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Die Macht der Gewohnheit

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Am Beispiel statistischer Wahrscheinlichkeiten ist gut zu erkennen, wie sehr uns unsere subjektive Wahrnehmung und Einschätzung der Realität einen Streich spielt. Gefühlt wird ein Ereignis umso unwahrscheinlicher, je länger es nicht eingetreten ist. Je häufiger wir mit einem Ereignis konfrontiert werden, desto schneller wird es für uns zur Normalität. Wenn Sie beispielsweise 20 Jahre lang unfallfrei Auto gefahren sind, ist das nichts Besonderes mehr für Sie. Sie gehen dann fast wie selbstverständlich davon aus, dass Sie auch bei Ihrer nächsten Fahrt unfallfrei an Ihr Ziel gelangen werden. Schließlich ist es ja schon lange gut gegangen. Sie sind ein erfahrener, guter Autofahrer, und der Erfolg gibt Ihnen irgendwie recht. Statistisch gesehen steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit jedem Tag, an dem Sie keinen Unfall hatten, gerade weil es ja schon so lange gut gegangen ist. Irgendwann ist das Unfallereignis jedoch statistisch fällig. Dennoch suggeriert uns die unfallfreie Realität eine trügerische Sicherheit, sie vermittelt uns den Eindruck der eigenen Unverletzlichkeit. Trotzdem würden Sie vermutlich nicht aufhören, sich beim Autofahren anzuschnallen, nur weil Sie den Sicherheitsgurt in der Vergangenheit nicht gebraucht haben.

In unserer Lebensrealität werden wir immer wieder mit Ereignissen konfrontiert, die zwar statistisch gesehen ähnlich selten wie ein Lottogewinn eintreten, die uns aber dennoch mit großer Sorge erfüllen. Dazu gehören so unliebsame Ereignisse wie vom Blitz getroffen zu werden oder von einem herabfallenden Ziegelstein oder einem umfallenden Baum. Vielleicht befürchten wir auch, einem Terroranschlag oder dem Angriff eines Haifischs zum Opfer zu fallen. Auch ein Flugzeugabsturz dürfte auf der Skala der Dinge, auf die wir gern verzichten können, ganz oben stehen. Wie Sie vielleicht wissen, besteht jedoch die größte Gefahr, während einer Flugreise zu Schaden zu kommen, darin, auf dem Weg zum Flughafen einen Autounfall zu erleiden. Trotzdem schätzen wir die gefühlte Gefahr viel höher ein, als es ihrer statistischen Wahrscheinlichkeit tatsächlich angemessen wäre. Dies liegt sicher auch an der Berichterstattung durch die Medien, wenn es dann doch einmal zu einem solch seltenen Ereignis gekommen ist. Ein Flugzeugabsturz erhält in der medialen Berichterstattung eine übermäßige Präsenz und Bedeutung, während die vielen unauffälligen, planmäßigen und sicheren Flüge vorher keine einzige Meldung wert sind. Da, wo nichts passiert, gibt es halt auch nichts zu berichten.

In einem ähnlichen Zusammenhang können Sie die psychologischen Tricks und Manipulationen in unserem Alltag sehen, denn sie begegnen uns an allen Ecken und Enden. Genau genommen arbeitet jeder Supermarkt mit Psychotricks, um mehr Umsatz zu machen. Das Ziel ist, Sie als Kunden möglichst lange im Laden zu halten, in eine angenehme Gefühlslage zu versetzen und Ihnen dann auch noch ein besonderes Kauferlebnis zu verschaffen.

Es wird viel dafür getan, damit Sie sich wohlfühlen und bereit sind, Ihr Geld auszugeben. Der übergroße Einkaufswagen suggeriert Ihnen: »Hier ist noch fast gar nichts drin. Bist du sicher, dass du schon alles hast?« Großpackungen sind günstiger als kleinere Mengen und laden Sie zum Vorratskauf ein. Beschwingte Musik schafft positive Emotionen. Selbst die Bodenfliesen sind in einigen Märkten so ausgewählt, dass sie aufgrund ihrer Beschaffenheit den Eindruck eines nassen Bodens vermitteln. Warum das? Ganz einfach. Die Hoffnung ist, dass Sie sich über einen vermeintlich nassen Boden vorsichtiger bewegen, weil Sie die Sorge haben, auszurutschen. Sie gehen also langsamer und halten sich dadurch länger im Supermarkt auf. Das bedeutet mehr Zeit, die zum Einkaufen und zum Geldausgeben zur Verfügung steht. Jetzt sagen Sie vermutlich: »Auf diese Bauernfängertricks falle ich doch nicht herein. Ich habe eine Einkaufsliste und kaufe auch nicht spontan ein, wenn ich Hunger habe.« Darum: Prüfen Sie doch einmal nach Ihrem nächsten Einkauf kritisch, ob Sie wirklich ausschließlich die Dinge gekauft haben, die Sie vorher auch einkaufen wollten.

Vielleicht haben Sie ja schon gelegentlich das eine oder andere Schnäppchen mitgenommen, von dem Sie vorher noch gar nicht gewusst haben, dass Sie es überhaupt brauchen könnten. Oder vielleicht haben Sie nur in einer größeren Menge als ursprünglich beabsichtigt eingekauft, weil die viel günstigere Vorratspackung oder der reduzierte Preis bei Sonderangeboten (»Nimm drei, bezahle zwei«) Sie doch noch überzeugt hat.

Viele solcher Schummeleien sind inzwischen weit verbreitet und zu einer gesellschaftlichen Normalität geworden. Hinter vielen Anfragen und Angeboten vermuten, ja erwarten wir schon gar nichts anderes als eine Mogelpackung. So wie bei den allseits beliebten, aber oftmals illegalen Werbeanrufen von Marketingfirmen. Da lassen uns doch die honigsüße Säuselstimme und der aufgekratzte Überschwang der Anruferin allein schon in die innere Habachtstellung gehen. Sofort liegen wir auf der Lauer und warten auf den großen Moment, in dem sie die Katze aus dem Sack lässt und uns endlich verrät, was sie uns denn nun eigentlich wirklich verkaufen will.

Oder denken Sie einmal an die vielen Versprechen, die Politiker vor einer Wahl abgeben. Kaum jemand von uns glaubt doch wirklich, dass diese vollmundigen Verheißungen später tatsächlich 1:1 in der Realität umgesetzt werden können oder umgesetzt werden sollen. Und jeder kennt das Ritual, wenn dann am Wahlabend das Ergebnis vorliegt und sich die Spitzenpolitiker der beteiligten Parteien nach den ersten Hochrechnungen im Fernsehstudio zusammenfinden, um das voraussichtliche Wahlergebnis zu interpretieren. Da gibt es eigentlich immer nur Gewinner. Und selbst der Kandidat mit den höchsten Verlusten holt aus dem letzten Winkel seines Argumentationsarchivs immer noch irgendeinen fadenscheinigen Vergleich hervor, mit dem er der peinlichen Schlappe etwas Positives abgewinnen kann.

Und da liegt der Trick: Sie müssen nur ein noch schlechteres Ergebnis finden, das Sie dann für den Vergleich bemühen. Voilà! So ähnlich verhält es sich auch in anderen Bereichen, etwa wenn sich das im Makler-Exposé hochtrabend angepriesene »charmante Single-Appartement für unkonventionellen Start-up« als Wohnklo mit Kochgelegenheit oder als Besenkammer mit Hofblick entpuppt.

»Das tun doch alle!« ist dabei ein gern angeführtes Argument für die zahlreichen Beispiele unethischen Handelns in Wirtschaft, Sport und Politik. Manchmal rechtfertigen wir damit auch unser eigenes Handeln vor uns selbst oder anderen, weil es für uns offenbar nicht so moralisch und ethisch verwerflich ist, wenn wir etwas tun, was andere ebenfalls praktizieren.


Diese Macht der Gewohnheit sorgt allerdings dann auch dafür, dass die kleineren und größeren Betrügereien in unserem Alltagsleben und unseren Werthaltungen eine bedauerliche Salonfähigkeit bekommen.

Führen ohne Psychotricks

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