Читать книгу Charlottas fantastische Reise nach Flüsterleise - Frank Didden - Страница 14

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Man nehme eine fast blinde Interstellarmöwe, einen vollkommen überforderten daddelanischen Schaffner, ein Stehcafé in einem Bahnhof auf dem wohl hässlichsten Planeten des Universums, ein kleines Menschenmädchen und Joost. Natürlich kennen Sie Joost noch nicht. Natürlich sträuben sich Fred die Federn und mir die Nackenhaare bei dem Gedanken, Ihnen mehr von Joost erzählen zu müssen. Leider ist es ein weiterer Umstand dieser vermaledeiten, kleinen Geschichte Ihnen die Person Joost näher erklären zu müssen. Ich möchte nun nicht schon wieder über die Umstände der wohl unwahrscheinlichsten Wahrscheinlichkeiten zu sprechen kommen, doch die Möglichkeit, dass Charlotta auf Joost traf, war eigentlich nicht möglich. Die Betonung liegt auf eigentlich, wie Sie schon richtig vermuten.

Denn bei genauerer Betrachtung der Ereignisse war quasi auch eigentlich nicht damit zu rechnen, dass Rüdiger, vollkommen entnervt nach der Landung auf Furunkulum, Charlotta auf einen Kaffee einlädt. Zugegeben, es ist durchaus verständlich, dass der kaffeesüchtige Rüdiger nach der etwas ruppigen aber schadlosen Landung auf Furunkulum erst einmal einen Kaffee benötigte. Schließlich war Furunkulum so gar nicht das Ziel gewesen, dass Rüdiger und Charlotta im Sinn gehabt hatten. Und schließlich war die Reise, von der Landung ganz zu Schweigen, weitaus weniger komfortabel, als man es gemeinhin von Reisen mit Interstellarmöwen gewohnt war. Vor diesem Hintergrund war Rüdigers Wunsch nach einem Kaffee durchaus nachvollziehbar.

Nun werden die Menschen unter Ihnen wahrscheinlich entsetzt aufschreien und sagen: »Ja, aber doch nicht für das achtjährige Mädchen. Das Kind ist doch noch viel zu jung für Kaffee.«

Und glauben Sie mir, ich hätte Ihnen sofort Recht gegeben. Schließlich hätte diese Einsicht alle anderen, noch folgenden Ereignisse als fundamental ereignislos gestaltet. Dummerweise wussten weder Rüdiger noch Charlotta um die schädliche Wirkung von Kaffee auf Menschenkinder. Da Charlottas Eltern auch immer Kaffee tranken, ihr aber den Genuss hiervon verweigerten, sah Charlotta die Abwesenheit ihrer Eltern als einzigartige Gelegenheit. Da Rüdiger einen Kaffee benötigte, er aber nicht alleine trinken wollte, waren ihm die Auswirkungen von Kaffee auf Charlotta schlichtweg schnuppe. Wie tragisch diese Gleichgültigkeit sein würde, sollte sich noch herausstellen. Denn glauben Sie bitte nicht, Kaffee auf Furunkulum oder in irgendeinem anderen Bahnhofstehcafé, wäre dem Kaffee auf der Erde gleichzusetzen. Aber dazu später mehr.

Also entgegen aller Wahrscheinlichkeit, die Fred und ich uns so errechnet hatten, traf Charlotta in der Warteschlange des daddelanischen Stehcafés im Hauptbahnhof von Furunkulum auf Joost. Und eben dort kamen beide ins Gespräch. Ein Gespräch, das sicherlich kürzer hätte sein können. Ja, ein Gespräch, das nach meinem Geschmack nicht kurz genug hätte sein können. Zu dumm, dass die Daddel - eine Spezies, deren ganze Kultur auf schnelle Mobilität ausgerichtet ist - nicht zu den schnellsten Servicekräften im Universum zählen. Und das mit drei Armen. Oder besser ausgedrückt: Die einzig mögliche Ausbildung zum Beruf des Schaffners sieht leider keine Unterrichtsstunden für Service und Kundenfreundlichkeit vor. Vom richtigen Zubereiten eines daddelanischen Kaffees ganz zu schweigen. Demzufolge hält man sich in dem so dringend benötigten Dienstleistungssegment auf daddelanische Weise so gerade über Wasser. Zumindest auf Furunkulum. Auf anderen Planeten mit Bahnhöfen der D&DT konnte der Konzern glücklicherweise auf andere Lebewesen zurückgreifen, und diese zur Arbeit als Servicekraft bewegen, also einstellen. Leider konnte selbst die D&DT nicht den erforderlichen Lohn aufbringen, um einen Nicht-Daddel zur Arbeit auf Furunkulum zu bewegen. Hier mussten letztlich die dafür unqualifizierten Daddel selbst Hand anlegen. Ein Umstand, der den Wartezeiten in Warteschlangen nicht gerade förderlich war.

Dementsprechend zog sich die Zeit in der Warteschlange für Charlotta und Rüdiger endlos lange hin. Und ebenso dementsprechend stieg die unkalkulierbare Wahrscheinlichkeit eines Gesprächs zwischen Joost und Charlotta enorm an. Ebenso wie die Dauer dieser vermaledeiten Unterhaltung.

»Das ist ja witzig«, sagte Charlotta und stupste dabei den vor ihr stehenden Daddel an. »Mein Papa hat die gleiche Hose, wie Sie. Nur länger und in Rot.«

Mit ungläubigem Glubschen drehte sich der Daddel um und fixierte das kleine Menschenmädchen.

»Was bist denn du?«

»Charlotta.«

»Ein Charlotta?«

»Nein, mein Name ist Charlotta. Ich bin ein Mädchen.«

»Ein Mädchen? Die Spezies kenne ich nicht.«

»Was ist denn eine Spezies?«

»Na, eine Spezies wie die Daddel zum Beispiel.«

»Ach so. Na, ich bin ein Mensch.«

»Mensch Charlotta?«

»Mensch Charlotta!«, mischte sich Rüdiger kurz und ruppig in die Unterhaltung ein. »Es geht weiter.«

Während sich die Gruppe mit einem auffällig kleinen Schritt eine Position in der Schlange weiter bewegte, fixierten sich die beiden Daddel.

»Und Sie sind wer, Herr Schaffner?«

»Rüdiger.«

»Nun, Schaffner Rüdiger, ich möchte Sie ersuchen, nicht in diesem unwirschen Tonfall mit mir oder einer anderen Spezies zu sprechen.«

»Nun, Herr Warteschlangendaddel, und wieso sollte mich interessieren, um was Sie mich ersuchen?«

»Weil, Herr Schaffner Rüdiger, ich Sie sonst vom Schaffner zur Servicekraft versetze. Vielleicht zur Teilzeit-Kaffeeaufbrühaushilfe!«

Rüdiger glubschte auf sein Gegenüber. Fassungslos. Mit offenem Mund. Und mit etwas Glänzendem auf der Stirn, was bei Menschen Schweiß hätte sein können. Nur sah es bei Rüdiger eher nach grünlichem Spülmittel aus. Der Daddel streckte dem verdutzten Rüdiger seine dritte Hand entgegen.

»Mein Name ist Joost, Bahnhofvorsteher für die westliche Gleisregion.«

Rüdiger schien zu schlucken, wobei dies bei Daddel nicht immer eindeutig als Solches zu identifizieren war. Was jedoch ganz eindeutig zu identifizieren war, auch für die Ohren eines kleinen Mädchens im Trubel eines Bahnhofstehcafés, war das leise, unterwürfige Winseln aus Rüdigers Kehle. Die feinen Perlen auf seiner Stirn waren definitiv Spülmittel, da war sich Charlotta sicher.

»Das war ziemlich gemein«, wandte sich Charlotta an Joost.

Dieser blickte wieder auf das Mädchen: »Wieso?«

»Rüdiger hatte einen schlimmen Tag. Er hat es bestimmt nicht böse gemeint.«

»Bestimmt nicht«, schaltete sich Rüdiger mit nasser zitrusduftender Stirn ein und ergänzte, »es tut mir wahnsinnig leid, Herr Bahnhofsvorsteher Joost!«

Dieser starrte grimmig auf Rüdiger. Doch dann entspannte sich seine Haltung.

»Na«, erwiderte Joost, »dann wollen wir es einfach mal dabei belassen. Ich bin auch viel zu müde, um mich über solche Kleinigkeiten zu ärgern.«

»Wollen Sie sich deshalb einen Kaffee holen?«, fragte Charlotta.

»Nein, für Kaffee ist es mir noch ein wenig zu früh. Ich denke, ich nehme mir zwei doppelte Tequila.«

»Wir auch, Herr Bahnhofsvorsteher Joost. Bloß keinen Kaffee. Wir müssen schließlich noch arbeiten. Habe ich recht, Herr Bahnhofsvorsteher Joost?«, ereiferte sich Rüdiger vollkommen unpassend.

Charlotta konnte mit dem plötzlichen Redeschwall Rüdigers nichts anfangen. Auch die Bedeutung des Wortes Tequila war ihr fremd.

»Ich möchte aber trotzdem einen Kaffee. Ich muss nicht mehr arbeiten.«

Diese Logik schien für Joost und Rüdiger einleuchtend. Die Warteschlange rückte wieder einen gefühlten Millimeter vor.

»Wie kommt denn Mensch Charlotta nach Furunkulum?«

»Mit Ewöm. Sie sieht leider nicht mehr sehr gut.«

»Ja, die D&DT hat wohl Kenntnis über die zunehmende Überalterung der Federflotte. Wir arbeiten an einer Lösung.«

»Eigentlich wollten wir nach Pst.«

»Zur großen Bibliothek?«

»Vielleicht. Wenn ich rechtzeitig zum Essen wieder zurück bin.«

»Zurück, wohin?«

»Bei Mama und Papa.«

»Und wo ist dieses Mama und Papa?«

»Nein, Mama und Papa sind meine Eltern.«

»Ach so, du bist ein kleiner Mensch.«

»Ja.«

»Also ein Kind?«

»Ja.«

»Und wo leben Menschen so, wenn sie nicht gerade versehentlich auf Furunkulum landen?«

»Auf der Erde.«

»Ach, ja, die Erde.«

»Kennst du die Erde?«

»Nein, noch nie gehört.«

Hiernach pausierte das Gespräch für einen kurzen Augenblick. Charlotta, Rüdiger und Joost überblickten die Länge der noch vor ihnen liegenden Warteschlange. Unter normalen Umständen sollten sie bald an der Reihe sein. Aber was war in letzter Zeit schon normal?

»Ich weiß eigentlich auch nur das von der Erde, was ich im Erdkundeunterricht gelernt habe.«

»Hast noch nicht viel von deinem Planeten gesehen, was?«, kommentierte Rüdiger Charlottas Bemerkung.

»Nein, nicht wirklich. Außer vielleicht mal im Urlaub mit Mama und Papa. Wenn wir verreist sind. Ich weiß aber nicht mehr, wo wir waren.«

»Das ist schade“, schaltete sich Joost wieder in das Gespräch mit ein. „Ist es denn schön dort, wo du lebst?«

»Ja, schon. Meine Freundin lebt auch nicht weit weg und Opa hat eine tolle Wiese hinter seinem Haus.«

»Die kenne ich schon«, kommentierte Rüdiger und blickte genervt an den Wartenden vorbei zu dem Daddel hinter der Theke.

Wieder rückte die Warteschlange minimal nach vorne. Es sah so aus, als würde Joost als Nächstes bedient. Sein Glubschauge schien erleichtert und beruhigt zu schauen. Seine Arme hingegen zuckten nervös.

»Geht’s dir nicht gut?«, fragte Charlotta.

»Ah, nicht so wichtig. Stress auf der Arbeit. Macht mich alles ziemlich müde. Sonst nichts.«

»Oje«, erwiderte Charlotta, »vielleicht können Rüdiger und ich dir helfen?«

Auf diesen Kommentar war Rüdiger offenbar nicht gefasst. Zitrusduft rann wieder über seine Stirn und Charlotta schien ein leises Wimmern zu vernehmen. Joost musterte den jungen Daddelschaffner.

»Ich glaube nicht«, war die entsprechende Antwort des Bahnhofsvorstehers. »Es sein denn, er kann mir sagen, wo Westen ist?«

Rüdigers Wimmern wurde lauter, sein Zitrusduft heftiger und unangenehmer.

»Westen? Das hatten wir schon längst in der Schule. Außerdem spricht Papa immer vom Westen, wenn er darüber spricht, wo wir wohnen.«

»Ihr wohnt im Westen?«, fragte Joost erstaunt.

»Ja, ich denke schon«, stutzte Charlotta, »auch wenn die Stadt eigentlich Roetgen heißt. Man erkennt die Auffahrt zu unserem Haus an den vielen kaputten Tulpen.«

»Tulpen? Noch nie gehört«, Joost schien nachdenklich. »Aber das ist auch kein Wunder«, lachte er drauf los, »schließlich kenne ich nicht mal die Erde.« In dem kleinen Stehcafé schallte es vor Lachen. Aber nur kurz. Dann rückten die Wartenden erneut auf.

Daddelanische Freundlichkeit unterbrach das Gespräch der drei. »Was willst du?«, mit grimmiger Miene glubschte der scheinbar übergewichtige Servicedaddel über die kleine Theke des Ladens. »Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, du D&DT-Kriecher! Mach schon! Da stehen noch andere Kunden und wollen irgend einen Nonsens von mir.«

Charlottas fantastische Reise nach Flüsterleise

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