Читать книгу Führen ohne Psychotricks - Frank Hagenow - Страница 18
Nicht logisch, aber psycho-logisch: Ein kleiner Einblick in unsere Strickmuster
ОглавлениеEine wesentliche Triebfeder menschlichen Handelns liegt im Wunsch nach positiven Emotionen und einem förderlichen Selbstkonzept. Wir wollen uns gern gut fühlen und am liebsten mit uns selbst im Reinen sein. Negative Empfindungen wie Schmerz, Zweifel, Ablehnung, Misserfolg, ungelöste Probleme und unerfüllte Wünsche mögen wir nicht so gern. Deshalb tun wir sehr viel dafür, um positive emotionale Zustände zu erreichen oder beizubehalten. Das kann zuweilen bizarre Formen annehmen. In Goethes »Faust« dreht sich der ganze Deal mit dem Teufel nur um dieses eine Thema. Faust, der als Wissenschaftler und eloquenter Geist nach persönlicher Weiterentwicklung und tiefer gehenden Erkenntnissen sucht, stößt immer wieder an die Grenzen seines irdischen Daseins und der eigenen Unzulänglichkeit. Er hält diesen Zustand der Unzufriedenheit nicht länger aus und sucht deshalb nach neuen Lösungsansätzen. Schon bei seinem ersten Auftritt macht er seiner Enttäuschung Luft, indem er sagt (Faust I, 376 – 383):
»Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß,
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält«
Der Wunsch, diesen unbefriedigenden Zustand abzustellen, lässt ihn schließlich den Pakt mit dem Teufel schließen, indem er Mephistopheles seine Seele verkauft; so groß ist sein Leidensdruck.
Haben Sie Interesse an ein paar beispielhaften Absurditäten zum Handeln wider besseres Wissen? Dann werfen wir doch einmal einen Blick auf die Kernenergie, die seit den 1950er-Jahren im großen Stil für die Stromproduktion genutzt wird. Allerdings strahlt der radioaktive Abfall eines Kernkraftwerks auch noch nach Jahrzehnten sehr stark. Je nachdem, was man als ungefährlich einstuft, ist diese Strahlung erst nach einigen Tausend bis Hunderttausend Jahren abgeklungen. Das ist für mein Empfinden eine ziemlich lange Zeit. Also kommt der sicheren Endlagerung des Atommülls bis zu diesem Zeitpunkt doch eine wesentliche Bedeutung zu. Unter normalen Umständen hätte man ja nun erwartet, dass die Frage der Entsorgung geklärt worden wäre, bevor man damit begann, über den Bau von Atomkraftwerken nachzudenken. Nach meinen Recherchen gibt es aber bislang weltweit noch kein einziges Endlager für hoch radioaktiven Abfall. Das ist mit dem gesunden Menschenverstand nur schwer zu vereinbaren. Da wird auf eine Technologie gesetzt, von der man zum Zeitpunkt des Einsatzes noch in keiner Weise überschauen kann, wie man der strahlenden Zukunft Herr werden kann. Wenn wir noch einmal Herrn Goethe für eine Parallele bemühen wollen, dann geht es uns hier wie seinem Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr loswird. Im Falle der Atomenergie stellt sich ebenfalls die Frage, wer denn nun der Zaubermeister sein soll, der dem ganzen Spuk ein Ende macht und den radioaktiven Besen wieder in seine Ecke schickt. Es ist eigentlich nicht so richtig nachvollziehbar, warum wir mit manchen Dingen schon einmal beherzt loslegen, obwohl wir noch keine wirkliche Vorstellung davon haben, wie die Reise weitergehen soll. Zuweilen entsteht sogar der Eindruck, als würde eine kindlich-naive Zuversicht uns darin bestärken, dass sich am Ende dann doch noch alles auf wundersame Weise zum Guten wenden wird. Als würde es tatsächlich so etwas wie das rheinische Grundgesetz geben, nach dem es »noch immer gut gegangen« ist und das Ihnen gern als kölsches Mantra (»Et hätt noch emmer joot jejange!«) auch außerhalb von Köln in ähnlicher Form immer wieder begegnet. Aber das ist ja fast so, als wenn Sie bei einem Sprung aus dem Flugzeug erst im freien Fall überprüfen würden, ob Ihr Fallschirm auch mitgesprungen ist. Und sollten Sie tatsächlich feststellen, dass Sie sich gerade ohne Fallschirm mit rasantem Tempo der Erde nähern, können Sie sich immer noch bis kurz vor dem Aufprall damit trösten, dass bis hierhin ja alles gut gegangen ist.
Ich stelle mir beim Nachdenken über solche Zusammenhänge immer die Frage: Warum nur bestimmt unser Wissen (oder eben unser Nichtwissen) um die langfristigen Spätfolgen unseres Handelns dann nicht unsere Entscheidungen? Und:
Warum verhalten wir uns nicht anders, wenn wir es eigentlich besser wissen müssten? Das ist doch alles nicht logisch, oder? Nein, logisch ist es nicht, aber offensichtlich psycho-logisch.