Читать книгу Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises - Frank Berger - Страница 10

FORTSETZUNG DER ERSCHLIESSUNGSFAHRTEN 1868

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Nach vierjährigen Kartierungsarbeiten im Ortlergebiet kam Payer zurück nach Welschtirol. Er plante die Fortsetzung und Ergänzung seiner Erschließungsfahrten des Jahres 1864 in der Adamello- und Presanellagruppe. Während der ganzen Unternehmung des Jahres 1868 konnte er auf die Mitwirkung von drei erfahrenen Bergsteigern aus dem Kaiserjägerregiment zurückgreifen, auf Haller, Coronna und Griesmayer. Mit diesen drei bewährten Helfern begab sich Payer vom Ortler in das Val di Genova. In Bedole nahm er zusätzlich den einheimischen Jäger Luigi Fantoma (1819–1896) aus Strembo in Dienst. Fantoma, genannt „Der König des Genovatals“ („Re di Genova“) war eine schwarze, wilde, räuberhafte Gestalt, in Gemsenfelle gehüllt. Ohne Verlegenheit kannte er jeden Berg beim Namen und behauptete, schon 23 Bären und 176 Gemsen geschossen zu haben, obwohl er bei gemeinsamen Schießübungen immer als Schlechtester abschnitt.

Es regnete im August tagelang, nur am 24. August konnte, begleitet vom ständigen Jammern des Führers Fantoma, die Besteigung des Monte Menicigolo (2685 m) in Angriff genommen werden. Als weiteren Begleiter auf den Bergtouren hatte Payer einen Hund angeschafft. Dieses Tier trug sechs paar Steigeisen auf dem Rücken, was ihm das Aussehen eines überdimensionierten Igels gab. Gegen Mittag standen sie auf dem Menicigolo. Der Ausblick vom Gipfel beeindruckt Payer sehr. Seine auch hier sehr bildhafte Schilderung zeigt die Begeisterung: „Nicht leicht kann es Örtlichkeiten geben wie im Adamellogebirge, die den dämonischen Ernst erkennen lassen, welcher in grauenhaften Wänden und plötzlichen, ungeheuren Abstürzen liegt, die Seele mächtig erfasst und den Willen stählt. Hier sucht das Auge vergeblich nach jenen sanften Hängen, hoch hinauf beweidet, und den verfallenen Felsstufen, wie sie die Schieferzone kennzeichnen. Alles rings ist starr, die Linie plötzlich gebrochen, jeder Bach ein Wasserfall; der Presanellazug bildet ein Felsmassiv von den Gipfeln bis zur Talsohle Genovas, in welches der Menicigolo in einem unübersehbaren Gewirre hinabfällt. Seine fast ununterbrochene Nordwand bildet eine 3600 Fuß hohe Felswand. Gegenüber der ungeheure, dem Madatschberg Trafois ähnliche Felsblock der Lobbia bassa, welch ein Anblick!“ Der Abstieg wurde schwieriger als der Aufstieg und gegen 17 Uhr erreichte die Gruppe die Malga Stablel. Wieder folgten drei Tage Regen und das in der kostbarsten Zeit des Jahres.


Die Lobbia Bassa zwischen Lobbiagletscher (links) und Mandrongletscher, rechts Corno Bianco und Adamello, aquarellierte Zeichnung 1864 (PGM Ergänzungsheft 17)

Nach einer Übernachtung unterhalb des Gipfels am 29. August stand Payer schon um 5.30 Uhr früh auf der Cima del Tamalé (2578 m) und bestieg tags darauf die Cima delle Rocchette (3235 m). Danach übernachteten sie in der Malga Muta und gingen am Morgen hinauf zur Malga Stablel. Ziel des Tages war der Monte Stablel, wohin der Weg nur durch mühsames Steigen über klippige Grate und über schiefe, von Abgründen scharf begrenzte Platten möglich war. Jenseits des Canalone di Matterot schien ein Weiterkommen unmöglich. In dieser Situation stieg Johann Haller mit größter Verwegenheit eine Wand empor, ließ sein Gepäck oben und half jedem Einzelnen beim Aufstieg. Haller erwies sich hier als der beste Bergsteiger der Gruppe. Um 8.30 Uhr morgens des 1. September standen sie auf dem Monte Stablel (2864 m), einem Felszahn von nur einem Quadratklafter (knapp 4 qm) Fläche. Auf diesem winzigen Plateau musste Payer mehrstündige Messungen vornehmen. Am 3. September bestieg die Gruppe morgens über die bequem zu gehende Vedretta di Lares den Crozzon di Lares (3351 m), am Nachmittag das Corno di Cavento (3401 m) und am frühen Abend um 19 Uhr den Carè Alto (3462 m). Hier fand sich ein Steinmann mit Notiz, den der englische Bergpionier John Tyndall errichtet hatte. Nach einem unerquicklichen Marsch in der Dunkelheit, vorbei an Eisspalten und Geröllhängen, konnten Payers Männer endlich kurz vor Mitternacht das Nachtmahl in der unteren Malga des Val Lares einnehmen.

Am 4. September stieg die Gruppe hinab in das Genovatal. Payer schlug hier zur Erholung im Gebüsch ein Lager auf und schickte die Jäger zur Ergänzung der Lebensmittel nach Pinzolo. Plötzlich stand der bekannte Alpinist Dr. Anton von Ruthner (1817–1897) vor ihm, begleitet von seinem alten Führer und Freund Johann Pinggera. Sie kehrten umgehend in der Malga Muta der Familie Botteri ein, wo sie zu „Rigipreisen“ bewirtet wurden. Ruthner bestieg im Anschluss daran mit Haller und Pinggera die Presanella.

Julius Payer litt unter einem Magenkatarrh, wozu nun auch noch eine Durchfallerkrankung kam, die ihn sehr schwächte. Je zwei Jäger schleppten ihn am 7. September zum Passo Lago Scuro, seilten ihn an und zogen ihn über Trümmer und Felsen, „wie man ein Schiff stromaufwärts schafft“ (Payer), auf den spitzen Gipfel des Corno Lago Scuro (3140 m). Auf gleiche Weise „schleifte man mich auf den Monte Pisgana (Rohrspitze)“ (3154 m). Auf diesem Grat, den Payer halb ohnmächtig und unter Schmerzen passierte, sollte sein Name in die alpinistische Namengebung eingehen. Südwestlich des Passo di Lago Scuro befindet sich, verbunden durch einen Grat von 300 Metern Länge, die Cima Payer (3056 m), von der aus es zum Passo Payer (2978 m) hinabgeht. Östlich unterhalb des Passo Payer liegt der Lago Scuro und südlich dieses Sees, unweit der Rifugio Mandron, das „Centro Studi Glaciologico Julius Payer“. Auf diese Weise ist das Andenken Payers noch heute im obersten Val Genova lebendig. Payers Weg führte am Abend nach Ponte di Legno, wo ein einfaches Mittel, Opium, Payers Gesundheit wiederherstellte.

Der Anmarsch für die nächste Unternehmung ging von Ponte di Legno über Prevale in das Val d`Avio. Payer und seine Begleiter übernachteten in der vorletzten Hütte des Avio, oberhalb des Lago d`Avio. Am 9. September wurde bei klarem Wetter der Monte Veneroccolo (3315 m) bestiegen. Nach 21/2-stündiger Arbeit auf der platten Kuppe ging Payer nur mit Haller und Coronna über die Vedretta Venezia zum Monte Mandron (3285 m). Um die Aufnahme des obersten Mandrongebietes abzuschließen, ging Payer in großer Eile quer über den Mandrongletscher und stand um 5 Uhr nachmittags auf dem spitzen Gipfel der Lobbia Alta (3191 m). Steil hinab über den Mandrongletscher kamen sie in Finsternis um 21 Uhr an die Mandronhütte, wo Griesmayer schon das Nachtlager und ein gebratenes Schneehuhn vorbereitet hatte.

Am 10. September stiegen Payer, Haller und Coronna auf die Lobbia Bassa (2956 m), genossen einen Ausblick auf die wilde Pracht der umgebenden Felslandschaften und kehrten zur Mandronhütte zurück. Am 11. September gelangten die Bergsteiger bei günstigem Wetter auf das große Plateau der Cima del Cigolon (3048 m). Dann kamen Wolken auf, die Payer aber nicht daran hinderten, über ein steiles Eisfeld im Nebel den Felsgipfel Croz Val Cigola, die heutige Cima Presena (3066 m), zu besteigen. Ein Rückweg nach Bedole über den Passo dei Segni misslang, daher stiegen sie über die Scharte des Passo della Ronchina durch das Val Ronchina zur Malga Bedole ab.

Am 12. September begann ein für die Südalpen und Italien verheerendes Unwetter, das Überschwemmungen und Zerstörungen mit sich brachte. Bei ununterbrochenem Regen harrte Payer bis zum 9. Oktober in Pinzolo aus. Denn zur Beendigung der Vermessung dieses Gebiets bedurfte es noch der Besteigung einiger Gipfel. Die einmonatige Regenzeit stellte Payers ohnehin nicht sehr ausgeprägte Geduld auf eine harte Probe, wie er selbst einräumte. Zu seinem Überdruss meldete sich auch noch das Magenleiden zurück.

Erst am 11. Oktober klarte es auf und Payer konnte das „Gemsenleben“ wieder aufnehmen. Die Gruppe ging das Cercental aufwärts zum Cercenpass und wandte sich nach Westen zum Monte Cercen (3280 m). Am 13. Oktober stiegen die Männer nochmals das Cercental aufwärts über den Cercenpass, um den imposanten Monte Gabbiolo (3458 m) zu besteigen. Die tiefen Temperaturen von bis zu minus 15 Grad ließen die Steigeisen an den Schuhen festfrieren, dennoch arbeitete Payer fünf Stunden an Theodolit und Messtisch. Der gutherzige Haller schleppte ihn fast mit Gewalt zum wärmenden Feuer. Um 17.30 Uhr waren sie zurück in Bedole. Die letzte Besteigung im Presanellagebiet, überhaupt die letzte Unternehmung Payers in Welschtirol, erfolgte am 15. Oktober. Es ging um das Folgoridagebiet. In den drei Stunden von 5 bis 8 Uhr morgens bestiegen Payers Männer den Crozzon di Folgorida (3079 m). Zähneklappernd und zu leicht gekleidet in der Kälte konnte Payer die Metallgeräte kaum noch anfassen. Es war höchste Zeit, die Bergbesteigungen für dieses Jahr einzustellen. Am nächsten Tag beendete Payer oberhalb der Malga Muta seine topografischen Arbeiten. Am 17. Oktober erfolgte der Abmarsch von Pinzolo nach Tione. Einen Tag später in Trient entließ Payer Coronna in seine Heimat Primiero. In Bozen verabschiedete er sich von Griesmayer und Haller, beide ausgestattet mit sehr empfehlenden Dienstzeugnissen.


Johann Haller, Bergsteiger aus St. Leonhard im Passeier, Foto 1872 (Höbenreich 2007)

In den Jahren 1864 und 1868 bestieg Payer insgesamt 36 Gipfel im Adamello-Presanella-Gebiet. Dabei handelte es sich 21-mal um Erstbesteigungen. Die beiden Unternehmungen des Jahres 1868 erschienen unter dem Titel: „Die Aufnahme der centralen Ortler-Alpen. (Gebiete: Martell, Laas und Saent); nebst einem Anhange zu den Adamello-Presanella-Alpen des Ergänzungsheftes 19“, erschien als Ergänzungsheft 31 der „Geographischen Mittheilungen“, Gotha 1872, 36 Seiten mit einer Karte 1:56.000 und einer Ansicht. Mit diesen beiden Besteigungs- und Kartierungsunternehmungen wurde Julius Payer zum Pionier der Alpinistik in dieser wunderbaren italienischen Gebirgsregion.

Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises

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