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Keinen Stress, bitte!

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Vor einiger Zeit hatte ich eine Anfrage des Geschäftsführers eines mittelständischen Dienstleistungsunternehmens: »Können Sie für meine Regional- und Abteilungsleiter ein Kommunikationstraining machen? Die müssen lernen, wie man miteinander redet.« Auf meine Nachfrage, wie denn die aktuelle Situation sei und was ihn dazu veranlasst habe, gerade jetzt aktiv zu werden, sagte er: »Meine Führungskräfte kommunizieren nicht vernünftig miteinander, sodass Projekte nicht vorankommen oder sogar mit hohen Kosten scheitern. Gerade jetzt steht ein neues größeres Projekt an, das mit dieser Truppe so nicht zu machen ist.« Danach gefragt, ob er denn an einem solchen Kommunikationstraining auch selbst teilnehmen würde, erhielt ich die interessante und typische Antwort: »Nein, da will ich mich gar nicht einmischen. Wenn der Chef dabei ist, werden ja bestimmte Dinge doch nicht so zur Sprache gebracht. Außerdem geht es ja darum, dass die Manager miteinander besser kommunizieren sollen. Da will ich nicht im Weg stehen.« Ich konnte ihn dann aber doch davon überzeugen, zumindest an einer Feedbackrunde teilzunehmen, und fragte ihn, ob er denn gegebenenfalls bereit sei, sich von seinen Führungskräften ein Feedback geben zu lassen. Seine schnelle, ja beinahe reflexartige – und darum »verdächtige« – Antwort: »Selbstverständlich. Wir sind hier ja alle offen für Rückmeldungen.«

Es kam dann tatsächlich zu einem sehr offenen Austausch. Allerdings: Schnell wurde klar, dass das eigentliche Problem nicht die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Manager war. Vielmehr waren nach ihren bisherigen Erfahrungen neue Projekte in der Vergangenheit immer wieder von oben »verordnet« worden, ohne dass sie in die Entscheidungen eingebunden gewesen waren. Kritische Rückmeldungen zu Schwierigkeiten in der Umsetzung waren immer wieder im Sande verlaufen, sodass nur noch die nötigsten Informationen weitergegeben wurden; aber auch das häufig nur nach expliziter Nachfrage.

Ich habe dann statt eines Kommunikationstrainings einen Klärungsprozess-Workshop mit Geschäftsführerbeteiligung vorgeschlagen und dem Geschäftsführer bereits vorher mitgeteilt, dass er sich voraussichtlich auch auf ein kritisches Führungsfeedback einstellen müsse. Nach anfänglichen Bedenken war er dazu bereit. Ich habe ihm aber auch zugesichert, ihn zu unterstützen, falls die große Kritiktirade über ihn hereinbrechen sollte. Nach mehreren vertrauensvollen Vorbereitungstelefonaten war unser Kontakt schließlich so stabil, dass er sich auf dieses Wagnis einlassen konnte. Und das wurde es schließlich auch für ihn: ein Wagnis.

Als im Workshop deutlich wurde, dass heute wirklich offene Meinungen gefragt seien, legten die Teilnehmer schnell ihre anfängliche Skepsis ab und nahmen kein Blatt vor den Mund. Ein Regionalleiter sagte ganz unverblümt und mit ungebremst-aggressivem Unterton: »Sie laden uns zwar offiziell zu einer offenen Kritik ein. Wenn allerdings jemand tatsächlich den Mut aufbringt, Ihnen zu widersprechen und Ihre Entscheidungen in Frage zu stellen, dann wollen Sie das gar nicht so genau wissen und stellen den Kollegen vor den anderen als inkompetent dar. Auf diese Bloßstellungen hat natürlich niemand Lust. Da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn irgendwann keiner mehr den Mund aufmacht.«

Mein Job war es, diesen Angriff in ein konstruktives und wertschätzendes Feedback umzuformulieren, das zwar die Kritikpunkte klar benennt, aber den Stachel der anklagenden Du-Botschaft herausnimmt, sodass der Geschäftsführer das Feedback trotz der deutlichen Kritik annehmen konnte. Wer sich angegriffen fühlt, reagiert in den meisten Fällen mit Widerstand, versucht sich zu rechtfertigen oder seinerseits anzugreifen und hat keine Kapazitäten mehr frei, um zuzuhören und zu verstehen. Dann hätten zwar der Regionalleiter und die andern Teilnehmer vielleicht das Gefühl gehabt, ihrem Geschäftsführer mal so richtig die Meinung gesagt zu haben; aber geholfen hätte das letztlich nicht. So aber erhielt der Geschäftsführer eine wichtige, konstruktive Rückmeldung zu seinem Führungsstil, die er vermutlich nicht bekommen hätte, wenn es ein »Kommunikationstraining« nach seinen ursprünglichen Vorstellungen ohne ihn gegeben hätte. Am Ende der Veranstaltung war er trotz der unangenehmen Situation froh, dass er sich darauf eingelassen hatte. Er wusste vor allem die Offenheit der Teilnehmer zu schätzen. Und er bat seine Mitarbeiter ganz explizit darum, ihn zukünftig deutlich darauf hinzuweisen, falls sie sich durch seine Äußerungen oder sein Verhalten bloßgestellt fühlen sollten.

Aus meiner Erfahrung ist es fast nie so, dass Menschen im beruflichen Kontext erst lernen müssen, wie sie miteinander reden sollen. Stattdessen sind es entweder die unklaren persönlichen Standpunkte oder die äußeren Strukturen, die eine angemessene Kommunikation verhindern. Wenn aber innere und äußere Klarheit gegeben ist, sind die Beteiligten durchaus in der Lage, damit kraftvoll nach außen aufzutreten und sich konstruktiv auszutauschen. Allerdings ist es manchmal ein längerer, anstrengender Prozess, bis die unterschiedlichen Positionen tatsächlich eindeutig sortiert sind.

Führen ohne Psychotricks

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