Читать книгу Ur-Gemeinde - Frank Viola - Страница 20
Kapitel 2: Umdenken – Wie treffen wir uns?
ОглавлениеEinige Institutionen sind so alt und ehrbar geworden, dass der Gedanke an ihre Schließung geradezu als Sakrileg erscheint.
F. F. Bruce
Die gesamte reformatorische Theologie suchte die organisierte Kirche neu zu strukturieren, ohne an ihren Grundfesten zu rütteln.
John Howard Yoder
Der Christ spricht gewöhnlich davon, „in die Kirche“ zu gehen. Damit ist die Teilnahme an einem Gottesdienst gemeint. Die Ausdrücke „zur Kirche gehen“ oder „am Gottesdienst teilnehmen“ sind dem Neuen Testament aber fremd. Beide Vorstellungen kamen lange nach dem Tod der Apostel auf. Der Grund dafür ist einfach: Die frühen Christen kannten solche Vorstellungen nicht. „Gemeinde“ war für sie kein Ort, wo man hingehen konnte. Sie verstanden ihre Treffen auch nicht als „(Gottes-)Dienste“.
Wenn wir das Neue Testament im Sinne des frühchristlichen Verständnisses lesen, wird klar, dass es vier Arten von Versammlungen gab:
• Apostolische Treffen: Das waren ganz besondere Versammlungen; die apostolischen Arbeiter predigten einer aktiv beteiligten Zuhörerschaft. Ihr Ziel war es, entweder eine neue Gemeinde zu gründen oder eine existierende zu ermutigen. Die zwölf Apostel hielten solche Treffen im Tempelvorhof in Jerusalem ab, als die Jerusalemer Gemeinde entstand (vgl. Apg 5,40-42). Paulus hielt ähnliche Treffen in der Schule des Tyrannus ab, als er die Gemeinde in Ephesus gründete (vgl. Apg 19,9-10; 20,27.31). Dabei sind für solche Treffen zwei Merkmale beobachtbar: Der apostolische Arbeiter tat die meiste Arbeit, und sie waren immer zeitlich begrenzt. Die Treffen hatten das Ziel, die Gläubigen vor Ort so zuzurüsten, dass sie unter der Leitung Jesu Christi leben und wirken konnten und somit keine menschliche Leitung vonnöten war (vgl. Eph 4,11-16; 1 Kor 14,26). Danach überließ der Apostel die Gemeinde sich selbst.1
• Evangelistische Treffen: Im ersten Jahrhundert wurde gewöhnlich außerhalb der regulären Gemeindetreffen evangelisiert. Die Apostel predigten das Evangelium dort, wo die Ungläubigen waren. Die Synagoge (Juden) und der Markt (Heiden) zählten zu den bevorzugten Einsatzorten (vgl. Apg 14,1; 17,1-33; 18,4,19). Evangelistische Treffen dienten dem Ziel, eine neue Gemeinde zu gründen oder eine bestehende zu vergrößern. Sie fanden nach Bedarf statt und waren keine feste Einrichtung der Gemeinde. Die Reise des Philippus nach Samaria ist ein Beispiel dafür (vgl. Apg 8,5ff.).
• Treffen zur Entscheidungsfindung: Manchmal musste man zusammenkommen, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Zu dieser Art Versammlung zählt etwa das Konzil zu Jerusalem (vgl. Apg 15). Eines der Hauptmerkmale dieser Versammlung war, dass alle am Entscheidungsprozess beteiligt waren. Die Apostel und Ältesten halfen bei diesem Prozess (Näheres dazu in Kapitel 10).
• Gemeindeversammlungen: Dies waren die regulären Versammlungen der Gemeinde und entsprachen unseren „Gottesdiensten“ am Sonntagmorgen. Allerdings waren sie radikal anders.
Im ersten Jahrhundert waren die Treffen der Gemeinde in erster Linie Treffen der Gläubigen. Das wird aus dem Zusammenhang in 1. Korinther 11–14 klar. Zwar waren zuweilen auch Ungläubige anwesend, sie standen aber eher am Rande. Paulus erwähnt die Ungläubigen flüchtig in 1. Korinther 14,23-25.
Anders als heute waren dies keine Treffen, bei denen vorne ein Pastor stand, der eine Predigt hielt, und der Rest passiv zuhörte. Der Gedanke an einen predigtzentrierten Gottesdienst mit einer Zuhörerschaft, die von Kirchenbänken zur Kanzel sah, war den frühen Christen fremd.