Читать книгу Charlottas fantastische Reise nach Flüsterleise - Frank Didden - Страница 12

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Was Fred mit höchst möglicher Genauigkeit, wie kaum eine zweite Möwe diesseits des Ereignishorizontes, berechnen kann, ist die Wahrscheinlichkeit in heutiger Zeit eine daddelanische Interstellarmöwe mit grauem Star anzutreffen. Obwohl Freds Berechnungen auf einigen komplexen, mathematischen Badewannenrandbedingungen beruhen, kann ich Ihnen sicherlich deren Richtigkeit bestätigen.

Um es kurz zu machen: Die Wahrscheinlichkeit liegt weit unterhalb der Wannenschaumgrenze, also bei so annähernd minus null Prozent. Sie ahnen bestimmt schon das Ergebnis dieser kleinen Anmerkung, richtig? Hätte Ewöm bessere Augen gehabt, wäre die Geschichte dieses kleinen Mädchens kurz nach dem Abflug von Opas Hinterhauswiese nicht weiter erzählenswert gewesen. Oder zumindest kürzer! Dummerweise hatte Ewöm – nicht mehr die jüngste Interstellarmöwe in der Unendlichkeit des Raumes - vermaledeiten grauen Star. Und so flog die Möwe zielstrebig und pflichtbewusst ihrem Ziel entgegen. Leider war das weder Charlottas noch Rüdigers Ziel. Und leider erwies sich ausgerechnet Ewöm als nicht ganz so pflichtbewusst, wie man es gemeinhin von einem Transportmittel vermuten würde. Ja, wahrscheinlich wäre die Eigenschaft ›pflichtbewusst‹ bei genauer Betrachtung auf Ewöm nicht einmal ansatzweise zutreffend. ›störrisch‹ und ›unzuverlässig‹ wären wohl die besseren Beschreibungen gewesen. Ewöm war also störrisch, unzuverlässig und hatte grauen Star. Sie werden mir beipflichten, dass diese Eigenschaften für ein Transportfahrzeug nicht die besten Voraussetzungen sind, um wirklich am Ziel der Reisenden anzukommen. Ja, bei genauerer Betrachtung sind dies die womöglich schlechtesten Attribute für eine Reise zu einem bestimmten Ziel mithilfe einer Möwe. Hierzu sei gesagt, dass Rüdiger selbstverständlich über Ewöms Eigenarten Bescheid wusste. Charlotta wusste es hingegen nicht.

»Warum fliegen wir denn nun nicht nach Metallerra?«

»..,..,!!! ,.,!! ..,,,,!,,!..,!«

»Weil für diese Möwe Pst auf dem Fahrplan steht?«

»!!!.,!.,!!! ,.,!!«

»Was gibt es denn Interessantes auf Pst?«, fragte Charlotta kurze Zeit nach dem Start von der Erde.

»..,,,,!. .!!,.,!!!!!.,.,!!.,..,,,«, erwiderte Rüdiger beiläufig, aber sichtlich genervt mit kritischem Blick auf die umliegenden Sterne gerichtet.

»Eine Bibliothek? Klingt langweilig.«

»..!!! .,,..!..,.!«

»Und ein Stehcafé? Eine Bibliothek und ein Stehcafé? Das hört sich schon nicht mehr so langweilig an.« Charlotta schaute ebenfalls ein wenig zu den Sternen. »Gibts das nur da?«

»..,.,!!.,! ..,,.!!! !!,.!!«

»Die Bibliothek schon. Stehcafés gibts überall? Aha. Was genau ist ein Stehcafé?«

»..,!!,.,!!!!...,,,!,.,!!!!,.,«

»Und wieso trinkt man den Kaffee nicht im Sitzen?«

Auf diese Frage starrte das Glubschauge des Daddels ausgesprochen ungläubig auf die kleine 8-Jährige. Die daraufhin etwas längere Antwort versuchte mit möglichst einfacher Satzzeichenstellung dem Mädchen die Sinnlosigkeit einer Sitzeinrichtung auf einem Bahnhof der D&DT zu vermitteln. Obwohl Charlotta hierbei nicht wirklich alles verstand, was Rüdiger ihr versuchte zu erklären, hörte sie doch aufmerksam zu. Nach der ausschweifenden Erklärung hatte Charlotta drei Dinge über die Daddel und die D&DT-Gesellschaft gelernt.

Erstens war der Zeitplan der D&DT-Reiseflüge so exakt und präzise geplant, dass den Reisenden meistens keine Zeit blieb, zwischen ihren Flügen gemütlich im Sitzen einen Kaffee zu trinken. Dementsprechend machte auch das Anbieten von Sitzgelegenheiten keinen Sinn.

Zweitens war es durch unzählige, interkulturelle Studien und jahrhundertelangen Forschungen seit wenigen Jahren unumstritten erwiesen, dass Sitzen grundsätzlich das Vorwärtskommen stark einschränkt. Die D&DT, die nun mal alle Bahnhöfe der bekannten Galaxis besaß, folgerte hieraus scharfsinnig, dass dies grundsätzlich dem Sinn eines Bahnhofs widersprach. Demzufolge wurde das Anbieten von Sitzgelegenheiten in allen Bahnhöfen durch den hohen Bahnhofvorstand untersagt.

Und drittens, der Punkt der Charlotta am verständlichsten erschien: Cafés zum Sitzen waren out! Der krasse Außerirdische von heute trinkt seinen Kaffee im Stehen. Und da grundsätzlich alle Außerirdischen krass sind, hätte sich ohnehin keiner hingesetzt.

»Ach so«, war dann auch die folgerichtige Antwort Charlottas.

Kopfschüttelnd drehte sich Rüdiger wieder seinen gefiederten Messeinrichtungen zu und überprüfte die Richtung der Reise. Nervös griff er zu einem Haltemechanismus, in dem normalerweise ein Becher stand. Dummerweise war der Halter leer. Einem fähigeren Schaffner wäre vielleicht an dieser Stelle aufgefallen, dass der Kurs nicht ganz der gewünschten Richtung entsprach. Dummerweise war Rüdiger so manches, aber bestimmt nicht fähig. Dies war Rüdigers zweiter Flug. Der erste Flug war auf der Wiese hinter Opas Haus geendet und ich erinnere Sie kurz daran, dass das eigentliche Ziel der Reise nicht die Erde war.

Ich denke allerdings, es ist an der Zeit und auch in Ihrem Interesse an dieser Stelle eine kleine Vereinfachung für den Fortgang der Geschichte zu vereinbaren. Fred hat mich eben auf diesen kleinen Umstand hingewiesen. Zum Zwecke der leichteren Lesbarkeit, ist es sicherlich auch in Ihrem Sinn, wenn wir die Komplexität der daddelanischen Sprache ab sofort ein wenig vereinfachen. Es ist sicherlich sinnvoll, wenn Fred und ich die weitere Übersetzung der daddelanischen Sprache für Sie übernehmen. Sicherlich ist dies der Erkenntnis geschuldet, dass diese vermaledeite Charlotta der einzige Mensch ist, der Daddel versteht. Ich kann also nicht weiter annehmen, dass einer von Ihnen den Aussagen Rüdigers an dieser Stelle folgen kann. Schließlich war die Wahrscheinlichkeit, auf der Erde auch nur ein einziges Lebewesen zu finden, das sich mit einem Daddel unterhalten konnte, eigentlich nicht vorhanden. Und dabei haben Freds Berechnungen wirklich alle Lebewesen eingeschlossen. Menschen, Pferde, Giraffen, Elefanten, Hunde, Katzen, Mäuse. Alle möglichen Lebewesen wurden berücksichtigt. Sogar Dachziegel, wegen dem Vorfall mit den Munkus und der Wirtschaftskrise durch den großen Tonstreik. Aber das ist eine andere Geschichte. Also, nach Einwand von Fred und im Zuge einer besseren Verständigung, werden wir den Daddel ab sofort eine verständliche Stimme verleihen. Allen voran Rüdiger.

»Scheiße!«

»Scheiße sagt man nicht.«

Da war sie also. Die erste Kommunikation zwischen Mensch und Daddel in einer irdischen Sprache. Wörtlich in eine irdische Sprache übersetzt. So wie Rüdiger es gesagt hat. Ohne Umschweife auf den Punkt gebracht. Unverblümt und schonungslos. Und man kann die Tiefgründigkeit dieses kurzen Dialoges gar nicht genug hervorheben. Gar nicht genug die inhaltlichen Zusammenhänge, die hierdurch zum Ausdruck kamen, immer und immer wieder betonen. Ja, man kann gar nicht genug hervorheben, wie ausgesprochen vermaledeit diese ganze Sache war. Ausgesprochen vermaledeit. Aber das können Sie sich ja sicher schon denken. Regelrecht Scheiße.

»Was ist denn so doof, Rüdiger?«

»Der Kaffee ist alle.«

»Das ist doof.«

»Und ich glaube, wir fliegen schon wieder in die falsche Richtung.«

»Schon wieder?«

»Ja.«

»Das ist aber schlecht.«

Das daddelanische Glubschauge glubschte, wobei nicht abschließend gesagt werden kann, ob es des falschen Kurses wegen war, oder doch wegen Charlottas kindlicher Äußerung. Charlotta indes reagierte auf das von Rüdiger Gesagte mit stoischer, ja, kindlicher Professionalität.

»Sag mal, Rüdiger, darf ich dich etwas fragen?«

»Jetzt nicht!«

»Was ist eigentlich passiert, dass der arme Kossin gestorben ist?«

»Nicht jetzt!«

»Es tut mir aber so leid, wegen ihm.«

»Nicht jetzt, ich muss sehen, wohin wir fliegen.«

»Seid ihr abgestürzt?«

»Ja, beim großen Fahrplan noch eins, sind wir. Irgendwie. Weiß auch nicht. Hab geschlafen, konnte mich aber noch rechtzeitig festhalten.«

»Und wieso ist Ewöm abgestürzt?«

»Weil dieser dämliche Vogel zu spät gebremst hat.«

»Oh nein, passiert ihr das immer?«

»Weiß nicht. War mein erster Flug«, erwiderte Rüdiger während er die umgebenden Sterne prüfte und scheinbar kurz überlegte. »Also, ja, im Grunde ist Ewöm das bisher immer passiert. Soweit ich weiß.«

»Meinem Papa ist das letztens auch mal passiert.«

»Was? Ist er abgestürzt?«

»Nein, er hat zu spät gebremst.«

»Und? Jemand dabei gestorben?«

»Mamis Tulpen.«

»Das tut mir leid. Armer Kerl.«

»Wer? Mamis Tulpen?«

»Ja. Hatte er Familie?«

Charlotta musste über diese Frage erst kurz nachdenken. Zögerlich erwiderte sie:

»Glaube nicht. Nicht in unserem Garten. Und Kossin? Hatte er Familie?«

»Woher soll ich das wissen? Ich spreche auf den Flügen nicht mit meinen Fahrgästen.«

»Aber hast du nicht gesagt, es war dein erster Flug?«

Über diese Frage musste nun Rüdiger nachdenken. Er zögerte.

»Hmm, ich wollte sagen, ich sollte mir wohl abgewöhnen, mit den Fahrgästen zu reden.«

»Wieso?«

»Weil ich das schon auf meinem ersten Flug nicht getan habe.«

»Was? Das Reden oder das Abgewöhnen?«

»Was weiß denn ich? Kannst du nicht einfach sitzen und den Flug genießen? Wir erreichen sicher bald Pst.«

Charlotta prüfte nun ihrerseits die Sterne um sich herum, die formlich an ihnen vorbeizufliegen schienen. Schnell. Atemberaubend schnell.

»Aber hast du nicht gesagt, Ewöm fliegt in die falsche Richtung?«

»Ja, richtig.«

»Also fliegen wir auch nicht nach Pst, oder?«

Rüdigers großes Auge starrte Charlotta an. Drei Arme deuteten Fassungslosigkeit an. Das lange, schwarze Haar wallte im Wind der Schwerelosigkeit.

»Du bist sehr mitteilsam, oder?«

»Ja, glaube schon. Mami sagt immer, ich rede so viel, da gehe ich bestimmt mal in die Politik, wenn ich erwachsen bin.«

»Was ist denn Politik?«

»Weiß ich nicht genau, aber ich will da nicht hin.«

»Wieso?«

»Weil Papa fast jeden Tag von der Scheißpolitik spricht und auf Politiker schimpft. Ist also bestimmt was Schlimmes.«

»Ach so. Ist wahrscheinlich sowas wie Stühlerücker.«

»Stühlerücker?«

»Frag nicht!« Damit drehte sich Rüdiger wieder um und wandte Charlotta den Rücken zu. »Ach, und nein, wir fliegen nicht nach Pst. Anscheinend geht’s nach Furunkulum.«

Ja, es ging wirklich nach Furunkulum und ich brauche an dieser Stelle nicht erneut zu erwähnen, wie vermaledeit dieser Umstand war. Denn wäre es nicht durch diese vermaledeite, altersschwache Möwe nach Furunkulum gegangen, sondern nach Pst, hätten sich Friedolins und Bens Fauxpas als entschuldbar herausgestellt. Da sind Fred und ich uns einig. Dummerweise ging es nach Furunkulum. Dummerweise landete dieses vermaledeite, kleine Menschengör direkt auf dem unförmigsten Planeten des bekannten Universums. Dummerweise landete dieses unsägliche Kind quasi direkt in den furunkuligsten Armen der heutigen Zeit. Dem unförmigsten und furunkuligsten Geist, den sich Fred und ich vorstellen können. Joosts wirren, genervten und stressig hilflosen Verstand.

Charlottas fantastische Reise nach Flüsterleise

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