Читать книгу Bücher für die einsame Insel - François Armanet - Страница 23
Tahar Ben Jelloun
ОглавлениеFebruar 2015
Ich würde als Erstes eine Flasche Wasser, Papier und einen Stift mitnehmen. Falls die Sache schlecht läuft, würde ich die Flasche ins Meer werfen. Man weiß ja nie. Dann bleibt noch das Problem, wie ich zwischen mehreren Werken auswählen soll, die mich schon so lange begleiten. Bücher sind wie Freunde, mit dem Vorteil, dass sie einen nicht verraten und nicht launisch sind.
Ohne zu zögern, würde ich Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha von Miguel de Cervantes mitnehmen (in der wunderbaren Übersetzung von Aline Schulman). Wegen seiner absoluten Modernität, seiner sprudelnden Phantasie, der grenzenlosen Freiheit, der Kühnheit und der Kraft, die er dem Leser vermittelt. Er begeistert mich, heilt mich von Sorgen, verleiht mir Flügel und lässt mich in den unglaublichsten Situationen mit den verrücktesten Worten tanzen. Ich könnte ihn beliebig oft wiederlesen und bin jedes Mal erstaunt und begeistert. Nicht ohne eine kleine Koketterie: Cervantes erweist darin einem meiner Vorfahren die Ehre, Sidi Achmed Benegeli, einem arabischen Historiker. Mein Vater hat mir von ihm erzählt und war sehr stolz auf ihn.
Das zweite Buch: Tausendundeine Nacht (in der Übersetzung von André Miquel und Jamal Eddine Bencheikh). Ein unendliches, verrücktes Buch, das die Schleusen für alle Flüsse, alle Tabus öffnet. Die Autoren sind anonym. Das Buch wurde über Jahrhunderte von persischen, arabischen, chinesischen und indischen Geschichtenerzählern verfasst. Das ist das eigentliche Prinzip der Literatur: Erzähl mir eine Geschichte, die mich bis zum Morgengrauen wach hält, sonst töte ich dich. Schreiben oder Leben, Schreiben und Leben. Die Tatsache, dass die Geschichten von einer Frau (unterstützt von ihrer Schwester) erzählt werden, macht es noch verwirrender, noch paradoxer. Der Rest ist Phantasie, Poesie, Verrücktheit, Mythos, Akrobatik und rassistisches oder frauenfeindliches Gerde, das man bloß nicht wörtlich nehmen soll.
Das dritte Buch wird ein Gedichtband sein. Ich schwanke zwischen dem ganzen Baudelaire und dem ganzen Rimbaud, dem ganzen Aragon und dem ganzen René Char. Ich würde sie vor der Reise auswendig lernen und das ganze Werk von Mahmud Darwisch auf Arabisch und Französisch mitnehmen. Ein großartiger Dichter, nicht weil er Palästinenser war, sondern vor allem, weil er von einem außerordentlichen Drang getrieben war. Er bleibt für mich der größte arabische Dichter des 20. Jahrhunderts.
Geboren 1944 in Fès (Marokko)
Sohn ihres Vaters • Die Nacht der Unschuld • Zina oder Die Nacht des Irrtums