Читать книгу Jäger des verlorenen Zeitgeists - Frank Jöricke - Страница 21

1968 – das Jahr des Schlagers

Оглавление

Warum Peter Alexander revolutionärer war als Rudi Dutschke

Dorthe spottete Wärst du doch in Düsseldorf geblieben, Heintje rief nach Mama, und Roy Black stellte fest: Wunderbar ist die Welt.

Natürlich war sie das nicht. In Vietnam hagelte es Bomben, in Frankreich und Deutschland flogen Steine. Andreas Baader steckte ein Kaufhaus in Brand, und Rudi Dutschke erlitt einen Kopfschuss. Es gärte überall. Und der Schlager musste darauf reagieren. Später, in den 70ern, sollte er sich dem Zeitgeist ergeben. Versuchte sich in Gesellschaftskritik. Juliane Werding besang dann den Drogentod und Christian Anders die Großstadteinsamkeit. Das war nicht so schön.

Damals aber, im Zauberjahr 1968, glaubten noch alle, man müsse der verschärften Wirklichkeit einfach nur verschärfte Schlager entgegensetzen. So wurde der Schlager zum Rauschmittel. Mit dem Sänger als Dealer.

Vorneweg: Peter Alexander. Peter der Große. 42 Jahre alt und gerade angekommen auf dem Gipfel der Schaffenskraft. Peter Alexander war damals sogar besser als Tom Jones. Und um das jedem zu beweisen, sang er Jones-Titel auf Deutsch. Auf Komm und bedien dich (Original: Help yourself) klingt er so überdreht und überschäumend wie nie. Hier lässt einer drei Minuten lang die Korken knallen. Entwickelt eine Vision vom Leben als Champagnerpicknick. Deshalb klingen Zeilen wie, „Ich lad dich ein, und du sagst Yes, und zum Dessert gibt’s Happiness“, auch nicht albern, sondern wahrhaftig.

Denn die Schlagerstars des Jahres 1968 wissen nicht wohin mit ihrer Lebenslust. Dorthe spricht auf der Straße wildfremde Männer an (Sind Sie der Graf von Luxemburg?), und France Gall trommelt zum Karneval: „Zwei Apfelsinen im Haar und an der Hüfte Bananen trägt Rosita seit heut zu einem Kokosnusskleid“ (A banda).

Das alles spielt nicht in Deutschland. Rosita wohnt in Mexiko. Und die Dänin Dorthe muss zum Flirten ins Großherzogtum. Die Bundesrepublik des Jahres 1968 kommt in der Schlagerwelt nicht vor. Sie war jener triste, trübe Zustand, den Revoluzzer wie Schlagersänger hinter sich lassen wollten. Die Schlagersänger hatten die besseren Lieder.

Zeitgeistentdeckung Nr. 4:

Geschichtsbücher erzählen nur die halbe Wahrheit.

Zum Weiterlesen

Christian Pfarr: Ein Festival im Kornfeld. Kleine deutsche Schlagergeschichte

Jäger des verlorenen Zeitgeists

Подняться наверх