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Kapitel 5
ОглавлениеDen Tag begannen Falk und die anderen Kursteilnehmer mit harten Tests der körperlichen Verfassung und ihrer Schießkunst. Morgens weckte ein schriller Pfiff die Männer und schmiss auch ihn aus dem Bett. Er eilte ans Waschbecken, spritzte sich kaltes Wasser gegen den aufkommenden Kater ins Gesicht und verfluchte Alex mitsamt seiner bierseligen Geselligkeit. Mit Zahnbürste und Mundwasser bekämpfte er seine Fahne, würgte Schaum, während ein Bohrer im Gehirn die Arbeit aufnahm. Nach dem Sprung in die Sportklamotten hetzte er in die Kantine zum Frühstück. Als er die Eingangstür öffnete, klopfte jemand von hinten auf die Schulter und ein grüßender Alex joggte vergnügt vorbei. Im Speisesaal empfingen ihn Düfte von Kaffee, frischen Backwaren und Rührei. Falk fasste am Buffet ordentlich zu und packte einen Eierberg auf den Teller; ein langer Unterrichtstag lag vor ihm und er wollte gestärkt sein. Mit Unmengen schwarzen Gebräus bekämpfte er den Kopfschmerz, dagegen begnügte sich Alex mit einem Brötchen und einer Tasse Tee. Falk, der ihm gegenübersaß, registrierte es mit Schadenfreude: Dem Kollegen ging es augenscheinlich auch nicht besonders gut - mochte dieser grinsen, wie er wollte. Dann hieß es Abmarsch und in Gruppenformation rannten sie in den Wald. Dort kletterten sie auf der Hindernisbahn über die Eskaladierwand und ähnliche Schikanen, balancierten auf Balken, seilten sich von einem Holzturm ab und hangelten an Tauen über breite Gräben. Bei der Abseilübung surrten die Stricke durch die gepolsterten Schutzhandschuhe und es roch verbrannt. Karabinerhaken klapperten und Falk lernte wieder, sich auf einen Kollegen zu verlassen, der von oben sicherte. Die Ausbilder brüllten, nahmen an allen Stationen die Zeiten auf und kritzelten eifrig Notizen auf Klemmbretter. Falks Füße trafen federnd auf den mit Kiefernnadeln bedeckten Waldboden, gleichmäßig pumpte die Lunge klare Luft und er fühlte sich fitter. Das Gehirn schaltete ab und er lenkte die Konzentration auf das Laufen; die gewohnte Methode, mit der er schon eine Erdumrundung an Kilometern rennend hinter sich gebracht hatte. Alles gar nicht so schwer, wie zu anfangs befürchtet. Doch nach drei Runden kommandierte ihn ein Treiber auf Seite.
„Na, warm geworden, Kamerad? Hast dich genug aufgelockert, nun geht es ans Eingemachte“.
Falk nickte wortlos und der Schleifer verpasste ihm einen sandbeschwerten Rucksack, dessen Riemen in die Schultern schnitten, und er dachte, bei den Marines gelandet zu sein. Weitere Runden später zitterten seine Beine, die Muskeln waren mit Blei ausgegossen und es fühlte sich an, als ob sein Kreuz brach. Er kotzte das Frühstück in den Wald und wusste jetzt, warum Alex am Buffet Verzicht geübt und gegrinst hatte.
Nach jedem Lauf spurtete die Gruppe in den unterirdischen Schießstand. In dem Gewölbe verballerten sie kiloweise Munition durch Schusswaffen verschiedenster Fabrikate, sodass Hülsen klingelnd zu Boden regneten und Haufen bildeten. Pistolen knallten, Maschinenwaffen ratterten und Pulverdampf brannte in stechenden Luftröhren. Noch mehr Unbehagen bereitete es Falk, auf die Pappkameraden zu zielen, stellten sie doch in entfernter Weise Menschen dar. Dann verdrängte er den Gedanken, betrachtete die Schießerei von der sportlichen Seite und erzielte für seine Verhältnisse ganz gute Ergebnisse. Vor allem wenn er den Zeitdruck beachtete und die von der körperlichen Schinderei zitternden Hände. Die Ausbilder zeigten sich ebenfalls zufrieden und Falk dankte es jahrelanger Trainingsdisziplin. Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass der schmächtigere Alex mit ihm Schritt hielt und noch besser schoss. Der geschniegelte Pfau machte sich mit Wonne dreckig und Defizite an Körperkraft kompensierte er mit eisernem Willen.
Am Nachmittag lief es ruhiger an, es stand Theorie auf dem Plan und sie rückten in einen der Unterrichtsräume ein, dessen Wände im freundlichen Gelb gestrichen waren. Psychologisch anerkannt hob dies die Stimmung, Meister Feng-Shui ließ grüßen. Die Wandfarbe reflektierte das hereinfallende Sonnenlicht und Staubteilchen schwebten darin. Am Kopf des Hörsaals befand sich eine große Leinwand, auf die der Dozent während seiner Wanderschaft durch den Raum mittels Fernbedienung Bilder und Grafiken warf. Der Professor für Politikwissenschaft, der jung für sein Lehramt wirkte und sonst vor überfüllten Studiensälen gelangweilter Studenten referierte, erklärte die Profile und organisatorische Zusammensetzung möglicher Gegner. Er legte dar, wie diese sich Reisefreiheit, ungehinderte Geldtransfers und freie Datennutzung in den westlichen Staaten zunutze machten.
„Terroristen, die versuchen mit einer radioaktiven Bombe im Reisegepäck über die Grenze zu schleichen, gibt es nicht. Jedenfalls zurzeit. Auch wenn solche Gruppen daran arbeiten - das Verschwinden gefährlicher Substanzen erregt mehr Aufmerksamkeit der Geheimdienste, als diesen Herren lieb ist. Aber gut organisierte Zellen, mit ausgebildeten Leuten, unerschöpflichen Geldmitteln und technischen Möglichkeiten, besorgen sich alles was sie benötigen in dem Land, das sie angreifen. Lassen Sie sich auch nicht vom steinzeitlichen Auftreten und mittelalterlich anmutender Kleidung täuschen, was das Verwenden neuester Technologien, Medien und Kommunikationsmittel angeht, herrschen keine Berührungsängste. Da sind die Islamisten längst im 20. Jahrhundert angekommen.“ Spannend und bildreich legte er dar, wie leicht es den Gegnern gemacht würde, sich zu sammeln und Aktionen vorzubereiten. Alex fand, dass der Mann jeden Euro wert war, den das Konsortium für seine Forschungsarbeiten im Gegenzug springen ließ. Der Gelehrte wies daraufhin, dass Terror beabsichtigte, Angst zu schüren.
„Attentate oder die Bedrohung durch solche lähmen die Allgemeinheit, behindern Wirtschaft und Verkehr, schaffen eine psychologische Stresssituation bei den Bürgern, die auf das politische Verhalten Einfluss nehmen soll. So hart es klingt - ein paar Todesopfer verkraftet unsere Gesellschaft, aber keine Änderung der Lebensweise.“
Danach kam ein älterer Beamter des Verfassungsschutzes an die Reihe. Als routinierter Ermittler sah er kein Problem darin, für einen Zusatzverdienst, der seinen über Beamtentarif angesiedelten Lebensstandard ermöglichte, die Truppen des Konsortiums zu schulen. Die Kursteilnehmer lernten technische Überwachungsgeräte und moderne Kommunikationsmethoden kennen; wie man unauffällig observiert und das sich die Geheimdienste schwertaten, V-Leute in die Terrorgruppen neuster Prägung einzuschleusen.
„Bei den früheren radikalen Organisationen vom rechten und linken Spektrum handelte es sich um Personenkreise mit europäischer Abstammung und einem offenen Rand zu Sympathisanten hin. Das erleichterte dem Staatsschutz die Arbeit. Heutzutage sind die Terrorzellen der Islamisten hermetisch abgeschottet und es ist schwer, Informanten zu platzieren oder gar Angehörige solcher Gruppierungen umzudrehen.“
Dann erklärte er - wenn eine Observation zum Erfolg führt - wie der Ermittler Feind und Lage einschätzt, in gefährlichen Situationen ruhig bleibt und mental damit fertig wird, auch äußerste Mittel einzusetzen. In diesem Punkt herrschte bei Falk weiterhin Skepsis, seinen Kollegen machte dieser Aspekt anscheinend wenig Kopfzerbrechen. Bei einigen glaubte er sogar Erwartungshaltung, gepaart mit Vorfreude auszumachen.
„Ich muss zugeben“, sprach der Kriminalbeamte, „dass der bürokratische Weg, den die offiziellen Dienste unseres Landes gehen, nicht immer den heutigen Erfordernissen der Terrorbekämpfung entspricht. Deshalb ist der Ansatz des Konsortiums, unter der Oberfläche den Kampf zu führen, die richtige Strategie. Gewalt darf natürlich nur das letzte Mittel sein.“ Die wärmenden Sonnenstrahlen machten die Zuhörer schläfrig und sie hörten nur noch halb hin. Auch Falk sah dem flimmernden Ballett zu, dass die Staubteilchen in den Leuchtbahnen tanzten, und erlebte einen Teil des Unterrichts wie im Wachkoma. Seine Augenlider schmerzten vom Aufhalten mehr als die Oberschenkel durch den mörderischen Lauf des Vormittags. Eigentlich nahm er sich vor, Alex am Abend mit Fragen zu löchern. Doch die Müdigkeit siegte über die Moral. Nach dem Abendessen und einer Duscheinheit fiel er groggy ins Bett, und noch bevor der Kopf das Kissen berührte, schlief er wie ein Stein.
Weniger Probleme machte Falk anderntags das Fahrtraining, welches im Anschluss an den morgendlichen Waldlauf stattfand. Gemeinsam mit Alex stapfte er zu den Fahrzeughallen und durch geöffnete Rolltore sahen sie Monteure schweißen, schrauben und flexen. Funken flogen und es roch nach Öl und Fett. Mechaniker in verschmierten Anzügen machten sich unter Hebebühnen an Fahrzeugen zu schaffen und in einer Reihe standen Autos, die bereits durch die Hände des Instandsetzungstrupps gegangen waren. Aus dieser Sammlung händigte ihnen der Hallenmeister einen ausrangierten, aber ordentlich frisierten Opel Astra mit grüner Streifenwagen-Lackierung aus.
„Verabschiedet euch schon mal von eurem Schätzchen“, lachte Alex die bekümmert drein blickenden Mechaniker an. Er pflückte den Zündschlüssel von einem Brett und schmiss ihn Falk zu. Sie enterten den Wagen, Falk rückte sich den Sitz zurecht, checkte die einzelnen Hebel und Knöpfe, dann startete er das Auto. Gemächlich rollten sie an den Hallen und Werkstätten vorbei bis zum Start. Das Konsortium hatte nach Übernahme der Kaserne eine Asphaltbahn anlegen lassen, auf der Kleinflugzeuge landen könnten. Zudem versah man die Strecke mit Schikanen und sie war im wahrsten Sinne des Wortes mit allen Wassern gewaschen. Er gab langsam Gas, ließ den Motor warmlaufen und erntete ein dumpfes Grollen. Endlich wieder ordentlich PS unter der Haube zu bändigen und das Lenkrad zu halten, bereitete ihm großes Vergnügen.
Dann gab Falk der Maschine freien Lauf und heizte über die Strecke. Er wich Hindernissen aus, verhinderte ein Schleudern, lenkte gegen und vollführte eine Vollbremsung, sodass sie sich um die eigene Achse drehten. Mit quietschenden Reifen raste er zurück und ließ richtig Gummi auf der Piste. Diesen Turn wiederholte Falk noch einige Male, in immer kürzeren Zeiten, dann lehnte er zufrieden in seinem Sitz. Trotz Abstinenz hatte er das Autofahren nicht verlernt. Alex gähnte hinter vorgehaltener Hand.
„War das etwa alles? Sag mal, hast du überhaupt in den höchsten Gang geschaltet? Das kann selbst ein dressierter Schimpanse besser.“
Er übernahm das Steuer, ließ die Reifen auf der Stelle drehen und qualmen, damit sie heiß wurden und Bodenhaftung bekamen. Vielleicht hatte er auch nur einen Knall, dachte Falk. Mit halsbrecherischem Tempo jagte Alex durch die Gasse aus Schikanen, vollführte am Ende eine doppelte Drehung und erreichte dennoch schneller als Falk das Ziel. Danach setzte er einen drauf und ließ die Fahrbahn aus der versteckten Sprinkleranlage wässern. Das Auto schleuderte hin und her, Gischt spritzte, aber zu keinem Zeitpunkt verlor Alex die Kontrolle über das Fahrzeug. Zum Schluss fuhren sie den gedemütigten Astra wieder in die Obhut der Mechaniker, die sich sofort an die Inspektion des geliebten Kleinods machten. Einer der Monteure hob die Motorhaube an, zog die Schweißerbrille hoch und schüttelte den Kopf. Falk kam es beim Verlassen der Halle so vor, als ob der Mann weinte.
„Bist du im früheren Leben Rennfahrer gewesen oder was? Na, bei deinem kantigen Kinn wundert es mich nicht, liegt wohl in den Genen“, foppte Falk den Kollegen auf dem Weg zur Unterkunft.
„Nee, ich nutze nur jede Gelegenheit, wenn keine Ehefrau neben mir sitzt und über meinen Fahrtstil nörgelt. Musst du dir vorstellen, schenkt mir einen Alfa Romeo und meckert, dass ich zu schnell fahre. Korrigiere - angeblich zu schnell. “
Wieder ein Hinweis auf Krafts Privatleben, von dem er wenig sprach und sich wie eine Matroschka nur schichtweise enthüllte. Falk bohrte nicht in den Kollegen; seine eigene Vergangenheit dokumentierten Akten und bedurfte keiner weiteren Erläuterung. Er akzeptierte, dass Alex um Privates einen Bogen machte und sie beschränkten ihre Unterhaltungen auf das Dienstliche. Dabei gab es ausreichend zu besprechen, auch wenn Alex bei manchen Auskünften so geheimnisvoll tat, als schütze er den Heiligen Gral oder das Bernsteinzimmer.
„Immer zwee Schuss, direktemang hintereinander“, wies der Schießausbilder Falk an. „Du darfst dem Jegner keene Chance lassen, es könnte nämlich deine Letzte sein.“
Mit Doppelschüssen durchlöcherten die Schützen auf der Schießbahn die Pappfiguren. Trotz der Ohrenschützer drang das Dröhnen der Waffen an Falks Trommelfelle und die Luft stank nach Kordit. Er führte ein neues Magazin ein, lud durch und fasste das Ziel ins Auge.
„Am besten is natürlich, den Appel zu treffen, dann muckst der nich mehr“, schrie ihm die Aufsicht, Feldwebel a. D. Icke, in dem Lärm zu. „Aber falls de unsicher bist, hälste voll uff die Wampe, da is jenüjend Treffermasse. Wenn de verstehst, wat icke meine?“
„Klar Chef“, antwortete Falk, dem der pensionierte Soldat nun auf die Schulter klopfte. Von wegen klar, in Wahrheit behagte ihm die ganze Angelegenheit überhaupt nicht. Damals herrschte beim Sondereinsatzkommando die unausgesprochene Regel: Stürmte die Truppe eine Wohnung mit Verdächtigen, allem Anschein nach gefährlichen und bewaffneten Verbrechern, dann brüllten die Männer und rammten jeden Anwesenden zu Boden. Erst hinterher, wenn sie die Lage kontrollierten und den Festgenommenen Säcke über den Kopf gezogen hatten, stellte man Fragen. Manche Spezialeinheit drang aus Versehen in die falsche Bude ein. Obwohl schlampige Vorarbeit von Ermittlern daran schuld war, verursachten derartige Vorkommnisse in den Medien einen gewaltigen Rummel. Rambotruppe und Polizeigewalt hieß es und Falk verstand die Aufregung. Allerdings ließen sich diese Fehler größtenteils wiedergutmachen, es folgten Suspendierungen und hohe Entschädigungen. Hier schienen solche Gedanken eine untergeordnete Rolle zu spielen, nach einem Doppelschuss gab es kein Frage- und Antwortspiel mehr. Gehörte er tatsächlich zu den Guten?
Beim Waffenreinigen sprach Falk seinen Kollegen auf dessen überragende Ergebnisse an, jede von Alex Zielfiguren schaute aus zwei zusätzlichen Augen.
„Macht ihr eigentlich Gefangene? Sieht nicht danach aus.“
„Selbstverständlich, wir brauchen ja Informationen, mehr als alles andere. Die Schießerei täuscht, das meiste, was uns an Aufgaben zufällt, ist stinklangweilige Nachrichtenermittlung.“ Sie zerlegten die Pistolen und wienerten die Einzelteile, entfernten jedes Atom Ruß und der ganze Raum roch nach Waffenöl. Aus vielen Ecken ratschte und klackte es, wo Kollegen Waffen montierten.
„Und warum diese Übungen zum Todesschuss?“
„Also, kommt es zu einer Auseinandersetzung, haben wir es nicht mit normalen Kriminellen zu tun, die wissen, wann sie aufgeben müssen. Unsere Gegner kennen null Angst vor dem Tod und nehmen dich mit Freude mit. Mach dir keine Sorgen, ein Bodycount findet keinesfalls statt.“ Alex inspizierte den Lauf, baute ihn ein, zog den Schlitten zurück und entspannte die Waffe. Erst danach führte er das leere Magazin ein.
„Na ja, kommt es mal zum Gefecht, wirst du wohl der Beste sein, wenn ich mir deine Trefferquote ansehe“, meinte Falk, der noch mit einem Putzlappen am Verschluss rieb. Dann setzte er seine Schusswaffe ebenfalls zusammen.
„Beileibe nicht, in unserem Team gibt es einen Scharfschützen und eine Amazone, gegen die bin ich blind wie ein Maulwurf.“
„Es machen Frauen mit?“ Falk hatte in der kurzen Zeit seines Aufenthalts ein paar weibliche Personen auf dem Gelände erblickt, doch bisher gedacht, sie gehörten zum Versorgungspersonal.
„Klaro, und unsere Lady ist eine absolute Granate, in jeder Hinsicht.“
„Da bin ich gespannt“, sagte Falk und ließ den Schlitten nach vorne schnappen.
„Mach dir keine Hoffnung“, grinste Alex, „und jetzt beeil dich. Ich will noch was von der Mittagspause haben. Danach geht es in die Sporthalle, uns was die Birne weich kloppen.“
Einen Brummschädel und gleichzeitigen Eklat gab es beim Nahkampftraining tatsächlich. Hierbei simulierten die Teilnehmer das Abwehren von Angreifern, die sich mit Fäusten, Messern und Stöcken auf sie stürzten. Das Ganze auch gegen mehrere Gegner, welche den Verteidiger umkreisten und von allen Seiten überraschend attackierten. Einige Schüler gingen rasch zu Boden und die Ausbilder fixierten sie im Handumdrehen.
„Was ist los, Mädels?“, brüllte ein Schleifer, „das ist keine Krankengymnastik im Müttergenesungsheim. Bewegt gefälligst den Arsch, sonst reiße ich ihn euch auf, dass man einen Wagen drin parken kann.“
Die Sporthalle stank nach Schweiß, der in vielen Jahren geflossen war, hallte vom Quietschen der Sohlen auf dem Boden und aufeinandertreffende Bambusstöcke klackten. Fäuste hämmerten gegen Pratzen und eine Gummimatte klatschte, als ein Körper aufprallte. Vor allem ertönte Kampfgeschrei, mit dem sich die Kontrahenten anstachelten oder Mut machten. In Abständen erklangen Schmerzenslaute und Schüler klopften auf Matten, wenn sie aufgaben. Das Opfer des Tages fiel aber fast lautlos mit einem Röcheln zu Boden. Ein Ausbilder griff zu forsch an, löste bei Falk Reflexe aus und dieser schlug ihm so heftig auf die Kehle, dass der Mann für Minuten nach Luft ringend auf der Erde lag. Zudem hatte er dem Fallenden noch den Ellbogen an den Kopf gerammt. Sofort entschuldigte er sich, aber Alex grinste zufrieden. Er wusste aus der Akte, Falks Augen, die kurz vor Wut aufgeblitzt waren, müssten eigentlich schlitzförmig sein. Denn von frühster Jugend an wuchs dieser mit asiatischen Kampfsportarten auf und hatte sich später zusätzlich Krav Maga, die israelische Variante der Selbstverteidigung angeeignet. Die kleine Einlage würde abends das Gespräch in der Kantine sein und alle sahen den Neuen mit deutlich mehr Respekt an. Mit dem Mann im Rücken ging Alexander Kraft gerne in den Einsatz, aber vorher musste er selbst dran glauben und leiden. Mit mächtigen Tritten, die auf seine Beinschoner droschen, scheuchte ihn Falk durch die Halle.
„Was ist los Kleiner, fehlt dir die Knarre?“, provozierte Falk, doch sein Kollege winkte ab und lehnte keuchend an der Hallenwand.
Nach dem Abendbrot hockten sie auf Alex Stube, der missmutig die blauen Male auf seinen gebräunten Beinen betrachtete. Er drehte und wendete sich, hängte den Waschspiegel aus der Halterung und inspizierte jeden Quadratzentimeter seines geschundenen Leibes.
„Wir erkläre ich meiner Frau, woher die Dinger stammen?“, fragte er Falk, der es sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl bequem gemacht hatte und an einer Flasche Wasser nuckelte. Dieser setzte sein Getränk ab, pulte kleine Fetzen vom Etikett und lachte.
„Sag ihr einfach, es wären Knutschflecke, von einer netten Kollegin.“
„Prima, genau das wird sie vermuten, sie denkt ich arbeite normalerweise am Schreibtisch. Habe ich ihr jedenfalls erzählt. Auf die Art spar ich wenigstens die Sonnenbank und in die Sauna gehe ich so auf keinen Fall.“
„Eben, wo willst du überhaupt ein Solarium auftreiben? Das Camp macht nicht den Eindruck eines Kurbetriebs und im Dorf nebenan lohnt sich so eine Einrichtung wohl kaum.“
„Zu Hause, am Wochenende, meine ich. Mein holdes Weib und ich besitzen alles vom Feinsten in ihrer all-inclusive Villa. Im Kaff gibt es wirklich nichts, da hast du recht. Außer Diskretion.“ Alex zog die Hose hoch. Als sie über die Hämatome an den Oberschenkeln rutschte, biss er die Zähne zusammen und sog pfeifend Luft ein. Danach war er in seinem Element, feilte Nägel, pickte Stoppeln aus den Ohren und rasierte sich.
„Das wollte ich dich sowieso fragen - wie ist das Verhältnis zu den Einheimischen; was sagt die Bevölkerung zum Treiben des Konsortiums?“
„Machst du Witze? Der Dorfbäcker liefert die Brötchen, der Schlachter Fleisch, wir tanken an der Tankstelle im Ort und Handwerker kommen ins Camp für Reparaturen. Ein paar Bürger arbeiten fest in der Küche oder beim Wachpersonal. Als die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung Standorte abbaute und den Laden dichtmachte, herrschte hier absolut tote Hose. Bis das Konsortium kam. Wenn wir nur versuchen würden abzuziehen, errichten die Leute brennende Barrikaden vor dem Tor.“
„Außer, dass einige Menschen durch den Betrieb ihr Geld verdienen, gibt es keine festen Kontakte, oder?“
„Was ist los, einsam? Suchst du ein amouröses Abenteuer?“
„Quatsch, rein interessehalber. Der Gedanke kam mir heute beim Lauf. Dachte, wenn beides nahe beieinanderliegt.“
„Ich habe gehört, dass Kollegen einem Rudel Skinheads in der Dorfkneipe eins auf die Nase gebraten haben. Hat sich zwar keiner ernsthaft drüber aufgeregt, aber seitdem halten wir uns nur noch im Camp auf. Zuviel Werbung können wir nicht brauchen. Im Übrigen glauben alle, hier bildet eine Sicherheitsfirma Personenschützer aus.“
Das Zischen eines Sprays erfüllte die Luft sowie der Geruch von Alex Lieblingsduftnote. Er war fertig für die Nacht und Falk verschwand auf seine Bude.
Beim morgendlichen Waldlauf stampften Falks Beine im Gleichklang auf die angefrorene Erde. Die Strecke führte ihn aus dem Wald raus über die Pampa des früheren Truppenübungsplatzes und er kämpfte sich den Hügel hoch. Ein Schwarm Vögel stieg auf und schimpfte wegen der Störung. Unter seinen Sportschuhen knirschte es, denn in der Nacht hatte es Bodenfrost gegeben und Reif bedeckte die Gräser. Vorboten der dunklen Jahreszeit, die dem Herbst mit raschem Schritt folgen würde. Dennoch durchströmte ihn ein Wohlgefühl. Das Laufen an der frischen Luft flutete seine Lungen mit Sauerstoff und Glückshormone marschierten durch die Blutbahnen zur Schaltzentrale, stellten dort die Hebel auf gute Laune um. Er hielt einen Moment inne, betrachtete aus der Ferne das im Morgennebel liegende Dorf, während die Sonne aufging. Genauso wie der Dunst über dem Ort legten sich Schatten aufs Gemüt. Jenna war eine Sonnenanbeterin gewesen, sie hätte diese Morgenröte geliebt. Falk dachte an seine Frau und musste schlucken. War es tatsächlich richtig, was er hier tat? Ein kalter Tropfen hing an seiner Nase, löste sich und segelte zu Boden; Atemwolken schwebten in der Luft. Im Rücken hörte er das Schnaufen der anderen Läufer, es wurde Zeit, das Tempo wieder anzuziehen und er rannte los. Gegen Ende der letzten Runde stand die Sonne am Himmel und schmolz den Raureif weg.
Weitere Lehrgänge füllten den dritten Tag aus. Sie erlernten Techniken des lautlosen Tötens, wobei die Ausbilder Falk mit gemischten Gefühlen gegenübertraten. Einfache, dennoch tödliche Dinge wie Messer, Draht, Kugelschreiber und bloße Hände fanden Verwendung.
Anschließend rasten sie mit Geländemotorrädern über den Fahrparcours und durch den Wald. Für Observationen boten die auffälligen Maschinen nur Nachteile, waren dagegen bei Verfolgungsjagden schwer abzuhängen.
Die Gruppe studierte im Unterrichtsgebäude Aufzeichnungen über konspiratives Verhalten, wie man falsche Identitäten annahm und in einer anonymen Masse verschwand. Danach sahen sie einem Kampfmittelräumer beim Entschärfen von Sprengfallen zu.
„Die meisten Bomben, mit denen wir zu tun bekommen, stellen nichts Raffiniertes mehr dar“, führte der Sprengstoffexperte aus. „Früher beschäftigten uns Konstruktionen, wo es Fingerspitzengefühl und Erfahrung brauchte, um sie unschädlich zu machen.“ Zwei fehlende Finger und ein Gesicht, über das ein Rasenmäher gefahren schien, zeugten davon - er wusste, worüber er sprach und die Teilnehmer hörten gebannt zu.
„Heutzutage geht es den Bombenlegern darum, einfach zu beschaffende Materialien, am besten frei verkäuflich, zu technisch minderwertigen Sprengsätzen zu verarbeiten. Im Klartext, jeder Nachwuchsterrorist, der keine Vollniete in Chemie ist, kann sich seine Höllenmaschine mit Hilfe von Anleitungen aus dem Internet basteln.“ Der Experte wies auf die Chemikalien und Geräte, die er auf einem Tisch ausgebreitet hatte: Kosmetika und Haushaltsflüssigkeiten, Behältnisse aus Rohren, Drähte, Klebeband, Splittermaterial und verschiedene Zündquellen.
„Ob Düngemittel mit Zucker gemischt wird, der Bastler einfache Elektrogeräte zu Zündern umgestaltet, ob man versucht, mit brennbaren Flüssigkeiten in Flugzeuge zu steigen: Glauben Sie mir, es gibt keine unvorstellbaren Szenarien.“ Eifrig schrieben die Teilnehmer Notizen in ihre Hefte. Jeder hoffte, nie eine Sprengfalle oder Bombe vom Nahen zu sehen; falls doch, wollte man hinterher nicht aussehen wie der Dozent. Dieser schritt die Stuhlreihen entlang und genoss die Aufmerksamkeit. Es war eine andere als für gewöhnlich, wenn er mit seinem zerstörten Antlitz durch Fußgängerzonen flanierte.
„Bei Interesse surfen Sie über die entsprechenden Seiten im World Wide Web. Besonders empfehle ich Links zu Islamisten oder Ariersekten aus den USA. Um es zu verdeutlichen, es gibt Empfehlungen wie zum Beispiel eine Glühbirne aufzubohren und diese mit Schwarzpulver zu befüllen. Die Birne schraubt man in die Fassung, wenn jemand den Lichtschalter drückt, wird es schlagartig hell und es reißt demjenigen den Kopf ab. Quasi geht unserem Kandidaten ein Licht auf, dass er Feinde hat.“
Der Ausbilder lächelte schief, sofern es seinem Gesicht überhaupt möglich war, in stärkere Schräglage zu geraten. Er schwelgte in Erinnerungen, als Bomben noch Herausforderungen an den Entschärfer darstellten, von denen er eine leider nicht bestand. So kam er zu einem Gnadenbrot beim Konsortium und machte dessen Einsatzkräfte fit.
„Bei allen negativen Auswirkungen, die der einfache Zugang zu Sprengmitteln und deren kinderleichte Verwendung bietet - ergeben sich auch Vorteile für uns. Viele Sprengsätze entpuppen sich als Blindgänger mit fehlerhaften Zündquellen, weil Stümper am Werk sind. Für Sie persönlich erschließt es die Möglichkeit, je simpler die Konstruktion, desto weniger Aufwand ist erforderlich, diese zu entschärfen. Und nun zeige ich Ihnen anhand von Beispielen, wie das geht.“
Wie Schwämme saugten sie alles Wissenswerte auf und hofften, dass im Ernstfall das Erlernte genauso funktionierte, wie in der Theorie.
Am späten Nachmittag transportierte ein Mannschaftsbus die ganze Übungsgruppe in eine nahegelegene Stadt. Es begann ein Katz und Mausspiel, im Fachjargon Observieren genannt. Wobei es in dem Fall die Verfolgten leicht hatten, da sie von den Beschattern wussten. Deshalb ging es den Schülern nicht darum, unauffällig zu agieren, sondern verdeutlicht zu bekommen, mit welchen Methoden sich Beschattete einer Überwachung entzogen. Erfahrene Agenten zeigten ihr ganzes Können und riefen alle Finten ihres Repertoires ab, mit denen man Verfolger abhängt. Eine Fußgängerzone, öffentliche Verkehrsmittel und ein Park stellten den Schauplatz der Übung dar und die Kursteilnehmer gerieten schnell ins Schwitzen.
Falk und Alex wechselten mit Kollegen ständig die Positionen, wobei die Verständigung über Headsets lief und merkten sich die Tricks der Gejagten für spätere Einsätze. Immerhin hatte Alex vorausgesagt, Observation und Ausspähen seien die Hauptaufgaben des Echo-Teams.
Dann löste ein anderes Duo die beiden für eine Weile ab und sie verkrümelten sich in einen Geschäftseingang. Sie verschnauften und beobachteten den Vorplatz eines Kaufhauses, auf dem Menschenmassen umherströmten. Ein Bratwurststand wirkte wie ein Magnet und angezogene Kunden standen Schlange. Während original Thüringer auf dem Rost brutzelten, ihren Duft herübersandten und die Mägen knurren ließen, fragte Falk nach moderneren Methoden.
„Ich dachte heutzutage überwacht man mit Kameras, ortet Handys und spioniert Computer aus. Liest man doch ständig. Ich meine, es gibt Satelliten, mit denen aus dem All selbst das Gras beim Wachsen beobachtet werden kann. Warum sich weiterhin die Hacken ablaufen?“
„Manpower ist immer gefragt, das ändert sich nie. Okay, man speichert Unmengen von Daten, nur wer soll diese Flut auswerten und beurteilen? Es geht nicht ohne erfahrene Ermittler und ihr Gespür, nenne es meinetwegen Bauchgefühl. Ein Computer registriert, aber eine Lage kann er nicht einschätzen.“ Alex holte seine Tüte Pfefferminz aus der Jacke und bot Falk davon an. Dieser griff zu und fragte weiter.
„Ist es dann überhaupt sinnvoll, dass einige Politiker beständig versuchen, immer neue Gesetze und Methoden auf den Weg zu bringen, um den gläsernen Bürger zu erschaffen?“ Gemeinsam betrachteten sie exakt diese Bürger, die in dem Moment vorüberliefen. Die Menschen beeilten sich, denn am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Alex nickte in Richtung einer Frau, Typ graue Maus.
„Genau darum geht es beim Konsortium. Was nützt mir ein Berg an Informationen über Lieschen Jedermann? Ich muss einschätzen, wer wirklich eine Gefahr darstellt und gezielt an denjenigen rangehen. Technische Neuerungen sind nur Hilfsmittel, ersetzen aber keine Erfahrung oder ein gut geführtes Verhör. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede. Scheiße, jetzt fängt es auch noch an zu regnen und wir müssen wieder ran.“ Alex funkte die Übernahme und sie marschierten los.
Regen nieselte vom Himmel, die zerstäubten Tropfen liefen ihnen über das Gesicht und durchweichten die Kleidung. Sie fluchten, schlugen die Jackenkragen hoch, schoben die Hände in die Taschen und eilten ihrem Überwachungsobjekt nach. Wind peitschte den Sprühregen jetzt über die Straße, stach wie Eisnadeln auf der Haut und die Lichter der Geschäfte spiegelten sich im nassen Asphalt. Passanten flüchteten in Läden und Passagen; ihr Objekt tat es ihnen gleich und hastete in das Kaufhaus. Die beiden spurteten hinterher.
„Glück gehabt, unser Mann versucht im Warmen unterzutauchen. Nur - wo ist er hin?“, fragte Alex, als sie sich durch die Masse der Leiber drängten.
„Hoffentlich gibt es keinen Hinterausgang oder ein Parkhaus“, spekulierte Falk, „sonst sind wir schnell ausmanövriert.“
Beide standen im Eingang und peilten die Lage, ob irgendwo die vertraute Gestalt auftauchte. Von draußen trieb Zugluft durch die geöffnete Schleuse und fuhr in ihre nassen Jacken. Sie gingen ein Stück weiter; leise Musik animierte zum Konsum und ein Verkäufer pries über ein Mikrofon Rabatte an. Klamotten, Kosmetika, Schmuck - alles musste raus. Bei den Ermittlern fanden die Angebote kein Gehör, statt Schnäppchen jagten sie andere Beute.
„Dort oben ist er, auf der Rolltreppe“, rief Falk und stieß Alex an. Sie hetzten los und drängten an Kunden vorbei, die sich gereizt über die Störung beim Einkauf zeigten. Eine Oma drohte im Nachhinein den Flegeln mit ihrem Stock. Im Spurt schnellten die Ermittler die Stufen hoch, nahmen immer zwei auf einmal, doch kurz bevor die Beschatter in der nächsten Etage ankamen, fuhr ihnen der Verfolgte auf der nebenanlaufenden Rolltreppe entgegen. Lächelnd winkte der Mann. In einem realen Einsatz könnten sie ihm jetzt nicht weiter folgen, ohne verdächtig zu wirken.
„So ein Anfängerfehler, die werden sich bei der Auswertung ganz schön über uns lustig machen oder was meinst du?“
Doch Falk hatte etwas entdeckt, was ihm die Sprache verschlug. Ein blondes Mädchen mit geflochtenen Zöpfen schaute ihn aus großen Augen an, während seine Mutter einen Verkaufstisch mit Strumpfhosen durchwühlte. Wie in Trance starrte er das Kind an, bis die Frau es bemerkte, ihn mit Blicken tötete und ihre Tochter an der Hand mit sich fort riss. Er sah den beiden hinterher.
„Der Einsatz ist zu Ende, wir sammeln uns am Bus.“ Alex fummelte am Headset herum, lauschte konzentriert, denn der Geschäftsbetrieb störte den Empfang.
Als Falk nicht reagierte, wurde sein Kollege aufmerksam. „Hör mal, in der heutigen Zeit rate ich dir ab, kleine Mädchen anzuflirten, auch wenn ich deine Gründe kenne.“
Er fasste Falks Schulter, schüttelte den Kumpel wach und führte ihn weg.
Auf der Rückfahrt saß Falk gedankenversunken im Polster und schaute aus dem Busfenster, während Alex neben ihm kauerte und mit an die Brust gesenktem Kopf schlummerte. Die meisten Kollegen dösten ebenfalls nach den anstrengenden Übungen in ihren Sitzen und Regenwasser verdunstete aus der Kleidung, sodass der Bus wie eine Waschküche roch. Vorne beim Fahrer lief Musik im Radio, übertönt vom Rutschen der Scheibenwischer, die das Wasser auf der Windschutzscheibe zerteilten. Die Lichter entgegenkommender Fahrzeuge brachen sich auf dem nassen Glas zu Prismen. Aber weder von ihnen, noch von der Radiomusik oder der im Regen vorbeiziehenden Landschaft bekam Falk etwas mit.
Das blonde Mädchen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die geflochtenen Zöpfe und diese Augen – sie sah ihr verdammt ähnlich: Nina wäre heute zehn Jahre alt.
Vorsichtig spähte der Mann durch die Gardinen zum Fenster heraus. Der Regen des Vortages glitzerte nass auf dem Asphalt und verdunstete in der Herbstsonne, die gelblich auf dem Teer schimmerte, zu feinem Nebel. Mit einer Hand zog er den Vorhangstoff auf Seite und öffnete den Flügel einen Spalt weit. Es knarrte schwergängig, frische Morgenluft wehte in das Zimmer und er verdeckte das Fenster wieder mit der Gardine. Wartete. Draußen blieb alles ruhig; in dieser Straße tobte kein Verkehr und nirgends sah er eine Menschenseele auftauchen, aber er wusste, dass sie anmarschierten. Die Stube war ausgekühlt und er schauderte, fehlte im Raum doch jegliche Heizung. Der Beobachter befand sich im Vorteil, denn er erwartete die Gegner, während diese nur spekulieren konnten, wo der Mann im Hinterhalt lag. Sein Blick strich im Zimmer herum, es stand fast leer, nicht der geringste Wandschmuck oder Möbel waren vorhanden. Lediglich der Holzstuhl, auf dem er saß und das Gewehr mit dem Aufsatz, welches an der Wand lehnte, leisteten ihm Gesellschaft. Zur Beruhigung seiner flatternden Nerven würde er jetzt gerne eine Zigarette rauchen, aber der Qualm konnte ihn verraten, wenn er zum Fenster rauszog. Außerdem war es zu spät - er hatte die Feinde entdeckt. Zwei von ihnen schlichen gerade um eine Hausecke und sicherten. Dann liefen die beiden Männer an der Gebäudefront auf der anderen Straßenseite entlang. Die Fensterhöhlen über ihren Köpfen grinsten kalt und leer. Ohne Hast hob der Heckenschütze seine Waffe an, schob den Gewehrlauf unter den Vorhangstoff und zielte durch den Fensterspalt. Er überlegte, wen er zuerst aufs Korn nehmen sollte, den kleinen Dunklen oder das blonde Kraftpaket? Bevor die Entscheidung fiel, duckten sich die beiden Gegner an einem Schrottauto und verschwanden aus seinem Blickfeld. Der Schütze zog den Lauf wieder vom Fensterbrett zurück und übte sich weiter in Geduld.
Falk und Alex sicherten die Straße runter und hörten über Headsets, wie Truppführer Befehle erteilten. In dem Augenblick, wo sie sich hinter dem Autowrack versteckten, gingen andere Kräfte auf parallelen Routen vor, um den Gesuchten von allen Seiten zu umzingeln. Beide hielten ihre Waffen in den Händen und suchten Fenster und Hauseingänge nach verdächtigen Zeichen ab. Falk tippte Alex auf die Schulter.
„Ich glaube, ich habe eine Bewegung im Haus gegenüber entdeckt. Oben links, hinter dem aufbauschenden Vorhang duckte sich jemand.“
„Sicher?“
„Nee, nur ein Gefühl.“ Falk kniete in einer Pfütze, die Nässe zog durch den Hosenstoff; er spürte es und verlagerte das Bein. Das fehlte ihm noch. Ein Kälteschauer jagte den Rücken hoch. In der Nacht hatte er Fieber bekommen und beim Aufstehen kratzte es im Hals. Das rührte wahrscheinlich vom gestrigen Sprühregen und dem Durchzug in dem Kaufhauseingang her. Aber als Neuling wollte er nicht kneifen, schmiss sich morgens zwei Aspirin ein und machte den Einsatz mit. Dennoch fühlte er sich wie gerädert und fehl am Platz.
„Moment, über Funk kommt gerade was. Die Kollegen sind am Hintereingang, wir sollen noch abwarten, dann durch die Vordertüre kommen.“ Beide bereiteten sich zum Sprung vor.
Falk beobachtete die Fenster gegenüber und spannte die Beinmuskeln an, um auf Kommando hochzuschnellen. Ein Gefühl, das ihn etwas belauerte, kroch weiterhin seine Nervenbahnen empor und die Haare auf den Armen stellten sich auf. Vier weitere Kollegen bogen um die Ecke, schlichen auf der anderen Straßenseite entlang, pressten ihre Körper an die Hauswand, bis sie schließlich rechts und links vor einer Eingangstüre stoppten. Es war das Gebäude, in dem Falk die Bewegung vermutet hatte. Dann waren alle Kräfte in Stellung gebracht und das Signal zum Angriff ertönte.
Einer brach die Türe auf, laut schreiend stürmte das Quartett ins Innere und Befehle bellten durch die Stille. Falk und Alex deckten das Vorgehen. Auch an der Hinterfront brandete Lärm auf und eine Rauchgranate explodierte im ersten Stock, dichter Nebel breitete sich aus und quoll aus den Fenstern. Dann setzten die beiden ebenfalls über die Straße und spurteten ins Haus.
Als Nachhut sicherten sie das Untergeschoss, damit die Truppe in keinen Hinterhalt geriet; standen Rücken an Rücken und zielten mit den Waffen auf verschlossene Türen. In der Etage über ihnen polterte es und aus den Headsets prasselten Meldungen. Falk lauschte und sah sich um. Staub bedeckte die Treppenstufen und an den Wänden hingen Spinnweben. Hier war seit Jahren kein Besen mehr durchgegangen. Während er an die Decke starrte, erfasste ihn Schwindel, heiße und kalte Wallungen schüttelten abwechselnd seinen Körper. Schweißschübe drangen durch die Poren und ließen die Unterwäsche an der Haut kleben.
„Zielperson aufgespürt und gestellt“, meldete Alex, der ebenfalls eifrig den Funkverkehr verfolgte. In dem Moment öffnete sich die Türe einer Parterrewohnung und eine Frau mit Kopftuch trat heraus. Falk sprach diese mit heiserer Stimme an, ein Schleimklumpen verstopfte seine Kehle. Zuerst reagierte die Unbekannte nicht, dann drehte sie sich ruckartig um. Ihre Kleidung beulte sich über dem Bauch und sie zog etwas Dunkles aus ihrem Kittel. Stellte sie eine Selbstmordattentäterin dar, mit einem Zündauslöser in den Fingern? Falk drückte ab und markierte sie mit dem Laser. Blonde Strähnen lugten aus dem Tuch hervor, unter der Schürze zeigte sich ein Kissen und die Frau winkte mit einem Handy in der Hand. Ein Ausbilder betrat den Hausflur.
„Glückwunsch Kollege, Sie haben gerade eine schwangere Zivilistin erschossen. Hiermit ist die Übung für Sie zu Ende.“
Nach einer Standpauke verließ Falk das Übungsdorf und trottete Richtung Unterkünfte. Für heute hatte er die Schnauze voll und fand es besser, sich ein paar Stunden aufs Ohr legen.
Auf seiner Bude angekommen schlüpfte er aus den Klamotten und fiel ins Bett, wechselte zwischen Schlafen und wach liegen. Gedanken verfolgten ihn und er wälzte sich hin und her.
Gegen Mittag klopfte es an der Türe und Alex schaute rein. In der Hand hielt er ein Netz mit Zitrusfrüchten.
„Was hast du mitgebracht, die Goldene Zitrone für den Loser des Tages?“, krächzte Falk.
„Blödsinn. Jetzt spiel nicht verrückt, Fehler passieren.“
„Dürfen aber nicht.“ Falk schilderte, dass er sich immer noch die Frage stellte, ob sein Engagement im Konsortium richtig sei. Alex wiegelte ab, er solle seine Vorbehalte überwinden, doch Falk wies daraufhin, weswegen er in Haft gewesen war. Dem widersprach sein Kollege.
„Genau deshalb hast du eine Chance verdient, basta. Ich schneide dir gleich die Zitronen auf und presse sie aus. Trink einen Schluck davon, den Rest kippe in eine heiße Badewanne. Bis heute Abend wirst du ein neuer Mensch sein, dann sprechen wir uns noch mal.“ Ganz Mutter ohne Brust halbierte Alex die Früchte mit einem Taschenmesser und quetschte die Hälften bis auf den letzten Tropfen in einen Zahnputzbecher aus. Dabei erzählte er, dass sie nach Falks Weggang die Geiselbefreiung aus einem gekaperten Fahrzeug geübt hätten. Auch da war nicht alles glattgegangen, tröstete er seinen Kollegen. Anstrengende Tage lagen hinter ihnen und laut Alex sollten noch etliche folgen.
„Das war nur der Anfang. Sie führen in den nächsten Wochen viele Tests durch und spüren sämtliche Defizite auf. Danach stellen sie ein individuelles Programm für dich zusammen und es geht an den Feinschliff.“
Falk lächelte. Obwohl ihm trotz seines trainierten Körpers mancher Muskel schmerzte und der Schädel vor lauter Information brummte, freute er sich, einen guten Kameraden gefunden zu haben. Er fasste den Entschluss, wenn die Gelegenheit einer ruhigen Minute eintrat, den weiteren Weg reiflich zu überlegen. Er wollte niemanden enttäuschen. Alex stellte den Becher auf den Tisch und schmiss die Schalen in den Mülleimer.
„In den Jahren habe ich für das Konsortium einige Einsätze gefahren, aber dabei noch keinen einzigen Schuss abgegeben, falls dir damit geholfen ist. Doch eins ist sicher, man muss sich seiner Bestimmung stellen. Ich bin davon überzeugt - es kommt der Tag, wo wir dich brauchen.“