Читать книгу Wie Ein Licht Im Dunkeln - Frank Christopher Schroeder - Страница 7
KAPITEL 1
ОглавлениеIndigo und Schwarz, Denim und Leder, die Uniform der Achtziger. Auch Kissinger hatte sie getragen, damals, als er jung war. Er war einen sehr weiten Weg gegangen und hätte sich niemals träumen lassen, dass er ausgerechnet hier enden würde. Der Arzt hatte ihm ein starkes Beruhigungsmittel gegeben und seine Gedanken waren bleiern langsam. Das Halbdunkel und die unwirkliche Stille im Todestrakt taten ihr Übriges. Der Geist musste abschweifen, es gab sonst nichts zu tun. 23 Stunden alleine in der Zelle, eine Stunde Hofgang, wenn die anderen Häftlinge nicht draußen waren.
14 Und er rief die ganze Volksmenge zu sich und sprach zu ihnen: Hört mir alle zu und versteht!
Die einzige Zerstreuung, die man ihm zugestand, war diese Bibel. Neues Testament, überarbeitete Version. Ausgerechnet. Kissinger las sie fortwährend. War er am Schluss angelangt, fing er wieder von vorne an.
15 Nichts, was außerhalb des Menschen ist und in ihn hineinkommt, kann ihn verunreinigen; sondern was aus ihm herauskommt, das ist es, was den Menschen verunreinigt.
Unweigerlich musste Kissinger wieder und wieder an seine Jugendzeit denken, die jetzt weit, weit weg schien, wie in einem anderen Leben fast. In der Erinnerung war alles immer besser.
Zeit ist ein Konstrukt des Geistes.
Er musste an Stella denken, überirdisch schön, cool, weltgewandt. Sie war einer der wenigen Menschen, der gewisse Dinge genauso liebte wie Kissinger. Sie teilte seine Vorlieben nicht, aber sie respektierte die Tatsache, dass er überhaupt Vorlieben hatte. Er musste an Beatrice denken, exotisch und geheimnisvoll. Frauen. Rückblickend betrachtet überraschte es ihn, wie viele es doch gewesen waren. Kissinger hatte sich bietende Gelegenheiten selten so konsequent genutzt wie seine Freunde. Seine Leidenschaft galt dem Ritual, nicht dem Vollzug.
16 Wenn jemand Ohren hat zu hören, der höre!
Sein ganzes Leben war Kissinger von Hit zu Hit – er nannte sie Projekte – gehetzt, die Momente des Nachdenkens waren wenige gewesen und selten. Und auf einmal hatte er alle Zeit der Welt zum Nachdenken.
Sie würden ihm den Prozess machen, so viel war sicher. Allein die Tatsache, dass sie ihn bereits vor Prozessbeginn – noch vor der Anklageverlesung – in der Todeszelle einquartiert hatten, verhieß nichts Gutes hinsichtlich eines zu erwartenden Prozessverlaufs. Offiziell hieß es, seine Unterbringung sei der Überbelegung des Gefängnisses geschuldet, aber Kissinger wusste es besser. Man schickte ihm damit eine Nachricht. Sie wussten Bescheid.
1 7 Und als er von der Menge weg nach Hause gegangen war, fragten ihn seine Jünger über das Gleichnis.
Ein Vorteil des Todestrakts bestand darin, dass er mit den anderen Insassen nur selten in Kontakt kam und wenn dies doch geschah, ließen sie ihn in Ruhe und erwiesen ihm ihren Respekt. Keiner wollte sich mit einem Killer anlegen.
Kissinger hatte eigentlich keine Angst vor dem Tod, er hatte alles erlebt. Er hatte das Leben und den Tod gesehen, das Schöne und das Hässliche, die Liebe, den Hass.
Was ihm allerdings eine Heidenangst machte, war der elektrische Stuhl. Für Kissinger war es daher nur konsequent, dass sie ihn ausgerechnet in einem Staat verhaftet hatten, in dem der elektrische Stuhl immer noch eingesetzt wurde. Es passte ins Bild.
Ihr Ende gibt den Dingen erst ihren Sinn.
Kissinger versuchte trotz der ihm verabreichten Medikamente mit Meditation sein mentales Gleichgewicht zu erhalten. Als Nebeneffekt mischten sich Zen-buddhistische Koans zusätzlich zu den Fragmenten der Songtexte und den Bibelzitaten in seinen regulären Gedankenfluss.
Die Grenze verschwamm.
‚Gestern‘ existiert nicht.
18 Und er sprach zu ihnen: Seid auch ihr so unverständig? Begreift ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht verunreinigen kann?
Er dachte an die Nacht im Bahnhof von Bristol, September 1985, nach dem Konzert im Hippodrome. Es war gut gewesen, es war laut gewesen, das einzige Konzert seiner Erinnerung nach, das wirklich die Schmerzgrenze überschritten hatte. Den letzten Zug nach Hause hatten sie um eine Stunde verpasst.
Crusader, crusader …
19 Denn es kommt nicht in sein Herz, sondern in den Bauch und wird auf dem natürlichen Weg, der alle Speisen reinigt, ausgeschieden.
Es war bitterkalt im englischen Herbst, eine Wärmestube gab es nicht, für ein Hotelzimmer fehlte das Geld. Der Bahnsteig war zwar überdacht, aber an den Seiten offen. Die Kälte zog unerbittlich durch den Bahnhof, der Blick auf die Uhr verhieß endlose Stunden bis zum ersten Zug am Morgen. Und doch hatte es sich gelohnt. Irgendwann, es war noch dunkel, öffnete das Taxifahrercafé im Bahnhof. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis man sie hineinließ, Kissingers ganze Überzeugungskraft war an diesem Punkt vonnöten gewesen. Die Taxifahrer in Bristol waren ein stolzes und stures Volk und offiziell hatten nur Taxifahrer Zugang zum Café mitten in der Sperrstunde. Der Tee, den sie dann letztendlich doch zu trinken bekamen, schmeckte spektakulär.
To the power. And the glory …
Essen konnten sie nichts, obwohl sie hungrig waren und man ihnen freundlich etwas angeboten hatte. Um vor Sonnenaufgang Blutwurst verdauen zu können, musste man wahrscheinlich Engländer sein.
20 Er sprach aber: Was aus dem Menschen herauskommt, das verunreinigt den Menschen.
Dass Kissinger jetzt ausgerechnet hier gelandet war, konnte kein Zufall sein. Und dass er nicht telefonieren durfte, obwohl es ihm von Rechts wegen her zugestanden hätte, war eine weitere deutliche Nachricht.
Ich bin nicht dieses Hemd.
Ein Anruf hätte genügt, Riceman hätte gewusst, was zu tun gewesen wäre. Der Anwalt hätte einfach eine Verlegung in einen anderen Bundesstaat veranlasst, in dem es keine Todesstrafe gab. Damit hätte Riceman genug Zeit geschunden, um ihn rauszuholen. Jetzt aber standen die Sterne schlecht.
21 Denn von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken hervor, Ehebruch, Unzucht, Mord.
Kissinger versuchte sich vorzustellen, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er damals nicht mit Dr. X ins Gespräch gekommen wäre – in jener Nacht, in dieser Bar. Dr. X war in Wirklichkeit gar kein Doktor, Kissinger nannte ihn nur in seiner Vorstellung so. Nach dem Bösewicht in Operation Mindcrime. Dr. X hatte ganz offensichtlich etwas in ihm gesehen, ein Potenzial, das er als förderungswürdig erachtet hatte. Hätte es diese Begegnung nie gegeben, wäre Kissinger vielleicht sesshaft geworden, hätte einen legalen Beruf ergriffen, hätte geheiratet und ein normales Familienleben irgendwo in der Vorstadt gelebt.
Eine unwahrscheinliche Vision. Kissinger hatte sich in der Gesellschaft meistens als Außenseiter, als Beobachter gefühlt. Die Theorie des Multiversums besagt, dass es nicht nur eine Realität gibt, sondern dass viele fast identische Versionen der Realität nebeneinander existieren, die sich nur in Details voneinander unterscheiden, je nachdem, welche Entscheidungen man im Laufe der Zeit getroffen hat.
Folgte man also dieser Theorie, existierte vielleicht irgendwo diese bürgerliche Alternativversion Kissingers. In einem Paralleluniversum oder einer alternativen Realität hätte das möglich sein können. Das half ihm allerdings jetzt nicht weiter.
Denn in DIESER Realität hatte er Probleme.
Kissinger sah den Dingen ins Auge. Er war so schuldig, wie man nur sein konnte, er würde brennen. Erst auf dem Stuhl. Dann in der Hölle. Oder sonst wo. Die Frage war, wie viel sie wussten. Und woher.
22 Diebstahl, Geiz, Bosheit, Betrug, Zügellosigkeit, Neid, Lästerung, Hochmut, Unvernunft.
Kissinger hatte sein Tun immer damit gerechtfertigt, dass er prinzipiell nur Leute tötete, die es verdienten. Das war reiner Selbstbetrug, denn seine Auftraggeber waren genau die gleichen Drecksäcke wie seine Opfer. Was ihn bis dato gerettet hatte – und was ihm Respekt von allen Seiten eingebracht hatte –, war sein Kodex.
Vor jedem neuen Auftrag prüfte Kissinger die Sachlage dahingehend, ob der Hit mit seinen Prinzipien vereinbar sei. Keine Kinder, keine Frauen, keine politisch motivierten Aufträge, keine Eifersuchts- oder sonstigen emotionalen Racheszenarien.
Der Glaube an seinen Kodex ging so weit, dass Kissinger tatsächlich einmal einen Auftrag pro bono übernommen hatte. Die Tochter eines einschlägig bekannten italo-amerikanischen ‚Geschäftsmannes‘ war entführt und ermordet worden. Man hatte den Täter gefasst und angeklagt (ihm wurden noch sechs weitere Morde an Kindern zur Last gelegt). Aus formalen Gründen musste die Anklage fallen gelassen werden und der Täter kam trotz einer erdrückenden Beweislast auf freien Fuß. Beim Verlassen des Gerichts war der Mörder an der Frau des Geschäftsmannes vorbeigekommen und hatte ihr im Vorbeigehen ins Ohr geraunt: „Und dich ficke ich als Nächstes, du Schlampe.“ Dann hatte er gelacht. Die Frau erlitt daraufhin im Gang einen Schwächeanfall.
Der Geschäftsmann hatte den Fall Kissinger vorgetragen. Während der Suche nach seiner Tochter und während der Gerichtsverhandlung waren seine Geschäfte schlecht gelaufen, sodass der Geschäftsmann gezwungen war, Kissinger die Bezahlung seines Honorars auf Raten anzubieten. Kissinger hörte sich die Details genau an und übernahm daraufhin den Auftrag ohne Bezahlung, nicht einmal die Auslagen ließ er sich erstatten.
Er tat das nicht aus Berechnung, sondern aus Überzeugung, und seine von allen Seiten als edel betrachtete Tat machte die Runde, auch aufseiten der Behörden. Selbst die Presse hatte unverhohlen ihre Freude über das unfreiwillige Ableben des Kindermörders zum Ausdruck gebracht. Seit dieser Zeit gab es eine Art unausgesprochene Vereinbarung zwischen der Polizei und Kissinger. Er konnte tun, was er tat, und die Polizei sah – solange keine Unschuldigen zu Schaden kamen – nicht so genau hin.
23 All dieses Böse kommt von innen heraus und verunreinigt den Menschen.
Bei Licht betrachtet war der Kodex natürlich Augenwischerei, eine Methode, die sein Geist sich zurechtgelegt hatte, um sein Tun vor sich selbst rechtfertigen zu können. Hin und wieder war es bei der Erledigung seiner Aufträge durchaus zu Kollateralschäden gekommen.
Einmal hatte er mit einer ferngezündeten Autobombe nicht nur die Zielperson, sondern auch drei weitere sich ebenfalls im Fahrzeug befindliche Personen getötet, die eigentlich an jenem Abend nicht hätten dort sein sollen. Die drei waren zwar auch keine unbeschriebenen Blätter, aber sie waren keine Mörder, es gab keine Rechtfertigung für ihren Tod.
Kissinger hatte gelernt, mit diesen Ungereimtheiten in seiner Philosophie und seinem Verhalten zu leben. Kissinger hatte die Fähigkeit, gewisse Dinge konsequent auszublenden. Sie existierten dann einfach nicht.
Some people say …
Überhaupt, die Musik. Die Anstaltspsychologin – in diesem Gefängnis wurden sogar die Untersuchungshäftlinge psychologisch betreut – hatte diagnostiziert, dass seine Musik eine der Ursachen für seine Aggressionen sei. Nachdem sie das gesagt hatte, hatte Kissinger sich nach vorne gebeugt und in der ruhigen Art eines Zen-Meisters mit tiefer Stimme zu ihr gesagt:
– „Wirke ich wie ein aggressiver Mensch auf Sie?“
Sie hatte ihn entgeistert angeschaut.
– „Sehen Sie, man wirft mir vor, ein Auftragskiller zu sein. Kein Serienmörder. Ich bin zwar beides nicht, aber hier ein Rat für die Zukunft: Hüten Sie sich vor den Serienmördern.“
Nachdem er das gesagt hatte, schaute Kissinger der Psychologin wortlos tief in die Augen und zog die linke Augenbraue nach oben. Es sollte ihre letzte gemeinsame Sitzung gewesen sein.
Ich bin nicht meine Gedanken.
Was würde jetzt kommen? Kissinger war sich nicht einmal sicher, ob hier die Todesurteile wirklich noch durch den elektrischen Stuhl vollstreckt wurden, auch wenn es ins Bild gepasst hätte. Irgendwann würden sie ihn telefonieren lassen müssen, dann würde er endlich selbst etwas tun können anstatt nur dazusitzen und zu warten, dass andere etwas taten. Die bleierne Müdigkeit kehrte zurück. Seine Erinnerungen vermischten sich und bescherten Kissinger in der Folge einen sehr bildhaften und unangenehm realistischen Albtraum. Er wachte desorientiert auf.
Kissinger musste etwas tun, um die Lethargie zu bekämpfen. Liegestütze, Sit-ups, Gymnastik, Yoga, alles hatte er versucht, regelmäßig durchzuziehen. Die Enge der Zelle beschränkte seinen Aktionsradius, es fiel ihm unendlich schwer, sich aufzuraffen, was wahrscheinlich auch am durch und durch nährstoffarmen Gefängnisessen lag. Zweifelsohne bereiteten sie es absichtlich auf diese Art und Weise zu. Sie wollten sicherstellen, dass die Insassen nur ein Mindestmaß an Energie aus ihrer Nahrung ziehen konnten. Zusätzlich konnte man Kosten sparen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
Die Welt, die wir um uns herum sehen, ist eine Illusion, die auf falschen Annahmen basiert.
Kissingers wahrscheinlich größte Stärke war seine Fähigkeit, strategisch und langfristig zu denken. Er wusste, dass oftmals die langfristigen Auswirkungen kleiner Details sonst perfekt geplante Vorhaben scheitern lassen konnten.
Kissinger war besessen von Details. Ein kleines Detail war beispielsweise einer Reihe ranghoher japanischer Yakuza zum Verhängnis geworden: ihre Tätowierungen. Bei den Yakuza ist traditionell ein Großteil des Körpers tätowiert, damit zeigen sie ihre Gruppenzugehörigkeit und ihren Rang in der Hackordnung.
An den tätowierten Stellen ist die Haut quasi versiegelt, sie kann dort keine Giftstoffe ausscheiden. Dies hat zur Folge, dass die Leber mit einer erhöhten Konzentration an Giftstoffen zu kämpfen hat. In Verbindung mit dem gnadenlos hedonistischen Lebensstil eines Yakuza führt das früher oder später dazu, dass die Leber kapituliert und eine Lebertransplantation notwendig wird.
Die Yakuza standen vor dem Problem, dass sie zwar in Japan de facto unantastbar waren, auch oder gerade für ausländische Strafverfolgungsbehörden, doch die weltweit beste Adresse für Lebertransplantationen befand sich im UCLA Medical Center in Los Angeles.
Das wussten auch FBI und Interpol, und so legten sie sich auf die Lauer, waren wachsam und warteten. Einer nach dem anderen war ihnen in die Falle gegangen, bevor die Yakuza-Clans schließlich gezwungen waren, ihre Strategie zu ändern und die notwendigen Lebertransplantationen wieder in Japan durchführen zu lassen. Warum sie nicht einfach aufhörten, sich am ganzen Körper zu tätowieren, war eine ganz eigene Frage.
Man unterschätze niemals die symbolische Macht althergebrachter Rituale.
Ich bin nicht mein Hass.
Kissingers oberste Priorität bestand in jenem Moment darin, Zeit zu schinden. Irgendwann würden Riceman und Feinstein ihn finden, da war er sich sicher.
Nach wie vor hatte er keine Ahnung, warum man ihn an diesem Ort auf Eis gelegt hatte, ohne Kontakt zur Außenwelt. Keine Zeitung, kein Fernsehen, kein Netzzugang. Er war nicht verhört worden, er war keinem Richter vorgeführt worden, es war ihm keine Anklage verlesen worden, man hatte ihn weder geschlagen noch gefoltert. So konnte er nichts tun, als zu warten und sich auf alle erdenklichen Szenarien vorzubereiten. Kissinger hatte es stets für wichtig erachtet, Entwicklungen, auch gesellschaftliche Entwicklungen, zu antizipieren und die richtigen Schritte früh genug in die Wege zu leiten. Warum er seine momentane Situation nicht hatte kommen sehen, beschäftigte ihn. Sie hatten ihn kalt erwischt. Vielleicht wurde er alt und fing an, Fehler zu machen. War es vorbei?
Korrekt vorausgesehen hatte Kissinger auf jeden Fall die totale Ökonomisierung des Lebens. Schon in jungen Jahren war ihm bewusst geworden, dass er das für seine Vorstellungen von einem würdevollen Leben nötige Kapital höchstwahrscheinlich niemals legal würde verdienen können. Vor diesem Hintergrund war es denn auch nur die halbe Wahrheit, sich vorzumachen, dass Dr. X ihn zu etwas überredet hätte, als er Kissinger sein verlockendes Angebot unterbreitet hatte. Geld war zum Maß aller Dinge geworden. Immer und überall. Kissinger war sich dessen bewusst, und dennoch überraschte es ihn stets aufs Neue, dass sich nicht ein Einziger bis dato ernsthaft dafür interessiert hatte, wo sein Geld herkam.
Die Bonität prüften sie alle akribisch, klar, aber die Herkunft des Geldes? So kam es, dass Kissinger ein halbes Dutzend Immobilien in der ganzen Welt sein Eigen nennen konnte und einen durchaus gehobenen Lebensstil zu pflegen in der Lage war.
Ich bin nicht diese Zelle.
Man gewöhnt sich an alles, so erstaunlich das auch sein mag. Nach seinem ersten Hit hatte Kissinger Höllenqualen gelitten, gekotzt, geweint, zehn Tage hatte er im Halbdunkel dahingedämmert, sich besoffen, sich betäubt.
Er unterschied sich in diesem Punkt grundsätzlich vom üblichen Mafiaschergen. Kissinger hatte in seiner Karriere nicht wenige getroffen, die töteten, ohne darüber nachzudenken, für die ein Hit einfach ein selbstverständlicher Teil des SPIELS war und die weder ein Interesse noch die intellektuellen Fähigkeiten für ein Verständnis der weiterführenden Zusammenhänge hatten.
Sie taten oft nicht, was man ihnen sagte, sie arbeiteten unkonzentriert und schlampig und hatten meist nur eine kurze Zeitspanne zur Verfügung, bevor sie entweder tot oder im Knast waren. Kanonenfutter. War der eine weg, nahm sofort der Nächste seinen Platz ein.
Kissinger war da anders. Er dachte langfristig und war seit vielen Jahren im Geschäft. Er hatte genug Zeit gehabt, Erfahrungen zu sammeln und sich eine Reputation aufzubauen, Kissinger war ein Spezialist.
Auftrag Nummer zwei war immer noch die Hölle, allerdings ging sie schneller vorbei. Jedes weitere Mal wurde es etwas besser, mittlerweile konnte er sich gar nicht mehr an alle Morde erinnern. Es war wie bei den Frauen, mit denen er einmal etwas gehabt hatte: In jüngeren Jahren war er der festen Überzeugung gewesen, dass er nie eine vergessen würde, doch jetzt bekam er vor seinem geistigen Auge längst nicht mehr alle zusammen.