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1.3 Begräbnisfelder für muslimische Bestattungen[1]

{Muslimische Bestattung}

1.3.1 Bestattung von Angehörigen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften in Deutschland

Ein gutes Fünftel der Bevölkerung Deutschlands hatte 2016 einen Migrationshintergrund;[2] Tendenz steigend. Doch diese Gruppe kommt „in die Jahre“. Folge ist, dass fremde Bestattungsrituale somit auch mehr in das Licht der Öffentlichkeit treten. Migranten werden von ihren Toten Abschied nehmen, wie ihre Kultur sie dies lehrt, andere sind bereit, sich an die Kultur des neuen Heimatlands anzupassen. Die pluralisierte Trauerkultur ist Signum einer ethnisch, kulturell und religiös inhomogenen Gesellschaft.[3]

Muslime sind nicht die einzigen Angehörigen einer nichtchristlichen Religion in Deutschland, aber nach den Christen beider Konfessionen die mit Abstand größte religiöse Gruppe. 2016 hatten 22,5 % der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Nur noch 55 % der Bevölkerung gehörten 2016 – in einer bis vor wenigen Jahrzehnten noch ausschließlich vom Christentum geprägten Gesellschaft – einer der christlichen Kirchen an; Tendenz fallend. Knapp 5 % waren zu diesem Zeitpunkt Muslime, und weniger als 3,9 % hatten ein anderes religiöses Bekenntnis. Dagegen gehörten 36,2 % überhaupt keiner Religionsgemeinschaft an. Daraus folgt, dass die künftige Trauerkultur voraussichtlich immer weniger von christlicher Semantik und ihren Ritualen geprägt sein wird. Muslimische Einflüsse und solche fernöstlicher Religionen werden zunehmen und ein weiterer steigender Anteil der Bevölkerung wird über kein religiöses Bekenntnis verfügen. Repräsentative Untersuchungen über das Trauerverhalten von Angehörigen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften in Deutschland liegen nicht vor.3

Muslime sind eine heterogene Gruppe, die in Deutschland überwiegend der Gemeinschaft der Sunniten angehört, zu geringeren Anteilen den Aleviten und Schiiten. Von Bedeutung für die religiösen Rituale ist das Herkunftsland. Für in Deutschland lebende Muslime war es bisher überwiegend die Türkei, gefolgt von Südosteuropa, Naher Osten, Iran, Nordafrika und Süd-/Südostasien.[4] Da durch Bürgerkriege vermehrt Menschen aus Kriegsgebieten nach Deutschland eingewandert sind, beginnt sich dies inzwischen zu wandeln, sodass auf einigen Friedhöfen, die muslimische Gräberfelder anbieten, heute Bestattungen von Verstorbenen nicht-türkischer Herkunft überwiegen.

Es gibt einzelne Kommunen, in denen inzwischen Strukturen geschaffen wurden, die zum Anstieg der Zahlen von Bestattungen für Angehörige des Islams und anderer Religionsgemeinschaften geführt haben. Diese Bedingungen sind die entsprechenden Landesgesetze und Regelungen der Friedhofsordnungen sowie eine hinreichende bauliche Infrastruktur. Zu vermuteten ist, dass die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Migranten sich künftig in größerer Zahl hier – und nicht im Herkunftsland – bestatten lassen werden. So dürfte es zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Trauerkulturen auf deutschen Friedhöfen und auch einer Vermischung der Rituale kommen.3

Muslimische Bestattungen im Herkunftsland der Migranten

Die Bestattungen von Zugewanderten und deren Angehörigen haben bis vor einigen Jahren wenig Beachtung gefunden. Ursache ist, dass die Zahl in Deutschland bestatteter Muslime noch immer relativ niedrig ist. Üblich war anlässlich des Todes eine Rückkehr ins Herkunftsland.[5]

Das hat gleich mehrere Gründe. So verweigert der deutsche Gesetzgeber das Ewige Ruherecht {Ewiges Ruherecht}, welches vom Koran für die Toten vorgeschrieben ist. Auch eine Neubelegung des Grabes verbietet der Islam. Ein Grabesort kann i. d. R. nur einmal belegt werden.[6] Daraus folgt, dass z. B. in Dortmund, einer Stadt mit einem Migrantenanteil von über 25 %, zwischen 1996, dem Beginn der muslimischen Bestattungen, und 2013 nur 134 Muslime auf Dortmunder Friedhöfen beigesetzt wurden;3 dies trotz erheblicher Kosten für eine Bestattung im Herkunftsland, welche von einem Mitarbeiter des „Friedhofs am Hallo“ mit etwa 10.000 Euro beziffert werden. Zuvor war es üblich, dass in Deutschland eigens Bestattungsunternehmen gegründet wurden, die wie mit einer Art „Luftbrücke“ die Toten in die frühere Heimat brachten und somit eine Bestattung nach islamischem Ritus in heimischer Erde ermöglichten.3

1.3.2 Anfänge muslimischer Bestattungen in Deutschland

Da die islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland keine Körperschaften des öffentlichen Rechts bilden, dürfen sie selbst keine Friedhöfe unterhalten.5

Erst 2015 wurde in Nordrhein-Westfalen (NRW) als erstes Bundesland das Bestattungsgesetz dahingehend geändert, dass auch muslimische Vereine Friedhöfe betreiben dürfen.[7] So ist es möglich, dem Wunsch zu entsprechen, auch im Tod Teil der Herkunftsgemeinschaft zu bleiben. Das wird verdeutlicht durch ein muslimisches Gebot, das die Beisetzung unter Nichtmuslimen verbietet. Islamische Friedhöfe sollten sich außerhalb bewohnter Gebiete befinden und außerdem „[…] keine Statuen oder Ornamente aus Schmiedeeisen aufweisen […]“.[8] Der Friedhof ist nicht nur ein Ort der Totenruhe, sondern gilt als ein Platz der Auferstehung.[9] Trotz der strengen Regularien werden inzwischen in einigen Großstädten muslimische Grabfelder angelegt.3

Muslimische Bestattungen am Beispiel zweier Städte im Ruhrgebiet

Die Initiative zur Bestattung von Muslimen in Dortmund ging dort vom Ausländerbeirat und dem Ausschuss für Bau, Verkehr und Grünflächen aus. Die vereinbarten Regelungen sehen vor, dass seit 1996 ungeachtet der Herkunftsnationalität in muslimischen Gräberfeldern bestattet werden kann.[10] Für den Dortmunder Hauptfriedhof gibt es eine Sonderregelung, die für Muslime auf muslimischen Gräberfeldern bei Reihen- und Wahlgräbern eine Nutzungsdauer von 50 Jahren erlaubt. Nach 35 Jahren ist für Wahlgräber eine „Überbelegung“ (ein Grab über dem anderen, was üblicherweise nicht erlaubt ist) möglich. Bei Reihengräbern ist nach der Ruhezeit eine Neubelegung möglich.[11]

Die Gruppe der Muslime ist sehr vielschichtig. Außerdem kommt es über die Jahre zur Entwicklung ortstypischer Formen und Rituale. Der Grund, warum die muslimischen Bestattungen im Ortsvergleich untereinander abweichen, liegt neben anderem an den örtlich sehr diversen infrastrukturellen Bedingungen. Muslimische Bestattungen gelten als wichtige kulturelle Ereignisse, an denen viele Menschen teilnehmen. Das erfordert u. a. entsprechende Baulichkeiten und nicht zuletzt die Toleranz der anliegenden Wohnbevölkerung.3

Nach Einführung des muslimischen Gräberfeldes auf dem Dortmunder Hauptfriedhof wurde dieses Angebot nur in geringem Maß angenommen. Während aus Dortmund von etwa 20 Bestattungen jährlich berichtet wird, sind es in Essen 190 Bestattungen.3

Seit den frühen 1970er-Jahren hat sich als zweite Ruhrgebietsstadt Essen zu einem wichtigen muslimischen Bestattungsort entwickelt. Auf dem 1918 gegründeten kommunalen „Friedhof am Hallo“ wurde 1972 das erste muslimische Gräberfeld angelegt. Essen ist längst neben Berlin und Frankfurt am Main zu einem der Zentren islamischer Bestattungen geworden.

1.3.3 Bestattung und Anlage der Gräber

Glaubenskern des Islams ist „die Unsterblichkeit der Seele“. Aber auch an die Auferstehung des Körpers wird geglaubt.5 Der Tod gilt als „Übergang“, und nach dem Jüngsten Gericht folgt das Paradies oder die Hölle.

Muslime sollen rasch – innerhalb von 24 Stunden – bestattet werden. Die deutschen Gesetze erlauben dies nicht, sodass mindestens 48 Stunden zwischen Tod und Bestattung vergehen müssen. Eine Aufbahrung ist nicht vorgesehen.5 Vorgeschrieben ist dagegen eine Ganzkörperbestattung, denn Seele und Körper sollen unversehrt den Übergang in die Ewigkeit finden. Außerdem gilt das Gebot der „Ewigen Totenruhe“. Dieser Regel können die deutschen Friedhofsordnungen (s. o.) nicht Genüge tun. Der Leichnam ist im Grab mit „Blick“ nach Mekka zu betten.6

Gestaltungsvorschriften für die Gräber enthält der Koran nicht. Allerdings sind Einfassung und Grabstein vorgeschrieben. Es gibt ein Betretungsverbot der Grabfläche, um die Ruhe des Toten nicht zu stören. Daraus ergibt sich, sie nicht zu pflegen. Inzwischen findet aber auch eine gewisse Anpassung an die in Deutschland üblichen Grabgestaltungen statt.5

Der Islam bestattet seine Toten im Leichentuch (Tuchbestattung). Dies ist seit einer Änderung der Bestattungsgesetze – zuerst 2003 in NRW – und inzwischen auch in anderen Bundesländern durch Aufhebung des Sargzwangs möglich.[12] Der Transport des Leichnams zum Grab erfolgt auf einigen Friedhöfen im Sarg. Erst am Grab wird der Verstorbene aus dem Sarg genommen und in ein Leichentuch gehüllt. Andernorts wird aber auch im Sarg bestattet, und mitunter haben die Angehörigen die Möglichkeit, die Grabgrube bis zur Oberkante des Sargs mit Erde aufzufüllen. Im Fall einer späteren Wiederbelegung der Grabstätte muss abermals ein Angehöriger der muslimischen Glaubensgemeinschaft dort bestattet werden.5

1.3.4 Muslimische Bestattungsrituale

{Muslimische Bestattungsrituale}

Vor der Bestattung findet die rituelle Totenwaschung statt. Die ausführende Person muss muslimischen Glaubens sein. Dabei handelt es sich um den Bestatter oder um das Personal der Institution, in der gestorben wurde. Angehörige können dem Ritual beiwohnen.5, 6

Grundsätzlich ist die Frage nach den zu beteiligenden Personen und auch, welche rituelle Handlung sie jeweils durchführen, von großer Bedeutung. Ob Frauen an einer Bestattung teilnehmen dürfen und wo sie sich ggf. zu platzieren haben, ist in den einzelnen Ländern des Islams verschieden geregelt. Es besteht das Bestreben seitens der Muslime, „unter sich“ zu bleiben, wenn der letzte Dienst am Toten getan wird.5

1.3.5 Muslimische Bestattungen in Essen – ein Fallbeispiel

Im Folgenden wird Essen als Fallbeispiel aufgeführt, da der hier besprochene „Friedhof am Hallo“ eines der größten muslimischen Gräberfelder Deutschlands aufweist. Zwar gibt es weitere muslimische Gräberfelder auf den Friedhöfen der Nachbarstädte im Ruhrgebiet, so z. B. in Gelsenkirchen, Dortmund, Bochum etc., jedoch werden diese in geringerem Umfang angenommen. Anhand eines Gesprächs mit Bernd Frömming, Mitarbeiter der Zentralen Friedhofsverwaltung in Essen, werden die Historie und die aktuelle Entwicklung der muslimischen Bestattungsfelder auf diesem Friedhof erläutert.

Entstehung des muslimischen Gräberfelds auf dem „Friedhof am Hallo“

Der „Friedhof am Hallo“[13] liegt im Stadtteil Frohnhausen in Essen, einer Großstadt[14] im Ruhrgebiet. Er wurde 1920 als kommunaler Friedhof gegründet. Das Ruhrgebiet und insbesondere Essen waren lange geprägt von den Hochzeiten der Schwerindustrie. Aufgrund des Arbeitskräftemangels wurden „Gastarbeiter“ aus verschiedenen süd- und südosteuropäischen Ländern angeworben, um die expandierende Steinkohle- und Stahlindustrie zu unterstützen; z. B. aus Italien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Tunesien und Jugoslawien. In den Jahren 1955 und 1973 kamen ca. 14 Millionen Migranten in die Bundesrepublik Deutschland.4

1962 wurde erstmals dem Oberbürgermeister von Essen ein Antrag zur Eröffnung eines muslimischen Gräberfelds vorgelegt, der allerdings eine Ablehnung erfuhr. Anfang der 1970er-Jahre wurde aufgrund des Drängens des türkischen Generalkonsuls ein muslimisches Gräberfeld in Essen angestrebt, um den türkischen Gastarbeitern eine letzte Ruhe auf deutschem Boden zu ermöglichen. Aufgrund der Nähe zum Wohn- und Lebensumfeld der Bergleute der Zeche Zollverein fiel die Wahl auf den „Friedhof am Hallo“, sodass dort 1972 in der Nähe des Haupteingangs an der Hallostraße das erste muslimische Gräberfeld des Friedhofs angelegt wurde.

Seit 1972 ist die Tendenz der muslimischen Bestattungen auf dem „Friedhof am Hallo“ steigend. Nachdem das Gräberfeld belegt war, wurde 2011 ein zweites im südöstlichen Teil des Friedhofs angelegt. 2017/2018 lag die Anzahl der Bestattungen dieser Art bei rund 190 pro Jahr. Die Herkunftsländer der muslimischen Toten sind der Rangfolge nach: Libanon, Syrien, Kosovo, Afghanistan, Bosnien-Herzegowina und – inzwischen zahlenmäßig zurückgegangen – die Türkei.

Bestattungspraxis auf dem „Friedhof am Hallo“

Nachfrage muslimischer Bestattungen

Auf dem „Friedhof am Hallo“ hat sich die Tradition entwickelt, dass viele Angehörige der muslimischen Gemeinschaft dort bestattet werden. Sie fühlen sich dem Friedhof verbunden, da bereits ihre Familienangehörigen dort bestattet wurden und sie aufgrund des Lebens sowie Arbeitens in der Region diese vielfach als ihre Heimat ansehen.

Die Friedhofsverwaltung geht sensibel mit dem Angebot muslimischer Gräber um, informiert sich über die Besonderheiten, die diese Bestattungsformen mit sich bringen, und schafft dementsprechende Möglichkeiten. Insbesondere die Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinschaft sowie dem Verein Familien Union e. V.[15] schafft Vertrauen.

Grabarten

In Essen werden insgesamt 29 Grabarten für christliche und nichtchristliche Bestattungen angeboten, jedoch nicht alle davon auf dem „Friedhof am Hallo“.

Es erfolgt auf dem „Friedhof am Hallo“ hinsichtlich der muslimischen Gräberfelder eine Abstimmung zwischen dem deutschen Friedhofsrecht, der örtlichen Friedhofsordnung sowie den religiösen Bestimmungen. Die Gräber sind nach Mekka, also Südosten, ausgerichtet. Der Friedhof bietet sowohl muslimische Erwachsenen- und Kindergräber, als auch die Möglichkeit zur Bestattung von einzelnen Gebeinen (auch bei Christen) an.


Bild 43: Entwicklung muslimischer Bestattungen auf dem „Friedhof am Hallo" in Essen. (Quelle: Susanne Stachowitz, eigene Darstellung auf Basis von Daten der Zentralen Friedhofsverwaltung Essen.)

2018 wurden 125 muslimische Erwachsene und 65 muslimische Kinder bestattet, großenteils aus anderen Kommunen. Tendenziell wurden früher mehr Kinder als Erwachsene bestattet. Dieses Verhältnis hat sich allerdings in den letzten Jahren umgekehrt.

Muslimische Frühgeburten werden eher in Kindergräbern als auf sog. „Frühchenfeldern“[16] bestattet. Die Laufzeiten der Kindergräber wurden von früher zwölf Jahren auf 20 Jahre angepasst, sodass länger die Möglichkeit besteht, von Kindern Abschied zu nehmen.

Das Angebot an Grabformen umfasst muslimische Reihen- und Wahlgräber. Zunächst wurde auf dem ersten muslimischen Gräberfeld ausschließlich in Reihengräbern bestattet. Da diese jedoch mit einer bestimmten Nutzungsdauer verbunden sind, konnte nicht dem muslimischen Ewigkeitsrecht entsprochen werden. So schuf man durch die Umwandlung dieser Reihengräber in Wahlgräber die Möglichkeit zur Verlängerung. Da jedoch Reihengräber in der Fläche kleiner (nach dem Aufhügeln 1,65 m Länge[17]), sind als Wahlgräber (mindestens 2,50 m Länge), und somit nicht dem Betretungsverbot zur Wahrung der Totenruhe entsprochen werden kann, bot man in dem neuen Gräberfeld ab 2011 nur noch Wahlgräber an. Das Nutzungsrecht für die Wahlgräber liegt bei 30 bis zu 50 Jahren. Um dem Betretungsverbot zu entsprechen, wurde die Wegeführung geändert.

Bis 2016 war in der Friedhofssatzung die Möglichkeit verankert, Familienwahlgräber zu reservieren. Davon wird mittlerweile aufgrund der zu hohen Nachfrage Abstand genommen. Zurzeit ist daher nur noch der Kauf von Familienwahlgrabstätten für aktuell Verstorbene möglich.

Die Gebührenhöhe ist offensichtlich kein relevanter Faktor für eine Friedhofswahl, denn die Gebühren liegen auf dem „Friedhof am Hallo“ im guten Mittelfeld.

Bestattungen, religiöse Rituale und Infrastruktur

Heute werden die Bestattungen großenteils von muslimischen Bestattern durchgeführt. Die Beauftragung nichtmuslimischer Bestatter stellt aktuell dagegen eine Ausnahme dar. Muslimische Bestattungsunternehmen werden nicht nur aus der Region angefragt, sondern auch z. B. aus Frankfurt am Main. Sogar ein Bestatter mit Hauptsitz in Berlin hat eine Zweigstelle im Ruhrgebiet.

Der „Friedhof am Hallo“ hat eine Infrastruktur geschaffen, die es ermöglicht, Rituale der muslimischen Bestattung zu praktizieren. So befinden sich im oberen neuen Teil des Friedhofs zwei Unterstände, getrennt für Männer und Frauen. Zudem besteht die Möglichkeit zur Fußwäsche. Allerdings bietet der Friedhof keinen Waschraum für die Verstorbenen an. Dieses Ritual wird in der Moschee durchgeführt.

Tuchbestattung ist in Essen möglich, dabei erfolgt die Ausrichtung des Grabes und des Körpers in Richtung Mekka. Auch ist das „Einbringen der ersten Erde“ durch Angehörige möglich. Die restliche Verfüllung wird dann durch Friedhofsmitarbeiter durchgeführt.

Die muslimischen Grabsteine werden überwiegend von speziellen muslimischen Grabsteinmetzen erstellt, manchmal werden auch nichtmuslimische Steinmetze beauftragt. Es kommt auch vor, dass Grabsteine aus der Heimat (Kosovo, Bosnien-Herzegowina) importiert werden. Solange die Gestaltungsvorschriften eingehalten werden, sind alle Varianten in Essen möglich.

Seitens der Friedhofsverwaltung wird es ermöglicht, auf dem muslimischen Gräberfeld religiöse Feste zu zelebrieren, um muslimische Bräuche zu verwirklichen und der Toten zu gedenken. So werden das mehrtägige Zucker- und Opferfest auf den muslimischen Gräberfeldern zelebriert, wobei die unterschiedlichen muslimischen Volksgruppen miteinander eine Reihenfolge verabredet haben, an welchem Tag welche Volksgruppe anwesend ist. Anlässlich des Zuckerfests werden beispielsweise Stände mit Süßigkeiten aufgestellt. Vor den Festen wird meist eine Grabpflege durchgeführt.

Grabgestaltung

Die Pflegezustände der Gräber auf dem „Friedhof am Hallo“ weichen voneinander ab. Die Spanne reicht von gepflegten bis zu verwahrlosten Gräbern. Die Vorgaben zur Gestaltung müssen von allen Nutzungsberechtigten eingehalten werden, unabhängig von einer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit.


Bild 44: Heterogene Pflegezustände muslimischer Gräber auf dem „Friedhof am Hallo" in Essen. (Quelle: Susanne Stachowitz)

Herausforderungen

Trotz Flexibilität und Sensibilität stößt die Friedhofsverwaltung an Grenzen. Wegen der großen Nachfrage nach Gräbern mit „ewiger Totenruhe“ und der flächenmäßig größeren Wahlgrabstätten dürften die Kapazitätsgrenzen des Friedhofs bald erreicht sein. Dem Platzproblem kann aus muslimischer Sicht dadurch begegnet werden, dass Beisetzungen in nicht-unbefleckter Erde sowie Bestattungen von Gebeinen übereinander möglich werden.

Der „Friedhof am Hallo“ hat ein Regelwerk für muslimische Bestattungen vor Ort aufgestellt, um Herausforderungen zu begegnen. Die Regularien wurden von der islamischen Gemeinschaft in arabische Sprache übersetzt. Darin ist geregelt, wie bei Großbestattungen mit über 200 Trauergästen zur verfahren ist; beispielsweise, wer den Friedhof befahren darf oder die Einrichtung eines Shuttle-Verkehrs für ältere Trauergäste. Zudem werden Informationen z. B. bezüglich des Parkplatzangebots in Zusammenarbeit mit den Familienoberhäuptern und in der Moschee an die Trauergäste kommuniziert. Der Friedhofsverwaltung wurde seitens der islamischen Gemeinde mitgeteilt, dass 20 % der Trauergäste aus Essen und 80 % von außerhalb kommen. Da bei Großbestattungen mit zum Teil 600 Trauergästen besondere Herausforderungen für das Wohnumfeld bestehen, bedarf es hier einer besonderen Ansprache der Anwohner.

Fazit

Der Umfang muslimischer Bestattungen in Deutschland ist in den zurückliegenden Jahren gestiegen, allerdings nicht überall, sondern nur dort, wo Toleranz und Respekt vor den jeweiligen Kulturen erlaubt und gelebt werden. Das Motto für den Friedhof von Morgen lautet daher: Glaubensrituale öffnen!

Fußnoten:

[1]

Dieser Aufsatz enthält in Teilen Textpassagen des Buches „Sterben und Tod in Deutschland“ des Mitautors Dr. Frank Thieme. Die Verfasser danken dem Verlag Springer VS für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck der Textteile.

[2]

„Eine Person hat dann einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist.“ Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 2.2 Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Ergebnisse des Mikrozensus, Wiesbaden, 2017.

[3]

Vgl. Thieme, Frank; unter Mitarbeit von Jäger, Julia: Sterben und Tod in Deutschland. Eine Einführung in die Thanatosoziologie, Wiesbaden: Springer VS, 2018.

[4]

Vgl. Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden: Springer VS, 2014.

[5]

Vgl. Kuhnen, Corinna: Fremder Tod. Bestattung muslimischer, jüdischer, buddhistischer, hinduistischer und yezidischer Religionsangehöriger in Deutschland, Düsseldorf: Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes, 2012.

[6]

Vgl. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel (Hrsg.): Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Bd. 3., Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag, 2010.

[7]

Bereits seit 1866 gab es den Islamischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin, dessen Ursprung auf politische Umstände zurückzuführen ist. 1922 wurde der Friedhof dem türkischen Verteidigungsministerium überschrieben. Die letzten Bestattungen fanden aufgrund von Kapazitätsauslastungen 1945 statt, sodass insgesamt 220 Verstorbene dort bestattet wurden. Vgl. ZEIT online: Der islamische Friedhof in Berlin. Ein Stück Türkei an der Spree (02.01.1987): https://www.zeit.de/1987/02/ein-stueck-tuerkei-an-der-spree/seite-3 (Stand: 14.03.2019).

In Wuppertal wird derzeit ein muslimischer Friedhof als erster seiner Art in Deutschland, welcher ausschließlich in Trägerschaft der muslimischen Gemeinden betrieben wird, geplant. Vgl. Muslimische Friedhöfe Wuppertal e. V.: https://muslimische-friedhoefe.de (Stand 14.03.2019).

[8]

Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland (Hrsg.): Gutachten zum islamischen Bestattungsritual auf kommunalen Friedhöfen, Soest: 1995, S. 2.

[9]

Vgl. Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland (Hrsg.): Gutachten zum islamischen Bestattungsritual auf kommunalen Friedhöfen, Soest: 1995.

[10]

Vgl. Stadt Dortmund: Dortmund Friedhöfe. Besondere Bestattungsfelder: https://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/umwelt/friedhoefe/grabarten/besondere_bestattungsfelder/index.html (Stand 14.03.2019).

Vgl. Thieme, Frank; unter Mitarbeit von Jäger, Julia: Sterben und Tod in Deutschland. Eine Einführung in die Thanatosoziologie, Wiesbaden: Springer VS, 2018.

[11]

Vgl. Satzung für die Friedhöfe der Stadt Dortmund vom 23.11.2016: https://www.dortmund.de/media/p/friedhoefe/pdf_friedhoefe/Friedhofssatzung_2017.pdf (Stand 14.03.2019).

[12]

Vgl. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel (Hrsg.): Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Bd. 3., Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag, 2010, S. 373.

[13]

Das Hallo ist eine ausgeprägte natürliche Erhebung im Essener Norden. Vgl. Stadt Essen (a): Hallopark: https://www.essen.de/rathaus/aemter/ordner_67/Hallopark.de.html (Stand 14.03.2019).

[14]

Vgl. Stadt Essen (b): Amt für Statistik, Einwohnerdatei der Stadt Essen: https://www.essen.de/rathaus/statistik/Statistik_Bevoelkerung.de.html (Stand 14.03.2019).

[15]

Der Verein Familien Union e. V. wurde 2008 gegründet und ist bestrebt, das Zusammenleben von Migranten (insbesondere aus dem Libanon) sowie Deutschen zu unterstützen. Vgl. Familien Union e. V.: http://www.familien-union.net (Stand 14.03.2019).

[16]

In NRW besteht ein Recht auf Bestattung von Tot- bzw. Fehlgeburten nach der zwölften Woche und bei einem Gewicht über 500 g. Regelungen in anderen Bundesländern können davon abweichen. Vgl. Aeternitas e. V.: Die Bestattung von Tot- bzw. Fehlgeburten: https://www.aeternitas.de/inhalt/recht/themen/artikel/2012_05_15__03_56_19 (Stand 14.03.2019).

[17]

Friedhofssatzung der Stadt Essen vom 30.11.2015: https://media.essen.de/media/wwwessende/aemter/15/SR703neu.pdf (Stand 14.03.2019).

Friedhöfe 2020

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