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KAPITEL 3 ADAMELLO UND PRESANELLA (1864 UND 1868) PAYERS ERSTE KARTIERUNGSKAMPAGNE 1864

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Vor seinem Aufenthalt im Glocknergebiet hatte Payer im April 1863 eine Wanderung durch das Val Genova unternommen. Weit kam er nicht, weil abgegangene Lawinen das Tal an mehreren Stellen versperrten. Im folgenden Jahr untersuchte Payer die Adamello- und die Presanella-Gruppe. Diese beiden Gebirgsmassive werden durch das Val Genova getrennt, in dem die Sarca fließt. Das gesamte Gebiet war generell wenig erforscht und auch kartografisch kaum erfasst. Die höheren Regionen wurden von der örtlichen Bevölkerung weitgehend gemieden, da sich dort nur unwirtliches Land befand. Die Namengebung war widersprüchlich und steckte noch in den Anfängen. Viele Pässe und Gipfel trugen bis zu diesem Zeitpunkt keine Bezeichnungen und waren teilweise nie begangen worden.

Die ersten Schritte zur Erschließung unternahmen Anton von Ruthner, Carl Sonklar von Innstädten, John Ball und Albert Wachtler, etwa zeitgleich mit Payer, in den Jahren 1862 bis 1864. Wenige Tage vor Payer gelang Douglas William Freshfield die Erstbesteigung der Presanella. Doch die gründliche und systematische Beschreibung und Erforschung dieses schönen Ostalpengebiets blieb Payer vorbehalten, der dabei zahlreiche Erstbesteigungen durchführte. Es war überhaupt nur ein einziger einheimischer Bauer und Jäger namens Gerolamo Botteri (1812–1887), ein großer Mann von 50 Jahren, in der Lage, Payer Orientierung und Führung zu bieten. Und auch dieser war störrisch und eigenwillig wie so viele Begleiter in diesem Gebiet. Als Arbeitsmaterial verfügte Payer tatsächlich nur über einen Kompass und einfache Winkelmesser. Seil und Eisaxt standen nicht zur Verfügung, die fehlende Ausrüstung ersetzte Payer durch Mut und Tatkraft. Die Höhen schätzte er zunächst nur ein.

Die Gletscherlandschaft des Adamello übte auf Payer eine besondere Faszination aus. Die Gletscher lagen wie eine Polarlandschaft mit völliger Abwesenheit organischen Lebens vor ihm, vor Sonnenaufgang von schneidender Kälte durchzogen. Das Krachen und Bersten der Gletscher, der Wechsel des Erstarrens und Abschmelzens, faszinierten ihn. Ebenso das Zusammenspiel dieser Gletscherwelt mit den kolossal auftretenden Granitmassen. Dem größten Ferner des Adamello, der Vedretta del Madron, widmet er eine längere Betrachtung:

Der Gebirgszug der Presanella-Kette weicht deutlich vom Adamello ab. Hier fehlen die kolossalen Eismeere und hohen Gletscherplateaus. Auffallend bei der Presanella ist seine enorme Steilheit mit zackigen klippigen Kämmen, scharfen Vorsprüngen und raschen Abfällen. Das dazwischen gelegene Val di Genova vereint, so Payer, nahezu alle Erscheinungen der großartigsten Alpennatur.

Von Trient kommend, überquerte Payer zunächst die Brenta-Dolomiten. Am 4. September hatte Payer den Übergang über die Bocca di Brenta ausgeführt und kam nach Pinzolo am Ausgang des Val Genova. Dort organisierte er die Vorräte für mehrere Tage, vor allem Polentamehl, aber auch Brot, Käse, Salami, Kaffee, Zucker und Reis. Auf jeder Unternehmung führte Payer Branntwein und Wein in größeren Mengen mit sich. Die ansehnlichen Vorräte an geistigen Getränken wurden meist am späten Vormittag auf den Pässen und Gipfeln ausgetrunken. Die Abstiege geschahen aus diesem Grund mit einer Heiterkeit und manchmal auch einer Unvorsichtigkeit, die heute sehr erstaunt.

Von Pinzolo aus brach Julius Payer am 7. September mit den aus Strembo stammenden Führern Gerolamo Botteri und Giovanni Catturani auf, um den Adamello zu besteigen. In der Botteri gehörenden Malga Muta (einer Art Sennhütte) wurde ein Seil improvisiert, indem man mehrere kleine Stricke auf 35 m zusammenband. Hier verbrachte man auch die erste Nacht. Der Almknecht Antonio Bertoldi, genannt „Der Bär“ („Orso“), transportierte die Vorräte zur Malga Fargorida, wo erneut Nachtlager gehalten wurde. Der „Bär“ sollte auch auf den weiteren Bergtouren als Träger dienen. Nach verspätetem Aufbruch überstiegen sie den Passo delle Topette und standen vor dem Lobbiaferner. Da es zur Besteigung des Adamello schon zu spät war, bestieg Payer von Osten die nördliche Spitze des Dosson di Genova (3441 m), mit schwindelerregendem Blick auf den Mandronferner. Zurück über den Lobbiaferner passierten die Bergsteiger den Passo della Lobbia alta (3015 m) und rutschten hinab auf den Mandronferner. Der lange Abstieg zum Baito Mandron, einer winzigen verlassenen Hütte, geschah unter ständiger Auseinandersetzung mit seinen beiden italienischen Begleitern, was Payer grimmig-humorvoll beschreibt.


Ansicht von Molveno/Malfein, Bleistiftskizze 1864 (Lehner 1924)

Am Vormittag des 9. September zogen es Botteri und Catturani vor, sich der Gemsenjagd zu widmen und weigerten sich, Payer zu folgen. Also kletterte er allein, in lebensgefährlicher Steilheit, „reich an wahrhaft furchtbaren Einzelheiten und peinlichen Momenten“ und mit zitternden Gliedern auf den Corno di Lago Scuro (3166 m) und stand gegen 12 Uhr mittags auf dem Gipfel. Zwei der Führer kamen später noch nach. Sie traten den Abstieg über Bedole zur Malga Muta an, wo sie abends um 20.15 Uhr ankamen. Schon um 4 Uhr morgens standen sie auf und gingen, gezeichnet von den Anstrengungen, zurück nach Pinzolo.

Am 12. September ging Payer zur Malga Muta im Genovatal zurück und verharrte dort zwei Tage wegen schlechten Wetters. Am 14. September ging er mit den Führern zum Baito Mandron, um die Besteigung des Adamello in Angriff zu nehmen. Schon um drei Uhr morgens in der Dunkelheit brachen sie auf, um am folgenden 15. September den Adamello zu bezwingen. Das Frühstück bestand aus Polenta und Wein. Nach längerem Marsch über den Mandrongletscher bestiegen sie um 9 Uhr morgens zuerst den Corno Bianco (3477 m), den Payer zunächst für den Adamello hielt. Auf dem Gipfel offenbarte sich der Irrtum, denn der Adamello befand sich in Form eines steilen Eishorns noch zwei Einschnitte vom aktuellen Standpunkt entfernt. Unter Jubel erreichte Payer um 11.15 Uhr die Spitze des Adamello (3559 m) und genoss bei strahlendem Sonnenschein eine Aussicht von unendlicher Großartigkeit.


Passo della Lobbia Alta, von Payer am 8. September 1864 erstbegangen (F. Berger)

Die Eiswelt der Ortlergruppe lag vor seinen Augen und zog ihn unwiderstehlich an. Gegen Westen reichte die Sicht bis zum Großglockner und zum Monte Rosa. Nach knapp zwei Stunden, angefüllt mit topografischen Arbeiten, begann der Abstieg. Abends um 19.30 Uhr langten sie im Baito Mandron an. Die gesamte Besteigung hatte 151/2 Stunden in Anspruch genommen. Der 16. September sah den Abstieg ins Tal mit Entlassung und Bezahlung des „ungeschliffenen, unnützen“ Giovanni Catturani.


Vedretta del Mandron mit Corno Bianco, von Payer am 14. September 1864 auf dem Weg zum Adamello begangen (F. Berger)


Gipfel der Presanella, von Payer am 17. September 1864 als Zweiter bestiegen (F. Berger)

Nach kurzem Essen, Trinken und Reinigen erfolgte bei gutem Wetter bereits der Aufstieg Richtung Presanella bis zur zweiten Rocchetta-Hütte, die ebenfalls Botteri gehörte. Gehemmt durch Regen, brachen die Bergsteiger am 17. September erst um 8 Uhr zum Passo Scarazon delle Rocchette auf und sahen dahinter ins Nardistal hinab. Dieses durchquerend erstiegen sie mühsam den Monte Bianco. Witterung und Eishänge setzten den Führern stark zu, so dass Payer sie nur mit äußerster Mühe überreden konnte, weiterzugehen. Einige anspruchsvolle Felsen und eine Schneeschlucht trennten Payer noch von der Cima Presanella (3558 m), deren Gipfel um 15.15 Uhr bezwungen war.

Payer glaubte, die Presanella als Erster bestiegen zu haben, eine Hoffnung, die ein Steinmann zerstörte, der in einer Flasche zwei Visitenkarten enthielt. Die Engländer Richard Melvill Beachcroft, James Douglas Walker und Douglas William Freshfield nebst ihren Führern François Devouassoud und Vermiglio Bartolomeo Delpero hatten darauf notiert, dass sie die Presenella am 25. August 1864, also vier Wochen vor Payer, bestiegen hatten. Auch Payer steckte ein kleines Fläschchen in dieselbe Steinfigur, seinen und Botteris Namen enthaltend. Generell schätzte Payer die Besteigung der Presanella als weniger gefährlich als die des Adamello ein. Der Abstieg zusammen mit dem ob seiner Leistung stolzen Botteri erfolgte nahezu im Laufschritt und bereits im Dunkeln. Erst um 21.30 Uhr abends kamen sie zur Brücke an der Malga Muta im Genovatal.

Mit einer heftigen Entzündung an beiden Augen musste sich Payer hier erst einmal ausruhen. Eine Besteigung des Carè Alto am 18. September fiel krankheitshalber aus. Am 20. September verabschiedete sich Payer von dem am Ende doch zuverlässigen und redlichen Botteri und seiner Familie, schenkte dem „Bären“ seine defekte Hose und stieg hinab nach Pinzolo. Am nächsten Tag besuchte er noch den Nardis-Fall und Carisolo. Am 25. September trat Payer wieder den Dienst in seinem – wie er sich ausdrückte – „Steppen-Fort“ an der Brenta-Mündung an, dessen Räume ihm jetzt weniger gefielen als die kalten Steine am Mandronferner.

Im Heeresdienst im Lagunenfort von Choggia hatte Payer die Muße, seine Messungen und Zeichnungen auszuwerten. Sofort machte er sich an die Arbeit. Die Ergebnisse der 1864 erfolgten Aufnahmen der Adamello- und Presanellagruppe mit einer Karte im Maßstab 1:56.000 erschienen bereits 1865 im Ergänzungsheft 17 der „Geographischen Mittheilungen“ zu Gotha. Die großen Erfolge in der Adamellogruppe regten Payers Tatkraft mächtig an. Fortan richtete er seine Schwungkraft und Energie auf den Ortler. Eisern sparte er, um mit geringen Mitteln und knapp bemessener Zeit möglichst umfassend und präzise dieses Gebiet zu erschließen. Die Sommer der folgenden vier Jahre 1865 bis 1868 verbrachte er am Ortler, der Payers zweite Heimat werden sollte.

Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises

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