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Der nackte Affe

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Wohnen, das Bauen von Wohnungen und das (Sich-)Einrichten in diese, ist eine anthropologische Konstante. Diese Tätigkeit gehört zum Menschen, der möglicherweise erst durch das Wohnen überhaupt Mensch wird und sich in der Obdachlosigkeit oder Unbehaustheit verlieren kann. Spannt man den Bogen weit, so verläuft das Leben des Menschen anthropologisch betrachtet zwischen dem Aufwachsen in der ersten Höhle, dem Uterus, über die erste Vertreibung aus dem paradiesischen Garten und den Sturz in die Welt, das Bauen und Einrichten von Wohnungen in der Welt, wozu auch die Kleidung gehört, bis zur Rückkehr in die letzte Wohnung, in den Sarg, der wieder in die Unterwelt eingelassen wird und in welcher der tote Leib ein- und abgeschlossen liegt. Allerdings muss die letzte Wohnung, in welche die Menschen nicht wie nach der Empfängnis und der Geburt »geworfen« werden, kein Sarg sein. Die Menschen können sich auch entschließen, wenn sie keine Angst vor der Wiederkehr der Toten und keinen Glauben an die Auferstehung im Himmel haben, den Körper der Erde zurückzugeben, mit der er verschmilzt und eins mit dem Staub wird.

Der Mensch, der »nackte Affe«, wie der britische Zoologe Desmond Morris den Unterschied des Menschen gegenüber allen anderen Primaten in seinem gleichnamigen Buch The Naked Ape (1967) beschrieb, ist der Umwelt ausgesetzt, muss sich nicht nur mit einer zweiten, einer für ihn künstlichen Haut bekleiden, wenn er nicht in günstigen klimatischen Bedingungen wie in tropischen Regenwäldern lebt, sondern schafft sich auch zusätzlich mit seinen Werkzeugen einen Innen- und Rückzugsraum, um als Gruppe vor wilden Tieren, Insekten und dem Wetter geschützt zu sein. Das geschah vermutlich, nachdem er aufgrund von Klimaveränderungen vor drei Millionen Jahren den schrumpfenden Wald verlassen musste und ins Offene der Savannen trat, um dann weiter als Migrant von Afrika aus in mehreren Wellen neue Räume und Kontinente zu erobern oder zu domestizieren, wo wie in Asien und Europa der Bau von Wohnungen und der Aufenthalt in diesen umso wichtiger wurden. Aber schon das Leben in Grassavannen machte es notwendig, größere Entfernungen zurückzulegen, weil die Nahrung knapper und die Wasserstellen verstreuter und unsicherer als in den Wäldern waren. Dabei greift vieles ineinander: So geht die Wissenschaft davon aus, dass der Gang ins Offene zu einer Umstellung der Ernährung, zum Nacktwerden und einer veränderten Hautpigmentierung zum Schutz vor der Sonne, zum aufrechten Gang mit längeren Beinen und freigesetzten Händen sowie wachsenden Gehirnen führte, was wiederum den Werkzeuggebrauch begünstigte und damit das Herstellen von Kleidung und Unterkünften ermöglichte.

Als Antwort auf die Frage, warum der Mensch als einziger Primat sein Fell im Übergang von den schon aufrecht gehenden Australopithecinen zum Homo ergaster, Homo erectus oder Homo habilis weitgehend verlor, hat die Wissenschaft nur Vermutungen, unbekannt ist auch, wann dies genau erfolgt ist. Während man einerseits aus Skelettfunden erschließen kann, wann sich der Mensch aufrichtete und schließlich zum dauerhaften Zweibeiner wurde, wodurch er längere Strecken schneller und ausdauernder laufen und seine Arme und vor allem seine Hände mit den Fingern zur Manipulation seiner Umgebung wie auch zur Herstellung und Benutzung von Werkzeugen nutzen konnte, gibt es andererseits keine Haut- und Haarfunde aus der Zeit der frühen Menschen. Man kann aber davon ausgehen, dass der nackte Körper oder der Verlust des vor Regen, Kälte, der Sonne und Verwundungen schützenden Fells eine entscheidende Rolle bei der weiteren Menschwerdung gespielt haben muss.

Vermutlich ist der bis auf wenige Stellen nackte Körper nach dem aufrechten Gang und dem Leben außerhalb von dichten Wäldern entstanden und hatte den primären Vorteil, unter heißen Bedingungen ausdauernd laufen zu können, was den Körper aufheizt und Kühlung verlangt, aber auch den räumlichen Radius für das Sammeln und Jagen erweiterte. Mit der nackten Haut vermehrten sich vermutlich die sogenannten ekkrinen Schweißdrüsen, die einen wässrigen Schweiß absondern, der auf der weitgehend nackten Haut schnell trocknet und damit kühlt und zudem einen Säureschutzmantel bildet – wichtig nicht nur für die Organe, sondern vor allem auch für das bei den Menschen wachsende Gehirn, dem sonst ein Hitzschlag droht. Die Temperaturregulation ist lebenswichtig und muss bei etwa 37 Grad Celsius konstant gehalten werden. Menschen haben am ganzen Körper Millionen dieser Schweißdrüsen, Primaten deutlich weniger. Behaarte Säugetiere besitzen eher apokrine Drüsen, die an der Haarwurzel einen öligen, zähflüssigen Schweiß absondern, der auch für den individuellen Geruch verantwortlich ist. Tritt Schweiß aus, wird das Fell nass und verhindert dadurch möglicherweise sogar die Kühlung. Kein Fell haben auch sehr große Säugetiere wie Elefanten, Nashörner oder Flusspferde, die in warmen Gebieten leben. Mit ihrer großen Masse verfügen sie über weniger Oberfläche zum Kühlen als kleinere Tiere. Warum an manchen Körperstellen bei den Menschen eine Behaarung verblieben ist, lässt sich nur vermuten. Das Kopfhaar könnte dem Schutz vor der Sonne gedient, die Haare unter der Achsel und auf der Scham könnten vor Reibung durch Bewegung geschützt haben. Ebenfalls im Raum steht ihre mögliche Rolle für das Halten und Verbreiten von Pheromonen zur Übermittlung von Informationen und zur Beeinflussung anderer Menschen.

Auffällig sind auch genetische Veränderungen, die mit dem Fellverlust einhergingen und zumindest neben den Talgdrüsen einen etwas besseren Schutz der nackten Haut etwa vor Wasser und Schürfungen, aber auch vor Bakterien oder Viren boten. Entscheidend war hier die Ausbildung einer Art Schutzwand im äußersten Teil der Oberhaut (Epidermis), dem aus mehreren verhornten Schichten abgestorbener Zellen bestehenden Stratum corneum, dessen Stärke bei den Säugetieren mitunter stark variiert. Allgemein schwankt die Dicke der Epidermis mit der Behaarung: Je dichter das Fell, desto dünner die Haut. Beim Menschen liegen 10–20 Schichten übereinander: Mit etwa 0,3 Millimeter ist sie auf dem Kopf am dünnsten, mit bis zu einem Millimeter an der Fußsohle am dicksten. Es handelt sich mithin um eine Mauer aus toten Zellen, die aus mehreren Schichten von »Ziegeln« besteht, und Lipiden. Man spricht beim Stratum corneum auch von einer »Backsteinmauer«, wobei die aus Keratin bestehenden abgestorbenen Hornzellen vom »Mörtel« der Lipide verfugt werden. Diese halten die »Ziegel« zusammen und dichten die »Mauer« ab. Die Keratinschuppen lösen sich oder werden abgeschürft und müssen permanent nachgebildet werden. Alle zwei Wochen ist die gesamte Hornschicht völlig neu, pro Minute fallen etwa 40 000 Hautzellen ab, die in Wohnungen dann als Nahrung für etwaige »Gäste« dienen.

Die Haut lässt sich ganz allgemein als das größte Organ des Menschen mit bis zu zwei Quadratmetern Oberfläche und einem Gewicht von bis zu 20 Kilogramm bezeichnen, sie ist gewissermaßen auch die erste Wohnung des vielzelligen Körpers und stellt eine semipermeable Barriere dar, die ihn vor Austrocknung und dem Verlust von Nährstoffen und Flüssigkeiten sowie vor äußeren Einwirkungen schützt. Sie übt also die Grundfunktion aus, die auch Behausungen für den verkörperten Menschen zu eigen ist. Dazu speichert sie Energie in Form von Fett, scheidet neben Schweiß und Talg auch andere Stoffwechselprodukte ab und kann von außen Fett oder Wirkstoffe aufnehmen. Nicht zuletzt ist die Haut ein großes Sinnesorgan mit Millionen von Schmerz-, Tast-, Wärme- und Kälterezeptoren, um den Körper zu schützen und auf Betriebsgröße zu halten. Ähnlich sollen die Sensoren, mit denen die Smart Homes ausgestattet werden, den Betriebszustand der Häuser und ihrer Bewohner regulieren. Über die Haut werden aber etwa auch psychische oder emotionale Befindlichkeiten ausgedrückt, etwa durch Schwitzen, Erröten, Erblassen oder Gänsehaut. Wohnungen könnte man allein aufgrund der Thermo- und Feuchtigkeitsregulierung nach der Kleidung als zweite beziehungsweise dritte Haut oder die Haut eben als eine Vorform der Wohnung beschreiben.

Die Haut schützt nicht nur den »nackten Affen«, der sie bewohnt, und reguliert seinen Körper, sie dient auch selbst wiederum als Unterkunft und Lebensraum für Mitbewohner, ebenso wie Häuser und Wohnungen, in denen Menschen trotz größter Sauberkeit auch niemals alleine sind, sondern immer inmitten zahlreicher Gäste, Parasiten und Eindringlinge leben. Kolonien unterschiedlicher Bakterien nutzen die Oberfläche der Haut als permanente Wohnung, auch wenn sie nicht sehr tief in das Stratum corneum eindringen können, das sich ja immer wieder erneuert, wodurch auch die Besiedler abgestoßen werden. Viele der Mitbewohner leben in den Haarfollikeln, die eine Art Höhle bilden, in den feuchten, tropischen Gegenden (Achseln, Leistenbeugen, Analfalte, Finger- oder Zehenzwischenräume) oder in den Bereichen, in denen es viele Talgdrüsen gibt, während große Gebiete der trockenen Haut gleich Wüsten nur dünn besiedelt sind. Die Hautflora, bestehend aus den permanenten Mitbewohnern des Körpers, die ihrerseits wiederum Teil seines Mikrobioms oder Standortflora sind, ist letztlich auch eine zweite Schutzschicht vor unerwünschten Mikroorganismen. Diese müssen erst die Mitbewohner verdrängen, um an die Haut zu gelangen und sich dort anzusiedeln beziehungsweise diese als Kolonisatoren zu verdrängen. Deren Zahl ist jedenfalls auf den ersten Blick stattlich: Man geht von zehn Milliarden Bakterien aus. Vergleicht man die Zahl der gesamten Mitbewohner des Körpers, die auf 40 Billionen, mitunter auch auf mehr als 100 Billionen mit einer Vielfalt von mehreren Tausenden Bakterienarten geschätzt wird, dann tritt klar hervor, dass die Haut relativ wenig bewohnt ist, während es sich beim Darm um eine bakterielle Megacity handelt, in welcher der Großteil der Bakterien lebt. Im feuchten Stuhl sollen pro Gramm etwa so viele Bakterien leben wie auf der gesamten Haut.

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