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Die Scham oder die Öffnung des Privaten

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Nach der jüdisch-christlichen, auch islamischen Tradition entstand die Scham aus der Geburt des Selbstbewusstseins als Folge der Übertretung von Gottes Befehl, die Frucht vom verbotenen Baum nicht zu essen. Plötzlich wurden sich Adam und Eva ihrer Nacktheit bewusst. Nach der Bibel bedeckten die beiden ihre »Scham« mit Feigenblättern, verbargen also ihre Geschlechtsorgane und damit ihr sexuelles Begehren. Einem Hinweis von Marshall McLuhan folgend, der das Haus als kollektive Kleidung verstand,6 sind Kleidung und Wohngehäuse keineswegs nur ein Schutz vor widrigen Klima- und Wetterbedingungen oder vor Feinden, sondern auch schambedingte Verhüllungen, im Fall des Wohngehäuses als Rückzugsort, in dem der Scham unterworfene Verhaltensweisen im Geheimen vollzogen werden können.

Es ist ein großer, letztlich ungelöster Streit, ob im Zuge der Neuzeit und Moderne die Scham und damit der Wunsch nach privatem Raum, wie von Norbert Elias in seinem Klassiker Über den Prozeß der Zivilisation ausgeführt, weiter zugenommen (»Vorrücken der Schamgrenze«) oder ob sich diese nur verändert hat, sie also eine anthropologische Konstante ist, was etwa Hans Peter Duerr in Der Mythos vom Zivilisationsprozess zu belegen suchte und gleichzeitig argumentierte, dass die Schamgrenze absinke. Ziemlich eindeutig ist, dass bis zur Neuzeit die »Notdurft« nicht im Geheimen, in der abgeschlossenen Toilette, sondern etwa in der römischen Antike in der öffentlichen Kloake gemeinsam oder später im öffentlichen Raum beziehungsweise in den gemeinsamen Privaträumen verrichtet wurde. Vermutlich waren auch Nacktheit und Sexualität ebenso wie körperliche Gerüche oder Flatulenz kein Anlass zur Scham.

Unabhängig von dieser Grundsatzfrage ist davon auszugehen, dass sowohl die Erfindung der Kleidung als auch die des Gehäuses neue Verhaltensweisen und Unterschiede zwischen öffentlich und privat entstehen ließen – und das dadurch erst mögliche und raffinierte Spiel zwischen Zeigen und Verbergen. Es könnte zur Ausbildung von Scham und gleichzeitig zur Erregung des Begehrens beim permanent sexualisierten Leben des Menschen geführt haben, das im Unterschied zu Tieren keinen Sexualzyklus kennt. Auch das ist möglicherweise eine Folge des geschützten Wohnens und anderer Kulturtechniken, die den Menschen unabhängiger von den Bedingungen der Außenwelt machten. Je bedeckter die Menschen in den Schamkulturen sind, je zurückgezogener Sexualität nachgegangen wird, desto stärker sind diese mit Nacktheit oder dem Sich-Entblößen als eine Art der Einladung verbunden und desto stärker wird das öffentliche Verhalten sozial normiert.

Die »kollektive Bekleidung« durch erste Konstruktionen von Gehäusen aus Steinen, Ästen, Fellen und Tierhäuten, der Rückzug aus der Öffentlichkeit in einen primitiven, aber privaten, abgeschiedenen Raum, schafft schlicht eine gewisse Sicherheit, nicht von Konkurrenten, Neugierigen oder Bedrohungen gestört zu werden und seinen Tätigkeiten in Ruhe nachgehen oder sie überhaupt erst entwickeln zu können. Es entsteht erstmals historisch eine Intimität, die im ge- und verborgenen Innen- oder Wohnraum geschützt neue Verhaltensweisen entstehen lässt. Es ist davon auszugehen, dass es in den frühen Wohnungen wie noch in den Häusern der Jungsteinzeit, von denen zumindest Gebäudegrundrisse erhalten sind, nur einen Raum gegeben hat, in dem sich das gesamte Leben der Bewohner, wozu auch die ersten Haustiere gehörten, gemeinsam abspielte – mit dem Mittelpunkt der multifunktionalen Feuerstelle, die wärmte, auf der man kochte, die vor Insekten schützte und um die herum man sich aufhielt, aß und schlief.7 Intimität wird es also nur nach außen hin gegeben haben, bis dann die Häuser wuchsen und das Innenleben räumlich in verschiedene Funktionen wie Gemeinsamkeit, Essen, Schlafen und Arbeiten sowie in individuelle Räume aufgeteilt wurde.

Man schläft durch, kultiviert die Sexualität, legt die Posen ab, die zur Selbstbehauptung in der Gruppe notwendig sind, zeigt sich nackt, wird »authentisch«, kann sich im Geheimen vorübergehend den Normen der Gruppe entziehen, individualisiert sich und kommt schambehaftet in Konflikt mit der Gruppe. »Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum«, schrieb Goethe. Die Wohnung ist seit der Erfindung der Behausungen im Neolithikum eine Brutstätte des Dissidenten, der Abweichung, der kulturellen Innovation geworden. Und die Einsicht, die aufdeckt und entblößt, wird damit zur Obsession und zur Pornographie, die zeigt, was verborgen, hinter der Schamgrenze bleiben sollte und dafür umso mehr zum Gegenstand der Begierde gerät. Auch der Beobachter des Intimen wird zum Eindringling und moralisch sanktioniert.

Fenster sind eine relativ neue Erfindung, sie entstanden erst im Laufe der Urbanisierung vor wenigen tausend Jahren. Der umschlossene Raum benötigte immer eine Türöffnung, die Luft einließ, aber auch verhängt werden konnte, und einen Rauchabzug. Mit festen Bauwerken kamen Öffnungen auf, die kaum einen Blick nach außen oder innen ermöglichten, bloße Schlitze zur Luftzirkulation, schließlich erst sparte man größere Öffnungen aus, die Luft und Licht eintreten und sich mit hölzernen Windläden, Stroh, Fellen oder Tüchern verschließen ließen. In einer der frühen Siedlungen, in der im achten Jahrtausend vor Christus gegründeten Stadt Çatalhöyük in Zentralanatolien, reihten sich die Häuser dicht aneinander, Zugang gab es meist vom Dach her. Oft wurden Häuser wie seit dem alten Ägypten so gebaut, dass sie sich zum Innenhof öffneten und zur Straße hin geschlossen waren. In wärmeren Gebieten sorgte man sich wenig um den Schutz vor Kälte, wohl aber in kühleren, wo die Möglichkeit zum Verschließen der Öffnungen hohen Nutzen versprach. Mit lichtdurchlässigen Materialien wie Alabaster, Tierhäuten, Pergament und schließlich Glas trat Licht in die dunklen Höhlen ein, aber sie gewährten anfangs nur bedingt Einblick. Glas war zunächst nicht farblos.

Ab dem 13. Jahrhundert wurden mit der Verbesserung der Herstellung von Flachglas die Gebäudefenster von Schlössern und Burgen bis hin zu Privathäusern zunehmend verglast. Seit der Renaissance sind Fenster auch bei Wohnhäusern ein wichtiges Element der Fassadengestaltung. Die allmähliche Vergrößerung der Fensterflächen und die Erfindung des farblosen Kristallglases führten – parallel zur philosophischen Aufklärung – zu einer Erhellung oder Aufklärung der Innenräume und des Innenlebens. Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden die bislang notwendigen Unterteilungen und die Glasflächen vergrößerten sich just in der Zeit, als Gaslichter immer weitere Verbreitung fanden, die mit ihrem konstanten, gleichförmigen Licht die Nacht zum Tag machten, aber den Räumen auch Sauerstoff entzogen.

Durch das elektrische Licht wurde das Tageslicht endgültig durch künstliches Licht ersetzt, was paradoxerweise wieder geschlossene Räume und neue architektonische Höhlen wie Theater, Kinos oder Fabrikationsräume ermöglichte,8 während der gleichzeitige Durchbruch der Mauern schließlich mit den von außen ganz und gar einsichtigen, von allen Ornamenten befreiten und ohne tragende Steinkonstruktionen auskommenden Bauten aus den neuen Materialien Glas und Eisen sowie vorgefertigten Teilen wie das Palmenhaus in Kew (1844 –1848) und dem Kristallpalast der ersten Weltausstellung 1851 erfolgte.

Das Einbrechen des Tageslichts und das elektrische Licht, das keine Vorbereitungen mehr verlangte, sondern nur noch die Betätigung des Lichtschalters, verändern die Farben und die Wahrnehmung der Innenräume, vertreiben die Düsternis, decken gnadenlos Staub und Schmutz auf und damit auch die vollgestopften Interieurs der »gemütlichen« Zimmer. Dunkelheit verwandelt sich in Verdunkelung, zu einer Option, ebenso wurden Vorhänge, Jalousien oder Gardinen zum Sichtschutz, der die Intimität aufrechterhält und Scham abwehren soll. Mit der »schamlosen« Öffnung der Innenräume durch neue, große Fensterfronten erfolgten schnell auch weitere Durchbrüche mit der Telefonie, dem Radio und schließlich dem Fernsehen. Im Zuge der digitalen Vernetzung und den Smart Homes definieren sich Öffentlichkeit und Privaträume neu: An die Stelle der traditionellen Mauern treten mehr und mehr digitale Konstrukte des Schutzes vor Trojanern und Hackern. Überwacht werden damit natürlich auch die Datenströme der Bewohner.

Jean-Paul Sartre hat in Das Sein und das Nichts die auch räumliche Bedingtheit der Scham an einer buchstäblichen Schlüsselszene herausgearbeitet, die heute nach »Big Brother« und Konsorten möglicherweise ihre Nachvollziehbarkeit verliert. Was passiert, wenn eine Person dabei ertappt wird, wie sie heimlich durch das Schlüsselloch einer Tür andere beobachtet, die glauben, sich in einem geschützten, verborgenen Raum zu befinden? Solche komplizierten Beziehungen und Wahrnehmungsverhältnisse können erst gesetzt der Prämisse eines intimen Lebens in abgeschirmten Räumen zustande kommen. Das andere Extrem ist das obszöne, ungeschützte Wohnen in der Öffentlichkeit, wie dies der zu den Kynikern zählende Diogenes von Sinope auf der Suche nach einem einfachen Leben und im Aufstand gegen die Schamgesellschaft der in Häusern zurückgezogen Wohnenden praktiziert haben soll. Dagegen wird als Strafe ein Wohnen unter Beobachtung verhängt, etwa in Gefängnissen mit dem Ideal eines Panopticons, in welchem die Gefangenen keine Privatsphäre haben und auch nicht immer wissen sollen, ob sie gerade beobachtet werden. In einem Versuch, diese Ungeschütztheit noch einmal verstärkt als Mittel der Repression und Demütigung einzusetzen, haben US-Militärs und Geheimdienstmitarbeiter in Abu Ghraib Gefangene nackt traktiert oder Männer gezwungen, vor den Augen der Beobachter zu kopulieren. Mittlerweile dehnt sich das Panopticon auf den öffentlichen Raum aus und dringt auch tief in die privaten Räume vor, wenn Assistenten wie Alexa, Roboter, Computer, Fernsehgeräte, Smartphones oder andere Teile des Internets der Dinge von Hackern, Unternehmen oder Sicherheitsbehörden zu Spionagezwecken verwendet werden.

Scham entsteht, wenn jemand etwas Verpöntes macht und dabei von anderen oder auch nur seinem Gewissen, dem Freud’schen Über-Ich, beobachtet oder aufgedeckt wird. In der Wohnung, verborgen, von Wänden vor neugierigen Blicken geschützt, kann man dem nachgehen, was in der Öffentlichkeit Scham auslösen würde. Im geschützten Raum »entblößt« zu werden, ist eine besondere Verletzung der persönlichen Privatsphäre. Scham ist eine Folge des Selbstbewusstseins, was bedeutet, sich selbst als Anderen – also aus der Perspektive eines anderen –, als verkörpertes Subjekt wie im Spiegelbild sehen zu können und zu müssen. Das bringt einen Riss mit sich, weil man als Selbstbeobachter aus sich heraustritt und sich von sich selbst distanziert. Man wird sich ver-rückterweise selbst zu einem Fremden und erfährt damit, wie andere einen als verkörpertes Ich erblicken.

Sartre, der aus seinem existentiellen Ansatz heraus die Erfahrung der Existenz des Anderen entwickeln will, um nicht in einem widersinnigen Solipsismus zu landen, deutet diese Entfremdung so, dass man für sich und für andere letztlich zum Objekt werden kann. Wenn aber der Andere als Person erfahren wird, spielt sich eine ähnlich dramatische Begegnung ab wie die zwischen Herr und Knecht bei Hegel. Normalerweise erleben wir die Welt sinnlich von uns als Zentrum aus, sie gruppiert sich auf das wahrnehmende Subjekt hin oder organisiert sich räumlich perspektivisch von ihm aus. Man schaut aus seinen Augen heraus und auf Dinge und Körper und teilt die Welt dementsprechend mit sich als Zentrum in vorne und hinten, oben und unten, rechts und links ein. Dreht man seinen Körper und damit die Augen, dreht sich die Welt mit der Orientierung mit. Um diese egozentrische Orientierung nachzuvollziehen, also zu verstehen, was für einen anderen links oder rechts ist, muss sich dieser imaginativ an die räumliche Stelle des für ihn Anderen setzen. Das scheint normal zu sein, aber es gibt interessanterweise Ausnahmen, wie der Ethnologe Jürg Wassmann schreibt:

Die meisten Sprachen dieser Welt kennen beispielsweise keine Begriffe für links und rechts; Sprecher nicht-indogermanischer Sprachen sehen den Menschen oft nicht im Zentrum stehend, sondern als Teil der Umwelt an. Die westliche Vorstellung vom Menschen als Zentrum halten sie für anmaßend. Folglich orientieren sich diese Menschen nicht egozentrisch, sondern geozentrisch. Das heißt: Sie orientieren sich anhand von Fixpunkten »dort draußen«. […] Stellen Sie sich folgende Szene vor: Sie stehen vor einem Tisch, auf dem ein Pfeil liegt, der nach links zeigt. Sie werden nun dazu aufgefordert, sich um 180 Grad zu drehen. Jetzt stehen Sie vor einem zweiten Tisch, auf dem zwei Pfeile liegen: Einer zeigt nach links, der andere nach rechts. Ihre Aufgabe ist es nun, auf jenen Pfeil zu zeigen, der »ebenso« liegt, wie derjenige auf dem ersten Tisch. Ohne Zweifel würden Sie auf den linken Pfeil zeigen, denn Sie orientieren sich egozentrisch, haben also Ihr »links« mit dem eigenen Körper um 180 Grad mitgedreht. Ein Balinese aber, eine Tzeltal aus Mexiko, ein Inder aus Kerala, eine Yupno aus Papua-Neuguinea, ein Inselbewohner der Südsee oder ein Guugu Yimidhirr aus Australien würde auf den rechten Pfeil zeigen. Diese Menschen orientieren sich geozentrisch: unabhängig vom eigenen Körper.9

Möglicherweise ist die geozentrische Weltsicht, in der sich die Menschen von außen in der Welt verorten, weniger anfällig für den Kampf ums Überleben, den Sartre aus egozentrischer Sicht markiert. Der Auftritt eines blickenden Anderen bedroht die egozentrische Verortung. Sartre schreibt, dass sich durch ihn »eine Räumlichkeit entfaltet, die nicht meine Räumlichkeit ist, denn statt eine Gruppierung der Dinge auf mich zu sein, liegt eine vor mir fliehende Gerichtetheit vor«.10 Dadurch könne sich das Ich nicht mehr zum Mittelpunkt machen, es findet eine Dezentrierung, eine »innere Blutung« statt (Sartre thematisiert hier keine Gemeinsamkeit der sich Begegnenden, die durch Gesten der Höflichkeit oder Verführung entsteht). Im Kampf der Sich-Erblickenden, die sich wechselseitig zum Objekt machen können, was das Ausfließen des Seins, die Dezentrierung, verhindere, werde deutlich, dass Wahrnehmen erblicken sei und damit auch das Bewusstsein, erblickt zu werden und verletzlich zu sein.

Sartre will mit der Schüssellochszene eruieren, was es heißt, als heimlicher Beobachter erblickt zu werden, der davon ausgeht, beispielsweise als Eifersüchtiger, eine Szene von sich unbeobachtet Wähnenden zu sehen, aber selbst dem Blick der anderen verborgen ist. Das Bewusstsein des Beobachters ist unreflektiert, denn er sieht zwar die anderen, aber nicht sich selbst als Beobachter. Sobald er aber realisiert, dass er selbst gesehen wird, kommt Scham in ihm auf, weil er sich nun in das entfremdete Objekt innerhalb der Welt verwandelt, zu der er seinerseits als heimlicher Beobachter die im Raum Befindlichen machte. Der beobachtete Beobachter sieht sich selbst plötzlich als erblicktes Objekt und als Subjekt, das schamvoll seinem eigenen Sein entfliehen will, erkennt sich dabei aber als jenes, wobei durch diese Identifizierung von außen seine eigene Freiheit vernichtet wird, weil er sich nicht mehr als Herr der Situation erfährt: »Für den Anderen beuge ich mich über das Schlüsselloch, so wie jener Bau vom Wind gebeugt ist. So habe ich für den Anderen meine Transzendenz abgeworfen.«

Wir wollen nicht weiter Sartres Gedanken folgen, da es uns darum geht, welche Veränderungen des Selbstbewusstseins die Möglichkeit mit sich bringt, sich in einem vor Blicken geschützten Raum relativ sicher zu wähnen und dennoch schon aufgrund des Selbstbewusstseins zu wissen, beobachtet werden zu können, also beispielsweise dort heimlich fotografiert oder gefilmt zu werden. Man darf vermuten, dass die Menschen, welche die Bilderströme von Überwachungskameras beobachten, die mitunter auch bereits Gesichtserkennung ermöglichen, keine Scham empfinden. Das Sehen durch das Schlüsselloch ist professionell geworden, insbesondere wenn Kameras als logische Erweiterung im öffentlichen Raum die Beobachtung übernehmen, was Sartre noch nicht ahnen konnte. Wenn Bilder oder Videos, die dem öffentlichen Raum entstammen, an die Öffentlichkeit gelangen, stellt sich höchstens Wut ein. Wenn sie hingegen Szenen in Privaträumen darstellen, kommt Scham auf, deren notwendige Grundlage vermeintlich intime Räume sind, die den Blick von außen abwehren. Aber alle Räume haben die Eigenschaft, dass sie nicht völlig versiegelt werden können, sie müssen betretbar sein sowie Licht und Luft hereinlassen – sie sind verbunden mit dem Außen durch reale und virtuelle Öffnungen.

Bis vor Kurzem galt, dass der letzte geschützte Innenraum einer Person das Gehirn im Schädel sei. »Die Gedanken sind frei« war der Slogan seit der Aufklärung. Mit bildgebenden Techniken dringt man nun auch in diese intimen Innenräume ein, die sich durch elektrische Stromflüsse oder erhöhten Stoffwechsel verraten und womöglich die gehegten Gedanken offenbaren. Und dass man mit Mikrowellen durch Mauern sehen kann, ist auch keine Innovation mehr. Stirbt die Scham also aus oder verstärkt sie sich durch die zunehmende Öffentlichkeit des Privaten?

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