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I. Rhetorik, Ethik und die Beherrschung sprachlicher Gewalt 1. Rhetorische Persuasion und sprachliche Gewalt

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Die Legitimierung und Begründung einer rhetorischen Ethik muss an der Frage ansetzen, wie die von der Rhetorik ausgehende sprachliche Gewalt beherrscht werden kann. Zwar gibt es einen alten rhetorischen Topos, der besagt, die persuasive Rede18 könne den Gebrauch von körperlicher Gewalt ersetzen, wenn es darum geht, Menschen zu irgendwelchen Handlungen zu bewegen. Es stimmt: Durch ihr Wirkungspotential kann die Rede den Einsatz physischer Zwangsmethoden überflüssig machen. Aber stellt sie nicht selbst oft eine subtile Form von Gewaltanwendung dar, die auf der Wahl bestimmter Argumentationsmethoden oder der von bestimmten Interessen gelenkten Ordnung von »Redefeldern« beruht, wie Bernhard Waldenfels meint?19 Ganz zu schweigen von Situationen, in denen Scheinargumente vorgebracht werden oder es um Emotionen statt um Rationalität, um Beschönigung und Täuschung bis hin zu Manipulation und Propaganda geht. Man kann sich zwar damit herausreden, dass all dies zur »Überredung« der Zuhörer zähle, neben der es ja auch die unverdächtige, nur transparente Argumentation und Vernunft gebrauchende »Überzeugung« gebe. Dennoch gehört in einer auf Wirkung setzenden Rede beides zusammen, weshalb für Habermas »das Moment der Gewalt« in der Rhetorik aufgrund der »Ambivalenz zwischen Überzeugung und Überredung […] bis auf den heutigen Tag […] nicht getilgt worden ist«.20 Dieses Faktum kann man nicht negieren, doch es stellt sich die Frage, wie man damit umgehen kann und soll.

In der rhetorischen Forschung wird das Problem kontrovers diskutiert. Josef Kopperschmidt etwa transformiert die Gewaltfrage in eine Machtfrage. Er konzentriert sich auf den Aspekt der »Rede mit Gewalt« als Waffe im Kampf um die Durchsetzung individueller Interessen, die als Instrumentalisierung der »Macht des Wortes« eine besonders raffinierte Form von Gewalt sei, wogegen die Rede doch historisch auch als eine Alternative zur Gewalt verstanden werde.21 Denn in der Ersetzung der Gewalt22 durch die Rede sieht er »den evolutionären Gewinn eines Mediums […], das die Koordinierung handelnder Subjekte nicht nur effektiver macht, sondern zugleich qualitativ in einer Weise verändert, die ein politisch organisiertes Zusammenleben zwischen freien und gleichen Menschen überhaupt erst möglich macht«. Voraussetzung ist für ihn ein auf den Theorien von Habermas und Arendt gegründetes Verständnis von gesellschaftlicher Macht, das aus dem Zusammenschluss und Einverständnis von Menschen entstanden ist, die sich gegenseitig als zurechnungsfähige Subjekte anerkennen.23 Wenn Gewalt sozial geächtet ist, werden Reden zur einzig legitimen Form möglicher Beeinflussung und »zur wichtigsten Ressource sozialer ›Macht‹«, weil sie die Meinungen von vielen zu einem handlungsfähigen Willen verbinden.24 Der rhetorisch erzielte Konsens ist also das Mittel zur sozialverträglichen Transformation von Gewalt in Handlungsmacht. Diese Auffassung von Kopperschmidt hat viel für sich, doch bleibt die Frage, ob nicht auch in den Beiträgen der einzelnen Diskursteilnehmer eine Form rhetorischer Strategie am Werk sein kann, die gewaltsam ist und als psychische Gewalt eingestuft werden muss.

Joachim Knape geht in seinen Überlegungen zur Gewaltfrage von der »Beeinflussung« in Form von »kommunikative[n] Handlungen« aus, »die auf Änderungen irgendwelcher Art gerichtet sind und deren Interaktionsformen, Kommunikationsmittel und -techniken von der Mehrheit aller Gruppenmitglieder akzeptiert werden. Akte kommunikativer Beeinflussung unterliegen mithin den von […] Herbert P. Grice aufgestellten Kommunikationsmaximen, die ihrerseits unter dem Kooperationsprinzip stehen.«25 Knape trennt die Manipulation als nicht erlaubte Beeinflussung des Publikums mit unlauteren Mitteln, wie z. B. dem Betrug, vom erlaubten »rhetorischen Handlungsmodell des Überzeugens«.26 Die Frage, ob auch bei der rhetorischen Überzeugung eine Gewalttätigkeit vorliege, beantwortet er mit dem Hinweis, die Rhetorik setze nun mal auf Beeinflussung und sei von daher zwar keine »irenische Kunst«27, aber auch kein Zwang. Andere Menschen von der eigenen Meinung zu überzeugen sei in den meisten Kulturen unproblematisch. Auch der Einsatz von Emotionen sei erlaubt, die Hassrede zur Herabwürdigung anderer Menschen wie in der Nazizeit aber nicht. Das zeige, die Spielräume der Einschätzung, ob Gewalt vorliege oder nicht, seien von sozialen und juristischen Maßstäben einer Gruppe oder Gesellschaft abhängig.28 Es ist nach seiner Meinung realitätsfern, rhetorisches Handeln auf reinrationale Mittel zu beschränken, denn auch »emotional stimulierende Mittel« seien »üblich und gestattet«.29 Knape konstatiert am Schluss, rhetorische Mittel »im technischen Sinn« könnten sowohl für verantwortbare wie für unverantwortliche Kommunikationsvorgänge eingesetzt werden. Die Entscheidung darüber liege bei dem jeweils verantwortlichen Menschen.30

Diesem Urteil ist sicher zuzustimmen. Allerdings schwächt Knape die Gewaltproblematik der Rhetorik ab. Er macht es sich zu einfach mit der Feststellung, die Rhetorik arbeite mit sozial akzeptierter Beeinflussung, wobei die Einschätzung des Gewaltcharakters von sozialen und rechtlichen Maßstäben abhängen würde. Doch nicht alles rechtlich Erlaubte ist auch moralisch akzeptabel. Gerade wenn wir meinen, manipuliert zu werden, haben wir das Gefühl, hier sei eine juristisch zwar nicht fassbare, aber moralisch doch sehr relevante Grenze überschritten worden. Knape scheint mit der Erwähnung der Grice’schen Kooperationsmaximen übrigens so etwas wie einen ethischen Rahmen für die rhetorische Beeinflussung vorgeben zu wollen. Doch diese Maximen können solch eine Anforderung nicht erfüllen. Grice unterscheidet vier Kooperationsprinzipien, und zwar nach den (kantischen) Kategorien der Qualität, Quantität, Relation und Modalität. Diesen ordnet er vier kommunikative Maximen zu, nämlich Informativität, Wahrheit, Relevanz und Klarheit. Informativität, Relevanz und Klarheit sind bloß technische Kommunikationsmaximen, nur die Aufforderung: »Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist«, formuliert eine moralische Maxime.31 In der Rhetorik sollte es darüber hinaus aber noch weitere moralische Maximen geben, etwa das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.32

Thomas Zinsmaier kritisiert den überlieferten Topos von der friedensstiftenden Macht der Rhetorik durch Kultivierung des Menschen, auf den sich Kopperschmidt beruft. Er referiert dazu den von Cicero in »De inventione« erzählten Mythos, nach dem ein weiser Mann in der Urzeit die Menschen durch die Macht seiner Beredsamkeit aus ihrem von Gier und Gewalt bestimmten Naturzustand in ein geordnetes Staatswesen geführt und sie von wilden zu sanftmütigen Wesen gemacht habe. Wenig später berichtet Cicero, irgendwann hätten sich jedoch eigennützige und unvernünftige Männer der Beredsamkeit bemächtigt, mit ihr die Menschen verführt und gegeneinander aufgehetzt, so dass sie dadurch in Verruf geraten sei.33 Zinsmaier hält fest, dass die Rhetorik also keineswegs gewaltlos verfahre, und erläutert nun die verschiedenen Aspekte rhetorischer Gewaltausübung. »Manipulation« oder »schwarze Rhetorik« sei per se schon gewalttätig, aber auch »rhetorische Überzeugung« oder »weiße Rhetorik« arbeite mit Gewalt z. B. in der Erregung von Hoffnung und Furcht durch Versprechen und Warnen.34 Die von Kopperschmidt propagierte Gewaltsubstitutionshypothese übertrage eigentlich das Modell der Dialektik auf die Rhetorik, womit der Unterschied zwischen beiden eingeebnet werde. Denn die Dialektik sei verständigungsorientiert, der Rhetorik aber gehe es um »Meinungsführerschaft«.35 Die Rhetorik werde außerdem bei Kopperschmidt als Akteur personifiziert. Doch sie bewirke für sich allein nichts und sei eine neutrale Technik. »Rhetorik steht also insofern in keinerlei alternativer oder konträrer Beziehung zur Gewalt; sie ist an sich völlig gewaltindifferent und als Technik nicht zugänglich für die Zuschreibung ethischer Prädikate oder Wirkungen.«36

Zinsmaiers Kritik an Kopperschmidts Gewaltsubstitutionshypothese verfährt sicher zu rigoros, wenn er das gewaltvermeidende Potential der Rhetorik gar nicht würdigt. Kulturell gesehen ist der Ersatz von physischer Gewalt durch rhetorisches Handeln zweifellos ein ethischer Fortschritt. Außerdem gibt es in Zinsmaiers Argumentation einen Widerspruch. Am Ende seines Aufsatzes stellt er fest, die rhetorische Technik sei gewaltindifferent, doch am Anfang spricht er von der »Macht der Rhetorik (oder genauer der Beredsamkeit)«37, die er dann anhand von »schwarzer« und »weißer« Rhetorik illustriert. Vielleicht lässt sich dieser Widerspruch handlungstheoretisch auflösen. Technik und Beredsamkeit stehen demnach nicht auf gleicher Ebene. Die Technik bzw. das technische System als Mittel der Beredsamkeit ist neutral; die Beredsamkeit selbst als eine ausgeübte Kunst, als Können und performance des Redners, aber enthält aufgrund ihrer persuasiven Intention ein Überwältigungspotential, das dem Redner die »Meinungsführerschaft« in der Debatte bringen soll.38 Damit wäre die Beredsamkeit das Organ der rhetorischen Gewaltausübung.

Wenn Zinsmaiers These vom Gewaltpotential der Beredsamkeit stimmt, stellt sich die Frage, ob der rhetorische Gewaltbegriff nicht noch genauer differenziert werden könnte. Aufschlussreich dazu sind einige der Gesichtspunkte, die Sybille Krämer in ihrer Analyse der Dimensionen sprachlicher Gewalt anführt. Zunächst stellt sie fest, dass das deutsche Wort »Gewalt« – anders als etwa engl. »violence« – in seiner Bedeutung die gegensätzlichen Elemente einer »rechtmäßigen, ordnungsstiftenden« und einer »unrechtmäßigen, zerstörerischen« Gewalt umfasst. Dieser Unterschied zeigt sich auch in der historischen Entwicklung des Begriffs. Im europäischen Mittelalter und in der frühen Neuzeit überwog die positive Bedeutung; seit dem 18. Jahrhundert aber ist ein Umschwung zu verzeichnen. Im Rahmen der Verrechtlichung des staatlichen Gewaltmonopols erscheint die Gewalt jetzt in doppelter Perspektive: einmal positiv als legitimes Mittel zur Durchsetzung des Rechts und einmal negativ als ein Verhalten, das die Rechte anderer verletzt.39 Eine weitere Bedeutungsverschiebung vollzieht sich im ausgehenden 20. Jahrhundert, und zwar durch die Entgrenzung des Begriffs: Nicht nur physische, auch psychische, strukturelle und moralische Formen der Zwangsausübung gelten jetzt als Manifestationen von Gewalt. Normative und evaluative Merkmale ersetzen damit die deskriptiven Gehalte des Gewaltbegriffs, was zu einem Verlust an Klarheit führt. Zugleich entsteht eine neue Aporie im Umgang mit Gewalthandlungen: Alle Mittel zu ihrer Einschränkung oder Bekämpfung führen letztlich zu mehr Kontrolle bzw. zur Begrenzung von persönlicher Freiheit und damit wiederum zu einem verstärkten Einsatz von Gewalt. Als Fazit aus der Janusköpfigkeit dieses Phänomens ergibt sich: Gewalt ist nicht mehr als das Gegenteil von Kultur, vielmehr als ihr unabdingbares Pendant zu verstehen, unhintergehbar verwoben mit unserer menschlichen Existenz und Lebensform, wobei symbolische Gewalt sogar als kulturelles Potential gelten kann.40

Sprache und Sprachgebrauch können physische Gewalt zwar beherrschbar machen oder ersetzen, sind dabei aber nicht einfach nur Mittel der Friedfertigkeit. Denn in der Sprachlichkeit jeder Mitteilung selbst findet sich nach Krämer schon eine Form von Gewaltsamkeit, und zwar in der Struktur von Prädikation, wie vor allem Benjamin, Adorno und Derrida herausgestellt haben. Sprache, die das Einzelne unter allgemeine Begriffe subsumiert und es einem Urteil unterwirft, verfährt gewaltsam, wogegen das Singuläre als Phänomen in seiner Einzigartigkeit doch unaussprechbar ist und bleibt. Trotz dieser Gewalt der Prädikation bleibt die begrifflich operierende und Urteile bildende Sprache jedoch das grundlegende und kulturstiftende Mittel der Kommunikation für den Menschen.41

Wichtig an Krämers Erörterung des Verhältnisses von Sprache und Gewalt ist schließlich noch die Abgrenzung von sprachlicher und körperlicher Gewaltanwendung. Während diese physisch in einer Richtung vorgeht und der Täter sein Opfer zum Gegenstand der Aggression macht, beruht jene auf einer psychischen Interaktion zwischen Täter und Opfer. Dessen Mitwirkung am Geschehen hat daher keine natürliche und kausale, sondern eine menschliche, und zwar soziale Dimension, wie sich am Effekt der verletzenden Rede zeigt. Wirkungskraft hat diese Rede nicht per se, als sprachliche Äußerung gegenüber jemand anderem, sondern ihr Verletzungspotential entsteht erst daraus, dass der andere und ob er auf sie reagiert, sie gewissermaßen aufgreift. Der verletzende, z. B. beleidigende Sinn solcher Äußerungen entsteht aus den konkreten Bezügen der Interaktionspartner zur menschlichen Lebenswelt, aus geschichtlichen Praktiken im Umgang mit der Sprache, kulturellen Gewohnheiten, individuellen Absichten des Sprechenden und subjektiven Dispositionen des oder der Angesprochenen. Außerdem sind Beleidigungen an Gefühle gebunden, weshalb nicht nur das Verstehen, sondern auch die Empfindung einer verletzenden Äußerung die Kränkung hervorbringt.42

Krämers Unterscheidung von rechtmäßiger und unrechtmäßiger Gewalt hat auch Bedeutung für die Rhetorik, weil man sie zum Ausgangspunkt der näheren Analyse von legitimer und illegitimer Wirkung einer Rede machen kann. Auch der Hinweis auf die grundlegende Bedeutung der Sprache für die Beherrschung von Gewalt ist wertvoll. Denn trotz des Gewaltpotentials der Prädikation bleibt die menschliche Kommunikation an den Gebrauch von Sprache gebunden und findet damit erst zur Möglichkeit ethischen Handelns. Fragwürdig ist allerdings, dass Krämer ihre Untersuchung des Gewaltcharakters der Sprache nicht wirklich auf die Rhetorik als die eigentlich in Frage kommende Sprachhandlungstheorie erweitert. Sie erwähnt zwar Beispiele einer »Rhetorik verletzenden Sprechens«43, aber untersucht nicht rhetorische Wirkung als Ursprung von Gewalt und Aggressivität. Auch manifestiert sich der Gewaltcharakter der Sprache nicht nur in der Verletzung, sondern ebenso in der Verführung des Adressaten, die ihn zu unfreiwilligen Handlungen veranlaßt, womit der Gegenstandsbereich der Untersuchung eigentlich noch viel weiter ausgedehnt werden müsste. Wichtig ist aber ihre Feststellung, dass sprachliche Verletzung sehr oft das Resultat einer Interaktion von Sprecher und Hörer ist. Diese Interaktion ist auch unter rhetorischen Gesichtspunkten relevant, etwa wenn es um die oft unberechenbare Dynamik von Grenzverletzungen zwischen Überzeugung und Überredung geht. Zentral für die Rhetorik ist darüber hinaus Krämers Feststellung, dass sprachliche Gewalt zur Kultur gehört. Damit wird der von Zinsmaier erwähnte und anhand von Ciceros Mythos illustrierte rhetorische Topos der Ersetzung von physischer Gewalt durch menschliche Kultivierung und persuasiven Sprachgebrauch erneut interessant.

Rhetorische Ethik

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