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Freu dich nicht zu spät!

Unerwartet blickt Murat in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling. Er bleibt wie angewurzelt stehen und starrt sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält seinem Kuckucksblick unerschrocken stand.

»Wer ist das?«, flüstert er mir zu.

Ich will gerade antworten, als mein Handy klingelt.

»Ja?«, nuschele ich hinter vorgehaltener Hand.

Eine Stimme krächzt mir ins Ohr wie die letzten Worte eines verschütteten Bergmannes: »Warmmacha kaputt!«

»Wir sind schon unterwegs«, sage ich und klappe den Fernsprecher wieder zu.

»Murat, dein Bruder hat angerufen. Ich glaube, die Heizung ist defekt.«

Doch der kleine Muck steht da wie an einer Südfruchtschlange in der DDR und glotzt sie an.

»Beeil dich, nimm die Sachen und komm!«, drängele ich und stoße ihn in die Rippen.

Er schmeißt seine Kippe weg und nölt, immer müsse er alles schleppen. Instinktiv verziehe ich das Gesicht und fasse mir ins Kreuz, halte ihm aber die Tür auf.

Nach etwa zwei Kilometern erreichen wir unseren Rapid. Er parkt mit dem rechten Hinterrad auf dem Bürgersteig in einer viel zu engen Lücke. Während Murat durch die Beifahrertür die schweren Malereimer nach hinten hievt, begutachte ich den Möwenschiss auf der Windschutzscheibe, überfliege das Knöllchen und klemme es beim Vordermann unter den Wischer.

Das Auto ist unser ganzer Stolz, ich habe es erst vor einer Woche bei einem Schwager des Arbeitskollegen seines Bruders gegen meine alte Taucheruhr getauscht. Seine Pizzeria lief nicht mehr gut, die Uhr auch nicht, und so war es ein lohnendes Geschäft. Murat nennt es gerne »Lebensabschnittsgefährt«, wo immer er das aufgeschnappt haben mag.

Jetzt prangen unsere Namen in dicken Lettern auf beiden Seiten, darunter Haushaltswarensonderposten und die Anschrift. Ich musste Tage lang mit ihm diskutieren, damit er alle Buchstaben von Renzos Pizzeria vom Wagen abknibbelt. Er wollte Renzo stehenlassen und HaushaltswaRENZOnderposten daraus machen. Auf der Heckklappe grinst aber nach wie vor der fette Schwager mit einem Pizzaschieber in der Hand. Keine Ahnung, was Murat sich dabei gedacht hat, der kann da jedenfalls nicht bleiben!

»Diese Frau«, beginnt er im Auto noch einmal, »kennst du sie?«

»Oh ja, schon viele Jahre!«

»Ich muss sie wieder sehen! Sie ist so wunderschön!«

»Das war doch nur …«

Weiter komme ich nicht, denn er dreht das Radio auf und singt aus voller Kehle mit. Für mich klingt es wie das Vorspiel paarungsbereiter Murmeltiere.

Murat findet wie immer keinen Parkplatz vor unserem Geschäft und kurvt genervt um den Block. Bei der dritten Runde springe ich vor der Tür raus und laufe die paar Meter. Sein Bruder steht unter dem löchrigen Dach, knabbert Sonnenblumenkerne und spuckt die leeren Hülsen zu Boden. Wir unterhalten uns, ob Haushaltswarensonderposten nicht doch ein zu langes Wort ist. Wir könnten es auch einfach Renzos Lädchen nennen?! Er nickt und zeigt mir die angeschmorte Zuleitung vom Wasserkocher.

Endlich kommt Murat mit den beiden Eimern angeeiert. Er stellt sie ab und wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

»Wir sind spät dran«, sage ich zu ihm und gucke demonstrativ auf mein linkes Handgelenk, wo mich ein Stückchen helle Haut begrüßt. »Fang doch schon mal an, die Wände zu streichen. Ich besorge in der Zwischenzeit ein neues Kabel und lade die Nachbarn zu unserer Eröffnung nächste Woche ein!«

Was wäre, wenn Leonardo die Mona Lisa nicht gemalt hätte?

Quergefönt

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