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DAS TRAFOIER GEBIET (1866)

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August Petermann war aufs Neue höchst angetan von der wissenschaftlichen und literarischen Qualität von Payers Arbeit. Ihm, dem nahezu tagtäglich Expeditionsberichte vorgelegt wurden, gefielen besonders die prächtig gezeichnete Spezialkarte und die künstlerisch ausgeführte Ansicht der Königspitze. Er rühmte Payer in seiner Zeitschrift wegen seines glühenden, alle Gefahren und Mühen verachtenden Enthusiasmus ebenso wie für die Gründlichkeit seiner Forschertätigkeit. Payer kündigte ihm bei der Übersendung des Manuskripts an, dass er heuer, also 1866, das Trafoier Gebiet des Ortlers durchforschen wolle. Doch im Juni stand der unselige, von Bismarck vom Zaun gebrochene, deutsche Bruderkrieg vor der Tür. Petermann, und nicht nur er, hielt diesen Krieg für verhängnisvoll und hatte Angst um das Leben Julius Payers: „Möge die gütige Vorsehung diesen eifrigen Beförderer der Spezial-Geografie vor dem Schicksal bewahren, ein Opfer der traurigen politischen Verhältnisse zu werden.“ (PGM 1866, S. 237f.)

Payer überstand den Krieg unbeschadet. In Laibach konnte er am 1. September 1866 das Heer verlassen und, wie er sich ausdrückte, „das Schwert mit dem Alpenstock vertauschen“. Er reiste über Marburg, Villach, Lienz, Brixen, Bozen und Meran nach Prad, wo er am 8. September ankam. Hier traf er auf heimkehrende Heereseinheiten, das 2. Bataillon der Kaiserjäger, die Kompanien der Tiroler Landesschützen und die Armee Liechtensteins, welche das Stilfser Joch erfolgreich gegen überlegene italienische Kräfte verteidigt hatten. Während der Vorbereitungen in Prad kam sein bewährter Führer Johann Pinggera aus dem Suldental zu ihm und freute sich, den Herrn Leutnant unverletzt wiederzusehen. Pinggera war laut Payer der einzige verlässliche Führer des Ortlergebietes, von reger Sorge für den Reisenden und mit einer seltenen Orientierungsgabe versehen. Seine besondere Liebe galt dem Eis und steilen Schneewänden, wogegen er den Felsen eher mit misstrauischer Vorsicht begegnete. Payer schrieb über ihn: „Im Übrigen besitzt er eine überraschende Ähnlichkeit mit Pipin dem Kurzen.“

Am 10. September stiegen Payer und Pinggera von Trafoi zur Franzenshöhe auf. Am 11. September gingen sie zum Stilfser Joch und trafen dort einen 30 Mann starken italienischen Vorposten an. Trotz der jüngsten Kriegsereignisse verkehrten die ehemaligen Kriegsgegner heiter und freundlich miteinander. Der Tag sah noch die Besteigung des Monte Scorluzzo (3111 m). Am 12. September erklommen Payer und Pinggera von der Franzenshöhe aus bei nebeligem Wetter die Tuckettspitze (3465 m). Die nächsten Tage war das Wetter schlecht. Zudem plagte Payer am 13. September eine Augenentzündung. Er wanderte herauf nach St. Gertraud. Hier erlebte er am 14. September die Rückkehr eines Engländers vom Ortlergipfel, den die Führer Joseph und Veit Reinstadler begleitet hatten. Payer begab sich zum Suldenferner und mit Pinggera zurück zur Franzenshöhe. Am 15. September hielt ihn schlechtes Wetter am Gletscherende bei den Heiligen Drei Brunnen zurück. Tags darauf war er im Regen mit Pinggera am unteren Ortlerferner. Nicht besser war es am 17. September, bei Regen waren sie am Madatschferner und übernachteten auf der Franzenshöhe. Am nächsten Tag gingen sie im Schneetreiben zurück nach Trafoi. An der Schwarzen Wand fertigte Payer am 19. September die Skizze für das Titelbild der gedruckten Ausgabe der an. Bis zu diesem Tag war das Wetter schlecht.

Am 20. September bildete sich eine größere Bergsteigergruppe mit Leutnant Radinger vom Kaiserjägerregiment, dessen Bergführer Johann Thöni, Julius Payer und Johann Pinggera. Die beiden Ersteren erwiesen sich in den folgenden Tagen als erheblich schwächer als das bewährte Gespann. Alle verließen Trafoi um 4.45 Uhr, erreichten um 11.45 Uhr das Trafoier Joch und standen um 12.30 Uhr zu viert auf der Schneeglocke (3439 m). Die Wirtin von Trafoi konnte jeden Schritt der Gruppe mit dem Fernglas verfolgen, wie sie später erzählte. Das Weinfässchen, das sie den Männern mitgegeben hatte, wurde um 14 Uhr mittags geleert und gab den Bergsteigern neue Kraft („tat Wunder“).

Der Abstieg ging in den Kessel des Val Marmotta. Am Abend schliefen sie auf den harten Brettern der Malga des Val Zebru. Am 21. September sollte der Monte Zebru erstiegen werden, wobei Radinger und Thöni darauf verzichteten, den Berg umgingen und am Ortlerpass warteten. Payer und Pinggera gerieten freilich in dichten Nebel, an unübersteigbare Felsen und glatte Eiswände, so dass sie sich gegen die Fortsetzung der Ersteigung entschieden. Auch der Abstieg erwies sich als Irrfahrt im wilden Chaos der Eisbarrieren. Sie trafen Radinger und Thöni um 13 Uhr am Ortlerpass, kamen gegen 17.30 Uhr zu den Heiligen Drei Brunnen und kehrten nach Trafoi zurück. Payer begab sich am 22. September nach Prad und ging zurück nach Gomagoi. Am folgenden Tag ging er hoch nach Trafoi und zum unteren Ortlerferner. Schlechtes Wetter verhinderte am 24. September jegliche Exkursion, so dass der Tag mit Kartierungsarbeiten ausgefüllt wurde.


Ortler von der Schwarzen Wand aus, aquarellierte Zeichnung von Moritz Menzinger nach einer Zeichnung von Julius Payer 1866 (PGM Ergänzungsheft 23, 1868)

Nach diesen drei Tagen schlechten Wetters stieg Payer am 25. September von seinem Trafoier Wirtshaus aus mit Georg Thöni vom Kaiserjägerregiment – denn Pinggera kam zu spät – über den Madatschferner auf die Vordere Madatschspitze (3107 m). Den nächsten Tag verbrachte er bei schlechtem Wetter in Trafoi. Am 27. September ging Payer mit Pinggera von Trafoi aus zur Franzenshöhe und über den Ebenferner zur Geisterspitze (3463 m), deren Gipfel um 11.15 Uhr erreicht wurde. Von dort erklommen sie entlang des Naglerkamms die Naglerspitze (3257 m) und waren um 18 Uhr zurück an der Franzenshöhe. Am 28. September bestiegen Payer und Pinggera von Trafoi aus die höchste Kristallspitze (3496 m) und eine halbe Stunde später den kleinsten Kristallgipfel. Über das Madatschjoch, die Vedretta Cristallo und das Gansjoch langten sie um 16.30 Uhr nachmittags wieder in der letzten Malga des Val Zebru an.

Am 29. September wurde der Monte Zebru erneut in Angriff genommen. Sie brachen um 5.30 Uhr in der Malga auf und gingen zum Südfuß des Zebru. Um 10 Uhr standen sie am höchsten Punkt. Den Rückweg traten sie über die nie zuvor begangene Hochwand an, herab durch eine kolossale Schneewand in den Kessel des Suldenferners. Payer und Pinggera kamen um 16.15 Uhr zum Gampenhof, wo Pinggera seine Geliebte mit dem Einfahren von Heu beschäftigt fand. In einem Akt christlicher Nächstenliebe gönnte Payer ihm mit dem hübschen Dirndl eine halbe Stunde für „dolcissima relazione“. Über St. Gertraud, wo der Wein des Curaten Eller genossen werden konnte, gingen sie anschließend zu Pinggeras Wohnung im Oberthurnhof. Am 30. September war Payer zurück in Trafoi. Den 1. Oktober bestimmte Payer mit Florian Ortler, einem Sohn der Wirtin, und Georg Thöni zur Besteigung der Mittleren Madatschspitze (3364 m). Denn Pinggera war wieder zu spät. Um 12 Uhr standen sie auf dem Gipfel, wo sich Payer 2¼ Stunden für Arbeiten gönnte. Um 18.45 Uhr waren sie zurück in Trafoi. Tags drauf bestieg Payer mit Pinggera die Hochleitenspitze (2793 m), wo er sich sechs Stunden mit Vermessungsarbeiten beschäftigte.

Wieder wurde das Wetter schlecht, wurden die Tage zudem spürbar kürzer. Den 3. Oktober regnete es, am 4. Oktober arbeitete Payer bei der Cantoniera del Bosco und am 5. Oktober hatte er in Prad zu tun. Am 6. Oktober verließen Payer und Pinggera um 5.30 Uhr früh Trafoi, um den Großen Eiskogel (3580 m) zu besteigen. Die Route dorthin führte sie nicht über den Ortlerpass, sondern über den kleinen Eiskogel. Auf dem Gipfel des Großen Eiskogel um 13 Uhr stehend, erwies es sich als schon zu spät, um noch die Thurwieserspitze in Angriff zu nehmen. Payer leerte noch eine letzte Flasche Wein in einem Zug, was ihn in heitere, aber auch lockere Stimmung versetzte. Mit sorglosem Gang bewegte er sich über eine mehrere hundert Meter lange Schneide, glitt aus und stürzte den Hang herunter. Pinggera hatte das kommen sehen, und so wurde Payer von ihm mit Seil davor bewahrt, auf den Unteren Ortlerferner herabzustürzen. Zu Recht musste er sich Pinggeras Vorwürfe anhören. Um 18.15 Uhr waren sie zurück in Trafoi.

Am 7. Oktober ging Payer nochmals nach Prad. Am nächsten Tag unternahmen Payer und Pinggera die letzte Besteigung des Jahres, zur Kor- und Rötlspitze. Nach leichtem Aufstieg standen sie bereits um 7.45 Uhr auf der Korspitze (2928 m) und hatten einen großartigen Ausblick. Payer arbeitete hier 5½ Stunden lang. Pinggera machte Feuer mit dem Holz einer alten Hütte und bereitete ein Mahl aus Kalterer Seewein, Speck, Salami und Brot. Sie verließen den Gipfel um 13.15 Uhr und standen eine halbe Stunde später auf der Rötlspitze (3023 m), die sich auf Schweizer Territorium befindet. Von dort stiegen sie ab nach Trafoi. Am 9. Oktober war Payer in der Cantoniera del Bosco, wo er seine Karte bearbeiten ließ. Zur Abreise aus dem Tal am 10. Oktober verabschiedete ihn Johann Pinggera in seinem Sonntagsanzug. Die Wirtin Barbara Ortler verehrte ihm einen Tropfen ihres besten Weines. Mittags war er in Prad und um 20.30 Uhr abends in Mals. Über München begab sich Payer diesmal in das heimische Teplitz.

Die Aufnahme der westlichen Ortler-Alpen (Trafoier Gebiet) erschien als Ergänzungsheft 23 der „Geographischen Mittheilungen“, Gotha 1868, im Umfang von 40 Seiten, mit einer Tafel und einer Karte 1:36.000.

Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises

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