Читать книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer - Страница 10

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Astrid saß in ihrem Zimmer.

Hörte Musik. Laut.

Als Ulrika eintrat, drehte sie den Ton ab.

Wütend fuhr das Mädchen herum und entdeckte die beiden Männer in der Tür.

»Was?«, fragte sie unfreundlich. »Geht’s noch? Ich will mit niemandem sprechen!«

Lunquist registrierte automatisch das runde Gesicht mit den dunklen Augen, die unbeherrscht Blitze sprühten. Die Augen standen weit auseinander, was dem Gesicht etwas Reptilienhaftes verlieh. Das brünette Haar trug sie offen, es fiel über die Schultern, den halben Rücken hinab.

»Wir sind Sven und Lars von der Polizei Göteborg. Um den Mord an deinem Vater aufzuklären, brauchen wir alle Informationen, die wir bekommen können. Du weißt doch, wie die Polizei ermittelt, oder? Guckst du etwa nicht fern?«

Astrid umfasste ihre Haare und schlang einen lockeren Zopf daraus. Starrte zornig auf den Monitor, schaltete ihn dann aus.

»Und – was? Er war mein Vater. Dass er schwierig war, haben Olaf und Esther euch schon erzählt. Von seinen Freunden kenne ich nur Hans. Und mit dem hat er in letzter Zeit viel gestritten. Vielleicht würde der sich im Moment gar nicht als sein Freund bezeichnen. Und ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass mein Vater mit mir über seine Feinde gesprochen haben könnte? So etwas anzunehmen, wäre schon mehr als nur bescheuert!«

Ulrika sog scharf die Luft ein. Mischte sich aber nicht ein.

»Wir suchen jemanden, der glaubte, er habe einen triftigen Grund, deinen Vater zu ermorden. Fällt dir jemand ein?«

»Für so einen Affenzirkus mit Kreuz und so muss es doch einen richtigen Grund geben. Kein akuter Streit um einen Grabplate, kein Missverständnis. Was Größeres. Oder nicht?«, fragte die Tochter gereizt zurück.

»Das sehen wir auch so. Mit wem hatte dein Vater einen andauernden, ernsthaften Streit?«

Astrid schob trotzig das Kinn in die Luft. »Keine Ahnung!« Sie dehnte jedes Wort.

Olaf mischte sich unerwartet ein. Weder Sven noch Lars hatten bemerkt, dass er ebenfalls in der Tür stand. »Es gab viele. Das haben wir doch schon gesagt. Viele, die Streit mit ihm hatten. Ob der jeweilige Grund ausreicht, das müsst ihr selbst entscheiden.«

»Clemens. Den könntet ihr fragen. Er ist so etwas wie der selbsternannte Ortsvorsteher, kennt jeden in Hummelgaard und in der Gemeinde«, meinte Astrid etwas ruhiger. »Er ist Streitschlichter, Anlaufstelle für Eheprobleme, hilft bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, kennt sich mit dem Nachbarschaftsund Umweltrecht aus. Hier bei uns braucht man keine Anwälte, man geht zu Clemens. Und die, die nicht zu ihm gehen wollen, kommen zum Pfarrer. Wobei ich denke, Clemens ist ein guter Ratgeber.«

»Und wo wohnt Clemens?«, fragte Lars und zog sein kleines Buch hervor.

»Die Straße runter, dann links. Das dritte Haus auf der rechten Seite. Sommarblommervej. Es ist nicht zu verfehlen. Seine dicke Katze sitzt im Fenster und passt gut auf, dass keine ungebetenen Besucher vorbeikommen und stören!«, fauchte Astrid giftig.

Lundquist sah sich um, stellte fest, dass die ganze Familie inzwischen in und vor Astrids Zimmer versammelt war. Er straffte sich. »Seht ihr, ich weiß natürlich, dass jeder seine eigene Weise hat, mit dem Verlust eines Menschen umzugehen, der ihm nahestand. Aber bei euch fällt mir schon auf, dass ihr nicht sehr traurig seid, ruhig und nicht tief getroffen. Da frage ich mich, warum das so ist. Hat er euch denn nichts mehr bedeutet?«

Stille antwortete ihm.

Nur das Atmen der Anwesenden war zu hören.

Als das Schweigen nicht mehr auszuhalten war, seufzte Astrid tief und erklärte: »Ihr habt es doch gehört. Er war schwierig. Nicht gerade das, was man einen liebenden oder auch nur guten Vater nennen würde – und auch zu Mor war er nicht wirklich nett.«

Die Mutter protestierte leise.

»Hör auf! Er hat dich nicht gut behandelt. Punkt! Deshalb sind wir nicht glücklich über seinen Tod, er war Teil dieser Familie – aber wir sind auch nicht unendlich getroffen. Er wird uns fehlen, und doch werden wir erleichtert sein, weil wir uns nun frei bewegen können. Nach seinem Tod wird vieles einfacher für uns. Nichtsdestotrotz hätte keiner von uns ihm einen solchen Tod gewünscht. Okay?«

»Hm«, Lundquist wich dem intensiven Blick des Mädchens nicht aus. »Mag sein. Aber ihr könntet auf den Täter wütend sein. Es scheint euch nicht zu interessieren, ob wir den Mörder finden.«

»Wahrscheinlich einer von denen, die einem seiner blöden Ratschläge gefolgt und in irgendeine Katastrophe gerutscht sind. Oder er hat eine Ehe zerstört. Fragt am besten bei Clemens nach!« Olaf wies mit dem ausgestreckten Arm in die Richtung, in der das Haus des ›Ortsvorstehers‹ lag.

Ratlos warf Sven einen langen Blick über die Glasgiebelseite des Pfarrhauses, schüttelte betroffen mit dem Kopf. »Weißt du, ich könnte mir vorstellen, dass die Kinder, wenn sie erstmal mein Alter erreicht haben, eine Therapie brauchen werden. Irgendwann bedauern sie vielleicht, dieser Kälte erlaubt zu haben, sich bei ihnen einzunisten.«

Knysts Handy klingelte.

»Hej hej, wo seid ihr? Okay, dann müsstet ihr uns eigentlich sehen!«

Und tatsächlich, ein kleiner Lichtpunkt wurde geschwenkt. »Da! Das sind Britta und Ole.« Lars stapfte los.

»Bernt sucht im Internet nach Hinweisen. Und Hans Hansson hat er schon gefunden!« Britta war etwas außer Atem, als sie die Kollegen erreicht hatte. »Er saß wegen der Vergewaltigung und Tötung eines Kindes. Fünf Jahre. Dann wurde der wahre Täter gefasst und Hansson auf freien Fuß gesetzt. Er ist schwul – offensichtlich hat jemand ihn bei der Polizei angeschwärzt, kein Alibi, er kannte das Kind flüchtig. Er leitet jetzt eine Gruppe, die sich für mehr Rechte der Schwulen und Lesben einsetzt. Ich glaube, im Moment hält der Verein aber wohl die Füße still. Es gibt keine Hinweise auf aktuelle Aktionen.«

»Du meinst, nach dem Fall von vor einem halben Jahr halten sie sich lieber zurück? Als der Vierjährige missbraucht und dann erdrosselt wurde?«

»Genau. Von einem schwulen Pädophilen. Na ja. Da ist die Stimmung wohl ein bisschen gekippt. Gerade hier auf dem Land.«

»Vorsicht!«, mahnte Ole. »Das ist ein Vorurteil. Ich weiß, dass es oft genug in so kleinen Gemeinden weniger Ressentiments gibt, weil man sich von jeher kennt und einfach weiß, dass dieser oder jener keine Gefahr ist! In der Stadt wird gehetzt. Dabei sind wir eines der schwulenfreundlichsten Länder in Europa. Schon 1944 war Homosexualität straffrei!«

»Moment! Es geht nicht um Hans Hansson. Das Opfer ist Arne Mommsen. Ihr habt inzwischen die Liste mit den Hausbesuchen bekommen?« Lundquists schlechte Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt.

»Wir fangen mit der Liste an«, wechselte Britta sofort das Thema. »Zeiten stehen leider nicht drauf, wir werden also bei jedem fragen müssen, wann der Pfarrer dort eingetroffen und wieder gegangen ist. Vielleicht sehen wir dann am Ende eine Art Bewegungsprofil.«

»Gegen ein Uhr war er bei Hans Hansson. Er blieb für etwa 15 Minuten. Wir wissen aber nicht, ob das sein erster Hausbesuch an diesem Tag war – und Hans steht nicht auf der Liste. Bei ihm ist er nur zu einem privaten Abstecher vorbeigekommen. Worüber Arne mit ihm gesprochen hat, wollte Hans uns allerdings nicht erzählen.«

Britta notierte sich die erste Zeitangabe in ein kleines Ringheft.

»Der erste Name hier auf der Liste ist Linda Studentsborg, danach Ronald Halmquist. Wir machen uns auf den Weg.« Ole klapperte mit den Autoschlüsseln.

»Genau! Das müssen wir noch klären! Ist Arne Mommsen mit dem Rad unterwegs gewesen oder benutzte er das Auto? Es sah ja schon seit dem frühen Vormittag nach Regen aus. Wenn er seinen Wagen benutzt hat, müssen wir fragen, wo der überall gesehen wurde.« Lundquist machte Knyst ein Zeichen. »Wir besuchen Clemens Brodersson. Ortvorsteher. Angeblich weiß er am besten über die Befindlichkeiten in Hummelgaard Bescheid. Besprechung in zwei Stunden im Büro. Bis dahin sollten wir erste Ergebnisse haben. Ihr wisst ja, dass die Presse solche Mordgeschichten ganz besonders liebt. Ein gekreuzigter Pfarrer! Manche planen das sicher schon für morgen als Aufmacher.«

Clemens Brodersson wohnte ein einem blauen Holzhaus mit weißgebänderten Fenstern. Der kleine Garten schien Knyst hoffnungslos überbevölkert, er fragte sich, wie der Hausbesitzer eine solche Invasion von Gartenzwergen hatte zulassen können. Im Schein der Straßenbeleuchtung entdeckte er unter jedem Busch, in den Beeten, direkt am Weg, eben überall die kleinen Wesen, ausgestattet mit Spaten, Laternen, Schubkarren.

»Mir wäre ja ein bisschen bang. Was, wenn die das Häuschen übernehmen und Clemens kurzerhand vor die Tür setzen? Gartenzwerge in Truppenstärke«, murmelte er dumpf.

»Bewaffnet außerdem. Und Nachtsichtgeräte halten sie in den Händen«, neckte Lundquist den Freund und deutete auf einen der Laternenträger. »Sieh mal, die Torwächterin am Küchenfenster hat uns auch schon entdeckt!«

Tatsächlich beäugte eine schwarze Katze die späten Störer voller Misstrauen.

»Hast du den Blick gesehen?« Knyst schüttelte sich. »Direkt unheimlich. Verzaubert vielleicht. Du weißt schon, sie kann in die Seele der Menschen sehen und sie beurteilen. Möglicherweise erhalten wir also keinen Zutritt.«

»In einem der Bücher, die auf Lisas Wunschzettel stehen, kommt eine Werkatze vor. Offensichtliche eine Variante des Werwolfs. Intelligent, schlagfertig, mit wundersamen Fähigkeiten. Gedankenlesen gehört auch dazu.« Lundquist klopfte dem Freund auf die Schulter. »Unser Hund kann das übrigens auch. Der spürt sofort, wer nett ist«, lachte er dann. »Deshalb hat er dich ja sofort angeknurrt.«

»Und gezwickt! Ich mag keine Hunde«, beschwerte sich Lars.

»Na ja, seither träumt unser Kleiner davon, später mal so groß zu werden, wie mein Freund Lars. Vielleicht dachte er, wenn er ein Stück von dir frisst, wird das einen Wachstumsschub auslösen. So, nun klopf endlich mal.«

Doch das war gar nicht mehr notwendig.

Offensichtlich hatte die Wächterin ihr Kommen angekündigt, denn als sie die kurze Treppe zum Eingangsbereich hochstiegen, wurde die Tür schon weit aufgerissen und ein unterseteter Mann mittleren Alters betrachtete interessiert die Besucher.

»Polizei, wenn ich nicht irre. Na, dann kommt rein. Im Grunde habe ich schon deutlich früher mit euch gerechnet.«

Er trat zur Seite, sprach mit der Katze, nickte dann den beiden Ermittlern zu.

»Das ist Clothilde. Alle im Dorf glauben, sie habe magische Fähigkeiten. Aber das ist natürlich vollkommener Humbug. Schwarzes Fell und bernsteinfarbene Augen – mehr Zutaten braucht es manchmal nicht, um ein Geheimnis zu vermuten.«

Im Wohnzimmer lief der Fernseher, auf dem Tisch vor der Couch wartete das Feierabendbier neben ein paar Wurstbroten. Eine Kerze brannte. »Meine Frau ist nicht da. Besucht eine Freundin auf Öland. Krankenbesuch. Hella ist die Treppe hinuntergestürzt und hat sich den Oberschenkel gebrochen. Und da sind drei Kinder und ein Mann zu versorgen«, erklärte Clemens und wies entschuldigend auf einen Haufen Schmutewäsche in der Ecke. »Ich hoffe, sie kann bis Ende der Woche wieder nach Hause kommen. Leider konnte sie sich noch nicht auf einen Termin festlegen. Ist mir nicht so angenehm, das Alleinsein«, brummte der Ortsvorsteher und bot seinen Gästen Plate an. Fiel ächzend in die Couch zurück, schaltete den Fernseher aus.

»Ihr kommt wegen Mommsen. Wahrscheinlich hat seine Familie euch zu mir geschickt.«

Er grunzte zufrieden, als die beiden nickten.

»Ja, ja. Ich dachte mir schon, dass sie das tun würden. Über Tote spricht man nicht gern schlecht, schon gar nicht, wenn es sich um Familienmitglieder handelt, die auch noch ermordet wurden. Und dann auch noch derart theatralisch. Ungewöhnlich für Hummelgaard. Sehr ungewöhnlich sogar.«

»Weil hier nicht gemordet wird?«, fragte Knyst nach.

»Nein, das meine ich nicht. Aber ich würde annehmen, dass ein Hummelgaarder den schnellen Weg wählt. Erstechen, erschießen, vergiften, erschlagen – alles drin. Aber die Show mit dem Kreuz. Das war doch unnötiger Firlefanz. Untypisch für Hummelgaard.«

Clemens sah die Besucher fragend an. »Ein Bier?«

»Nein, ich fürchte, unser Feierabend ist noch weit entfernt«, meinte Lundquist schmunzelnd. »Erzähl uns doch, was für ein Mensch Arne Mommsen war.«

»Eine einfache Frage, könnte man meinen. Aber in Arnes Fall ist sie nicht leicht zu beantworten. Zum einen wusste er grundsätzlich alles besser als jeder andere hier. Doch wer seinem Rat blind folgte, rutschte schnell in die Katastrophe. Natürlich lehnte Arne für das Scheitern jede Verantwortung ab, schließlich habe der Betroffene die Freiheit der Entscheidung gehabt. Was wiederum nur bedingt richtig war. Wer Arnes Rat nicht folgte, machte sich den Pfarrer zum Feind. Er konnte es nicht ausstehen, um seine Hilfe gebeten zu werden, wenn der andere nicht bereit war zu tun, was er ihm vorschlug. Eine Art Teufelskreis – oder Dilemma. Egal welche Entscheidung du triffst, sie wird dir schaden.«

»Und es wollte niemand riskieren, Arne gegen sich aufzubringen.«

»Genau. Er war cholerisch, brüllte herum, verlor die Kontrolle. Manche nennen das: eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten. Ich sage, es ist eine behandlungsbedürftige Persönlichkeitsstörung gewesen. Aber das ist jetzt müßig. Arne konnte auch anders sein. Um Hans hat er sich intensiv gekümmert. Hat dafür gesorgt, dass er ausgerechnet in Hummelgaard in die Gesellschaft reintegriert wurde, hier hat nicht jeder sofort an einen Justizirrtum glauben wollen. Oder Solveigh. Eine Künstlerin – nicht weltberühmt, aber mit den Macken und Zicken einer international gefeierten Diva. Diese Frau kann einen zur Weißglut treiben. Er hat erreicht, dass sie am Rand des Ortes ungestört arbeiten kann. Manchmal habe ich den Eindruck, die Hummelgaarder sind inzwischen fast schon ein wenig stolz darauf, dass sie bei ihnen lebt.«

»Arne konnte also auch richtig nett sein.«

»Durchaus. Er nutzte seine Predigten, um geschickt das Denken der Leute zu manipulieren.«

»Gibt es jemanden, der wegen Arne ganz besonders verärgert war? In eine existenzielle Katastrophe geraten ist, zum Beispiel?«

»Ja, sicher. Ruth hat ihren Mann verlassen. Wegen eines nichtigen Grundes, nichts, was nicht aus der Welt zu schaffen gewesen wäre. Arne hat ihr eingeredet, selbst gekittet sei ihre Ehe nichts mehr wert. Heute lebt sie einsam und verbittert in einem Heim für Menschen mit ›mangelndem Lebensmut‹, du verstehst schon. Gunnar verlor sein gesamtes Vermögen, Larsson seinen Hof. Traurige Schicksale allemal. Allerdings würde ich bei einem Aktiengeschäft wohl nicht den Pfarrer um Rat gefragt haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Von denen wohnt keiner mehr hier in der Nähe, haben ihre Zelte abgebrochen, keine Kontakte mehr in den Ort. Alle weg – so weit es ihnen nur möglich war.«

»Kannst du uns eine Liste …?«

»Klar.« Clemens griff nach Stift und Notizblock.

»Ich würde auch gern mal die Künstlerin besuchen.« Lundquist rieb sich die Hände, als sei ihm kalt. »Bisher haben wir überwiegend Schlechtes über Arne gehört. Da wäre es wichtig, auch der anderen Seite Raum zu geben.«

Clemens stemmt sich aus dem tiefen Polster hoch, legte einen zusätzlichen Scheit Birkenholz ins Feuer. »Kühl geworden. Rück ruhig ein bisschen näher an den Kamin ran. Ihr seid wohl schön nass geworden in Arnes Garten, wie?«

Er fiel wieder in die Couch zurück.

»Wie stand es um seine Ehe?«, schnitt Knyst ein neues Thema an.

»Ulrika war nicht glücklich an seiner Seite. Da half es auch nichts, dass sie seinen Wunsch nach Kindern brav erfüllte. Neben einem dominanten Mann mit cholerischem Temperament ist das Leben kein Zuckerschlecken. Immer wieder gab es Gerüchte. Er besuchte angeblich private Clubs in der Stadt. Kellerbordelle. Dann erzählte man sich, er sei mehrfach mit einer fremden Frau gesehen worden, in inniger Umarmung. Nicht leicht für Ulrika, das alles zu parieren. Schließlich war Arne nicht nur ihr Mann, sondern auch Pfarrer. Zuletzt wollte ihm jemand ein Verhältnis mit Hans andichten. Gerade jetzt, wo die beiden doch längst nicht mehr so eng befreundet sind, wie sie es mal waren. Die Kinder haben unter seinen Wutausbrüchen zu leiden gehabt. Das Getuschel über ihren Vater haben sie natürlich mitbekommen. In der Pubertät können Jugendliche mit so etwas nicht gut umgehen. Na ja. Insgesamt ein bisschen verkorkstes Familienleben, würde ich mal sagen. Normal für die Zeit, in der wir leben.«

Er begann ungelenk, einige Namen zu notieren.

Offensichtlich schrieb er nicht oft mit der Hand.

Vielleicht nutzt er für seine Briefe den Computer, überlegte Lundquist.

Zum Glück gibt es sogar Eingabehilfen – die ihm selbst irgendwann helfen würden, sollte die Multiple Sklerose sich zurückmelden. Er kniff sich in den Oberschenkel, zwang seine Gedanken zurück zum Fall.

»Hans und Arne waren gern in Göteborgs Kneipen unterwegs. Kennt ihr die Bee Bar in den Saluhallen? Am Kungstorget? Jeden Samstag ab 22 Uhr ist das Ding eine echte Schwulenbar. Ulrika hat das natürlich nicht gern gesehen, aber da dort auch Heteros mitfeiern können, hat sie auch das hingenommen. Aber ganz sicher nur zähneknirschend. Im Ort haben manche sie wirklich mitleidig angesehen. Die beiden Freunde sind im Sommer auch gern in der Drottninggatan zum Night-Fever gegangen und erst vor dem Frühgottesdienst nach Hause gekommen. Wie Arne dann eine sinnvolle Predigt abliefern konnte, ist mir unverständlich. Aber das war nicht meine Baustelle. Damit musste die Familie schon allein klarkommen.«

»Wie heißt das am Kungstorget? Bee Bar?«

»Ja. Der Schwulen-Club nennt sich BarBee. Die haben sogar ein Motto sowohl für den Club wie die Bar. ›Straight Friendly‹. Na ja. In letzter Zeit waren sie nicht mehr so oft miteinander unterwegs. Verstimmungen eben.«

Er riss das oberste Blatt vom Block und reichte es an Lundquist weiter. »So, das sind die Namen, die mir so auf Anhieb einfallen, weil die Folgen, die sie ertragen mussten, gravierend waren. Aber mal ganz ehrlich: Ich kann nicht glauben, dass einer von ihnen Mommsen tatsächlich umgebracht haben soll. Und schon gar nicht auf diese blasphemische Weise. Hier leben Menschen, die gottesfürchtig sind. Sie wissen, dass sie das Recht nicht in die eigenen Hände nehmen dürfen. Hier hofft man noch auf göttliche Gerechtigkeit.«

Ole und Britta saßen bei Linda Studentsborg am Feuer.

Der Früchtetee dampfte in den Tassen, leise Musik sorgte für Behaglichkeit.

»Oh ja. Arne war heute Nachmittag bei mir. Gegen halb drei würde ich meinen. Er ist nicht lang geblieben, die Liste für heute sei schier endlos, hat er behauptet.« Dabei nickte Linda heftig mit dem Kopf und ihre violetten Löckchen hüpften aufgeregt mit.

»Dann wirkte er bestimmt ziemlich gehetzt. Immer zu wenig Zeit für die Probleme, die man mit ihm besprechen will, nicht wahr?«, meinte Britta mitfühlend.

»Nun ja. Es ist, wie es ist. Immerhin hat es für eine Tasse Tee und ein paar von meinen selbstgebackenen Keksen gereicht.« Ole sah seinen Teepott nachdenklich an. Hatte Arne Mommsen seinen letzten Tee in diesem Leben aus dieser Tasse getrunken? Er fröstelte.

»Arne Mommsen ist tot.«

»Ach herrjeh! Es ist traurig, dass er sterben musste. Aber natürlich war er selbst schuld.«

»Selbst schuld?«

»Aber ja! Unvorstellbarer Leichtsinn bei so einem Wetter. Aber er dachte wohl, sein Chef passt auf, dass er nicht krank wird oder einen Unfall hat«, murmelte Linda leise. »Aber der hat wohl heute anderswo seine Schäfchen gehütet. Arne jedenfalls wurde nicht vor dem Tod bewahrt. Es ist ja so schnell nachtschwarz geworden – und Arnes Lampe war defekt.«

»Nun, Pfarrer Mommsen wurde gewaltsam zu Tode gebracht. Man hat ihn ermordet.«

Linda sah Britta verständnislos an. Runzelte dann die Stirn und schwenkte vorsichtig ihren Tee, schnupperte diskret, prüfte, ob etwas darin war, das nicht hineingehörte. Womöglich hat mein unberechenbarer Sohn als Scherz eine seiner halluzinogenen Drogen unter die Kräuter und Blüten gemischt, mutmaßte Linda. Jørgen war in einem schwierigen Alter. Er fand so etwas umwerfend komisch.

»Wir haben ihn im Garten seines Hauses gefunden.«

»Ach.« Vielleicht war das Zeug in der Teedose ungünstig verteilt gewesen, überlegte Linda weiter, ich merke nichts, aber die arme Polizistin hat es ziemlich erwischt, steht zu befürchten. Bestimmt wird ihr Kollege schnell merken, dass sie wirres Zeug redet und sie nach draußen begleiten.

»Es gibt einen Mörder in Hummelgaard!« Britta bemühte sich nach Kräften, zu Lindas Denken vorzudringen. »Hast du noch nichts davon gehört?«

»Nein!« Die Dame des Hauses versuchte zu begreifen, dass diese ungeheuerliche Neuigkeit wahr sein sollte. »Du meinst, er war hier und ist dann zuhause seinem Mörder in die Arme geradelt? Warum sollte jemand ihm so etwas antun?«

»Das würden wir gern herausfinden.«

»Er war ein so schöner Mann, weißt du? Bestimmt hätte er dir auch gefallen. Und herzensgut war er auch. Verständnisvoll. Freundlich. Bist du sicher, dass wir von unserem Pfarrer reden? Den bringt doch keiner um!«

Ronald Halmquist packte gerade Kleidung in große Pappkisten und trug sie vor die Haustür, als die beiden Ermittler durch das Törchen kamen.

»Kriminalpolizei Göteborg, guten Abend!« Beide präsentierten ihre Ausweise.

»Und? Ihr kommt nicht, weil ihr mich mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt habt. Also, was ist es diesmal, das ihr mir anhängen wollt?«, fragte er und baute sich aggressiv vor den beiden auf.

»Arne Mommsen wurde heute Nachmittag ermordet. Er hat dich doch aufgesucht, oder? Du stehst auf seiner Liste.«

»Und deshalb soll ich jetzt ein Mörder sein? Es ist nicht zu fassen! Das halbe Dorf steht auf der Liste!«

»Wir versuchen nur, den Nachmittag des Mordopfers zu rekonstruieren«, begann Ole in besänftigendem Ton, zog die Liste hervor und zeigte sie Halmquist. »Siehst du, hier stehen nur Namen, aber keine Zeiten. Wir besuchen jeden, damit wir uns ein Bild von Arnes Nachmittag machen können. Niemand verdächtigt dich.«

Der Mann schrumpfte ein wenig, sank wieder in seine normale Körperhaltung zurück.

»Deshalb die vielen fremden Wagen. Und die Streife. Ich dachte, vielleicht wurde bei ihm eingebrochen. Aber ermordet … Welcher Einbrecher tötet schon?«

»Es war kein Einbrecher.«

Es dauerte eine Weile, bis Ronald diese neue Information verarbeitet hatte.

Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Das kann doch nicht wahr sein!«

»Wann war er bei dir?«, wollte Britta wissen und zog das Heft wieder hervor.

»So genau kann ich das nicht sagen. Tut mir leid. Kommt erstmal rein.«

Er führte die Besucher in ein chaotisches Wohnzimmer. »Ich räume aus. Meine Frau ist abgehauen. Knall auf Fall. Mit ihrem Fitnesstrainer. Ich habe fast einen ganzen Monat darauf gewartet, dass sie zurückkommt – aber nun ist gut. Ich werfe all ihren Kram weg.« Der Ton war eine ungute Mischung aus Wut und Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung. Britta, die solche Abschiede zur Genüge kannte, fühlte mit ihm.

»Jünger als ich, durchtrainiert. Wie soll ich da mithalten. Ich sitze den ganzen Tag im Büro, beeile mich am Abend, um nach Hause zu kommen und Zeit mit meiner Frau genießen zu können. Wann soll ich also ins Sportstudio gehen? Und dann brennt sie ausgerechnet mit so einem Kraftmeier und Bizepszüchter durch!« Er holte tief Luft, atmete hörbar aus. »Aber hier geht es nicht um mich. Arne wurde ermordet. Ein Mörder in Hummelgaard! Wisst ihr, wie unwahrscheinlich das ist? Bei uns wird nicht einmal ein Fahrrad geklaut – und wenn, dann von jemandem, der auf der Durchreise ist! Bei uns ist nichts los. Und dann wird ausgerechnet der Pfarrer … Na, so kommt unser Ort mal in die Presse, was?«

»Was für ein Mensch war Arne Mommsen?«

»Ein netter. Zupackend, zuverlässig. Ein guter Zuhörer. So einer, der, wenn er wieder geht, eine Art bessere Luft zurücklässt. Du verstehst schon: Alles klärt sich, du kannst wieder durchatmen.«

»Und wann hat er dir zum Durchatmen verholfen?«, hakte Ole nach.

»Warte mal … Jetzt ist es schon kurz vor acht. Gegen drei wahrscheinlich. Wir haben nur darüber gesprochen, wo ich anrufen kann, damit Karins Sachen abgeholt werden. Eine Organisation, die die Kleidung nicht nach Afrika verscherbelt, sondern hier bei uns unter den Bedürftigen verteilt. Danach ist er weiter. Er hat gesagt, er habe noch einige Termine. Dann war er weg.«

»Er war nur ein paar Minuten hier, ja?«

»Ja. Er schrieb die Telefonnummer auf einen Zettel, riet mir, alles in stabile Pappkisten zu verpacken und ist losgezogen.«

Ronald kramte neben dem Telefon. »Hier! Das ist die Nummer, die er notiert hat. Die Dame dort war sehr freundlich. Morgen holen sie alles ab, was vor der Haustür steht, ich muss nicht zuhause sein. Gut so. Mein Chef sieht es nicht gern, wenn man aus solchen Gründen fehlt. Er meint, Krankheiten kann man nicht immer vermeiden und für alles andere gibt es Nachbarn.«

»Wer könnte Arne so sehr gehasst haben, dass er ihn umbringen würde?«, fragte Ole.

»Das weiß ich nicht. Ich finde, er war ein patenter Pfarrer. Keiner ohne Fehl und Tadel – das machte ihn mir sympathisch.«

Ole nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Aber irgendjemand hat das völlig anders gesehen – und ihn ermordet.«

Ronalds Miene wurde nachdenklich.

»Wie ist er umgebracht worden?«, erkundigte er sich dann mit belegter Stimme.

»Die genaue Todesursache steht noch nicht fest.«

»Oh, wie im Fernsehen, ja? Erst die Obduktion?« Der höhnische Unterton war nicht zu überhören.

»Ja. Möglicherweise starb er an einer Stichverletzung«, blieb Ole bei dürrer Information.

»Das ist ja fast ein bisschen schade. Wäre es eine ungewöhnliche Waffe, dann würde das den Täterkreis einschränken. Und eine Stichverletzung könnte ihm sicher auch eine Frau beigebracht haben. Das bedeutet für euch, dass jeder verdächtig ist, oder?« Ronalds Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet. »Ist ungünstig für eure Ermittlungen, oder?« Nach einer Pause setzte er hinzu. »Ehrlich, wer in Hummelgaard läuft schon am helllichten Tag mit einer Stichwaffe in der Hand durch die Straßen, um den Pfarrer umzubringen? Ich sag’s euch: Keiner!«

Ole sah sich in dem unordentlichen Wohnraum um. Studierte oberflächlich die Titel der Bücher im Regal. »Aha, ich sehe, du bist ein echter Krimifan.«

»Und jetzt habe ich einen Mord fast vor der Haustür! Spannende Sache. Also – ich hätte wohl eher meine Frau oder ihren Liebhaber umgebracht. Denen geht es aber gut – wenn du willst, gebe ich dir die Telefonnummer des Studios. Arne wäre ganz sicher nicht mein Opfer gewesen.«

Als die beiden sich auf den Rückweg zu ihrem Auto machten, legte sich plötzlich eine Hand auf Oles Arm.

»Ihr seid die Polizei?«, flüsterte die dunkle Gestalt. In der hartnäckigen Finsternis nach dem Unwetter konnte Ole nicht einmal erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.

»Ja. Wir ermitteln im Mordfall Mommsen.«

»Der Kerl hat es nicht anders verdient.« Ole spürte, wie knochige Finger seinen Arm schraubstockartig zusammenpressten. »Er war eine Plage. Eine Bürde. Es ist gut, dass er nun tot ist. Den Mörder sollte man feiern, nicht jagen.«

»Den Mörder feiern? Wer ist es denn?«

»Hahaha, das möchtest du nun zu gern wissen, nicht wahr? Ich kann es dir nicht sagen. Aber ich weiß, dass es gut ist, wie es jetzt ist. Könnte sein, dass noch mehr Leute ins Gras beißen müssen. Denkt an mich! Es gibt einige hier, die es verdient hätten zu sterben!«, zischte die raue Stimme eindringlich.

Als es Ole endlich gelungen war, mit der freien Hand die Taschenlampe aus dem Gürtel zu ziehen, glitten die Finger von seinem Ärmel ab und die Gestalt war so schnell verschwunden, dass es ihm nicht mehr gelingen wollte, sie mit dem Lichtkegel einzufangen.

»Shit!«, fluchte er.

»Was war das denn?«, fragte Britta beunruhigt. »Eine Warnung an uns?«

Oles Handy dudelte einen nervigen, polyphonen Klingelton.

Britta verdrehte die Augen.

»Ja?«

Ole lauschte, nickte. »Okay. Dann brechen wir hier ab und kommen ins Büro.«

Zu seiner Kollegin gewandt meinte er: »Sven und Lars wollen erstmal alles zusammentragen. Eine Strategie festlegen. Also, auf ins Büro zurück nach Göteborg!«

Eine Stunde später trafen alle fünf im Besprechungsraum zusammen.

»So – hier sind die Bilder vom Tatort.« Bernt pinnte die Fotos an die Stellwand. »Sieht ja sehr dramatisch aus. Eine echte Kreuzigung.«

»Der Rechtsmediziner, Erik Hardberg, meinte, der Mann sei tot oder zumindest bewusstlos auf die Konstruktion geschnürt worden. Auch Björn, der Kollege aus Hummelgaard, erzählte, niemals hätte sich Arne Mommsen kampflos so drapieren lassen«, fasste Lars zusammen.

»Obduktion ist morgen um 8 Uhr«, wusste Bernt.

»Das Holzkreuz sieht ziemlich massig aus. Wie ist das in den Garten transportiert worden?« Ole trat näher an die Bilder heran, kniff die Augen zusammen, um mehr Details erkennen zu können. »Könnte es sein, dass es zerlegbar ist? Ihr wisst schon, wie diese Untersetzer. Man hat zwei Holzstücke und wenn man sie über Kreuz zusammenbaut, wird ein stabiler, breiter Topfuntersetzer draus. Zum platzsparenden Wegräumen nimmt man das Ding einfach wieder auseinander.«

»Die Spurensicherung war noch da, als wir gingen. Gibt es einen ersten Bericht?«, fragte Knyst und sah Bernt an. Der schüttelte den Kopf.

»Gut – also selbst wenn man es zusammenstecken konnte, mussten ja doch zwei große Holzbalken in den Garten getragen werden. Die sind schwer, vielleicht brauchte es gar die Kraft von zwei Leuten.« Lundquist klang ungeduldig.

»Das wäre doch sicher jemandem aufgefallen.« Britta gähnte, lächelte entschuldigend in die Runde. »Kurze Nacht gehabt.«

»Nicht unbedingt. Angenommen, es wurden irgendwelche Holzarbeiten am Haus durchgeführt. Dann war es doch ein Leichtes, die Balken abzulegen, um sie später zu nutzen. Oder man hat dieses Kreuz ursprünglich für einen ganz speziellen Kontext gebaut. Eine Spendenaktion zum Beispiel. Ulrika weiß das bestimmt, wir fragen nach. Wir wissen noch nicht, ob Arne Mommsen heute gestorben ist, weil die Gelegenheit für den Täter günstig schien – oder der Zeitpunkt eine wesentliche Rolle für den Mörder gespielt hat.« Sven klopfte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Bisher hat uns niemand von einem akuten Vorfall berichtet – aber das kann ja morgen schon anders aussehen. Wir haben nur wenige Zeugen von der Liste befragen können. Sicher ist aber wohl, dass der Pfarrer mit dem Rad unterwegs war. Das hat eure Zeugin doch so ausgesagt?«

»Ja. Linda. Als wir erzählten, Arne sei tot, dachte sie zuerst an einen Unfall mit dem Rad. Wegen des Unwetters und der Dunkelheit. Dass er getötet wurde, wollte sie erst nicht wahrhaben.«

»Wir müssen klären, wo das Rad geblieben ist. Kam er noch selbst damit nach Hause – oder wurde er bewusstlos oder gar tot dort ›abgeladen‹?«

»Bevor uns das Thema sinnlos beschäftigt: Hans Hansson saß tatsächlich unschuldig in der Zelle. Er wurde für die Zeit entschädigt. Heute hält er Ziegen und verkauft Käse. Außer Werbung für seinen Käse ist tatsächlich nichts über ihn im Netz zu finden. Sieht so aus, als versuche er, möglichst nicht aufzufallen. Solveigh – eure Künstlerin – habe ich allerdings auf unzähligen Seiten gefunden. Sie hat kleine Ausstellungen im Nirgendwo. Nichts, was man wirklich erwähnen müsste. Daneben finden sich lauter reißerische Artikel. Ein angeblicher Stalker, ein angeblicher Einbruch, eine angebliche Erpressung. Nie wurden Hinweise gefunden. Eine der neuesten Schlagzeilen aus dem letzten Herbst titelt: »Weltbekannte Künstlerin Solveigh unter Ebola-Verdacht im Krankenhaus«. Wenn man den Text liest, stellt man schnell fest, dass sie mit leichtem Fieber und Symptomen eines grippalen Infektes in der Notaufnahme vorstellig geworden ist. Man hat ihr ein fiebersenkendes Präparat gegeben und sie nach Hause geschickt. Ebola war zu der Zeit medial ausgesprochen wirkungsvoll, alle redeten darüber – also gab sie das so an die Presse raus. Unglaublich. Entblödet sich nicht, das für Publicity zu nutzen – und in Westafrika sind Tausende an der Seuche gestorben!« Bernt hatte sich in Wut geredet. Er verstummte abrupt, räusperte sich.

»Arne hat sie unterstützt. Offensichtlich war sie nicht besonders beliebt, verschrien für ihre Zicken und Macken. Er half ihr, Fuß zu fassen. Das hat der Ortsvorsteher so erzählt«, ergänzte Lars. »Sie bringt ein bisschen Glamour ins Alltägliche. Hummelgaard wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein abenteuerlustiges Dorf auf mich. Die meisten Leute leben unauffällig. Da kann sich der Voyeurismus an Solveigh und Hans abarbeiten.«

»Du meinst, es gibt immer ein Gesprächsthema beim Einkaufen«, grinste Britta. »Ja, mag schon sein. Aber Arne selbst taugte dafür auch, oder? Eure Zeugen haben ihn nicht gerade ins Herz geschlossen gehabt – unsere schon. Er hat den Ort gespalten.«

»Und das, wo Pfarrer doch eigentlich integrativ wirken und aus den vielen Einzelschäfchen eine Herde formen sollen! Für die Rolle war er nicht die Idealbesetzung«, räumte Sven ein. »Auch als Vater war er bei seinen Kindern nicht beliebt, selbst die Ehefrau empfand ihre Beziehung als stark abgekühlt.«

»Übrigens hat uns jemand angesprochen, als wir auf dem Weg zum Auto waren. Erkennen konnten wir nichts, aber er warnte uns, meinte, es könne sein, dass es nicht bei dem einen Opfer bleibt.« Ole wirkte beunruhigt. »Der Kerl war sehr unheimlich. Und er klang, als meine er, was er sagte – ich bin nicht einmal sicher, dass es ein Er war …«

»Das ist sonderbar. Die meisten anderen Zeugen waren eher überrascht darüber, dass es bei ihnen überhaupt zu so einem schrecklichen Vorfall wie Mord kommen konnte. Und er vermutete gleich noch mehr Opfer?«

»Noch wissen wir nicht, wie groß der Hass einzelner auf Arne wirklich war. Ich vermute, von denen wird auch kaum einer auf unserer Liste stehen. Warum sollte ich mir den Pfarrer zum Gespräch ins Haus einladen, wenn ich ohnehin nie wieder einen Rat von ihm annehmen würde?«

»Um ihn zu töten«, stellte Lundquist trocken fest.

Zuhause wartet schon dein Henker

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