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Die 80er – das verlorene Jahrzehnt

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Ständig werden die 80er abgefeiert – warum eigentlich?

Je weiter die 80er Jahre zurückliegen, desto großartiger erscheinen sie vielen – höchste Zeit für eine Richtigstellung.

Irgendwas muss schiefgelaufen sein in der Gegenwart: Depeche Mode beschallen immer noch die Großraumhallen der Welt, Michael Jackson verkauft als Toter mehr Alben als die meisten Lebenden, und unlängst ist die gefühlte 17te Best-of-Zusammenstellung von Frankie Goes To Hollywood erschienen – bemerkenswert für eine Band, die nur zwei reguläre Platten veröffentlicht hat.

Sagte ich „Platten“? Es muss natürlich CDs heißen. Zu den technischen Neuerungen, die uns die 80er brachten, gehören auch jene kleinen Scheiben, die Musikredakteure seinerzeit gern als „Silberlinge“ bezeichneten – ein gewagter Begriff für ein Produkt, dessen Herstellungskosten bei unter 10 Cent liegen, und dennoch passend zu einem Jahrzehnt, das um große hohle Worte nie verlegen war.

Dafür sorgten schon die Wanderprediger der Sekten BAP und U2, Wolfgang Niedecken und Bono Vox. Junge Menschen, die sich von den Amtskirchen abgewandt hatten, suchten ihr Heil bei selbst ernannten Messiassen, die zwar kein Wasser in Wein verwandeln konnten, aber Phrasen in Gold.

Bloß verkündeten Bono und Niedecken keine frohe Botschaft, sondern die Apokalypse. Wenn nicht grad wieder Bloody Sunday oder Kristallnaach drohte, herrschte die Sinnkrise. Das Leben als Jammertal. Die Passionsgeschichte, neu interpretiert von Wolle Niedecken. Keiner konnte so allumfassend leiden wie er, von A wie Afrika (Hunger) bis Z wie Zerrüttung (Beziehung). Der Anlass war dabei beliebig. Ob Nackt im Wind-Benefizsong oder Anti-WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf – es gab immer eine Gelegenheit, die Schlechtigkeit der Welt anzuprangern. Was dabei auf der Strecke blieb, war der Spaß. Die Lebensfreude. Die Unbeschwertheit.

Und es sollte noch schlimmer kommen: Vernichtung drohte nicht nur in Tschernobyl, sondern auch in fremden Betten. Mit dem Aufkommen von Aids hörte das Liebesspiel auf, ein Spiel zu sein. Der kleine Tod konnte den großen nach sich ziehen. Spätestens, wenn Fragen wie „Kann man vom Küssen Aids kriegen?“ öffentlich diskutiert wurden, erhielten verunsicherte Jugendliche den ultimativen Angstkick.

Denn das war die eigentliche Seuche jener Jahre: Angst. In den 60ern konnte man unschuldig rebellieren, in den 70ern unschuldig kopulieren. In den 80ern war es unmöglich geworden, unschuldig zu agieren. Ganz gleich, ob es um den Umgang mit Rohstoffen ging oder den mit Geschlechtspartnern – mit einem Mal hatte jedes Fehlverhalten üble Konsequenzen. Selbst ein harmloses Biergartenbesäufnis musste mit dem Tod zigtausender Gehirnzellen bezahlt werden. Nichts blieb folgenlos. Und gutmeinende Menschen, wie Journalisten mit Enthüllungs-, Mediziner mit Aufklärungs- und Pädagogen mit Weltverbesserungsanspruch, wurden nicht müde, einen überall und ständig daran zu erinnern. So wurde eine ganze Generation zum Opfer der Informationsflut. Wir, die Kinder der 80er, wussten alles und kapierten nichts. Vor lauter Fakten verloren wir den Überblick. Wir lernten für die Schule, aber nicht fürs Leben. Wir gingen zur Uni, aber ohne Plan und ohne Ziel (weshalb jeder Dritte von uns das Studium abbrach). Anstatt uns auf das Leben einzulassen, simulierten wir es nur.

Jäger des verlorenen Zeitgeists

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