Читать книгу Null Jahreszeiten - Frank Strick - Страница 9
07. Mittwoch, 25.12.2013 |
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Corinna schreckt hoch. „Hast du etwas gesagt?“ Der Kater starrt ihr in die Augen. „Was siehst du, Konrad, das sind die Fenster zu meiner Seele.“ Die Temperatur des Wassers ist weit unter die ihres Körpers gesunken. „Siehst du meine Seele, Konrad, ist sie tot?“ Sie steigt aus der Wanne, trocknet sich ab und geht ins Bett. Der Kater rollt sich neben ihren Füßen zusammen. Vier Stunden später klingelt das Telefon.
„Hast du geschlafen?“
„Was willst du?“
„Deine Stimme hören?“
„Ich bin verabredet, und ja, es sind drei Männer.“ Julia macht ein Geräusch, das nach Lachen klingt. „Und Konrad?“ Corinna geht in den Flur. Der Kater hat das Futter nicht angerührt. „Zwei Tage, dann erzähle ich dir alles.“
„Und dann ziehen wir zusammen, du und ich?“
„Abwarten, was passiert.“
„Deine Wohnung ist groß. Ich mag deine Wohnung. Und was soll schon passieren?“
„Alles Mögliche, und das hat dich dann am Wickel.“ Corinna steckt das Telefon in die Ladestation. Aussöhnung, die passiert, genau, kann ein jeder zu sagen, wie er will. Jemand hat einen Anruf hinterlassen. Es ist die Frau Mama. Du erledigst die Sache im Restaurant, und ich mach das Zimmer sauber, hörst du. Eine Pause. Schläfst du oder was? Hör zu, es geht nicht darum, wie wahr eine Sache ist, sondern darum, wie glaubhaft du sie vermittelst, so ist das, die Wahrheit ist das, was man dafür hält, ja genau. Corinna hört, wie sich die Mutter ein Proteingetränk einschenkt. Sie glaubt, dass es ein Proteingetränk ist. Ich gehe jetzt trainieren. Es ist 6 Uhr 30, ich gehe um 6 Uhr 30 trainieren. Corinna löscht die Aufnahme. Sie läuft durch den langgestreckten Flur in das hintere Zimmer. Die Bettdecke liegt zerwühlt auf der Matratze, Rock und Lacklederstiefel liegen daneben. Sie tastet nach der Kuhle, in der Konrad gelegen hat, findet Katzenhaare, warum haben Katzen diese Haare überall, Kernobst gibt es auch ohne Kerne, den Samen ohne Mann. Sie stellt sich auf das Laufband, macht eine paar Schritte und spürt den Widerstand der Rolle. In der Hasenheide war sie nicht mehr joggen, seit der Mann ihr den Hund vorgestellt hat. Gnädiges Fräulein, mein kleiner Freund hier heißt Klitschko ... Ihre Schritte werden schneller, der Widerstand der Rolle verstärkt sich. Sie sollte sich Schuhe anziehen. Klitschko würde Ihnen gern ein Plätzchen zeigen, gnädiges Fräulein, schön lauschig und nicht weit von hier ... Ihre nackten Füße hämmern auf das Band ein. Sie sollte in den Rhythmus finden. Er würde sich wünschen, dass Sie vorangehen, gnädiges Fräulein, hier geht es lang ... Ihr Blut rast durch den Körper, sie fällt in Schritttempo zurück, starrt auf die Füße, die auf der Stelle treten. Schweiß tropft auf das Band und rollt an ihr vorbei und taucht wieder auf, mehr Schweiß, sie zieht nochmal an, noch mehr Schweiß, sie zieht an, bis die Lunge nichts mehr hergibt. Das Blut rast, das Herz rast, Band und Füße stehen still. Sie wird rausgehen und joggen, sobald die Sache vorbei ist, mit den richtigen Schuhen und dem richtigen Rhythmus, und dann wird sie mit Julia die Wohnung teilen, und die Schwester wird sie nie wieder erwähnen. Konrad, wo ist Konrad? Sie wechselt in den ungenutzten Raum mit der Katzenklappe im Fenster. Die Klappe ist nach außen geschoben. Also ist der Kater unterwegs und wird sich sein Essen von den Resten des Restaurants holen, das mit ihr den Hinterhof teilt. Sie duscht sich den Schweiß vom Körper, räumt die Weinflasche weg und stellt das Glas in die Spüle. Der Dielenboden in der Wohnküche bewegt sich unter ihren Füßen. Sie mag die Bewegung, und sie mag das Geräusch, das das Holz dabei macht. An dem Küchentisch haben sie vor einem Monat Canasta gespielt. Sie sieht aus dem Fenster. Der Asphalt verliert sich Richtung Hasenheide im Nebel. Die Feuchtigkeit hat sich auf den parkenden Autos niedergeschlagen. Die Gehsteige sind verlassen. Die Stadt wartet darauf, dass der Nebel sich auflöst.
Sie zieht eine Jogginghose an, Kapuzenpullover, eine leichte Jacke und feste Schuhe. Am Görlitzer Bahnhof steigt sie in die U-Bahn. Sie entdeckt das Fenster sofort. Die Sonne hat ein Loch in die Nebeldecke gerissen, spiegelt sich im Glas und verhindert so den Blick in das Zimmer. Sie steigt am Kottbusser Tor aus, trinkt Kaffee, isst ein Croissant und sieht sich in einem Buchladen um. Dann macht sie weiter. Die Sonne steht jetzt so, dass sie sich nicht mehr im Fenster spiegelt. Das Fenster hüpft an ihr vorbei, sie kann das Innere des Zimmers erahnen. Beim zweiten Mal sieht sie die Tür. Dann die Matratze, und schließlich sein Bein, das von der Matratze auf den Boden fällt. Sie haben ihn noch nicht entdeckt. Das ist gut. Die Mutter hat ihn noch nicht weggeschafft. Das ist schlecht. Sie fährt die Strecke nochmal. Sieht: Matratze, Oberkörper, Zimmertür. Dass das Bein jetzt anders liegt, das sieht sie nicht.
Mit den Sonnenstrahlen tanzt der Staub durch ihre Wohnung. Vor einem Monat, da hätte sie mitgetanzt. Heute tanzt sie nicht mit. Denn der Rest des Lebens ist ein Trauerspiel. Sie bewegt sich langsam. Sieht Löcher in den Dielen. Bückt sich. Tastet nach Projektilen. Findet keine Projektile. Geht von Zimmer zu Zimmer. Die Dielen knarzen. Es klingelt. Durch den Spion sieht sie Julia. Die Freundin schneidet Grimassen. Sie macht einen Spaltbreit auf.
„Geht es dir gut?“ Corinna antwortet nicht. „Du siehst irgendwie gut aus, nein, nicht irgendwie, einfach gut, wie machst du das bloß?“ Julia trägt Ausgehkleidung. Einen knielangen Rock, Stiefeletten, Lederjacke, Makeup. Der Rock ist mit bunten Motiven bedruckt: Blumen, Sonnen, Tauben, Obst. Ein selbstgestrickter Schal verdeckt das Kinn. Auf der Nase, die Julia für zu klein und Corinna für gerade richtig hält, sitzt eine John-Lennon-Brille mit beschlagenen, rosaroten Gläsern. Das Haar ist hochgesteckt. Corinna macht keine Anstalten, die Freundin in die Wohnung zu lassen. Julia zieht den Schal vom Kinn. „Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Hippies kennen keine Sorgen.“
Julia nimmt die Brille ab und putzt die Gläser mit dem Schal. „Selbstgestrickt, von einer Freundin.“
„Der zerkratzt das gute Glas tut der, ja weißt du denn gar nichts.“ Corinna hat schlechte Laune.
„Früher, da hat eine Frau gestrickt, weil die Familie etwas zum Anziehen brauchte.“
„Ja“, sagt Corinna, „früher, und jetzt?“
„Jetzt strickt man Geschenke.“
„Dann strick sie dir doch, deine Freunde, oder verschwinde nach früher.“ Corinna geht in die Küche. Julia folgt ihr. Sie legt den Schal zusammen. „Was zählt, sind Gefühle.“
„Gefühle täuschen. Und dann haben sie dich am Wickel.“
„Was ist mit deinem Zeigefinger?“
„Ein Bluterguss, und jetzt?“
„Bluterguss.“ Julias Blick sucht den der Freundin. „Manchmal sind wir wie die Kinder, und wenn wir alles kaputtgeschlagen haben, dann stehen wir vor dem Scherbenhaufen und müssen uns wie Erwachsene benehmen.“ Sie versucht ein Lächeln. „Man muss aufeinander zugehen, wenn man sich näherkommen will.“ Corinna nimmt einen Kerzenständer und macht sich daran, das Wachs aus dem Boden zu puhlen. „Es ist für mein Studium. Drei Männer für mein Studium. Und der Bluterguss kommt von der Fahrradbremse.“
„Fahrradbremse.“ Julia deutet auf den Tisch. „Da haben wir Canasta gespielt.“
„Ich bin eine schlechte Verliererin.“
Julia steht auf und schenkt sich ein Glas Wasser ein. Sie sieht das leere Weinglas. „Du trinkst allein.“
„Konrad leistet mir Gesellschaft.“
„Du hast heute Morgen nicht einmal gewusst, wo Konrad ist.“ Julia trinkt das Glas leer und stellt es mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch. „Und mit dieser Puhlerei ruinierst du dir die Fingernägel. Also?“
„Matrosen, und mit einem bin ich gestern mit, also was?“ Corinna greift sich die Handtasche und läuft aus der Wohnung. Julia hat Mühe, aufzuschließen. „Matrosen? Jessas! Drei Matrosen?“ Corinna bleibt stehen. Julia läuft auf, verliert den Schal, lacht, legt Corinna eine Hand auf die Schulter. „Ich habe ihn selber gestrickt.“
„Was?!“
„Den Schal, ich habe ihn selber gestrickt. Für mich.“
Corinna schüttelt die Hand ab. „Du hältst Abstand, und im Restaurant, da kennen wir uns nicht.“ Sie geht weiter. Julia folgt ihr. Am Kanal kommt der Schnee. Die Flocken schmelzen auf dem Boden, der nicht kalt genug ist, um die Eiskristalle zu halten. Aber in der Luft, da sind sie schön anzusehen. Corinna zieht den Mantel enger an den Körper und hält sich unter den Bäumen. Sie hat keine Augen für Dinge, die schön anzusehen sind. Sie biegt in die Manteuffelstraße ein. Der Schneefall wird stärker. Sie stellt sich unter und überlegt, wie sie es anstellen soll. Ein Lastwagen mit Schrott auf der Ladefläche macht mächtig Lärm. Das Kopfsteinpflaster ist feucht und glänzt im Lichtkegel, den die Scheinwerfer vor sich herschieben. Hinter dem Lastwagen hängt ein PKW und setzt zum Überholen an.
Offensiv, entscheidet sie, du gehst die Sache offensiv an, denn wenn du es nicht tust, wirst du in die Ecke gedrängt, und da fliegt dir dann alles um die Ohren. Der PKW überholt. Sie wechselt die Straßenseite. Ein Hund schnappt nach den Schneeflocken. Das Mädchen, das den Hund an der Leine führt, macht es ihm nach. Neben dem Mädchen läuft die Freundin und macht ein Video. Corinna stößt die Tür zum Radieschen auf und geht auf die Bar zu, an der Schleyer mit zwei Männern steht. Sie erkennt die beiden genauso wenig, wie sie Sailor oder Schleyer erkannt hat, aber die Clowns in den Männern, die sind nicht zu übersehen, und wenn die beiden mit dreizehn ähnlich komisch ausgesehen haben, dann muss es für sie ein Leichtes gewesen sein, die Marktbesucher abzulenken. Der eine hat einen ausladenden, kahlgeschorenen Kopf, der auf einem mageren, hochgeschossenen Körper sitzt, selbst der Hals ist mager, mit einem vorspringendem Adamsapfel, aber am Kopf, da ist alles sehr fleischig geraten, die Nase, die Lippen, die Backen, die Augäpfel quellen hervor, ja auch die Ohren sind fleischig, am rechten baumelt ein Anker. Der andere Mann ist zwei Handbreit kleiner und das Gegenstück. Sein Körper ist massig, der Hals der eines Stieres, er grenzt sich durch ein spitzes Kinn vom Schädel ab, der Schädel ist in die Länge gezogen, die Augen liegen tief in den Höhlen, auch die Nase setzt tief im Schädel an, teilt den Schädel und die Welt in zwei Hälften, die Haut ist faltig, die pechschwarzen Haare hängen in fettigen Strähnen über den Augenhöhlen. Alle drei Männer tragen Kleidung, die die Oberarme bedeckt, der Dicke einen Pullunder mit Karomustern über dem langärmligen Hemd.
„Das ist sie also“, sagt der Lange mit dem Anker im Ohr.
„Nass geworden?“, fragt Schleyer.
„Ich die obere Hälfte“, sagt der Dicke.
„Die Frau ist tabu“, sagt Schleyer, und zu Corinna: „Fronten müssen geklärt werden, dass man weiß, wo man steht.“
„Wer-Fickt-Wen-Fronten?“, hakt Corinna nach.
„Nicht zu viel versprochen, Matrose Schleyer.“ Der Dicke wirft den Kopf nach links, um die Haare aus dem Gesicht zu kriegen. Seine Atmung ist hektisch. „Frohe Weihnachten, Dame.“
„Schneit es?“, fragt Schleyer, „es ist für heute Abend Schnee angesagt.“
Corinna schüttelt die Feuchtigkeit von ihrem Mantel. „Was versprochen?“ Aus den Augenwinkeln heraus sieht sie, dass Julia die Bar betritt. „Was versprochen, Schleyer?“
„Thomas Fronzek“, ignoriert Schleyer die Frage und deutet auf den mit dem Anker im Ohr. „Und das ist Detlef Albers.“ Sein Finger schwenkt zu dem Dicken rüber.
„Da ist noch eine“, sagt Fronzek.
„Hammer“, grölt Albers, „echt.“
„Wo ist Sailor?“, wendet sich Schleyer an Corinna.
„Ja wo ist er denn hin?“, sagt Corinna, „ja und wenn er noch kommt?“
„Kommt“, grölt Albers, „hat was am Haken.“
Fronzeks Blick deutet Richtung Julia, die sich an das andere Ende der Bar gesetzt hat. „Was treibt Damen wie euch in so ein Lokal?“
„Der empirische Teil meiner Seminararbeit“, sagt Corinna, „Thema Männerfreundschaften. Also: Was hat Schleyer wem versprochen?“ Die Drei Männer sehen sich an. „Männerfreundschaften“, grölt Albers im Stakkato, „tun Frau vertragen.“
„Immer die Ruhe, Dicker.“ Fronzeks Blick wechselt zu Corinna. „Ein Studium?“
„Das Verhalten von Zielgruppen erforschen, und wenn man das kennt, dann kann man das nutzen.“
„Kaufverhalten“, vermutet Schleyer, „im Internet.“
„Oder in der Kriminologie“, sagt Fronzek, „zum Erstellen von Profilen.“ Er starrt die Frau an. Corinna starrt zurück. Sie verflucht die Mutter, die die Tochter an die Uni schickt, damit die Sache hieb- und stichfest ist und ihr keiner etwas anhaben kann, die Mutter, die das Versteckspiel mit den Patronen erfindet, damit man dem Gegner den Schritt voraus ist, die Mutter, deren Welt aus Feinden und Bedrohung besteht, und dann kommt lange nichts, und dann die Gewichte und Seilspringen und Misstrauen, überall das Misstrauen, und jetzt steht sie hier, vor ihr die Bedrohung, und die Frau Mama ist weit weg von der Bedrohung. Sie verflucht sich selber, die auf die Mutter gehört hat. Sie sagt: „Auch da, Matrose Fronzek, auch in der Kriminologie, aber da braucht es schon Männer mit Eigenschaften, Matrose Fronzek, weil ein Mann ohne Eigenschaften, da kannst du lange nach einem Profil suchen. Besitzen Sie Eigenschaften, Matrose Fronzek?“
„Mann ohne Eigenschaften“, kommt es von Albers, „Musil, Scheißbuch, Bloody Mary.“ Er winkt dem Kellner. „Dame wie gestern, will heißen: same same.“
„Das Meer macht uns zu Männer“, sagt Fronzek, „zu harten Männer. Da hat man ein Profil fürs Leben.“
„Einmal immer Matrose“, grölt Albers, „Schiff hin her.“
„Seemannsgarn“, sagt Schleyer, „dieses Einmal-Immer-Gefasel.“
„Sehe Bil-derb-uchm-atros-enfa-ssade“, grölt Albers und zerhackt das Wort in unvorhersehbare Einzelteile, „innen hohl, Profil blass.“
„Ruhig, Dicker.“
Corinna denkt sich, dass Albers recht hat. Schleyer ist ein Bilderbuchmatrose, so wie die Welt sich einen Matrosen vorstellt, mit Vollbart, wettergegerbter Haut, stahlblauen Augen, tätowierten Muskeln. So, wie Sailor einer war. „So mancher Matrose ist kein harter Mann“, macht Schleyer weiter, „die Matrosen der Lüfte wären da als Beispiel zu nennen.“
Fronzeks Gesichtsauszüge entgleisen. „Erkläre dich, Matrose!“
„Die haben ein Merkmal, ja das gibt es nicht nur in der Luft“, sagt Schleyer und weicht einen Schritt zurück.
„Schwule Matrosen?“, hakt Corinna nach, „etwas, das mal gesagt werden muss?“
„Ich?“ Albers wirft seinen Schädel zur Seite. „Schwul?“ Er macht einen schnellen Schritt auf Schleyer zu und schlägt zu. Die Nase explodiert.
„Harte Männer“, sagt Corinna.
„So etwas wird an Ort und Stelle geregelt“, erklärt Fronzek, „wegen der Unmittelbarkeit.“
„Sonst nachgedacht“, sagt Albers, „also vorsätzlich.“
„Bin Gärtner.“ Schleyer wischt sich mit dem Hemdsärmel das Blut aus dem Gesicht. „Gärtner.“
„Gärtner?“ Albers Faust droht Schleyer abermals und bleibt dann vor Corinna stehen. Er dreht die offene Handinnenfläche nach oben. „Schwielen, Profil, Arbeit, Salz. Anfassen, Dame!“ Er greift nach ihr. Corinna weicht aus. Der Kellner stellt ihr den Drink hin. Sie holt die braune Flasche aus der Handtasche und füllt mit der Pipette Chili in das Glas. Die Männer beobachten sie.
„Gott“, grölt Albers, „was das?“
„Wirst schon sehen“, sagt Schleyer.
„Sehe Bilderbuchbart mit Blut“, grölt Albers. Er greift erneut nach Corinnas Hand. Er ist schnell, und Corinna zu langsam. „Gut?“ Er reibt seine Schwielen an ihr. „Vertäuung, Kilometer, Salz. Sehe Finger mit Bluterguss.“ Corinna reißt sich los. Albers lacht und nimmt die Chiliflasche. „280.000 Scoville, was das?“ Er saugt mit der Pipette Flüssigkeit auf, legt den Kopf in den Nacken, kriegt den ersten Tropfen ab und spuckt aus. Fronzek wendet sich Corinna zu. „Was machen die Studien, Frau Studentin?“
„Eine Bilderbuchzielgruppe seid ihr. Ich muss telefonieren.“ Sie nimmt ihre Tasche und geht nach draußen. „Wenn sie telefoniert“, sagt Schleyer, „dann will sie nicht gestört werden.“
„Und das Geschäft?“, will Fronzek wissen, „was habt ihr gestern besprochen?“
„Chinesische Zigaretten suchen in Hamburg einen Abnehmer. Zwei Container im Monat.“
„Kontakt, Ursprung?“
„Sailor wollte heute mit uns reden.“ Corinna kommt zurück. Sie sieht von einem zum anderen. „Gärtner also“, sagt Fronzek an Schleyer gewandt, und dann dreht er sich unvermittelt zu Corinna hin. „Wo ist Sailor?“
„Frauen?“, versucht es Corinna.
Fronzek winkt ab. „Geschäfte gehen vor.“
„Und was war gestern?“
„Ausnahme“, erklärt Albers, „einmal keinmal.“
„Er ist ein grottenschlechter Liebhaber, das muss einmal gesagt werden.“
„Mann taugt“, erklärt Albers, „wenn Frau taugt.“
„Ein grottenschlechter Liebhaber“, wiederholt Corinna, „ist es das, was das Meer aus einem macht?“ Offensiv, und du musst sie von der Wohnung weghalten, bis Mama ihn rausgeschafft hat.
„Ich kenne dich.“ Corinna zuckt zurück. Fronzek nickt. „Muss eine Weile her sein.“
„Hat einer von euch sehr viel Geld?“, geht Schleyer dazwischen, „ich habe Sailor schon gesagt, dass unsereins diese Frau nur mit sehr viel Geld beeindrucken kann.“ Corinna presst die Hände auf die Oberschenkel, um das Zittern zu verbergen. Julia sitzt an der Bar, trinkt Cola und beobachtet. „Ist lange her“, sagt Fronzek, „und du warst noch klein.“
„Was tun?“, sagt Albers.
„Kennen wir uns?“ Julia hat ihren Platz verlassen und steht vor Fronzek. „Spielt ihr Rätselraten?“
„Spielst du Skat?“
„Ich beschütze diese Frau.“ Julia wirft einen Blick Richtung Corinna. „Vor solchen wie dir.“
Fronzeks Gesichtsmuskulatur verspannt sich, der Anker am Ohr zittert, die Lust, die er vorher für die Frau empfunden hat, zählt nicht mehr. „Und ich, ich will jetzt wissen, was hier los ist.“
„Meine Freundin studiert Männerfreundschaften, und ich begleite sie im Hintergrund. Wie findest du das?“
„Siehst nicht nach Hintergrund aus, und ich gehe jede Wette ein, dass zumindest deine Freundin Skat spielt, denn wenn sie das nicht tut, wird sie uns nie begreifen.“
„Und jetzt?“, fragt Julia an Corinna gewandt.
„Wir suchen Sailor“, sagt Fronzek, „und du zeigst uns den Weg.“ Sein Finger zeigt auf Corinna. Corinna starrt auf den Finger. Ein Ruck geht durch ihren Körper. „Pimpern, Zigarette, Haustüre, Matrose Fronzek, und wenn ich Sailor finde, kann er was erleben.“ Fronzek winkt dem Kellner. „Rechnung und Taxi.“ Er zählt die Fahrgäste ab. „Ein Großraumtaxi.“
„Schnell Pinkeln“, sagt Corinna, „und dann los.“
„Männlich“, findet Albers, „Bingo.“
Julia folgt ihr. Corinna zieht sie zu sich heran. „Ich habe Sailor erschossen.“ Julia sieht ihre Freundin an. Ihr Blick transportiert Unverständnis. „Sailor, ich habe ihn erschossen.“ Julia erkennt, dass es die Wahrheit ist. Sie wartet darauf, dass der Gesichtsausdruck sich zurückverwandelt und dass es doch nicht die Wahrheit ist. Sie wartet vergeblich. Sie geht zum Waschbecken und wirft sich Wasser ins Gesicht. Sie sucht über den Spiegel Corinnas Blick. „Warum?“
Corinna greift nach Julias Hand. „Die haben mich gefickt, alle vier, als ich noch ein Kind war. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn man ein Kind ist und nichts davon wissen will?“ Das Handy klingelt. Es ist die Mutter. „Gib mir eine halbe Stunde, Kind.“