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Eiscreme
Kalt und gut
Was verbindet Kaiser Nero und US-Präsident George Washington? Ihre Vorliebe für eisige Schleckereien! Zwischen der fruchtig-sahnigen Eisvielfalt unserer Tage und den ersten frostig-süßen Köstlichkeiten liegen Jahrtausende ...
England erlebte 1640 einen extrem heißen Sommer. Auch König Karl I. (1625–1649) schwitzte und ließ seinen französischen Chefpatissier Jacques Tissain rufen: »Bereite mir eine kühlende, erfrischende Speise, die einem auf der Zunge zerfließt, also nicht wieder einen kalten Pudding wie gestern!« Ratlos stand der Koch in der Küche. Doch da kam ihm eine Idee: Er ließ aus dem Eiskeller einen gefrorenen Wasserwürfel holen, legte ihn in geschlagene Sahne, drapierte obenauf einige Erdbeeren und servierte die Kreation. Majestät war so angetan, dass er »Missieur Jacques« sogleich zum ersten Eismacher im Reich erhob.
England wurde einer der Vorreiter bei der Verbreitung dieser Köstlichkeit. Zunächst labten sich nur adlige Kreise an der kalten Speise. Erst drei Jahrzehnte später, 1670, eröffnete in Paris der erste öffentliche Eissalon: das »Café Picopio«. Sein Besitzer, Signor Procopio Coltelli, kam – »natürlich« möchte man fast sagen – aus Italien. Der Sizilianer schlug sich in Paris als Limonadenverkäufer durch, bis er dann eine Rührmaschine austüftelte, mit der er aus gekühlter Limonade Wassereis herstellen konnte. Sechs Jahre später gab es über 250 Eissalons in Paris!
»Man mische Milch, Pistazien und Safran und lasse sie in einem
Metallkegel gefrieren, der mit Teig geschlossen wird.«
Aus einem indischen Kochbuch, Ende des 16. Jahrhunderts
Nach Italien gelangte die Ur-Eisrezeptur durch Marco Polo (1253–1324). Als der Venezianer 1295 aus China zurückkehrte, hatte er auch ein Rezept für Speiseeis im Gepäck. Im Reich der Mitte kannte man schon seit Langem eine Zubereitung aus gefrorenem Wasser und Milch. Wassereis mit Geschmack ist wohl seit der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) bekannt. Von China gelangte die Kenntnis der Eisherstellung nach Zentral- und Südasien. Indiens Mogulherrscher delektierten sich seit dem 16. Jahrhundert an gekühlten Nachspeisen auf Milchbasis. Ein Kochbuch von 1590 aus Delhi verrät uns die Rezeptur: Man mische Milch, Pistazien und Safran und lasse sie in einem Metallkegel gefrieren, der mit Teig geschlossen wird. »Geboren« wurde die Urform des aromatisierten Eises sehr wahrscheinlich in der Hochgebirgsregion Ostanatoliens. Hier, in relativer Nähe zu den Zentren verschiedener Hochkulturen, muss zwischen dem 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. die Idee entstanden sein, Schnee als Träger von Geschmacksstoffen zu benutzen. Ein Eisliebhaber der Antike war Kaiser Nero (37–68 n. Chr.), der Eis aus Schnee – vermischt mit Fruchtsaft, gesüßt mit Honig und mit Früchten garniert – zu Gelagen reichen ließ.
Kaiser Nero ließ Eis aus Schnee – vermischt mit Fruchtsaft,
gesüßt mit Honig und mit Früchten garniert –
zu Gelagen reichen.
All diese Eissorten basierten auf dem »Basisstoff« Wasser. Die Ehre, das moderne Speiseeis auf Milchbasis erfunden zu haben, gebührt dem Pariser Caféhausbesitzer Le Caveau. Sein »Eisbutter« genanntes Dessert galt als einmalige Delikatesse bei höfischen Festen. Sein Meisterstück schuf Caveau 1774 für den Herzog von Chartres: Er formte die herzoglichen Waffen aus Eiscreme nach. Die kostspielige Frostspeise war bei den hochstehenden Schichten des 18. Jahrhunderts sehr beliebt. Eisfreunde ersten Ranges waren die frühen Präsidenten Amerikas. So ist vom ersten Amtsinhaber, George Washington, überliefert, dass er 1790 in zwei Monaten sage und schreibe 200 Dollar für die köstlich-kühle Speise ausgab. Auch Thomas Jefferson, das dritte Staatsoberhaupt, war heiß auf Eis. Sein handgeschriebenes Rezept für Vanilleeis wird im Archiv der Kongressbibliothek verwahrt. Größte Propagandistin der frostigen Süßigkeit aber war Dolley Madison, Gattin des vierten US-Präsidenten James Madison. Die Empfänge der First Lady waren Highlights der Gesellschaft, und auf ebendiesen reichte sie Eis in allen damals machbaren Formen. Nicht zuletzt dank dieser Präsidenten-»Protektion« wurden die Staaten zum »Eisland«. Bis heute isst kein Volk der Erde so viel Eis wie das amerikanische.
Vom Schneedessert früher Herrscher zum Speiseeis für alle
Es erstaunt nicht, dass von den USA die industrielle Fertigung des Speiseeises ausging. Der Durchbruch gelang 1851 Jacob Fussel, einem Milchhändler aus Baltimore. Damals gab es in der Stadt nur einen Eishersteller, der aus gekochter Milch und Zucker ein halbwegs vertrauenerweckendes Produkt zusammenbraute und für 60 Cent pro Liter absetzte. Fussel, dem auf seinen Ausliefertouren oft Rahm übrig blieb und verdarb, kam auf die Idee, die Gefriertemperatur mit Salz zu senken. Dann schaffte er sich die technisch neuesten Gefriermaschinen an – und nahm die erste Eisfabrik der Welt in Betrieb. Infolge der großen Umsatzmenge kostete Fussels Eiscreme konkurrenzlos billige 25 Cent pro Liter. Ein Jahr nach der ersten Lieferung im Juni 1851 hatte Fussel bereits Zweigbetriebe in Washington und New York eröffnet. Bis zur Einführung des partiell gefrorenen und in Schachteln verpackten Speiseeises sollte es allerdings noch bis 1939 dauern.
Präsidentengattin Dolley Madison servierte Eis zur
»Kühlung der politischen Gemüter ...«
Die Form des Eisschleckens aus der Tüte hat wiederum einen Italiener als Erfinder: den nach Amerika ausgewanderten Signor Italo Marcioni. Er füllte 1896 zum ersten Mal Eis in kegelförmige Waffeln. Zum Verkaufsschlager wurde die Eistüte 1904 anlässlich der Weltausstellung in St. Louis/Missouri, auf der 50 Eiscremehändler ihre Stände hatten. Einige von ihnen verkauften Eis in Tüten – und stießen auf regen Zuspruch. Die zweite »Handversion«, das »Eis am Stiel«, ist die Erfindung eines Mister Frank Epperson aus Oakland/Kalifornien. Er war Vertreter für Limonade und ließ in seinem Verkaufsraum versehentlich ein Glas Limonade, in dem ein Löffel steckte, auf dem Fensterbrett stehen. In der Nacht gab es Frost, und als Epperson am Morgen den Löffel aus dem Glas nehmen wollte, hielt er den Prototyp von Eis am Stiel in der Hand ... Er ließ seine Idee 1923 patentieren und verkaufte sie an den Nahrungsmittelhersteller Joe Lowe. Der führte die Novität unter dem Namen »Popsicle« ein. Der Begriff wurde in Amerika bald zum Synonym für »Eis am Stiel«.
Über Dänemark kam das Speiseeis in »Handstielform« 1935 auch nach Deutschland – und wurde zum Marktrenner der Saison. Dazu trug nicht nur der schwüle Sommer jenes Jahres bei, sondern auch der maßvolle Preis von 10 Pfennig. Mehr als 1,5 Millionen »Eislutscher« – wie der Volksmund das Eis am Stiel taufte – wurden allein in Hamburg vom Hersteller Langnese verkauft. Sein erstes Eis am Stiel genoss 1935 in Berlin auch der junge Nürnberger Theo Schöller. Er war so angetan, dass er 1937 mit seinem Bruder eine kleine Eisfabrik auf dem elterlichen Grundstück errichtete. 25 Mitarbeiter produzierten in Handarbeit täglich 10 000–12 000 Eis am Stiel, in den Geschmacksrichtungen Vanille, Schokolade, Erdbeere und Zitrone.
Die ländliche Bevölkerung indes hegte noch Skepsis gegenüber dem neuen Produkt. Der Durchbruch kam erst 1937 beim Erntedankfest des »Reichsnährstandes« auf dem Bückeberg bei Hameln. Zunächst wollte keiner der Bauern das »neumodische Zeug«. Doch als einige »Furchtlose« es probiert und für gut befunden hatten, war der Bann gebrochen. Das Ergebnis: über 60 000 verkaufte Eislollis! Mit den Kriegsjahren musste auch die Eisproduktion eingestellt werden. Im Sommer 1948, nach der Währungsreform, kam auch die Eiscreme wieder auf den deutschen Markt. Zwanzig Jahre später zählte Speiseeis zu den Grundnahrungsmitteln, nicht nur für Millionen Kinder. Heute lässt sich hierzulande jeder Bürger knapp acht Liter Speiseeis pro Jahr im Mund zergehen. Europas Eisrekord halten ausgerechnet die Schweden – mit zwölf Litern!
Harry D. Schurdel