Читать книгу Превращение / Die Verwandlung. Уровень 3 - Франц Кафка, Guillermo Sánchez Trujillo - Страница 10
Die Verwandlung
IX
ОглавлениеWährend aber Gregor keine Neuigkeit erfahren konnte, horchte er manches aus den Nebenzimmern. Wo er nur einmal Stimmen hörte, lief er gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es kein Gespräch, das nicht irgendwie von ihm handelte.
Zwei Tage lang waren bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie man sich jetzt verhalten soll. Aber auch zwischen den Mahlzeiten sprach man über das gleiche Thema, denn immer waren zwei Familienmitglieder zu Hause. Niemand wollte allein zu Hause bleiben. Aber konnte man die Wohnung doch auf keinen Fall verlassen.
Auch hatte das Dienstmädchen gleich am ersten Tag kniefällig die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen. Als sie sich eine Viertelstunde danach verabschiedete, dankte sie für die Entlassung, wie für die größte Wohltat. Sie gab einen fürchterlichen Schwur ab, niemandem auch nur das Geringste zu verraten.
Nun musste die Schwester im Verein mit der Mutter auch kochen. Allerdings machte das nicht viel Mühe, denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte Gregor, wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte[60] und keine andere Antwort bekam, als:
«Danke, ich habe genug«, oder etwas Ähnliches.
Öfters fragte die Schwester den Vater, ob er Bier will, und herzlich erbot sie sich, es selbst zu holen. Als der Vater schwieg, sagte sie, sie kann auch die Hausmeisterin darum schicken. Aber dann sagte der Vater schließlich ein großes» Nein«.
Schon legte der Vater die ganzen Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl der Mutter, als auch der Schwester dar. Er stand er vom Tische auf und holte aus seiner kleinen Wertheimkassa irgendeinen Beleg oder irgendein Vormerkbuch. Man hörte, wie er das komplizierte Schloss aufsperrte und dann es wieder verschloss. Diese Erklärungen des Vaters waren das erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft hörte. Er dachte, dass dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste übriggeblieben war. Der Vater hatte ihm nichts gesagt, und Gregor hatte ihn auch nicht darum gefragt.
Damals war Gregors Sorge, alles daranzusetzen, um die Familie das Unglück möglichst rasch vergessen zu lassen. Und so arbeitete er damals mit ganz besonderem Feuer. Er war fast über Nacht aus einem kleinen Kommis[61] ein Reisender geworden. Er hatte natürlich ganz andere Möglichkeiten des Geldverdienens. Seine Arbeitserfolge verwandelten sich sofort in Form der Provision zu Bargeld. Er konnte das der erstaunten und beglückten Familie zu Hause auf den Tisch legen. Es waren schöne Zeiten. Niemals nachher hatten sie sich wiederholt, trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, dass er den Aufwand der ganzen Familie zu tragen imstande war und auch trug. Man hatte sich eben daran gewöhnt[62], sowohl die Familie, als auch Gregor. Man nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab. Aber eine besondere Wärme wollte sich nicht mehr ergeben.
Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe geblieben. Es war sein geheimer Plan: sie, die Musik sehr liebte und rührend Violine spielte, nächstes Jahr auf das Konservatorium zu schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte Gregors in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der Schwester das Konservatorium erwähnt, aber immer nur als schöner Traum, an dessen Verwirklichung nicht zu denken war. Die Eltern hörten nicht einmal diese Erwähnungen gern. Aber Gregor dachte sehr bestimmt daran. Er beabsichtigte, es am Weihnachtsabend feierlich zu erklären.
Solche ganz nutzlosen Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er an der Türe klebte und horchte. Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar nicht mehr zuhören und ließ den Kopf nachlässig gegen die Tür schlagen. Aber hielt er ihn aber sofort wieder fest, denn das kleine Geräusch war nebenan gehört worden und hatte alle verstummen lassen.
«Was er nur wieder treibt«, sagte der Vater nach einer Weile.
Dann wurde das Gespräch allmählich wieder aufgenommen.
Gregor erfuhr nun genug. Der Vater wiederholte sich in seinen Erklärungen. Und die Mutter verstand nicht alles gleich beim ersten Mal. Trotz allen Unglücks war ein ganz kleines Vermögen aus der alten Zeit noch vorhanden. Außerdem aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte, nicht vollständig aufgebraucht. Es hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete Vorsicht und Sparsamkeit. Eigentlich wird er ja mit diesen überschüssigen Geldern die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen.
60
wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte – как они уговаривали друг друга поесть
61
der Kommis – приказчик
62
man hatte sich eben daran gewöhnt – к этому все привыкли