Читать книгу Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises - Frank Berger - Страница 8
KAPITEL 2 ALPINISTISCHE ANFÄNGE: DAS GLOCKNERGEBIET
ОглавлениеWenn einem Alpinisten der Name Payer genannt wird, dann denkt er an die Blütezeit des klassischen deutschen Alpinismus. Waren noch Anton von Ruthner, J. A. Specht und Johann Jakob Weilemann die Bahnbrecher im mittleren 19. Jahrhundert, dann begann mit den 1860er-Jahren die Zeit der großen Erschließer und Bergeroberer. Diese Männer widmeten ihre Tätigkeit einer bestimmten Berggruppe. Mit einer Kette von Bergbesteigungen strebten sie die topografische und wissenschaftliche Erfassung sowie die touristische Erschließung ihres Alpenteils an. Hierzu gehören Namen wie Paul Grohmann und Franz Senn genauso wie die großen britischen Alpenklubisten Francis Fox Tuckett und Douglas William Freshfield. Neben diesen steht Payer in der ersten Reihe des Alpinismus.
Gewissermaßen als Prolog für einen atemberaubenden bergsteigerischen Werdegang machte Julius Payer als junger Leutnant 1862 seine ersten Erkundungen in den zwischen der Stadt Verona und dem Pasubio gelegenen Monti Lessini und am Monte Baldo (Müller 1956, S. 3). Sein erster Gipfel war die Cima Posta (2215 m), gefolgt vom Monte Pasubio (2232 m) und dem Corno d`Aquilio (1545 m), alles eher leichte Unternehmungen. Dennoch beabsichtigte er, diese Besteigungen zu publizieren. Er schickte Skizzen und beschreibende Texte seiner Wanderungen an die „Leipziger Illustrierte Zeitung“ mit Bitte um Abdruck gegen Honorar. Als Antwort musste er lesen, dass sich die Leserschaft nicht für das Gebirge interessiere.
An dieser Stelle zeigt sich jedoch, worauf Payer in der Zeit seines alpinistischen Wirkens Wert legte. Er strebte immer nach öffentlicher Wirkung und Anerkennung. Dabei kam ihm zugute, dass er ein Vielfachtalent war. Dem versierten Bergsteiger gelang es, seine Routen und Besteigungen exakt zu vermessen und kartografisch wiederzugeben. Die Fähigkeit des Zeichnens, vom Vater erlernt und in der Militärausbildung vertieft, ließ ihn allerorten exakte Skizzen und Zeichnungen anfertigen. Die Vermittlung seiner Unternehmungen wäre blass geblieben, hätte er nicht eine Sprache von großer Ausdruckskraft und Humor gehabt, verbunden mit literarischer Qualität. Seine Beschreibungen waren in den wissenschaftlichen Abschnitten sachlich, fachlich ambitioniert und präzise beschreibend. Payer beherrschte die Kommunikation mit seinen Lesern. Bei ihm folgte jeder alpinen Saison umgehend die Beschreibung und Auswertung der Ergebnisse, selbstverständlich unter Vorlage der neu erstellten Karte.
Die Monte Lissini nördlich von Verona. Bleistiftskizze Payers, 1863 (Unbekannt)
Corno d‘Acquilio, von Fosse (Sant‘Anna d’Alfaedo) aus gesehen, 1863 (Lehner 1920)
Einen Urlaub vom Heeresdienst im Jahre 1863 nutzte er, jetzt in Venedig stationiert, erstmals zu größeren alpinen Unternehmungen. Am 14. September 1863 bestieg Payer von Kals aus, in Begleitung der Führer Joseph Schnell nebst Hund und Peter Hutter, nach einer schwierigen Bergwanderung den Gipfel des Großglockners (3798 m). Er wählte eine außergewöhnliche Route, die mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Im selben Jahr bestieg er den Großvenediger (3662 m) und den Ahrnerkopf (3051 m). Die Laufbahn des Alpinisten Julius Payer hatte begonnen.
Nach erfolgter Großglocknerbesteigung wandte sich Payer durchaus unbescheiden an August Petermann (1822–1878), den führenden Geografen seiner Zeit. Petermann hatte 1855 eine eigene Zeitschrift, die „Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie“, kurz „Petermanns Geographische Mittheilungen“ (PGM), begründet. Sofort stieg die Publikation zur bedeutendsten geografischen Zeitschrift der Welt auf. Petermanns besondere Anliegen waren die Erforschung Afrikas und der Polargebiete. Es sprach für Payers publizistischen Ehrgeiz, seine Beschreibungen ausgerechnet an dieser Stelle gedruckt sehen zu wollen. Petermann nahm das Ansinnen an. Er konnte offenbar in den textlichen Schilderungen und den topografischen Leistungen des 22-jährigen Leutnants der Infanterie das Potential für eine künftige Bergsteigerlegende erkennen.
Großglockner mit Besteigungsroute (PGM 1864)
Detailzeichnung der Glocknerspitze (PGM 1864)
Großvenediger, Bleistiftskizze 1863 (Steinitzer 1924)
Payers Erstlingsaufsatz trägt den Titel: „Eine Besteigung des Gross-Glockner von Kals aus, im September 1863“. Er erschien im Umfang von elf zweispaltig bedruckten Seiten in den „Geographischen Mittheilungen“ des Jahres 1864. Zum Aufsatz gehörte eine Tafel mit fünf Ansichten und einem Übersichtskärtchen. Damit befand sich Payer bereits auf dem Olymp der geografischen Publizistik. Denn in dieser Zeitschrift waren auch epochale Entdeckungen wie die Erreichung Timbuktus durch Heinrich Barth oder die Entdeckung des Victoria-Sees durch John Speke erstmals publizistisch aufgearbeitet worden. Auch Payer sollte binnen eines Jahrzehnts eine Vielzahl von Berichten über die Entdeckung neuer Berge, Länder und Meere in der angesehenen Zeitschrift unterbringen.
Voller Dankbarkeit nannte Julius Payer später August Petermann seinen „Civil-Protektor“, neben seinem militärischen Protektor General Kuhn. Petermann öffnete ihm die Tür zur wissenschaftlichen Geografie. Er druckte wohlwollend alle weiteren alpinen Ergebnisse und Beobachtungen seines Schützlings. Und Petermann war es auch, der Payer 1868 die Teilnahme an einer arktischen Expedition vermittelte: ein für das Leben Payers bedeutendes Ereignis. In seinen späteren Jahren wies Payer immer wieder darauf hin, dass er seine alpinen und polaren Erfolge maßgeblich, wenn nicht ausschließlich, seinen beiden Protektoren Petermann und Kuhn zu verdanken habe. Payer war auf seine Leistung im Gebiet der Glocknergruppe mehr als nur stolz. Entsprechend begann er seinen Aufsatz weit ausholend und mit pompösen Worten:
Dreiherrnspitze vom Ahrner Kopf, Bleistiftskizze auf Sepiapapier mit weißer Lasierung 1863 (Lehner 1924)
„Allen Hindernissen trotzend treibt der Forschungs- und Wissenschaftsdrang den Menschen in immer neue unbekannte Gebiete unseres Erdballs; bald wird es keinen undurchsuchten Winkel der Meere und Länder mehr geben. Unbefriedigt, nur etwas und nicht alles zu wissen, durchschifft der kühne Seefahrer die Polar-Meere, durchzieht der Reisende die brennenden Wüsten Afrika’s wie die endlosen Urwälder Amerika’s, besteigt die höchsten Gebirge, um entweder durch die Krater in die Eingeweide der Erde zu blicken oder auf Gletscher-Wanderungen der Natur ihre Geheimnisse abzulauschen und aus dem Baue und der Beschaffenheit der kolossalen Erdgerüste die Art ihrer Entstehung und Bildung, überhaupt das ‚Werden‘ zu errathen. Und überall, wohin die Märtyrer der Wissenschaft die Pfade getreten, folgen die anderen nach, diesen und nicht jenen fällt der Nutzen in den Schooss.“
August Petermann, Initiator der deutsch-österreichischen Polar-Expeditionen (Holzstich F. Berger)
Dieser Auftakt von Payers wissenschaftlicher Publizistik beschreibt sein persönliches Programm. Er wollte noch verbliebene neue Gebiete der Erde entdecken, bevor es keine mehr gab. Im Kopf saß unverrückbar John Franklin, das Idol seiner Jugendlektüre. Aber voran stand das Näherliegende, die Besteigung hoher Berge und Wanderungen über die Gletscher. Es sollte sich zeigen, dass bei Payer die Durchschiffung der Polarmeere der Erforschung eines Alpengebietes folgte.
Im Anschluss auf seine ambitionierte Einleitung kam Payer auf die Schönheit der Alpen im Allgemeinen zu sprechen, um schließlich beim Gegenstand seines Aufsatzes, der Großglockner-Gruppe, anzukommen. Payers gute und genaue Schilderung beginnt mit einem geografischen Überblick des gesamten Glocknerstocks. Er erörterte die Geologie dieses Alpenteils und beschrieb die verschiedenen Routen auf den Gipfel. Seinen eigenen Aufstieg schilderte er lebhaft und plastisch, ja geradezu packend und sprachlich anschaulich. Dieser Bericht und die Skizzen dürften August Petermann gefallen haben, der in Payer den guten Zeichner und Topografen erkannte. Hinzu kam sein lebhafter literarischer Stil. Petermann ermutigte den jungen Leutnant, sich noch intensiver der Erforschung der Hochalpen zu widmen (Müller 1956, S. 3f.). Petermanns vielfach erprobte Motivationskunst brachte es auch in diesem Fall zustande, dem zukünftigen großen Entdecker alpiner Gipfel und polarer Landschaften den Weg zu weisen.