, offensichtlich zufrieden, dass sie sich endlich mit seiner Art zu denken abgefunden hatte.

Doch Olivia wollte das ebensowenig. Sie wollte das sogar noch weniger. Zuzusehen würde beinhalten, dass er hinter ihr stünde, während sie sich vorbeugte. Sie konnte die abendliche Brise förmlich spüren, wie sie durch den gigantischen Riss in ihrem Hosenboden strich.

Sie beschloss schließlich, dass sie diesen Mann auf keinen Fall hierhaben wollte. Er hatte weder einen Termin vereinbart noch um Erlaubnis gebeten, ihren brandneuen Weingarten zu betreten. Er war ihr gegenüber beleidigend und fordernd und deutete an, dass sie eine hoffnungslose Weinfarmerin war. Doch am schlimmsten war allerdings, dass er vermutlich ihre Unterhose gesehen hatte!

„Ich möchte, dass Sie gehen“, verlangte sie, trat vor und entriss ihm den Spaten. „Ich brauche Ihre Hilfe im Moment nicht, oder eher gesagt, auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt. Ich arbeite für ein Weingut und weiß, was ich tue. Wir kommen ganz gut allein zurecht. Sie stören mich, und Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich muss den Anbau zu Ende bringen, bevor es dunkel wird, denn ich und meine Freundin sind am Verhungern und brauchen dringend eine Pizza und ein Glas Wein.“

Zu ihrem Erstaunen blickte der Mann einen Moment lang verletzt drein, als hätte er eine solch unmissverständliche Zurückweisung nicht erwartet.

Dann zuckte er mit den Achseln.

„Ich heiße Danilo“, sagte er. „Ich würde Sie auch gern nach Ihrem Namen fragen, aber ich glaube, dies ist nicht der rechte Moment für derartige Bekanntmachungen. Hier ist meine Visitenkarte. Rufen Sie mich an, wenn Sie meine Hilfe brauchen.“ Er zwinkerte ihr erneut zu, und Olivia fragte sich, ob sie sich den kurzen, verletzten Ausdruck in seinen Augen nur eingebildet hatte. „Ich bin mir sicher, dass wir uns bald wiedersehen!“

Sie fühlte wieder dieses Brodeln in sich. Der hatte Nerven! Er konnte einfach nicht aufhören anzudeuten, dass sie unfähig war.

Zögernd nahm sie ihm die angebotene Karte ab. Als der Mann sich umdrehte, um zu gehen, bog Charlotte gerade mit der Gießkanne ums Haus.

Sie sah, wie Danilos Augenbrauen bei dem Anblick in die Höhe schossen, und merkte, wie er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, als er zusah, wie ihre Freundin den kleinen, grünen Behälter den Hügel hinunterschleppte.

„Guten Abend, Ladys. Buena sera. Genießen Sie Ihre Pizza und Ihren Wein.“

Er schlenderte lässig durch das Tor und kletterte in seinen weißen Truck, den er neben der Straße geparkt hatte.

Kurz darauf röhrte der Wagen davon.

Olivia konnte nicht anders. Sie musste es einfach tun.

Sie riss an dem Gummibund ihrer Jogginghose und warf einen Blick auf ihre Unterwäsche. Dann verzog sie das Gesicht, schloss die Augen und wünschte sich, die letzten zehn Minuten ungeschehen machen zu können. Sie hatte sich heute Morgen für das grellorangene Unterhöschen entschieden, so grell, dass es beinahe leuchtete.

Es musste wie ein schillernder Sonnenuntergang durch eine graue Wolkendecke hindurch ausgesehen haben. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass Danilo das bemerkt hatte. Kein Wunder, dass er so breit gegrinst hatte.

„Uff!“, stöhnte Olivia.

Sie riss sich zusammen und versuchte, das Gefühl seines Blicks zu verdrängen.

„Was sollte das Ganze?“, fragte Charlotte. „War das der Mann aus dem Eisenwarenladen, und hat er versucht, unseren Anbauprozess zu dirigieren?“

Olivia nickte verbissen.

„Ich wusste ja nicht, dass aufdringliche Einheimische hier zum Tagesgeschäft gehören. Als hätte ich ungebetene Hilfe nötig!“

Charlotte blickte sie erstaunt an.

„Pflanzen ist auch nur einfaches Gärtnern, nicht wahr? Er wollte sich ganz klar bloß aufspielen.“

„Genau“, stimmte Olivia zu.

Doch insgeheim wurde Olivia gerade von Zweifeln zerfressen. So sehr sie auch versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen, so fragte sie sich doch, was passieren würde, wenn sich ihre erste Ernte zu einem einzigem Debakel entwickeln würde.

„Bitte wachst“, flehte sie die Samen an, wohl wissend, dass sie gerade womöglich die schlechten Schwingungen ihrer Sorgen und Verzweiflung aufsaugen würden.

Diese Beete waren von der Straße aus sichtbar. Danilo konnte also jederzeit in seinem staubigen, weißen Truck daran vorbeifahren und sich ihre Fortschritte, oder auch das Fehlen derselbigen, ansehen.

Olivia ertrug den Gedanken daran nicht, wie peinlich es wäre, wenn sie ihn anrufen und ihn um den Rat bitten müsste, den er so zuversichtlich angeboten hatte.

Sie hoffte, dass die Saat schnell aufgehen würde, damit Danilo über ihr Gedeihen staunen können und er erkennen würde, wie unhöflich und unangebracht seine Kritik gewesen war.

In diesem Moment klingelte Olivias Telefon.

Sie wühlte in ihrer Tasche. So spät am Abend war es bestimmt jemand aus den Staaten, die zeitlich einige Stunden zurücklagen.

Es war ihre Mutter.

Olivia seufzte.

Sie hatten sich schon seit über einer Woche nicht mehr gesprochen. Sie hoffte, dieses Gespräch würde ihr nicht zu viel von ihrer Pizzazeit rauben. Da ihre Mutter nicht dafür bekannt war, kurze Unterhaltungen zu führen, beschloss Olivia, nach oben ins Schlafzimmer zu laufen und sich umzuziehen, während sie sprachen.

„Hallo, Mum“, sagte sie und machte sich auf den Weg zum Farmhaus.

„Olivia!“ Ihre Mutter klang besorgt. „Du hast versucht, mich am Wochenende anzurufen.“

Olivia konnte sich ihre zarte, nervöse Mutter vorstellen, wie sie in ihrem sonnendurchfluteten Wohnzimmer in ihrem Sessel mit Blumenmuster kauerte, während ihr Vater auf dem Sofa gegenüber las. Olivia wusste, dass ihr Vater nur dann seine Augen von den Seiten nahm, wenn die Stimme ihrer Mutter eine bestimmte Tonlage erreichte.

„Ja, das habe ich. Du hattest gesagt, dass du gerade Auto fährst und dass ich wann anders anrufen sollte.“

„Ich muss dir dringend sagen, dass dein E-Mailkonto gehackt wurde.“

„Wirklich?“ Olivia spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte, während sie die Treppe hinaufflitzte. Das war das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte.

„Ja. Du musst das sofort melden.“

Olivia stellte ihr Telefon auf Lautsprecher und schälte sich aus ihrer Hose. Eigentlich sollte sie sie besser wegwerfen. Oder zumindest den Riss nähen lassen. Vielleicht gab es eine Schneiderei im Dorf. Allerdings war es ihr peinlich, solch eine schlottrige Hose zum Ausbessern wegzugeben.

Am einfachsten wäre es, sie hierzubehalten, so zerrissen und bequem, wie sie war.

„Woher weißt du das?“, fragte sie.

Ihre Mutter kündigte die Bombe auf äußerst  dramatische Weise an.

„Die Hacker haben mich angeschrieben, mit deinem Namen, und etwas Absurdes behauptet. Sie haben gesagt, dass du eine Farm in Italien gekauft hast.“

Olivia blinzelte.

„Ähm, Mum – “

Aber Mrs. Glass ignorierte sie und fuhr wie eine Dampfwalze einfach unbeirrt fort.

„Sie haben nicht direkt nach Geld gefragt, aber es war einfach für jemanden so weltbewandert wie ich zu erkennen, dass sie das Fundament dafür in ihrer nächsten Mail legen werden. Das nennt man Phishing, Schatz.“

Olivia hörte, wie ihr Vater etwas im Hintergrund murmelte.

„Oh. Es ist kein Phishing, Herzchen, es ist ein 419-Scam. Das ist es, was die Hacker gemacht haben. Ist das etwas Ernsteres, Andrew?“

Sie schwieg wieder, während Olivias Vater antwortete.

„Es ist anscheinend das Gleiche, nur anders. Aber egal, Schatz, du wurdest gephisht. Ich meine ge419t, und so solltest jeden in deiner Kontaktliste sofort informieren. Sie haben das wahrscheinlich an die gesamte Datenbank geschickt! Es war keine gutgeschriebene Mail, und sie stammte definitiv von jemandem, der nicht gut Englisch spricht, aber trotzdem, einige deiner naiven Freunde könnten es durchaus glauben.“

Olivia verdrehte die Augen, als sie sich ihren Rock anzog und wieder in ihre staubigen Sandalen schlüpfte.

„Mum, das war ich. Ich habe diese Mail geschrieben, und es stimmt. Ich habe in Italien eine Farm gekauft. Du warst beschäftigt und hattest keine Zeit zum Reden, also habe ich dir die Details geschrieben.“

Olivia merkte, wie sie anfing zu plappern, um die plötzliche, geschockte Stille am anderen Ende zu füllen.

„Sie ist echt hübsch. Ich stehe sogar gerade im Schlafzimmer. Und jetzt gehe ich die Treppe hinunter. Das Haus ist ein wenig vernachlässigt, aber die Struktur ist sehr solide, und es steht auf zwanzig Morgen, wie ich dir in meiner Mail geschrieben habe. Ich werde hier Wein anbauen! Ich habe vor, nächstes Jahr mein eigenes Weinlabel zu starten.“

„Dein was?“, antwortete ihre Mutter heiser.

Olivia war sich sicher, dass sie ihr die Fakten gerade deutlich vermittelt hatte und dass die Telefonverbindung kristallklar war. Sie hatte nur Schwierigkeiten, alles zu verarbeiten.

„Mein eigenes Weinlabel“, wiederholte sie, nur für alle Fälle.

„Ich kann das nicht glauben“, flüsterte ihre Mutter. „Olivia, das ist doch Irrsinn.“ Als sie fortfuhr, klang sie zunehmend misstrauisch. „Hast du etwa falschen Umgang? Hat man dich einer Gehirnwäsche unterzogen, oder bist du von einer Sekte gekidnappt worden, die mit deinem Geld ihre Machenschaften finanziert? Wenn du Hilfe brauchst, mein Engel, dann sag nur das Wort – das Wort – lass mich kurz überlegen, welches Wort man unauffällig in ein Gespräch einbauen kann. Das Wort ‚Wasser‘ wird reichen! Benutze es ganz deutlich in deiner Antwort an mich, und ich werde sofort die Behörden verständigen.“

Olivia erreichte den Fuß der Treppe.

„Können wir los?“, fragte Charlotte, die sich von ihrem Schneidersitz auf der Veranda hochrappelte.

„Ja“, antwortete Olivia ihrer Freundin schnell. Sie musste dieses nervige Gespräch endlich beenden und ihrer Mutter auf Widersehen sagen. Das Abendessen rief, und im Moment, nach diesem Tag, rief es besonders laut.

Olivia blickte hinab auf den frisch gepflanzten Weingarten.

„Oh, wir sollten die Gießkanne wegräumen. Die Samen brauchen erst mal kein Wasser mehr“, fügte sie schnell an Charlotte gerichtet hinzu, als sie den hellgrünen Farbfleck auf dem sandigen Beet bemerkte.

Olivias Mutter schrie auf.

„Das Codewort! Ich wusste es! Andrew, Olivia ist von einer Sekte einer Gehirnwäsche unterzogen worden, die sie gezwungen hat, eine Farm in der Toskana zu kaufen, die sie nun als Hauptquartier nutzt! Wir müssen dieses Telefonat sofort zurückverfolgen und ihr Hilfe verschaffen! Arbeitet das FBI auch in Italien?“

„Mum, mir geht’s gut!“, protestierte Olivia. „Ich muss los. Ich brauche keine Hilfe, und ich bin auch in keiner Sekte. Ich bin gerade auf dem Weg in ein Restaurant. Ich rufe dich morgen an. Hab dich lieb! Hab dich lieb, Dad! Alles ist gut! Versprochen!“

Sie hing auf und hoffte, dass ihre Worte überzeugend genug gewesen waren.

Sie traute es ihrer Mutter zu, das ganze FBI in die Toskana zu beordern, um Olivia von einer imaginären Sekte zu retten.

Ein erlesener Todesfall

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