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KAPITEL 5

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Rückblende.

Die Bar im Holiday Inn. Das „Kap der guten Hoffnung“ im Kernland Amerikas. Wenn sonst gar nichts mehr ging, dann ging hier immer noch was. Oft besuchte Kissinger nicht nur die Bar des Holiday Inn, er übernachtete auch dort. Er mochte das Holiday Inn. Wenn Kissinger in irgendeiner fremden Stadt war und nicht wusste, was er tun sollte, dann ging er in die Bar des nächsten Holiday Inn.

Mit den Jahren ging er immer seltener zum Aufreißen hin, es war ja immer irgendwie das Gleiche. Er setzte sich lieber einfach an die Bar und nahm ein paar Drinks. Ein bisschen die Zeit totschlagen. So auch dieses Mal. Alles wie gehabt, und doch sollte dieser Abend eine Abwechslung bereithalten.

– „Ist hier noch frei?“

Kissinger drehte sich um und erblickte einen jungen Mann, Afroamerikaner, der auf den Platz neben Kissinger zeigte.

– „Ja, ja. Ist frei.“

– „Danke.“ Der Mann setzte sich und bestellte ein Ginger Ale. Er drehte sich zu Kissinger und streckte ihm die Hand entgegen.

– „Ich bin Isaah Cunningham.“

– „Lennart de Luca, freut mich.“

– „Freut mich auch. Was machen Sie so, Lennart?“

– „Unternehmensberater. Und Sie?“

– „Ich bin Wanderprediger.“

– „Ernsthaft?“

– „Ich fürchte, ja. Ist das ein Problem?“

– „Um ehrlich zu sein: Ja, da ist ein Problem. War schön, Sie kennenzulernen, und jetzt verpiss dich.“

– „So schlimm?“

Kissinger sah den Prediger einen Moment lang an.

– „So jetzt pass mal auf, Reverend. Ich bin müde und ich bin alt und habe in meinen vielen Jahren im Außendienst alles gehört und alles gesehen. Und ich will mir nicht schon wieder irgendeine Erlöserscheiße anhören.“

– „Schlechte Erfahrungen gemacht?“

Kissinger musterte Isaah Cunningham nochmals für einen Augenblick. Der Junge war hartnäckig, immerhin. Und was war das, was er da anhatte? War das ein Anzug, war das eine Robe? In Dunkelblau? Ungewöhnliche Farbwahl für einen Prediger.

– „Schlechte Erfahrungen? Ja, das kann man so sagen. Lass mich einfach in Ruhe.“

– „Aber ich würd’s gerne wissen. Glauben Sie an Gott, Lennart?“

Kissinger platzte jetzt langsam der Kragen.

– „Glaube ich an Gott? Vielleicht ja, vielleicht nein, wen interessiert’s? Aber ich kann dir sagen, woran ich nicht glaube, mein Freund, und das sind die Menschen. Und ihre Drecksreligionen. Sobald einer ein Buch in der Hand hat und den Leuten erklärt, wie das Leben läuft, könnte ich kotzen. Machen den Leuten Angst, machen ihnen dann falsche Hoffnungen und lassen am Schluss den Hut rumgehen. Das ist alles Blödsinn, Zirkus, Theater. Und das weißt du auch, Reverend. Das sehe ich in deinen Augen.“

– „Sprich weiter.“

– „Na los schon, fang an, mich um eine Spende anzuhauen, komm schon.“

– „Nein, so was mache ich nicht. Ich weiß, dass ich immer ausreichend haben werde.“

– „Hier, such dir was aus, Prediger.“ Kissinger zog seine Brieftasche und warf sie vor Cunningham auf den Tresen.

– „Nein, du sollst geben, wenn dir danach ist.“

– „Ja, na klar. Ihr Typen macht mich krank. Erzählt was von wegen Mitgefühl, Barmherzigkeit und Bescheidenheit. Ich war in Europa, ich habe die Kirchen dort gesehen. Alles voller Gold und Marmor und Mahagoni. Von dem, was diese Paläste gekostet haben, hätte man eine ganze Menge Menschen lange durchfüttern können. Schöne Religion, na danke auch. Und jetzt, Reverend, verpiss dich.“

– „Sprich weiter, ich widerspreche dir nicht.“

– „Ach nein? Okay, dann lass mich dich was fragen: Isst du Fleisch, heiliger Mann? Tja, ich dachte, die Bibel sagt ‚Du sollst nicht töten‘? Ganz einfach. Ich hab’s nachgelesen. Da steht nicht ‚Du sollst keine Menschen töten‘, da steht ‚Du sollst nicht töten‘. Wie passt das zusammen?“

– „Hörst du mich dir widersprechen? Du hast ganz schön viel zu einem Thema zu sagen, das dich nicht interessiert. Und, um deine Frage zu beantworten: Nein, ich esse kein Fleisch. Ich esse allgemein nicht sehr viel.“

– „Ernsthaft? Na dann gratuliere ich. Damit bist du offiziell der Erste. Und innerhalb der Predigerszene Teil einer Minderheit.“

– „Jede Mehrheit war mal eine Minderheit. Und jede Minderheit war mal eine Mehrheit. Das ist der Lauf der Dinge.“

– „Ja, mag sein. Ich bin stinksauer. Auch stinksauer auf all die Idioten, die ständig fromm sind und in die Kirche rennen und sonst nichts tun. Weil sie ja ‚glauben‘. Weißt du was, Reverend? Ich scheiß auf Glauben. Ich stehe auf Handeln. Mir ist einer tausendmal lieber, der an nichts glaubt, aber dafür was tut. Und zu tun gibt es eine Menge, schau dich nur um. Und du bist ja ein gutes Beispiel. Du sitzt hier in der Bar vom Holiday Inn und redest schlau daher, anstatt dass du draußen den Hungrigen was zu essen gibst und den Armen was anzuziehen gibst und was Männer des Glaubens sonst so machen. Verstanden?“

– „Aber missionieren ist auch wichtig, das Wort in die Welt tragen.“

– „Scheiß auf das Wort. Die Tat ist, was zählt. Reden kann jeder.“

Isaah Cunningham nickte nur. Nach einer wortlosen Sekunde sagte er:

– „Weise Worte. Wie kann jemand, der so viel Weisheit in sich trägt, so verzweifelt sein?“

– „Ich bin nicht verzweifelt, ich bin angepisst.“

– „Du weißt, dass es nicht zu spät ist, oder?“

– „Doch, für mich ist es zu spät. Definitiv. Aber das ist mir scheißegal. Ich werde nicht hirnlos der breiten Masse hinterherlaufen, komme, was wolle.“

– „Es ist nie zu spät, vorausgesetzt, man will es so.“

– „Doch, doch, heiliger Mann, für mich ist es zu spät. Ich habe eine Scheiß-Wagenladung voll von Sünde auf mich geladen.“

– „Ja, ich weiß.“

– „Ach, das weißt du, ja?“

– „Ich weiß so manche Dinge.“

– „Na, von mir aus. Ich für meinen Teil bin hier fertig. Barmann, meine Rechnung bitte.“

– „Suche nach Schönheit, Bruder. Sonst wirst du noch verrückt. Suche sie und du wirst sie finden. Schönheit ist überall um dich herum, man muss nur hinschauen. In der Schönheit findest du Gott. Es ist nicht zu spät. Glaube mir, Kissinger.“

– „Woher kennst du …?“

– „Ich weiß so einiges. Wir sehen uns vielleicht wieder“, sagte der Prediger im Hinausgehen. Kissinger wollte noch etwas erwidern, doch Isaah Cunningham war schon weg.

Wie Ein Licht Im Dunkeln

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