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Tiernahrung

Am nächsten Tag will ich neue Sicherungen und einen Wasserkocher besorgen. Murat besteht darauf, mitzukommen, vielleicht träfen wir sie ja?! Ich überlege, ob wir noch mal in diesen netten Laden gehen, entscheide mich aber doch für Bijou Praktiker. Dann können wir auch die andere Farbe kaufen, die Türrahmen müssen dringend gestrichen werden!

Im Eingang laufen wir Renzo in die Arme. Er hat da einen kleinen Stand mit mediterranen Spezialitäten. Heute gebe es bei ihm auf alles 20%, verkündet er stolz. Sein Geschäft ginge gut, die Leute seien verrückt nach seinem eingelegten Gemüse.

Murat probiert gespannt eine Piri-Piri-Salsa. Hummerrot hustet er sich in die Faust.

»Hast du dich erkältet?«, frage ich besorgt.

Er nickt mit dem Kopf.

Renzo wiegt ihm daraufhin eine Mordsportion in einem klaren Becher ab, wickelt schweinefarbenes Papier herum und packt sie in eine Tüte. Er tippt eine zweistellige Zahl ein, nimmt sein Handy von der Waage und stellt die Salsa auf die Glastheke.

»Und ein Fladenbrot umsonst, weil ihr es seid! Das macht genau fünfzehn Euro«, rechnet er uns vor, »ach ja, minus zwanzig Prozent, sind, äh, vierzehn-achtzig«, schiebt Renzo flott hinterher.

Murat zählt seine Finger durch und stutzt. Dann nestelt er zwischen einer Handvoll Dosenpfand ein zusammengerolltes Bündel aus seiner Hosentasche und reicht einen großen Schein über den Tresen.

Er flüstert mir zu: »So ein alter Gauner, der wollte mich glatt bescheißen!«

Mit zwei weißen Plastiktüten fahren wir auf einem endlosen Rollsteg ins Untergeschoss. Während Murat die Farben sucht, schlendere ich zu den Sonderposten und schaue mir einen Laubbläser an. Der hat ein sattes Grün und 3000 Watt.

»Boah«, denke ich, »ganz schön laut!«

In der Werkzeugabteilung entdecke ich einen Stromprüfer. Neugierig will ich wissen, ob der auch bei Niederspannung funktioniert und gucke mich nach einem Verkäufer um. Aber offenbar sind die alle hinten im Lager und schneiden die Stecker von den Elektrogeräten ab. Doch dafür kann man zwischen den Hochregalen den Preis sprechen hören. Ich nehme ihn trotzdem, er ist reduziert.

Am Autozubehör treffen wir uns wieder. Kritisch begutachte ich seinen Wagen, den er mit Farbeimern, einem Edelstahl-Wasserkocher, einer breiten Farbrolle und allerlei Schächtelchen vollgepackt hat.

»Was hast du denn damit vor?«, frage ich ihn und zeige auf die Knopfzellen.

»Oh«, meint Murat, »Renzo hatte kein Wechselgeld. Da hat er mir supergünstig diese Taucheruhr verkauft« und hält sie mir triumphierend unter die Nase. »Ich glaube, da ist nur die Batterie alle!«

An der Zahlstelle ist wie immer die Hölle los. Die Aushilfskassiererin kann Styropor nicht von Porenbeton unterscheiden und tippt für den Spannungsprüfer doch den Originalpreis ein. Bis endlich die Bankenaufsicht kommt, ist Arminia Bielefeld einmal auf- und einmal abgestiegen.

Am Imbiss draußen kaufen wir zwei halbe Hähne, beobachten Renzo und rauchen getragene Schuhe.

Noch drei Tage bis zur Eröffnung. Murat ist echt fleißig. Er ackert und schuftet von früh bis spät, streicht die Wände und tapeziert die Türen.

Ich lade die anderen Ladenbesitzer ein, auch die Bio-Orange von gegenüber, und verteile Zettel an die Passanten. Beim Kabelbaron finde ich tatsächlich Holzspatel. Ich tausche die verschmorte Zuleitung um und bekomme einen putzigen Krümelsauger in Form eines kleinen Marienkäfers als Entschädigung. Die Taucheruhr schwatze ich Murat gegen die Zigaretten wieder ab. Ich schraube den Boden auf und will die alte Batterie mit dem Spannungsprüfer testen, weiß aber nicht, wie das geht. Kurzentschlossen wechsele ich sie einfach aus, Murat hat ja zum Glück noch neue. Er braucht die ja nicht mehr.

Um Mitternacht ist er endlich fertig mit den Fußleisten, die Uhr piept. Klasse! Ich schnorre mir eine von seinen Nikotinröhrchen und schicke ihn nach Hause. Erschöpft ziehe ich das Buschfeuer in meine Lungen. Ich sitze da und probiere den Marienkäfer aus. Er schafft sogar ganze Maiskörner. An einer Olive verschluckt er sich röchelnd, ich muss ihn notgedrungen zurückbringen.

Mir schießt in den Sinn, dass ich Murat versprochen habe, sauber zu machen, damit er unsere große Lieferung gleich einräumen kann. Ich hole den Laubbläser aus dem Auto und fange an.

Zufrieden über mein gestriges Tagewerk lade ich ihn am nächsten Morgen auf einen Kaffee beim SB-Bäcker ein. Und da passiert es:

Unerwartet blicke ich in ein Lächeln, weich wie der erste Kuss und zart wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.

Verdattert schaue ich mich um. Doch da ist niemand außer mir und Murat und der stöbert in einer Ecke in Heimwerkerzeitschriften.

Dieses Lächeln gilt also mir?! Umso schlimmer! Was mache ich denn jetzt? Wie sehe ich überhaupt aus? Seit Ewigkeiten nicht rasiert, die Haare zottelig wie ein Fraggle. Und nun so was! Ausgerechnet! Es gibt sieben andere Tage in der Woche, da fühle ich mich attraktiver!

Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre sie mit offenem Mund aus etwa einem Meter Entfernung an. Sie hält meinem Kuckucksblick unerschrocken stand.

PFUMP! Es knistert und knallt in meinem Kopf, Gefühle explodieren in bunten Farben. Alle Geräusche verschwinden in einem vergessenen Geruch von Nähe.

PFUMP! Sie wirbelt altvertraute Erinnerungen in mir auf. Für einen Moment denke ich, ihre Stimme zu kennen oder ihr schon mal als Ameise begegnet zu sein.

PFUMP! Ihre Augen blicken direkt in mein Epizentrum der Begierde und der Neugier.

PFUMP! Ich bin Feuer und Flamme, gründe in der Phantasie eine Familie, habe den besten Sex meines Lebens.

Gedankenverloren höre ich nicht, wie hinter mir die automatische Tür aufgeht.

Jähzornig stößt mich der grauhaarige Holzspatel mit der Kraft der zwei Herzen an. »Junger Mann, das ist hier kein Stehimbiss! Wollen Sie jetzt bestellen?«

Ich schrecke hoch.

Plötzlich steht Murat neben mir, legt mit einem kühlen Lächeln eine Ausgabe von Selbst gedacht, leicht gemacht auf die Theke und sagt: »Hallo Ayse, zwei Kaffee bitte!«

Meine Taucheruhr piept und zeigt die Fehlfunktion meines Sprachzentrums an. »Warmmacha kaputt!« stammele ich mit rotem Kopf wie nach einem Esslöffel von Murats Salsa.

Ayse blinzelt kurz, als habe sie einen Regentropfen abbekommen. Dann huscht wieder die warme Sonne des Frühlings über ihr Gesicht – und ich kann gar nichts dagegen tun.

Was wäre, wenn Adam und Eva sich nicht verliebt hätten?

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