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Sonntag, 9. März
Wie ich mit einer schwarzen Gemeinde Polonaise tanze und als Jesus in eine Hochzeit platze

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Der Tag beginnt mit einem kanadischen Frühstück, Pfannkuchen und Ahornsirup. Unsere Gastgeber, die Stevensons, sind Kanadier, und das spielt mir natürlich in die Karten. Essen wie zu Hause mit der Familie. Als wir anschließend mit einer kleinen Gruppe durch die Slums von Motunga zu einem Einzimmergebäude mit dem obligatorischen Blechdach fahren, um einen Gottesdienst zu feiern, werden wir, auch schon obligatorisch, von einer Horde Kinder begrüßt. Wieder dieses Ritual im Gottesdienst: Alle Gäste werden einzeln vorgestellt und gebeten, ihre Geschichte zu erzählen. Mein Kommentar: „Ich bin hier, weil mein Sohn nicht mehr an Gott glauben kann, obwohl er ihn gerne treffen würde, und ich soll hier in Uganda nach ihm suchen!“ Das Statement wird interessiert, aber mit Unverständnis aufgenommen: „Wieso sollte jemand nicht an Gott glauben können? Der ist doch einfach überall!“

Ich lasse den Blick über die hier versammelten Menschen streifen. Sofort fallen mir die angelesenen Infos ein, die ich mir vor der Reise reingezogen habe: Überall in diesem eigentlich so wunderschönen Land herrscht Aids. Auch hier gibt es kaum eine Familie, die nicht betroffen ist. Was mich an diesem Morgen total berührt: Fast jede Familie in dieser kleinen Kirche hat Aidswaisen als Kinder angenommen!

Durch die schreckliche Krankheit fehlt fast eine ganze Generation.

Durch die schreckliche Krankheit fehlt fast eine ganze Generation,,aber hier sitzen (bzw. tanzen) Omas, Opas, Onkel und Tanten und ihre neuen Kinder – und feiern einen Gott, der so unglaublich gut zu ihnen ist.

Im Gottesdienst wird dann einer meiner Träume wahr: Ich darf mit einer afrikanischen Gemeinde und ganz vielen Kindern „When I think about his goodness“ („Wenn ich an Seine Güte denke“) singen. Mein Lieblings-Kinderaktions-Lied! Dabei wird natürlich eine verrückte afrikanische Polonaise getanzt. Irre! So ganz anders als die norddeutsche Variante, für die ich jetzt wohl für immer verloren sein werde.

Nach dem Gottesdienst geht es gleich weiter zu einer Verlobungsfeier. Wir kennen eigentlich niemanden dort, aber der Bräutigam gehört zu einer der Kirchen, die durch die Arbeit unserer Missionare gegründet worden ist. Und wenn die Missionare eingeladen sind, dann natürlich auch deren Gäste aus Deutschland.

Colleen hat extra verschiedene Sets von Kleidern für die Brautjungfern gesammelt und zusammengestellt. Für uns Männer befiehlt die Sitte bei so einer Feier, dass wir ein weißes Kleid unter einer Anzugsjacke tragen. Wir wechseln also an einer Tankstelle die Klamotten, was ungefähr zwei Stunden dauert. Da meine Anzugsjacke den Gepäcktransport nicht überlebt hat, sehe ich nur mit meinen langen Haaren und meinem Kleid von hinten aus wie eine deutsche Braut. Auf die Frage, wie viel Zeit wir denn für die Verlobung einplanen sollten, bekomme ich einen Vortrag gehalten, dass Zeit hier keine Rolle spiele. „Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen am besten einfach weg!“ Meine Frau würde es hier lieben.

Als wir ankommen, wird erst mal um den Preis der Braut gefeilscht. Diesmal ist sie zwei Kühe wert. Eine Sitte, die viele ugandische Kirchen bekämpfen, um das Statement zu setzen, dass Frauen kein Besitz sind. Viele Familien stürzen sich deswegen nämlich in unglaubliche Schulden, um die Familie der Braut mit Geschenken zu beeindrucken.

„Steck deine Uhr die nächsten drei Wochen einfach weg!“

Es gibt Geschichten von Großeltern, die mit Mitte 70 endlich genug Geld zusammenhaben, um zu heiraten. Oder Pärchen, die sich nur heimlich treffen, weil eine Hochzeit finanziell außer Reichweite ist, bis das Mädchen schließlich an einen Reicheren verheiratet wird. Oder eben Heiratswillige, die nie heiraten.

Der Umgang mit den vielen unverheiratet zusammenlebenden Paaren ist manchmal ein Problem für die Missionare. Die sind schließlich davon überzeugt, dass es eine Sünde ist, unverheiratet zusammenzuleben. Aber was sollen sie einem Paar raten, das sich eine Hochzeit schlichtweg nicht leisten kann und auch in absehbarer Zukunft nicht können wird?

Als Deutscher, der eine Kanadierin geheiratet und selbst 17 Jahre im Ausland gewohnt hat, versuche ich, andere Sitten und Bräuche nicht mehr mit „Bei uns ist es aber besser!“ zu kommentieren (dazu hat auch der ständige Widerspruch meiner Frau einen guten Teil beigetragen). Manche Traditionen und Gebräuche sind einfach über Jahrhunderte entstanden, und es ist unglaublich schwer, sie wieder loszuwerden.

Irgendwann gibt es dann eine Prozession, bei der die Gäste des Bräutigams – zu denen auch wir gehören – zu den Trucks gehen, um die dort gelagerten Brautgeschenke reinzutragen. Unter dem Jubel der Gäste marschieren wir also in Reih und Glied mit unseren Päckchen vor den Vater der Braut, um die Sachen vor ihm aufzubauen. Ich habe mir einen 50 Pfund schweren Sack Mehl geschnappt und über die Schulter geschmissen – schließlich muss man mit langen Haaren und weißem Kleid hart arbeiten, wenn man trotzdem männlich rüberkommen will. Als ich meinen Mehlsack gekonnt durch die Stuhlreihen schleppe, fangen die Afrikaner plötzlich an zu kichern, was man in dieser Kultur vor allem dann macht, wenn man peinlich berührt ist. Als ich später die Missionare frage, was denn der Grund für die Heiterkeit gewesen sei, fingen sie an zu lachen: Auch in Afrika kennt man das alte Jesusbild vom langhaarigen, weißgekleideten Hippie mit dem langen Gewand. Ich muss die Gruppe in meinem Outfit daran erinnert haben, und später kursierte tatsächlich das Gerücht, Jesus selbst wäre auf dieser Verlobungsfeier erschienen. Ich war eigentlich hier, ihn zu finden, jetzt werde ich mit ihm verwechselt. Wenn die nur wüssten!

Der Rest der Feier besteht aus Stand-up-Comedy, Modeschauen und Geschenken. Die Frauen müssen ständig knien, während wir Männer essen. Das Ganze dauert ungefähr sechs Stunden. Glaube ich zumindest, ich habe ja jetzt keine Uhr mehr um. Irgendwann verlassen wir die Party, was eigentlich unhöflich ist, aber was soll man machen? Wenn man hier jede Party zu Ende feiern würde … wir sind nun mal Deutsche und schließlich zum Arbeiten hier. Zeit ist für uns eben anders. Also gibt es eine große Abschiedsszene, und wir fahren nach Hause.

Fazit des 2. Tages: Wir dürfen die Zeit kontrollieren, sie ist ein Geschenk! Andersrum ist doof!

Mama, wir sind dann mal Gott suchen!

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