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Die wunderbare Wunderbahn

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Mit rund 200 Stundenkilometern gleitet der ICE durch die weite Grünlandschaft, gleichmäßig, ruckelfrei, sanft. Der vor mir stehende vollgefüllte Teller mit Erbsensuppe bewegt sich ebenso wenig wie das Glas Bier, das ich dazu geordert habe. Ich greife zum Löffel und minimiere die Möglichkeit, dass die grünwarme Köstlichkeit - eine kulinarische Spezialität der berühmten cuisine de train - doch noch den Weg über den Tellerrand sucht. Gleiches gilt für mein perfekt gezapftes kaltes Bier, dessen Pegel ich mittels eines herzhaften Schlucks um etliche Zentimeter absenke.

Eine unendlich freundliche Frauenstimme bahnt sich ihren Weg durch den Lautsprecher. „Sehr verehrte, liebe Bahnreisende - ich muss Ihnen mitteilen, dass auf dem vor uns liegenden Streckenabschnitt ein entwurzelter Baum die Weiterfahrt versperrt. Aber Ihre Bahn hat ja bekanntermassen für alle Probleme eine Lösung - wir werden dieses Hindernis einfach überfliegen! Zu diesem Zweck müssen wir kurzzeitig unseren Turbo einschalten und unsere Geschwindigkeit auf ca. 300 km erhöhen. Bitte schnallen Sie sich an; der ganze Vorgang wird nur etwa 3,47 Minuten in Anspruch nehmen!“

Unglaublich! Ich wusste nicht, dass die Sitze Gurte haben, finde sie aber dezent unter der Sitzfläche angebracht. Schnell schnalle ich mich an, da merke ich auch schon, wie die Schnellkraft mich auf meinen Sitz presst und der gesamte Zug mit Lokomotive und Waggons in etwa einhundert Meter Höhe über einen grossen, querliegenden Baum hinwegfliegt. Nach exakt 3,47 Minuten landet die Bahn sanft hinter dem Hindernis wieder auf den Schienen. Die Fahrgäste applaudieren, ich schnalle mich wieder ab und widme mich dem Verzehr meiner Suppen- und Bierreste, die das Flugmanöver überstanden haben, ohne auch nur einen Tropfen aus ihren Behältnissen hinauszuschleudern.

Eine gute Stunde geht die Reise weiter, Erbsensuppe und Bier sind längst vereinnahmt, das freundliche Personal hat in der Zwischenzeit die Reisenden mit exklusiver Schokolade und - auf Wunsch - mit Gummibärchen versorgt. Ich geniesse das stressfreie Reisen, den guten Service und überlege, ein halbes Stündchen zu schlafen. Da kommt wieder die freundliche Frauenstimme zum Einsatz, die uns darüber informiert, dass auf dem vor uns liegenden Streckenabschnitt leider ein Unfall passiert sei - zwei PKW seien direkt auf einem unbeschrankten Bahnübergang zusammengestossen und blockierten nun die Gleise. Ein Zug der Deutschen Bahn sei selbstverständlich nicht an dem Unfall beteiligt gewesen. Aber die Bahn habe für alles eine Lösung - Fliegen ginge in diesem Fall wegen der Gefahr der Behinderung von Einsatzkräften nicht, aber man pumpe nun grosse Mengen an Luft in die Luftkissen an den Seiten und führe als Amphibienbahn einige Kilometer lang parallel zum Bahngleis durch den Rhein - eine Prozedur, die bereits mehrfach erfolgreich durchgeführt worden sei. Die Reisenden würden gebeten, darauf zu achten, dass die Fenster alle geschlossen seien, um das Eindringen von Rheinwasser, das bekanntlich kein Reinwasser ist, zu vermeiden. Gänge zur Toilette sollten erst wieder angegangen werden, wenn die Bahn wieder auf Gleisen fährt, um das ohnehin angegriffene Flusswasser nicht noch mehr zu belasten. Wir schweben über Vater Rhein, ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht und hunderte, wenn nicht tausende von Schaulustigen an den Rheinufern versammelt.

An dieser Stelle werde ich unsanft geweckt von einem heftigen Rütteln an meinem Arm. Eine bärbeissige Männerstimme grollt: „Fahrkartenkontrolle! Wurden Sie schon kontrolliert?“

Mitschkipedia - (W)BAHNTRÄUME: Sie dienen dazu, sich eine Reise auszumalen, die es in Wirklichkeit nie geben wird.

Die Bahn und ich

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