Читать книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer - Страница 12

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Magda Lundquist saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und träumte.

Das Leben der kleinen Familie hatte sich nach dem Einzug des Hundes, den Lisa und sie ertrotzt hatten, deutlich verändert. Der Kleine war ein wahrer Wildfang, immer für eine Überraschung gut, noch immer unwiderstehlich süß und er hatte die von Sven befürchtete Doggengröße nicht erreicht. Sie schmunzelte, während ihre Hand über sein seidiges Fell strich. Besonders Lisa hatte unglaublich von dem Tier profitiert.

Sie traute sich plötzlich, Menschen anzusprechen, hatte ihre Scheu vor Fremden abgelegt, kam leicht ins Gespräch mit Gleichaltrigen. Ein Hund als Kontaktanbahner. Wie wunderbar einfach das jetzt plötzlich ging. Und Lisa blühte auf. Mit dem Hund an ihrer Seite fühlte sie sich sicher.

Mit der Lisa, die nach dem Tod der Mutter verschreckt und unsicher geworden war, hatte das Mädchen nicht mehr viel gemein. Magda seufzte glücklich, kraulte den Hundling zwischen den Ohren, wurde mit einem zufriedenen Grunzen belohnt.

Das Telefon störte die Gemütlichkeit.

Zwei spitze Ohren drehten sich aufgeregt hin und her, große Knopfaugen sahen sie an.

»Ist schon gut. Kein Grund zur Sorge. Der Herr des Hauses ruft an.«

Mit einem lauten Seufzer legte der Kleine den Kopf wieder in Magdas Schoß zurück, als habe er ihre Worte verstanden.

»Wir haben einen neuen Fall. In Hummelgaard wurde der Pfarrer ermordet. Ich werde es nicht so bald nach Hause schaffen.«

»Oh, das ist wirklich schade. Wir haben es nämlich sehr gemütlich hier. Trocken, warm und kuschlig«, kicherte Magda. »Lisa kommt sicher auch gleich. Sie ist noch schnell zu deiner Mutter rübergelaufen, bringt ihr die Einkäufe vorbei, die wir für sie erledigt haben.«

»Wir haben es da nicht so angenehm. Im Unwetter standen wir neben einer Leiche. Inzwischen sind wir weitgehend getrocknet, aber eben nur unvollständig.«

»Jammern hilft nicht«, erklärte die Ehefrau nüchtern. »Du hast bestimmt irgendetwas falsch verstanden. Pfarrer werden nicht ermordet. Sie sind allseits beliebt und sterben hochbetagt eines natürlichen Todes!«

»Nun, wenn man jemandem einen geeigneten Gegenstand ins Herz stößt, stirbt er natürlich. Ob hochbetagt oder nicht«, räumte Lundquist ein.

»Hm. Lösen Pfarrersfamilien interne Konflikte nicht eher gewaltfrei?«

»Vielleicht ist es gar kein innerfamiliärer Konflikt gewesen, der zu seinem Tod geführt hat! Typisch. Du denkst natürlich gleich wieder an die mordende Ehefrau. Ist doch seltsam, dass ihr von eurem Geschlecht immer nur das Schlimmste annehmt«, ging er auf ihren leichten Konversationston ein, wurde dann aber wieder ernst. »Wir wissen noch nicht, wo wir den Täter suchen müssen. Bisher habe ich den Eindruck, größtenteils angelogen worden zu sein. Die einen erzählen uns, der Pfarrer gehörte zu den Guten, war vertrauenswürdig. Die anderen sind gar nicht gut auf ihn zu sprechen. Einige meinen gar, es wurde Zeit, dass ihn jemand aus dem Weg geräumt hat. In den Nachrichten bringen sie ganz bestimmt schon etwas über den Mord.«

»Du Ärmster. Ich bereite dir was Mikrowellentaugliches zum Essen vor. Dann kannst du es dir noch schnell heiß machen, wenn du nach Hause kommst.« Das Bedauern in ihrer Stimme tat ihm gut. Sie vermisste ihn. »Klingt nach einer schlaflosen Nacht für euch. Alles etwas komplizierter?«

»Bisher stochern wir nur. Aber: Verlass dich nicht darauf, dass der Platz neben dir frei bleibt! Und: Der Hund schläft nicht in meinem Bett!«, mahnte Sven und schickte zwei Küsse durch die Leitung. Für jede seiner Frauen einen. Der Fellträger ging leer aus.

Lars warf seinem Freund einen forschenden Blick zu.

»Und jetzt?«

»Clemens nannte uns den Namen Solveigh und auch Astrid erwähnte diese Frau vorhin. Vielleicht fahren wir bei ihr vorbei und erkundigen uns nach ihrem Verhältnis zu Arne. Clemens beschrieb sie als Künstlerin mit Macken. Eine schwierige Persönlichkeit. Möglicherweise kam der Pfarrer mit Menschen, die nicht der gängigen Norm entsprechen, besser aus als mit den übrigen Gemeindemitgliedern. Und immerhin kannte sie Arne näher.«

»Solveigh Lind. Die Künstlerin mit Ausstellungen hier in der Gegend. Gut, na dann.«

Lars wirkte gereizt.

Sven konnte im Schein der Straßenbeleuchtung erkennen, dass seine Kiefer mahlten. Wahrscheinlich war Gitte nicht begeistert davon gewesen, den Abend mit dem Nachwuchs allein verbringen zu müssen. Magda reagierte auch nicht immer verständnisvoll.

»Ärger?«

»Du nicht?«, fauchte Lars zurück.

»Diesmal nicht. Bei dir?«

»Jede Menge. Gitte war so unglaublich sauer. Sie war für heute mit einer Freundin verabredet. Die beiden wollten Party machen und ich sollte auf den Kleinen aufpassen. Eine ehemalige Klassenkameradin von ihr, die inzwischen in den USA verheiratet ist. Sie waren wohl früher beste Freundinnen. Harriets Mann ist wegen eines Kongresses in München, da wollte sie die Chance nutzen, und ihre alten Freunde sehen. Gut, das ist nun gecancelt. Aber diese Freundin, Harriet Cloney, ist nur heute in der Stadt, morgen bricht sie früh nach München auf, trifft sich mit ihrem Mann. Von dort aus fliegt das wiedervereinte Paar dann in Urlaub. Dieser Zwischenstopp in Göteborg fand überhaupt nur statt, weil sie Gitte zu ihrem Geburtstag treffen wollte. Harriet wird dreißig. Nun gibt es ein ruhiges Glas Wein, damit der Kleine nicht aufwacht, und ein paar Häppchen bei uns, danach wird Harriet allein die anderen Freunde treffen, Gitte ist außen vor. Harriet ist gekommen, um zu feiern und das zieht sie auch durch. Du weißt schon: Dreißig, die magische Grenze. Kurz vor dem Eintritt ins Greisenalter. Entsprechend groß ist der Ärger!«

»Mist! Du könntest nach Hause fahren und ich mache hier allein weiter. Es ist besser, sowas schnell zu glätten. Bei Frauen brennt sich eine Enttäuschung manchmal regelrecht ein.«

»Nein.«

Schweigen.

»Dort ist es!« Lundquist zeigte auf einen kleinen dunklen Schatten am Horizont.

»Ist es notwendig, so einsam zu wohnen, wenn man Kunstwerke erschaffen möchte? Sie lebt allein, oder?«

»Ich weiß es nicht. Clemens hat jedenfalls von einem Partner nichts erzählt. Und vielleicht braucht sie tatsächlich eine gewisse Einsamkeit für die kreative Umsetzung ihrer Ideen. Wäre doch denkbar.«

»Schon. Ich kenne ein paar Bildhauer, die weit weg vom Trubel leben. Männer. Allesamt.«

Sven grinste. Er verstand.

Auf den Riesen Lars wirkten Frauen grundsätzlich wehrlos und schutzbedürftig.

Solveigh Lind hatte ihre besten Jahre bereits seit einiger Zeit hinter sich.

Darüber konnte weder die stahlblaue Farbe ihrer Haare noch der ausgefallene Schnitt oder die extravagante Kleidung hinwegtäuschen. Ihre exaltierten Bewegungen sollten Jugendlichkeit und feuriges Temperament vortäuschen, wirkten an der Matrone allerdings lästig und aufgesetzt.

Selbstbewusst und exzentrisch zeigte sie deutlich, was sie von einer Störung um diese Uhrzeit hielt und Besuch nach Mitternacht zu akzeptieren nicht bereit war. Polizei Göteborg hin oder her, sei es nun ein Mordfall oder nicht.

Lundquist blieb hartleibig. »Nein, wir werden nicht einfach wieder gehen. Und nein, es hat nicht Zeit bis morgen. Pfarrer Arne Mommsen wurde ermordet!«

Vielleicht wurde sie unter dem Zuviel an Rouge und Makeup eine Spur blasser. Sicher ließ sich das im diffusen Licht der Kerzen nicht beurteilen. Solveigh Lind lehnte elektrisches Licht ab – nur vor ihrem Hauseingang pendelte eine helle Lampe im Wind.

»Kerzen sind viel angenehmer. Bei mir taucht sich selbst der Winter in einen warmen, flammenden Schein.«

Immerhin durften die beiden Ermittler nach dieser Eröffnung eintreten.

»Pfarrer Mommsen und du wart gut miteinander bekannt, nicht wahr?«

»Arne, ja, das stimmt. Uns verband seit vielen Jahren mehr als eine flüchtige Bekanntschaft. Wir waren uns sehr zugetan.« Sie lauschte ihren Worten nach und ergänzte nach einer wirkungsvollen Pause: »Rein platonisch versteht sich. Ich bin an sexuellen Dingen nicht interessiert. Sex beeinträchtigt das kreative Geschick des Künstlers, lässt alles Zarte verblassen, das Grobe gewinnt die Oberhand. Das will ich nicht zulassen. Meine Kunst ausleben zu können, ist mir das größte Geschenk.« Dabei breitete sie melodramatisch ihre Arme aus, nötigte so die beiden Besucher, den Blick auf die Wände zu richten, an denen Bilder, Fotos und Objekte hingen.

»Wann hast du Arne zum letzten Mal gesehen?«, fragte Lars gänzlich unbeeindruckt und Solveigh schob trotzig die knallig rote Unterlippe vor.

»Das kann ich gar nicht so genau sagen.« Sie legte in nachdenklicher Pose eine Hand an die Stirn. »Vor zwei Wochen etwa. Er rief an, wollte mich sehen und kam vorbei. Er brachte einen süffigen Rotwein mit und wir tranken gemeinsam. Dabei erzählte er mir von Esther. Seine Tochter hatte ganz offensichtlich Probleme, wollte aber nicht darüber sprechen. Wir überlegten, was er tun könne, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Danach fuhr er wieder nach Hause.« Solveigh berichtete bar jeder Emotion.

»Hat er auch über sich selbst gesprochen? Über Schwierigkeiten oder Ärger mit jemandem?«, hakte Lars nach.

»Du meinst außer seiner Brut?«, fragte die Künstlerin spitz zurück und verzog die Lippen zu einem hämischen Grinsen. »Nein. Sonst wohl mit niemandem. Gelegentlich gab es mal Diskussionen mit Hans. Nichts, was man ernst nehmen musste.« Sie musterte die Gesichter der Ermittler. »Das wisst ihr also schon. Hätte ich mir ja denken können, dass der Klatsch bestens funktioniert. Und natürlich gab es auch immer mal einen Unzufriedenen in der Gemeinde. Entweder gefiel der Rat nicht – oder die Kiste rauschte trotz des Rats von Arne gegen den Baum. Gleichgültig was er tat, am Ende machte man ihn für Schaden oder Misserfolg verantwortlich.«

Sie lehnte sich mit einem lauten Seufzen gegen die Wand, als suche sie Halt.

Lundquist bemerkte erst jetzt, dass sie neben einem farblich zu ihrer Garderobe passenden Werk gestanden hatte, Künstlerin und Kunst verschmolzen so zu einer Einheit. Du liebe Güte, dachte er genervt, an dieser Frau ist aber auch gar nichts echt! Jede Geste eine Pose.

»Aber ein Pfarrer ist eben nicht Gott!«, rief Solveigh mit anklagender Stimme. »Er kann deshalb den Bittstellern auch nicht das eigene Denken abnehmen! Und nun musste er deshalb sterben!«

»Du meinst, einen Tipp kann man annehmen oder auch nicht. So etwas Ähnliches haben wir heute schon mehrfach gehört«, murmelte Sven, trat näher an eines der Objekte heran. Betrachtete es interessiert. Ein blaues Fischernetz, in dem sich Gesichter verfangen hatten.

»Ja, genau. Man kann frei entscheiden.«

»Diese Menschen hier auf den Bildern – schlafen die?«

»Ja, das tun sie tatsächlich. Der kleine Bruder des Todes. Es sind Schnappschüsse, die ich am Strand, am Ufer des Götakanals oder in einem Park gemacht habe. Menschen schlafen an den unglaublichsten Orten. Leider kann man sie nicht überall fotografieren. Im Theater zum Beispiel. Da würde mein Blitzlicht doch erheblich stören. Und mit langer Belichtungszeit ohne Blitz wird das Bild dann wegen der Unschärfe für meine Zwecke unbrauchbar.«

»Manche müssen sehr tief geschlafen haben. Wirken fast, als seien sie tot.«

»In der Tiefschlafphase kann ein Gesicht schon mal diesen Eindruck erwecken.« Solveighs gut einstudierter Ton hatte urplötzlich eine überraschende Schärfe. »Wie gesagt, der kleine Bruder des Todes. Manche Leute schlafen so tief, dass sie gar nichts von dem mitbekommen, was um sie herum vorgeht.«

Lundquist nickte verstehend.

Seine Tochter konnte man ins Auto tragen, anschnallen und hunderte Kilometer weit durchs Land kutschieren, ohne dass sie aufwachte.

»Wie wurde er denn getötet?«, stellte die Künstlerin nun endlich die Frage, die Sven gleich zu Beginn des Gesprächs erwartet hätte.

»Wir haben ihn in seinem Garten entdeckt. Besser gesagt: Seine Frau hat ihn im Garten gefunden und uns verständigt.«

»Im Garten? Arne hat sich nie für Gartenarbeit interessiert. Hat er seiner Frau überlassen. Sagt nicht die Art eines Mordes etwas über den Täter aus? Gift zum Beispiel. Die Waffe der Frau oder eines Täters, der zum Zeitpunkt des Sterbens seines Opfers auf gar keinen Fall in der Nähe sein möchte? Weil er nicht Zeuge des Todes werden will, oder ein Alibi sichern muss.«

»In manchen Fällen trifft das ganz sicher zu. In anderen nicht. Aber bei Arne hat der Täter ganz spezielle Arrangements getroffen. Wir sind noch dabei, die Zeichen zu entschlüsseln.«

»Oh. Ein Rätsel also! Spricht das nicht für einen besonders intelligenten Täter?« Solveigh bedachte Sven mit einem spektakulären Augenaufschlag unter falschen Wimpern. »Dann kann der Mörder nicht aus Hummelgaard stammen!«, schob sie abfällig nach.

Lundquist beschloss, das nicht zu kommentieren. »Wir haben gehört, dass Arne dich besonders tatkräftig unterstützt hat«, wechselte er stattdessen das Thema.

»Das ist wahr. Ja. Die Leute in Hummelgaard haben kein Verständnis für die Kunst und die Bedürfnisse jener, die sie schaffen. Arne war hartnäckig. Nach einiger Zeit wurden die Hummelgaarder zugewandter. Sie sahen, dass ich meine Rechnungen bezahlen konnte – das war wohl die Hauptsache.«

»Brotlose Kunst?«, warf Lars ein.

»So in der Art. Inzwischen wissen sie aber, dass für meine Werke hohe Summen gezahlt werden. Arne hat dafür gesorgt, dass es publik wurde, wenn ich ein Bild oder ein Objekt verkauft habe. Im Internet kann man das natürlich auch sehen. Und es gibt tatsächlich ein paar wenige User an diesem gottverlassenen Ort!« Ein geringschäteiger, angewiderter Ausdruck entstellte für Sekundenbruchteile ihr Gesicht – dann verzog er sich so schnell und gründlich, als wäre er nie dagewesen.

»Und dein Verhältnis zu Arne? Entspannt?«

»Ja. Wahrscheinlich trifft entspannt genau ins Schwarze. Wir waren uns gegenseitig wichtig, haben uns auch über Privates ausgetauscht, immer Kontakt gehalten. Er hat dafür gesorgt, dass man in diesem Ort begriffen hat, wer ich bin. Das war schwer genug. Und er war stets an meiner Seite, wenn Probleme ins Haus standen. Tatsächlich weiß ich nicht, was jetzt ohne ihn werden soll.«

»Wer käme deiner Meinung nach als Mörder in Betracht?«, wollte Knyst wissen.

»Niemand. Das ist eine so unglaubliche Tat, die traue ich niemandem zu.« Ihr großer Busen wogte vor Empörung, drohte das Dekolletee zu sprengen. »Arne war kräftig. Er konnte sich wehren. Er muss also völlig arglos gewesen sein, sonst wäre es niemandem möglich gewesen, ihn zu überrumpeln.«

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