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Die ersten Wohnungen

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Ob die frühen Menschen zuerst Kleidung oder Unterkünfte erfanden, lässt sich heute kaum feststellen. Es steht aber zu vermuten, dass Behausung der Kleidung voranging, da auch die nächsten Verwandten des Menschen Behausungen in Form von Nestern auf Bäumen oder – im Fall von Gorillas – auf dem Boden erbaut hatten. Das war noch ohne den Einsatz von Werkzeugen möglich, während die Herstellung von Kleidung, die vermutlich zuerst aus Tierfellen bestand, Werkzeuge zum Töten von Tieren, zur Auslösung des Fells und zum Zusammennähen voraussetzt. Es gibt außerdem einen konkreten Hinweis darauf, dass Kleidung erst relativ spät entstanden ist. Das kann man wiederum von einem Mitbewohner des menschlichen Körpers ableiten, nämlich von Läusen. Diese Parasiten mussten sich mit dem Nacktwerden des Körpers vornehmlich in die Kopfhaare zurückziehen. Aber dann kam eine Zeit, in der die »Kopfläuse« wieder auswandern konnten, nämlich als ihnen neues, künstliches Fell in Form von Kleidung Schutz bot. Genetisch trennte sich die menschliche Kopf- von der Kleider- oder Körperlaus (Pediculus humanus humanus respektive Pediculus humanus corporis), wie Wissenschaftler schätzen, frühestens vor 100 000 Jahren. Schon die Vorfahren der Schimpansen und der Menschen waren von Läusen besiedelt. Das Auftreten der Kleiderläuse könnte darauf hinweisen, dass die Menschen lange »nackt« lebten, bis sie in kältere Gefilde auswanderten, wo sie mit ihren Steinwerkzeugen, über die sie schon lange verfügten, Kleidung aus Fellen herstellten.

Vermutlich ging dem aber eine andere Revolution voran, die sich vor der Auswanderung der Hominiden aus Afrika ereignet haben dürfte und ein wesentliches, vielleicht sogar das entscheidende Movens für die Evolution des Menschen und seines Wohnens darstellt. Auffällig ist nämlich noch heute, dass sich die Primaten mit Ausnahme der wirklich mächtigen Gorillamännchen nicht trauen, ihr Nachtlager auf dem Boden einzurichten. Vermutlich war es auch für die Vorfahren des Menschen dort einfach zu gefährlich. Was könnte die frühen Menschen vor zwei Millionen Jahren verleitet haben, die Bäume zu verlassen und ihre Nächte auf dem Boden zu verbringen?

Der aufrechte Gang könnte zum Verlassen der Wälder geführt haben, um stattdessen auf den Savannen nährstoffreiches Aas auszuweiden oder auch Tiere zu jagen. Das könnte wiederum für den Verlust des Fells, zwecks schnellerer und weiter reichender Fortbewegung verantwortlich gewesen sein. Aber noch immer wäre Homo erectus, der gegenüber seinen Vorfahren deutlich allgemein an Muskelmasse und speziell Ausprägung der Kaumuskeln und Zähne zugunsten seines Gehirns eingebüßt hat, stark gefährdet. Homo erectus war offensichtlicher schwächer, wenn auch größer als seine Vorfahren, konnte aber aus Afrika auswandern und andere Gebiete besiedeln. Auffällig ist schon, dass Homo erectus spätestens mit seinem aufrechten Gang und den dafür geeigneten flachen Füßen die Fähigkeit verloren hat, so zu klettern, wie dies die Primaten vermochten. Nester auf Bäumen zu bauen, war damit kaum mehr möglich. Was könnte also den Erfolg des Migranten verursacht haben, der sich nicht nur im Leben außerhalb des Waldes, sondern auch in vielen Gebieten mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen bewähren sollte?

Plausibel ist die These, dass die Beherrschung des Feuers zusammen mit der Möglichkeit, Essen zu kochen oder zu garen, ein entscheidender Schritt war, der es womöglich schon vor zwei Millionen Jahren den frühen Menschen ermöglichte, sich vollends aufzurichten, aus den Wäldern zu gehen und sich durch die neue Kultur des Kochens als Jäger und Aasfresser mehr Energie zuzuführen. Kochen lässt Gifte zerfallen, tötet gefährliche Bakterien und andere Lebewesen, macht Fleisch und pflanzliche Nahrung leichter kau- und verdaubar, aber auch haltbarer, wodurch länger bewohnte Lager möglich wurden, die sich in der Regel zunächst an Wasserstellen befanden, wo sich ungestört Wild jagen, zerlegen und kochen ließ. Nach der Kochhypothese veränderte sich mit dem stationären Feuer und der vermehrten Energiezufuhr durch gekochte Nahrung auch der Körper des Menschen. Der Mund, die Zähne und der Kiefer schrumpften, was die Sprechfähigkeit befördert haben könnte. Auch der Magen wurde gegenüber dem von Primaten deutlich kleiner, ebenso der Dickdarm, die Körpergröße nahm hingegen ebenso wie das Gehirnvolumen zu.2 Die Jäger erbeuteten mehr Fell, das für Bekleidung und zur Abdeckung von Hütten aus einem Gerüst von Ästen oder großen Knochen diente. Das könnte schon während der Acheuléen, also vor mehr als 1,5 Millionen Jahre, der Fall gewesen sein, als die vormodernen Menschen wie Homo habilis oder Homo erectus Faustkeile herstellten und in der Lage waren, Tierfelle auszuschneiden, zu trocknen und zu verbinden. Die Erfindung der Wohnung, die vermutlich mit der der Bekleidung des »nackten Affen« parallel lief, liegt jedenfalls im Dunklen der Geschichte. Die Beherrschung des Feuers ließ die Menschen nicht nur sesshafter werden und ermöglichte die Migration in kältere Gebiete, sondern machte das Leben auf dem Boden in den Lagern auch sicherer, wehrte Insekten und Raubtiere ab und förderte die Geselligkeit beim Kochen, Essen und Aufenthalt um das Feuer am Abend. Außerdem stellte es einen Antrieb dar, zusammen zu wohnen, Kleingruppen und Familien zu bilden, in Nachbarschaft zu anderen.3

Das Kind als »nackter Affe« benötigt Schutz vor Sonne, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Ungeziefer und Raubtieren und damit Wohnungen als Nachfolge-Uterus und Kleidung als eine zweite Haut. Aber auch die frühen Menschen bauten sich bereits wie ihre Verwandten, die Menschenaffen, noch bevor sie die Wälder verließen und die Haare verloren hatten, zum Schlafen erste Wohnungen. Wie die anderen Hominiden, die Schimpansen, Gorillas und Orang-­Utans, waren die frühen Menschen auch vorwiegend Waldbewohner, obschon Schimpansen sich auch in Savannengebieten aufhalten. Nebenbei ist zu bemerken, dass das Nesterbauen der Primaten als Werkzeuggebrauch betrachtet wird: Sie benutzen Hände und Beine, um die Äste zurechtzubiegen und die Plattform zu stabilisieren.

Normalerweise bauen sich alle Menschenaffen Nester aus Zweigen und Blättern auf bestimmten Bäumen, deren Äste ihrem Gewicht standhalten. Gorillas, auch Schimpansen richten sich ihre Schlafgelegenheit auch am Boden ein, wenn keine ausreichend stabilen Bäume vorhanden sind. Es wird dann das Gras auf der Liegefläche niedergetreten, Zweige von Büschen niedergedrückt und ineinander verhakt, um weicher zu liegen, und schließlich mit anderen Zweigen eine Umrandung gebildet. Während sie die komplizierteren Nester eher in den Bäumen zur Nachtruhe bauen, ziehen sich Menschenaffen auch am Tag gelegentlich dorthin zurück. Offenbar werden Nester aber nicht wiederholt benutzt, was neben der nomadischen Nahrungssuche auch mit deren mangelnder Sicherheit zusammenhängen kann.

Menschenaffen sind – wie lange Zeit die Menschen selbst – Nomaden, die ihren Wohnort täglich wechseln und in einem Gebiet als Jäger und Sammler umherziehen. Gebaut werden eher Betten oder Nester, die es erlauben, sich, ohne Angst herabzufallen, bequem und entspannt einrollen oder ausgestreckt liegen zu können. Die Nester gewähren Schutz vor Raubtieren, aber auch vor Regen und Blutsaugern – und sie ermöglichen es vor allem, länger und tiefer zu schlafen, sich also von der Beobachtung der Umwelt abzukoppeln und in einen postuterinen, träumenden Zustand zu gelangen, was manche Wissenschaftler für eine der Voraussetzungen zur Ausbildung von hohen kognitiven Leistungen bei den Menschenaffen und dann vor allem dem Menschen halten. Die Hominiden, zumindest ab Homo erectus, sind vollständig, einschließlich der Frauen und Kinder, zu Bodenschläfern geworden. Ob dabei die Beherrschung des Feuers bereits eine Rolle spielte, ist umstritten. Es geht aber hier nicht darum, Hypothesen aufzustellen, welche Faktoren primär und zu welcher Zeit in der Menschheitsevolution für welche Entwicklungen verantwortlich sein könnten, sondern es soll nur gezeigt werden, wie entscheidend auch die Bedingungen des Wohnens für die menschliche Kultur waren und auch weiterhin sind.

Die Abspaltung der Gattung Homo dürfte etwa vor sieben Millionen Jahren geschehen sein, also zu einer Zeit, in der sich auch ein Klimawandel in Afrika, der Wiege der Menschheit, vollzog. Es wurde trockener, die Wälder wichen zurück, Savannenflächen breiteten sich aus. Vermutlich spielten viele Ursachen, Bedingungen und Zufälle zusammen, um den modernen Menschen entstehen zu lassen. Schon das Leben in Grassavannen oder der Gang ins Offene aus dem Wald heraus ließ es notwendig werden, größere Entfernungen zurückzulegen, weil die Nahrung knapper und die Wasserstellen verstreuter und unsicherer als in den Wäldern waren. Neben der Vergrößerung des Gehirns, der Veränderung des Gebisses und des Kehlkopfs bis hin zum späteren Eintritt der Sexualität sind für eine Philosophie des Wohnens vor allem der aufrechte Gang, die dadurch bedingte Freisetzung der Hände und der großen, kräftigen Daumen als Werkzeuge sowie der weitgehende Verlust der Körperbehaarung mit einer veränderten Pigmentierung der Haut ausschlaggebend. Frühestens vor 2,5 Millionen Jahren, also lange nach der evolutionären Abspaltung, produzierten die Hominiden die ersten Steinwerkzeuge, auch Oldowan-Werkzeu­ge genannt, die vor etwa 1,5 Millionen Jahren in einem nächsten Schritt von Faustkeilen und anderen Acheuléen-Produkten des Homo ergaster abgelöst wurden. Es dauerte aber noch lange, bis die ersten, heute belegbaren Bauwerke entstanden, weil diese, um die Zeit zu überdauern, aus Knochen oder vor allem Steinen gefertigt sein mussten. Das war erst vor etwa 60 000 Jahren im Paläolithikum, der Altsteinzeit, der Fall, als die Menschen die kälteren Gebiete in Europa besiedelten und auf dem Weg zur Landwirtschaft und Sesshaftigkeit auch rudimentäre Gebäude für längere Aufenthalte errichteten.

Aber wie sahen die ersten Wohnungen der frühen Menschen aus, die in den Savannen lebten und sich aus Afrika über die ganze Welt verbreiteten? Vermutlich waren sie den Nestern ähnlich, welche die Menschenaffen aus den in der Natur vorhandenen Materialien wie Ästen, Zweigen, Blättern und Gras bauten, später ergänzt durch Felle, die mit Steinwerkzeugen zugeschnitten und irgendwann zu Zeiten der Neandertaler mit Knochennadeln verbunden werden konnten. Es handelte sich dabei bis zum Bau der ersten wirklichen Wohnungen und Zelte um primitive Behausungen, die nicht zum längerfristigen Verbleib geeignet waren, aber Schutz und eine vertraute Umgebung sowie eine gewisse Thermoregulierung boten.

Ähnlich wie das Leben im Uterus ist das Wohnen in der frühen Geschichte der Menschheit jenseits der Erinnerung. Spuren blieben davon nicht zurück. Es geschah auch lange nicht viel in der Entwicklung der Hominiden, auch wenn sie die Wälder wie der vermutlich noch behaarte Australopithecus verließen und sich aufrichteten. Noch blieben sie in Afrika, und erst mit einer erneuten Trockenheit entstanden in Ostafrika vor zwei bis drei Millionen Jahren die ersten größeren und nackten Repräsentanten der Gattung Homo. Relativ bald nach der langen Phase der Menschwerdung begannen Vertreter von Homo erectus, vor etwa zwei Millionen Jahren aus Afrika auszuwandern, was zeigt, dass der Mensch wesentlich ein »Homo migrans« ist, ein Nomade, der es schafft, sich vielen unterschiedlichen Bedingungen anzupassen, und trotz aller Gewohnheiten flexibel bleibt. Ganz entscheidend ist dabei die Fähigkeit, sich nicht nur einer Umwelt anzupassen und etwa Höhlen zu beziehen, sondern sich eigene, künstliche Umwelten in Form von Wohnungen zu bauen, die Schutz und Rückzug gewähren, und Kleidung zu erfinden, mit denen sich heiße, feuchte, trockene oder kalte Bedingungen aushalten und Bedrohungen abwehren lassen, sowie eine Umgebung zu errichten, in der es sich zu unterschiedlichen Tag- und Nachtzeiten einigermaßen sicher schlafen lässt. Den Schlaf benötigt nicht nur das große Gehirn, um zur Ruhe zu kommen und im REM-Schlaf Erfahrungen abzuspeichern, sondern auch der Körper, um nicht von seinem ressourcenfressenden Gehirn ausgelaugt zu werden.

Mit Beginn der Beherrschung des Feuers vor ein bis zwei Millionen Jahren war der Schlaf nicht mehr notwendig mit dem Eintritt der Dunkelheit verbunden. Die Möglichkeit, aus dem Nest ein Zelt zu machen oder sich in eine Höhle zurückzuziehen, schuf eine vom Tag-Nacht-Zyklus entkoppelte Dunkelheit. Zugleich stieg mit dem Feuer die Sicherheit vor Räubern, was dazu beigetragen haben dürfte, die Schlafzeit zu verkürzen, den Schlaf zu vertiefen, Störungen zu minimieren und die REM-Phasen zu verlängern. Laut der Schlafintensitätshypothese war diese Effizienzsteigerung neben vielen anderen Faktoren ein wichtiger Beitrag zur kognitiven Entwicklung des Menschen.4 Unter den Primaten schläft Homo sapiens mit etwa acht Stunden zwar am kürzesten, hat aber die längsten REM-Phasen. Die Schlafbedingungen haben sich mit der weiteren kulturellen Entwicklung des Wohnens stetig verändert, wenn auch nicht in allen Hinsichten verbessert. Durch Gebäude in Dörfern wurde das Sicherheitsgefühl gestärkt und für akustische Ruhe, Abdunklung, Temperaturausgleich, weiche Unterlage und eine Bedeckung gesorgt, was intrauterine Gegebenheiten rekonstruiert. Es kamen aber auch neue Störungen hinzu, wie beispielsweise durch Lärm.

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