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Personalwechsel

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Ich sitze im Zug. Ich fahre gern Zug. Besonders mit der Deutschen Bahn! Es hat so einen Hauch von Abenteuer. Man weiss genau, irgendetwas wird passieren. Man weiss nicht genau, was, wo und wann.

Diesmal passiert etwas eine halbe Stunde vor Frankfurt. Eine näselnde Lautsprecherstimme bohrt sich durch das laute Fahrgeräusch der Bahn in die Ohren der Reisenden. „Meinedamenundherrensiekennendasjaschonwirhamdaeinkleinesproblem“ singt die Nasenstimme durch das Mikro.

Mit routinegeschultem mässigen Interesse schauen die Reisenden aus ihren Notebooks oder Zeitungen auf, so als ob der Geradeausblick zu einem besseren Hörvermögen führte. „Wir fahren heute nicht den Frankfurter Hauptbahnhof an“ näselt die Stimme, „denn dort ist ein Bahnstau - es stehen bis zu sechs Züge auf einem Gleis und warten auf die Einfahrt in den Bahnhof. Offenbar liegt eine Signalstörung vor. Stattdessen halten wir in Frankfurt Süd. Aber keine Angst - von Frankfurt Süd fahren stündlich sechs Züge zum Frankfurter Hauptbahnhof, so dass Ihre Beförderung dorthin gewährleistet ist!“

Die meisten Fahrgäste nicken mehr oder weniger zufrieden - schliesslich kommt es nicht alle Tage vor, dass die Deutsche Bundesbahn zu einem Problem auch gleichzeitig eine Lösung anbietet. Mir liegt eine Nachfrage auf der Zunge - wie kommen die Züge vom Südbahnhof zum Hauptbahnhof, wenn dieser doch gesperrt sein soll? Was haben diese Züge, was meiner nicht hat? Ich verzichte darauf, diese Frage zu formulieren - in erster Linie deshalb, weil man mit einem Lautsprecher nicht kommunizieren kann.

Wir fahren weiter. Ich schnappe Wortfetzen auf „Typisch DB“ oder „Immer dasselbe“. Das ist das Wunderbare an der Deutschen Bahn - sie vereint wildfremde Menschen in ihrem Leid und macht so aus fremden Leidensgenossen Freunde fürs Leben. Während die Bahnkontrolleure sonst nahezu in Rudeln auftreten, um sich von dem Vorhandensein eines gültigen Tickets höchstpersönlich zu überzeugen, scheinen gerade alle Bahnmitarbeiter und - innen von plötzlichem Absentismus befallen zu sein - nicht zu verwechseln mit dem Absinthismus, der schon Geistesgrössen wie Maupassant entschärft hat.

Der Zug fährt im Bahnhof Frankfurt Süd ein. Etliche Fahrgäste packen ihre Sachen zusammen, um möglichst schnell die Beförderungsgelegenheit zum Hauptbahnhof zu nutzen - und natürlich, um für die dafür benötigten vier Minuten einen Sitzplatz zu ergattern - mehr aus Prestigegründen denn aus Notwendigkeit.

Ich bleibe seelenruhig sitzen. Schliesslich muss ich nicht in das popelige, hässlich-hochhäusige Frankfurt, sondern in das schöne Zürich. Und bis wir dahin kommen, kann noch viel Wasser den Main hinauf und die Limmat hinunterfliessen.

Und richtig: in Frankfurt Süd angekommen, belästigt die Lautsprecherstimme wieder unsere Ohren mit der Mitteilung „MeinedamenundherrenwirsindinFrankfurtsüdangekommen. Unser Zug erhält hier einen Personalwechsel. Leider sitzt das erwartete neue Personal in Frankfurt Hauptbahnhof im Stau fest, so dass sich unsere Abfahrt hier auf unbestimmte Zeit verzögert. Sollten Sie rauchen, gehen Sie einfach auf den Bahnsteig und rauchen Sie eine Zigarette!“

Stark. Nicht zu toppen? O doch - durch die Mitteilung etwa eine Stunde später, nachdem der Zug wieder Fahrt in Richtung Schweiz aufgenommen hat, mit dem Inhalt, man bitte um Verständnis, dass man nun aufgrund der Verspätung nur bis Basel fahren könne statt bis nach Zürich. Toll! Während ich darüber nachdenke, dass der Grund wahrscheinlich darin liegt, dass die Bahnmitarbeiter/innen ja auch wieder zurück in den Schoss ihrer Familie wollen, schiessen mir die Tränen des Mitleids ins Gesicht! Wie bitte? Sie müssen beruflich nach Zürich? Selbst schuld! Arbeiten Sie bei der Deutschen Bahn! Die bringt Sie immer ans Ziel - an irgendeines, nicht schnell, aber sicher und irgendwann!

Mitschkipedia - PERSONALWECHSEL: Austausch von ermüdetem unfreundlichen Bahnpersonal gegen frisches unfreundliches Bahnpersonal.

Die Bahn und ich

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