Читать книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer - Страница 8

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»Arbeitszimmer? Du liebe Güte, sah eher aus wie ein Kinderzimmer nach einer Geburtstagsparty!« Knyst schaltete die Siteheizung im Auto ein. »Sonst trocknet die Hose gar nicht mehr!«, setzte er hinzu, als er dem amüsierten Blick des Freundes begegnete.

»Nun, zumindest war es zu chaotisch, um sofort Geheimnisse preiszugeben. Den Terminkalender muss er wohl bei sich gehabt haben, die vielen Papiere auf dem Tisch, die Zeitungsausschnitte – das war sicher Recherchematerial für die nächsten Predigten. Und der Computer ist natürlich passwortgeschützt. Logisch. Da muss die Technik ran. Viel haben wir bisher über Arne Mommsen nicht erfahren, fürchte ich.«

»Im Regal stand ein Foto der Familie. Aber das muss schon vor Jahren entstanden sein. Entweder er war kein Freund von solchen sentimentalen Dingen – oder es lag ihm nicht mehr so viel an Frau und Kindern.«

»Ach – das muss nicht sein. Viele Pubertierende lassen sich nicht mehr fürs Familienalbum ablichten. Ist wie die abgeschlossene Badezimmertür. Eindringen in die Intimsphäre ist unerwünscht. Ist dir auch aufgefallen, dass die Kinder nicht gefragt haben, wie ihr Vater ermordet wurde?«

»Sie werden wohl ihre Mutter danach fragen. Mit uns – so wenig Kommunikation wie möglich. Wie kann man in einem so zugemüllten Raum sinnvoll arbeiten? Ich wäre ständig abgelenkt.« Lars schaltete die Scheibenwischer einen Gang höher.

»Ich habe eine Bekannte, bei der sieht es auch so aus. Journalistin. Natürlich sammelt auch sie Material zu allen möglichen Themen. Das muss man dann lagern. Wegwerfen ist schwierig, denn du brauchst es vielleicht ausgerechnet morgen – und dann ist es nicht mehr da. Also wird gehortet. Mehr oder weniger systematisch. Manchmal zieht sie mit dem Laptop ins Wohnzimmer um, weil sie gar keine freie Fläche mehr auf dem Schreibtisch finden kann.«

»Ich brauche Ordnung. Bloß gut, dass Gitte nicht auch aus Recherchegründen alles Mögliche zusammenträgt. Kannst du dich noch an Lätta erinnern? So eine Wohnung hatte ich vorher noch nie gesehen.«

»Lätta war krank. Sie konnte sich ja von gar nichts trennen, nicht einmal von leeren Thunfischdosen. So schlimm war es bei Arne nun auch wieder nicht.«

»So viel Zeug – und doch konnte man nirgendwo die Person entdecken. Eigenartig, nicht?«

»Du meinst, er versuchte sein Selbst hinter all den Papieren und Büchern zu verstecken? Möglich. Der Laptop kennt sicher ein paar seiner Geheimnisse. Und vielleicht können wir bei dem Gespräch mit Hansson etwas über ihn in Erfahrung bringen«, meinte Lundquist hoffnungsvoll.

Hans Hansson wohnte am Rand des Dorfes.

Sein Häuschen balancierte in sonderbar gebückter Haltung auf einem Felsen, wirkte, als versuche es verzweifelt, nicht über den Rand zu stürzen.

Im Licht der Scheinwerfer erkannten Lundquist und Knyst einen Fahnenmast, an dem ein zerfetztes Hemd mit hellen und dunklen, breiten Blockstreifen wehte.

»Scherzbold, wie?«, murmelte Lundquist gereizt.

»Anstaltskleidung wie bei der Olsenbande. Trotz oder Triumph? Wir werden ihn fragen«, grinste Knyst.

»Ich denke auch, wir werden sicher erfahren, was es mit diesem flatternden Statement auf sich hat.« Sven stieg aus, suchte am Tor nach einem Namensschild und einer Klingel. Fand weder das eine noch das andere.

»Das funktioniert auch nur in solch kleinen Orten. Stell dir vor, wie verzweifelt der Postbote bei uns in Göteborg wäre, wenn keiner seinen Namen an der Klingel stehen hätte.« Lars lachte leise. »Am Ende nicht einmal mehr eine Klingel! Keiner bekäme mehr Päckchen oder Pakete. Wie trostlos Weihnachten wäre!«

Er drückte das Tor auf.

Und schon lösten die beiden unerwarteten Besucher ein beeindruckendes Spektakel aus!

Ein durchdringender Heulton erfüllte die Luft, Licht erhellte das Grundstück, als brenne die Mittagssonne darauf. Hundegebell, dunkel und drohend, war von den Stallungen her zu hören, zornig und angriffslustig.

»Hans Hansson hat offensichtlich ein besonders stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis«, stellte Sven beeindruckt fest. »Fragt sich, vor wem er sich so sehr fürchtet.« Als er aufsah, entdeckte er die imposante Gestalt des Hausbesitzers vor dem Eingang. Groß und üppig füllte er den Türbereich fast vollständig aus, die deutlich zu kurze Hose wurde von breiten Hosenträgern gehalten, die Totenköpfe zierten, das T-Shirt hatte seine Farbe längst eingebüßt und die nackten Füße steckten in pinkfarbenen Gummischuhen. Um den runden Kopf hatte er ein Tuch mit Piratenmuster geschlungen, die blonden Haare lugten dennoch an verschiedenen Stellen hervor. Offensichtlich hatte er die letzten Worte gehört.

»Hans Hansson fürchtet nichts und niemanden!«, stellte der Mann polternd klar und übertönte mit seinem Bass mühelos den Alarmton. »Schon gleich gar nicht die Polizei!«

»Stimmt, wir sind von der Polizei Göteborg. Dann bist du also Hans Hansson. Wir sind hier, weil heute der Pfarrer von Hummelgaard tot aufgefunden wurde.«

»Was? Arne Mommsen ist tot?« Die Daumen glitten unter den Hosenträgern heraus, die Arme baumelten an den Seiten herab, der Mund blieb offen stehen, die Augen weit und rund starrten den Überbringer dieser Neuigkeit ungläubig an.

So viel Fassungslosigkeit ist nicht leicht vorzutäuschen, dachte Lundquist im Stillen. Laut sagte er: »Ja, ermordet.«

»Was soll das? Ihr wollt mich verarschen, oder? Der war heute Nachtmittag noch hier. Da ging es ihm gut genug für einen Disput. Engstirnig wie immer.« Er stockte. Sah verwirrt in die fremden Gesichter. »Und nun ist er tot?«

Die beiden Ermittler zückten ihre Ausweise.

»Ja. Er ist tatsächlich tot. Jemand hat ihn umgebracht.«

»Warum? Also, er war kein einfacher Charakter, aber das sind viele nicht. Man kann die ja nicht alle aus dem Weg räumen. Die Welt wäre dann so gut wie entvölkert!«

»Wir versuchen herauszufinden, warum er sterben musste«, brüllte Sven über den Alarm.

Hansson studierte im gleißenden Licht die Dienstausweise, nickte dann. Lundquist fragte sich, ob der Hüne überhaupt etwas hatte erkennen können.

»Wartet mal.« Der Mann drehte sich um und verschwand im Haus.

Schaltete die Warnanlage ab.

Die Stille, die sich plötzlich ausbreitete, fühlte sich watteweich an, alle Geräusche wurden von den Ohren überdeutlich wahrgenommen. Ein Vogel landete krachend im Gebüsch, vermutlich ein Rückkehrer, den Lärm und Licht in die Flucht geschlagen hatten.

Fliegen dröhnten unter dem Licht über der Eingangstür, die Holzdielen schrien gequält auf, als die beiden Hans ins Haus folgten.

»Na los! Kommt mit in die Küche!«, forderte der Hausbesitzer und es klang wie Donnerhall. »Immer geradeaus. Setzt euch oder nicht, ist mir gleich. Aber ich muss in der Zwischenzeit was kochen.«

Auf der Anrichte lag ein Durcheinander verschiedener Fleischstücke. Gurgel war auch dabei, Leber, Lunge. Schweineund Rindfleisch, vielleicht auch Stücke von Schaf oder Ziege. In einer Emailleschüssel schwammen zwei Nieren in Wasser. Lundquist schauderte.

Hans band eine schmutzige Schürze um seine prominente Körpermitte und griff nach einem offensichtlich sehr scharfen Messer mit langer Klinge, das mühelos durch das Fleisch glitt. Geschickt hantierte er damit, routiniert, schweigsam.

Mit der Linken packte er einen Batzen, schnitt Würfel zurecht.

»Hundefutter. Meine Jungs sind an dem Zeug aus der Dose nicht interessiert. Diese Pampe aus Restfleisch, das du niemandem mehr andrehen kannst und das nicht mal mehr zur Leberwurst taugt. Bei mir kriegen sie was Richtiges zwischen die Zähne.« Er umschloss mit der Pranke eine Handvoll der Würfel, warf sie in einen Topf.

Es zischte laut.

»Auf Gewürze stehen sie, Salz weniger. Ist ungesund. Manchmal kriegen sie Leber hinein, manchmal frisches Gemüse. Die Natur hat den Hund nicht als Möhrchenknabberer konzipiert. Ich sorge für Abwechslung – und meine Jungs sind rundum gesund.«

»Wir haben gehört, es gab in der letzten Zeit Streit zwischen dir und Arne Mommsen.« Lundquist setzte sich auf einen dreibeinigen Hocker, hatte Probleme damit, seine Beine in der Enge der Küche so zu platzieren, dass er dem Futterkoch nicht in die Quere kam.

»Ich weiß schon, wer euch das erzählt hat. Ulrika. Der war die Freundschaft zwischen Arne und mir von jeher ein Dorn im Auge.«

Eine weitere Portion Fleisch landete im Topf.

Hanssons Bizepse können fast mit denen von Lars mithalten, registrierte Lundquist nicht ganz neidfrei. Ich muss mir mehr Zeit für Sport nehmen, nahm er sich vor, wie schon so oft.

»Ist doch ganz normal, dass erwachsene Menschen nicht immer der gleichen Meinung sind. Wir hatten öfter mal unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Themen.« Wieder wanderte ein Berg Fleisch in den Topf.

Knyst setzte sich vorsichtig auf die Ecke einer Bank. Testete, ob sie sein Gewicht würde halten können, machte es sich dann bequem.

»Welche Themen waren das speziell?«, wollte Lundquist wissen und fragte sich, wie viele Hunde Hansson wohl zu füttern hatte. Die Futtermenge müsste für ein ganzes Rudel ausreichen, dachte er beunruhigt. Sein Hund war ja in Ordnung – Hundephobie hin oder her –, aber Hanssons Tieren wollte er lieber nicht begegnen. Sicher eine Meute blutrünstiger Killer. Er unterdrückte ein Schaudern.

»Ehe, Familie, Glück, Zukunft. Manchmal auch was Lokales.«

»Ehe, Familie?«

»Ja. Er machte es sich leicht, riet seiner Gemeinde, nicht zu früh Kinder in die Welt zu setzen, sich nicht an den Falschen zu binden … und selbst?« Die nächste Portion wurde mit deutlich mehr Schwung zum Rest geworfen.

»Die Ehe von Ulrika und Arne war also nicht glücklich.«

»Glück ist auch so ein Ding, über das man trefflich diskutieren kann. Er jedenfalls war nicht zufrieden mit der Situation.«

»Ändern wollte er daran aber nichts, oder?«

Das grobe Gesicht Hanssons verfinsterte sich. »Manchmal ja – manchmal nein«, antwortete er brüsk.

»Trotz aller Diskussionen würdest du ihn dennoch als Freund bezeichnen?«

»Manchmal ja – manchmal nein.«

»Wenn ihr euch nicht einig wart – eher nein.«

»Im Streit ist es nicht immer einfach, den anderen als Freund zu sehen. Ich fand, er gängle seine Kinder zu sehr, müsse ihnen mehr Freiheiten geben. Er wollte die Kontrolle nicht verlieren, legte Regeln fest und pochte auf deren Einhaltung. War nicht immer leicht, mit ihm auszukommen. Besonders nicht für Olaf, Astrid und Esther.«

Hans rührte mit einem langen Holzlöffel das Fleisch durch, goss Wasser dazu. Lundquist wurde von dem Geruch plötzlich übel. Er bemühte sich, flacher zu atmen.

»Er selbst hat schon gelegentlich Versprechen nicht eingelöst. War durchaus der Auffassung, er dürfe das. Staunte dann über den Gegenwind. Aber sowas saß er aus. Dickfellig nennt man das, unsensibel. Da zuckte er nicht mit einer Wimper!« Die Kränkung war deutlich zu hören. Offensichtlich war also auch Hans vom Bruch eines Versprechens betroffen gewesen.

»Worum ging es?«

»Geht euch nichts an. Ist meine Privatangelegenheit.«

»Gut, dann soll es für heute genügen. Aber ich denke, wir werden wiederkommen.« Lundquist stand leicht schwankend auf, sehnte sich nach einem tiefen Atemzug vor der Tür. »Wann war er heute bei dir?«

»Kurz nach ein Uhr. Ich war gerade mit den Jungs vom Ausflug an den See zurück. Setete mir eine Erbsensuppe auf. Er ist nicht lang geblieben – etwa eine Viertelstunde. ›Weil die Liste so lang ist‹, hat er gesagt. Ich stand nicht drauf, zu mir kam er auf eine Pause rein.«

»Du hattest also keinen Gesprächsbedarf«, stellte Lars grinsend fest.

»Ne! Ich löse meine Probleme lieber allein! Arne konnte ich da nicht brauchen. Der stiftete nur Verwirrung. Hatte doch keine Ahnung von Kilopreisen für Ziegenfleisch oder von Vermarktungswegen für Ziegenkäse, ne, wirklich nicht.«

»Du züchtest Ziegen?«

»Jau. Und aus der Milch stelle ich Käse her – ›Hummelgaarder Meckerecke‹ heißt meine Hausmarke. Der Stall und die Käserei sind dort hinten, wollt ihr mal sehen?«

»Beim nächsten Mal. Im Moment bleibt dazu sicher keine Zeit«, beeilte sich Sven mit der Antwort und dachte an das Rudel hungriger Hütehunde, dem sie dann wohl begegnen würden.

Als die drei vor dem Haus standen, fragte Knyst: »Das Hemd?«

»Geht euch auch nichts an!«

»Erzähl es uns trotzdem.«

»Gut! Ich habe im Knast gesessen. Ist lange her und war ganz bestimmt nicht die angenehmste Zeit meines Lebens. Und: Ich war unschuldig! Steht alles haarklein in euren Akten!«

»Na dann. Bis demnächst.«

»Hatte der Pfarrer Feinde?«, fragte Sven im Gehen.

»Viele. Er war unbequem. Falsche Tipps hat er auch gegeben. Vielleicht hat er damit mal jemandem so richtig geschadet. Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Glaubt mir, viele meinten, er sollte dringend abberufen werden!«

Noch bevor die Besucher das Tor erreicht hatten, war die Tür hinter Hans mit einem lauten Knall zugeschlagen worden.

»Der trauert auch nicht. Er war im ersten Moment sprachlos, vollkommen verblüfft, aber sonst nichts.«

»Pfarrer sind nette Menschen, man fragt sie um Rat, also brauchen sie ein gewisses Geschick im Umgang mit anderen. Gutmütig, freundlich, zugewandt, und werden von ihrer Gemeinde hoch geschätzt oder sogar geliebt. Aber dieser?« Lundquist zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. »Ein schlechter Vater, kein guter Ehemann, ein schwieriger Freund. Mal sehen, was man uns noch so über ihn erzählt.«

»Du bist ganz schön bleich. Ist dir schlecht?«

»Ja. Dieser Geruch … furchtbar. Ob Hunde das wirklich mögen?«

»Wenn sie nur das kennen, dann sicher.«

»Okay, ruf bitte das Team zusammen. Wenn die Besuchsliste schon ins Büro gefaxt wurde, nehmen wir sie uns vor und fragen bei allen nach, worum es bei dem Hausbesuch ging, wann er jeweils ankam, wann er weiterzog. Wenn wir den Nachmittag rekonstruiert haben, können wir auch sagen, bei wem er zuletzt war. Vielleicht war der Pfarrer verändert. Möglicherweise ist jemandem aufgefallen, dass er sich untypisch verhielt. Unruhig oder besorgt – oder er hat von einer weiteren Verabredung gesprochen, die ihn beunruhigt hat. Bernt soll Hans Hansson im Computer checken. Ich möchte wissen, weswegen er eingesessen hat und wie lange.«

Lars nickte, telefonierte.

Sah seinem Freund nach, der nachdenklich in Richtung Auto schlenderte.

Luftschnappen.

Zuhause wartet schon dein Henker

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