Читать книгу Wunsch Traum Fluch - Frances Hardinge - Страница 5

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Josh würde es schaffen. Einen wundervollen Augenblick lang glaubte Ryan fest daran. Als sie um die Ecke gebogen waren und gesehen hatten, dass der Bus schon an der Haltestelle stand, war Josh losgesprintet, wobei er Spatzen aus den Büschen und Wasser aus den Pfützen aufspritzen ließ. Der Busmotor stieß ein lang gezogenes, erschöpftes Seufzen aus und verlagerte sein Gewicht nach vorn, als ob er die Schultern gegen den Regen stemmen wollte, aber immer noch glaubte Ryan, dass Joshs Anstrengungen in letzter Sekunde von Erfolg gekrönt sein würden, wie immer. Und dann, gerade in dem Moment, in dem Josh die Rücklichter erreichte, wandte sich der Bus trotzig vom Bordstein ab und fädelte sich auf der Fahrbahn ein. Die Reifen hinterließen lange, matte Streifen auf dem nass glänzenden Asphalt.

Josh jagte dem Bus etwa fünfundzwanzig Meter nach. Dann sah Ryan durch die winzigen Regentropfen, die seine Brille sprenkelten, wie sein Held stolperte, langsamer wurde und mit dem Fuß gegen einen Laternenpfahl trat.

Ryan hatte das Gefühl, als ob der Bus im Wegfahren seinen Magen mitgenommen hätte, genauso wie das letzte Licht des Sommertages. Plötzlich kam ihm die schäbige Ladenreihe kälter, dunkler und verlassener vor als noch vor ein paar Minuten. Auf seiner Zunge schmeckte Ryan den Schokoladen-Milchshake, dessentwegen sie den Bus verpasst hatten, und der Geschmack verursachte ihm Übelkeit.

Hinter sich hörte er Chelles asthmatisches Keuchen. Er drehte sich um und sah, wie ihre zitternden Hände mit dem Inhalator kämpften. Sie atmete tief ein, und ihre runden Augen wurden noch größer, sodass er rings um die Pupillen das Weiße sehen konnte. Sie starrte Josh entgegen, der langsam zurückkam.

«Er sagte … Josh sagte doch … er sagte doch, dass der Bus immer zu spät kommt, er sagte, wir hätten noch Zeit für einen Milchshake … Ich bin ja so was von erledigt … meine Mutter denkt, ich würde babysitten …» Vor lauter Panik waren ihre bleichen Augenbrauen an ihrer Stirn emporgeklettert und versteckten sich jetzt hinter ihrem blonden Pony.

«Schhht, Chelle», sagte Ryan so besänftigend wie er nur konnte. Aber es nutzte nichts. Chelle ließ sich nicht mit einem einfachen «Schhht» wieder auf Kurs bringen.

«Aber … Josh macht es ja nichts aus, von ihm erwartet man ja, dass er sich in Schwierigkeiten bringt. Aber ich … ich weiß nicht mal, wie es ist, Ärger zu haben …»

«Schhht!», wiederholte Ryan jetzt energischer. Josh war fast schon in Hörweite. Jedes Mal, wenn Josh etwas angestellt hatte und deswegen ein schlechtes Gewissen bekam, wurde er auf Gott und die Welt wütend. Und er konnte boshaft werden, auf eine irgendwie spielerische Art. Ryan hatte keine Lust, mit einem wütenden Josh in Magwhite festzusitzen.

Eigentlich durften sie überhaupt nicht in Magwhite sein.

Magwhite war ein «Beinahe»-Ort. Durch die riesigen Kraftstoff-Lager und die Eisenbahnlinie war es beinahe ein Teil von Guildley. Die strahlend gelben Rapsfelder, die sich nach Osten erstreckten, gaben dem Ort beinahe etwas Ländliches. Die traurig wirkenden Reihen kleiner Häuser, der winzige Supermarkt und das Fahrradgeschäft waren beinahe so etwas wie ein Dorf. Die kleinen Spazierwege waren beinahe hübsch.

Dort war irgendwann einmal jemand erstochen worden oder vielleicht hatte irgendwann einmal irgendjemand einen abgeschnittenen Finger mit einem Ring daran auf einem der Wege gefunden oder vielleicht kamen alle Spieler des Rugby-Vereins regelmäßig zum Bach und pinkelten von der Brücke aus ins Wasser. Keiner wusste so recht, was genau geschehen war, aber irgendetwas hatte Magwhite in Verruf gebracht. Wenn der Name «Magwhite» fiel, versteinerten die Gesichter der Eltern, als ob ihnen ein übler Geruch in die Nase gezogen wäre. Magwhite war tabu.

Es gab hier nicht viel zu sehen, aber das Tabu machte es aufregend. Die Dohlen vor dem mit Brettern vernagelten Postgebäude mit Pommes Frites zu füttern war viel interessanter, als gewöhnliche Vögel in einem gewöhnlichen Park zu füttern. Seit Beginn der Sommerferien waren die verbotenen Ausflüge nach Magwhite, wo sie am Kanal ein Picknick veranstalteten, beinahe zur täglichen Routine geworden.

Magwhite gehörte ihnen, aber im Augenblick wäre Ryan am liebsten meilenweit weg gewesen.

Josh stapfte mit gesenktem Kopf zu den anderen beiden zurück. Sein wildes blondes Haar, das wie eine Schrubberbürste abstand, war dunkel vom Regen. Er betrachtete seinen Fuß und schien das Gesicht zu verziehen. Vielleicht hatte er sich bei dem Tritt gegen den Laternenpfahl wehgetan. Dann schaute er hoch und Ryan sah, dass er grinste.

«Kein Problem.» Josh zuckte mit den Achseln und wischte mit dem Ärmel den Regen von den gelb getönten Gläsern seiner Sonnenbrille. «Wir nehmen den nächsten.»

Chelle biss sich auf die Unterlippe und zog die Mitte der Oberlippe so weit nach unten, dass sie aussah wie ein kleiner weicher Schnabel. Alles an ihr sträubte sich, Josh zu widersprechen, denn sie vergötterte ihn mehr als alles andere auf der Welt, aber wie immer schienen die Worte einfach ungehindert aus Chelle herauszuträufeln wie Wasser aus einem undichten Wasserhahn.

«Aber … das geht nicht. Das war der letzte Bus der Cityline. Unsere Fahrkarten gelten nicht für die Überlandbusse, und wir haben kein Geld mehr, um neue Fahrkarten zu kaufen, nicht für alle … wir sitzen fest …»

«Nein, tun wir nicht.» Josh lächelte immer noch. «Ich habe einen Plan.»

Der Plan war einfach. Der Plan war merkwürdig. Aber es war Joshs Plan, und deshalb musste er funktionieren.

Hinter der Mauer des Parkplatzes, der zum Supermarkt gehörte, senkte sich ein lang gestreckter, baumbestandener Abhang bis zum Ufer des Kanals. In diesem Wäldchen tummelten sich ausgebüxte Einkaufswagen, in deren Rädern sich büschelweise Grashalme verfangen hatten. Das Drahtgitter der Körbe war mit Schlingpflanzen bewachsen. Joshs Plan sah vor, einen von ihnen aus dem Wald zu holen, ihn zum Supermarkt zu bringen, ihn dort wieder in die Reihe der anderen Einkaufswagen einzuklinken und die Münze aus dem Schieber am Griff zu holen.

Plötzlich war das Abenteuer wieder da. Das Trio kletterte über die Mauer in das Wäldchen und ging auf Beutezug.

Es war ein seltsamer Wald, umso mehr, als das Licht nun stetig abnahm. Ryan gefiel besonders der Müll. Vergilbte Zeitungen kuschelten sich in Astgabeln, wie Nester aus mit Buchstaben bepudertem Herbstlaub. Von einem breiten Thron aus verfaulter Eichenwurzel schlängelte sich dunkler Efeu und behütete einen Schatz aus zerbeulten Blechdosen. Die feinen Verästelungen eines schaukelnden Zweiges hatten sich ordentlich in die Finger eines roten Wollhandschuhs geschoben, sodass der kleine Baum aussah, als warte er nur darauf, dass ihm eine zweite Hand wachse, damit er applaudieren könne.

«Ryan, mach deine Adleraugen auf und such uns einen Einkaufswagen», sagte Josh, und in Ryan stieg ein unbehagliches Gefühl von Stolz und Zweifel auf. Er war sich nie sicher, ob Josh sich über ihn lustig machte oder nicht. «Er sieht anders als wir, Chelle. Seine Augen, die sind nämlich verkehrt herum. Man sieht’s ihm bloß nicht an.»

Chelle kicherte leise, aber in der Dunkelheit wirkte ihr nur undeutlich erkennbares Gesicht nervös. Ihre großen, weit auseinanderstehenden Augen waren Fenster, die in eine Welt voller Zweifel und Verblüffung blicken ließen.

«Es stimmt.» Josh ließ nicht locker. «Er blinzelt aufwärts, weißt du? Natürlich nur, wenn man nicht hinguckt. Aber jetzt, im Dunkeln, da wette ich, dass er aufwärts blinzelt. Stimmt’s, Ryan?»

Ryan wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Er stapfte durch den Wald und tat so, als hätte er nichts gehört. Chelle Angst zu machen war kinderleicht, und Josh schien es Vergnügen zu bereiten, sie auf den Arm zu nehmen. Ryan vergaß oft, dass Chelle älter war als er. Er selbst war ein «Kann-Kind»; man hatte ihn früher als seine Altersgenossen in das eiskalte Wasser der Sekundarstufe geworfen. Dass er klein, hager und voller Sätze war, die in seinem Kopf wunderbar klangen, sich aus seinem Mund aber altklug und besserwisserisch anhörten, hatte die Sache noch schlimmer gemacht. Mit Chelle verband ihn eine Allianz der Verzweiflung. Sie war tapsig und hilflos wie ein Welpe, und die Blässe ihres Haars und ihrer Haut wirkten, als hätte man sie zu oft in die Waschmaschine gesteckt, wo sie beim Spülgang all ihre Farbe und ihre Selbstsicherheit verloren hatte. Das machte sie zu einer verlockenden Zielscheibe des Spotts für alle Schläger und Stänkerer in der Klasse. Sowohl Ryan als auch Chelle waren heilfroh gewesen, dass sie jemanden gefunden hatten, mit dem sie reden konnten, wobei nicht verschwiegen werden soll, dass Chelle offensichtlich nicht über die Fähigkeit verfügte, mit dem Reden aufzuhören.

Josh war ihre Rettung gewesen. Er genoss den Vorteil des Älteren – zwischen der fünften und der sechsten Klasse liegen Welten! –, aber ganz abgesehen davon wusste kein Großmaul in der Schule, was er von Josh halten sollte. Josh mit seinem Katzengrinsen und dem knochentrockenen Humor. Spott und Hohn schienen von den gelben Gläsern seiner Sonnenbrille abzuprallen, bis den Spöttern die Puste ausging. Irgendwie gelang es ihm, die Menschen für sich zu gewinnen, als ob jeder an dem Scherz teilhaben wollte, der seine Mundwinkel stets nach oben wandern ließ. Josh hatte sich an Ryan erinnert, was Ryan maßlos überrascht hatte; sie waren zusammen in der Grundschule gewesen. Und plötzlich standen sowohl Ryan als auch Chelle unter seinem kapriziösen Schutz. Er nahm sie unter seine Fittiche und bewahrte sie wie ein unsichtbares Amulett vor den schlimmsten Mobbing-Attacken. Aus diesem Grund, so vermutete Ryan, nahm Chelle Josh die Neckereien nicht übel, aber trotzdem war ihm unbehaglich dabei.

Normalerweise dümpelten immer ein halbes Dutzend Einkaufswagen in dem kleinen Wald. Aber an diesem Abend schienen die Wagen zu ahnen, dass sie Gefahr liefen, wieder in die Gefangenschaft zurückgebracht zu werden. Sie hatten sich alle versteckt. Endlich trieb Ryan einen am Ufer des Kanals auf. Er lag auf der Seite, als ob er auf seiner hastigen Flucht umgefallen und nicht mehr auf die Rollen gekommen war. Zu dritt zerrten sie ihn zur Mauer, wobei sich der Wagen in jeder Ranke und jedem Grasbüschel festklammerte, in dem verzweifelten Bemühen, ihrem Griff zu entkommen.

Erst als sie die Mauer erreichten, die das Wäldchen vom Parkplatz des Supermarktes trennte, erkannten sie den Webfehler in Joshs Plan.

Der Untergrund auf der Waldseite der Mauer lag viel tiefer als auf der Seite des Parkplatzes. Sie waren diese Mauer so oft hinauf- und hinuntergeklettert, dass ihnen gar nicht mehr auffiel, wie hoch sie war. Jetzt starrten sie abwechselnd traurig den Einkaufswagen an und die Mauer hinauf, die sich hoch über ihnen auftürmte und sie auszulachen schien.

«Wir können es schaffen», meinte Josh nach einer kurzen Weile. «Alles eine Frage der Technik.»

Er änderte kurzerhand seinen Plan, und die drei gingen auf die Suche nach allem, woraus man ein Seil knüpfen konnte – ein Absperrband aus Plastik, ein verschimmeltes T-Shirt, ein Stück Draht. All das knoteten sie zusammen und schlangen ein Ende fest um den Einkaufswagen. Das andere Ende wurde über einen niedrig hängenden Ast geworfen. Chelle und Ryan ergriffen das behelfsmäßige Seil, das auf der anderen Seite des Astes herunterbaumelte. Josh, der bei Weitem der stärkste der drei war, kletterte auf die Mauer und wartete darauf, dass Chelle und Ryan den Wagen hochhievten, damit er ihn packen und über die Mauer ziehen konnte.

Das kann nicht funktionieren, dachte Ryan, als er anfing, an dem «Seil» zu ziehen. Doch dann stieg die Seite mit dem Handgriff in die Höhe und schwang leicht hin und her. Der Plan funktionierte.

Der Flug des Einkaufswagens war ein herrlicher Anblick. Das Drahtgeflecht schlug wiederholt gegen den Baumstamm, und die Räder hinterließen dunkle Narben in den Flechten, die den Stamm überzogen, aber er schwang immer höher, jedes Mal ein paar Zentimeter. Und dann, als Josh ihn beinahe mit den Fingerspitzen erreichen konnte, schlug er gegen einen tiefen Zweig und verschwand zur Hälfte im Laub. Sie zerrten und zogen, das Geäst zitterte und bebte und goss träge Tropfen auf ihre erhobenen Gesichter. Ein dünner Zweig hatte sich unter dem blauen Plastik des Kindersitzes verhakt und gab den Einkaufswagen nicht frei.

Schließlich hörten Ryan und Chelle auf mit Ziehen und Zerren. Sie pusteten auf ihre brennenden Handflächen und starrten zu dem siegreichen Einkaufswagen hoch.

«Ich glaube …», setzte Chelle an. Ihre Worte taumelten haltlos in die Stille. «Ich glaube, wenn wir einen Stock unter dieses Rad schieben und den Wagen hin und her stoßen, dann könnte es …»

«Er sitzt fest», sagte Josh. Tief in ihrem Inneren hatten alle drei die Wahrheit längst erkannt, aber dass Josh sie aussprach, ließ sie zur Tatsache werden. Joshs getönte Brillengläser waren mit dem Verschwinden der Sonne trüb geworden, und dahinter nahm Ryan das bleiche Zucken der Augenlider wahr. Josh blinzelte zweimal und kniff die Augen zusammen. Er saugte die Lippen in den Mund, bis sie nicht mehr zu sehen waren – ein sehr schlechtes Zeichen.

Ohne ein weiteres Wort sprang Josh von der Mauer und ging den Hang hinunter zum Kanal. Ryan und Chelle wechselten einen Blick und folgten ihm dann.

Er wird doch nicht weglaufen und uns hier allein lassen, oder? – Aber was hätte Josh zu verlieren, wenn er spät nach Hause käme? Scherereien zu bekommen war für Josh etwas ganz anderes als für Ryan und Chelle. Manchmal schien es geradezu, als ob Josh überhaupt keine Angst davor hätte. Ryan holte ihn ein.

«Wo gehen wir hin?», fragte er vorsichtig.

«Zur Quelle.» Joshs Stimme klang viel zu ruhig.

Sie hielten mit Joshs schnellem Tempo Schritt, stolperten durch Taubnesseln und duckten sich unter den tief hängenden purpurfarbenen Fingern des Sommerflieders, bis sie die moosbedeckten Stufen erreichten, die zum Ufer des Kanals und dem dort verlaufenden Pfad führten. Ihre Sohlen rutschten auf den glitschigen Schieferblöcken aus, und sie stiegen immer weiter nach unten, bis sie den Kanal zwischen den Bäumen glitzern sahen. Josh blieb stehen. Neben den Stufen war eine kleine Vertiefung im Boden und am Grund der Vertiefung befand sich ein kahler Ring aus Beton: der Rand des Schachts, den man über der Quelle errichtet hatte. Das Loch in der Mitte wurde von einem Maschendraht abgedeckt. In dem Drahtgeflecht steckten etliche leere Chipstüten.

Josh ließ sich auf alle viere nieder. Aber erst als er sein Schweizer Taschenmesser aus der Hosentasche zog und den Schraubendreher-Einsatz ausklappte, wurde Ryan klar, was er vorhatte. Es dauerte nicht lange, da hatte Josh drei der Schrauben gelöst, mit denen das Abdeckgitter befestigt war.

«Das ist ein Wunschbrunnen, nicht wahr?», sagte er, während er mit den übrigen rostigen Schrauben kämpfte. «Und das bedeutet, dass da unten Münzen liegen … Ich hab’s!» Das Gitter löste sich. «Also gut, wer geht runter? Chelle, du bist dünn und gelenkig. Wie wär’s?»

Chelle stieß nur ein entsetztes Quietschen aus.

Josh grinste sie an. «Na gut.» Er schwang die Beine über den Brunnenrand. Ryan und Chelle verfolgten bestürzt, wie er sich langsam nach unten abließ.

«Josh, hör mal … ähm …», begann Ryan. Er wechselte einen beunruhigten Blick mit Chelle, als Josh gänzlich in der Schwärze verschwand.

«Josh, was ist, wenn du stecken bleibst. Sollten wir nicht besser erst ein neues Seil machen und es um deinen Oberkörper binden, damit …»

Von unten ertönte ein scharfer Schrei.

«Josh!», kreischte Chelle. Sie ließ sich auf Hände und Knie fallen und starrte hinunter in den düsteren Brunnenschacht. Das helle Haar fiel um ihr Gesicht.

«Hier unten stinkt’s!», verkündete Josh plötzlich.

«Josh, du hast uns erschreckt!» Chelles Nervosität löste sich in einem blubbernden Kichern auf.

«Na klar, macht nur weiter so. Lacht nur! Ich dagegen hocke hier unten …» Joshs widerhallende Stimme brach abrupt ab. Ein Platschen ertönte. Dann: «So ein Mist!»

Rasch spähte Chelle wieder in den Brunnen.

«Ich glaube, er ist reingefallen», presste sie durch ihr Kichern hervor. «Ich höre es platschen.»

«Dann kann der Brunnen nicht besonders tief sein», flüsterte Ryan. Wenn Josh da unten am Ertrinken wäre, würde er bestimmt mehr Energie darauf verwenden, um Hilfe zu rufen, anstatt leise vor sich hinzufluchen.

«Alles klar, ich habe welche», hörten sie ihn schließlich sagen. Das Echo des Brunnenschachts verlieh Joshs Stimme einen ernsten und Ehrfurcht gebietenden Klang. «Ich komme hoch.» Josh pfiff leise vor sich hin, als er nach oben kletterte. Hin und wieder wurde die Melodie von einem Schaben und dann einem Aufklatschen unterbrochen, wenn sich Mörtel und Steine lösten und ins Wasser hinunterfielen. Endlich tauchte er auf und kletterte über den Brunnenrand. Er schüttelte erst ein Bein aus, dann das andere, versuchte, das Wasser aus seinen Turnschuhen zu tanzen. Aber selbst im Dämmerlicht wurde schnell deutlich, dass seine Schuhe das geringste Problem waren.

Chelle zuppelte ein kleines weißes Etwas aus ihrer Hosentasche. Sie schaute auf das Ding in ihrer Hand und dann auf den völlig durchnässten Josh. Ihre Schultern fingen an zu zucken.

«Hier – ein Tempo!», quiekte sie, und aus irgendeinem Grund war das zum Schreien komisch.

Fünf Minuten später rannten sie über die Hauptstraße von Magwhite und erwischten gerade noch den letzten Bus nach Guildley.

Der Busfahrer riss vor Staunen Mund und Augen auf, als er den grünen Schlick in Joshs Haaren und die Algen auf seinen Sonnenbrillengläsern sah. Er starrte seine Kleider an, die von der Taille abwärts dunkel und klebrig vor Wasser waren, und betrachtete nachdenklich die geschwärzten Münzen, die in einer schleimigen Pfütze in Joshs ausgestreckter Hand schwammen.

«Die hast du aus dem Brunnen gefischt, nicht wahr?»

«Nein», antwortete Josh ungerührt und erwiderte rundheraus den Blick des Busfahrers.

Die Schamlosigkeit dieser Lüge brachte den Fahrer für einen Moment aus dem Konzept. Dann bedachte er Josh mit einem langen Blick, als wollte er ihm versichern, dass er kein Idiot sei und dass er ein Auge auf ihn haben werde. Schließlich stach er mit dem Finger nach ein paar Knöpfen auf seinem Fahrkartenautomaten, woraufhin sich eine Schlange aus drei aneinanderhängenden Tickets in Joshs erwartungsvoll ausgestreckte Hand kräuselte.

Josh schlenderte zum hinteren Teil des Busses und wartete, bis Chelle eine Zeitung, die in einer Ecke der Sitzbank gelegen hatte, für ihn ausgebreitet hatte. Dann ließ er sich grinsend darauf nieder, als ob zu Hause nicht die elterliche Inquisition auf ihn warten würde, wenn er, triefend wie eine ersoffene Ratte und mit Rost unter den Fingernägeln, heimkam.

Er hatte es geschafft. In diesem Augenblick hätte Ryan sich zwischen Josh und eine tödliche Kugel geworfen, hätte ihn mit seinem Körper abgeschirmt. Er wäre ihm durch die Wüste gefolgt oder für ihn durch einen von Blutegeln wimmelnden Sumpf gewatet. Ryan kuschelte sich in seine Gefühlsaufwallung, während Chelle redete und Josh sich die Sonnenbrille mit ihrem Tempo abwischte. Mit einem Mal hätte er sich am liebsten einer großen Gefahr gegenübergesehen oder einem schier unüberwindlichen Hindernis, um sich seines Helden würdig zu erweisen, und er war so gänzlich von diesem Wunsch erfüllt, dass er das Gefühl hatte, er würde sein Herz zum Platzen bringen, wie eine Kastanie ihre Schale.

Hätte Ryan zu diesem Zeitpunkt bereits so viel über Wünsche gewusst wie später, wäre er mit seinen Gedanken viel vorsichtiger umgegangen.

Wunsch Traum Fluch

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