Читать книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer - Страница 5

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Pfarrer Mommsen sah sich angewidert um.

Wie konnte man bloß so etwas schön finden? Oder auch nur gemütlich?

Geschmacklos war das Wort, das er, würde er je gefragt, verwendet hätte. Aber ihn fragte niemand. War ja vielleicht auch gut so.

»Einen Tee vielleicht?«, erkundigte sich eine piepsige Stimme aus der Küche freundlich. Pfarrer Mommsen nickte, grunzte seine Zustimmung. Ergeben. Nicht aus Überzeugung. Diese Hausbesuche ekelten ihn an. Immerzu Tee und klebrige selbstgebackene Kekse. Zu süß. Ohne jede Überraschung.

Überall die gleiche Geschmacklosigkeit in den Wohnzimmern.

Und in jedem Haus Probleme.

Ha!

Als hätten die auch nur eine ungefähre Vorstellung davon, was man außerhalb der Gemeindegrenze als Problem bezeichnete. Sicher nicht den Kinderkram hier. Er hörte sich das nicht enden wollende Lamentieren an, tat interessiert und aufgeschlossen, bot seine Hilfe an, gab Ratschläge.

In jeder Familie derselbe Shitkram. Die Frau ging fremd – oder der Mann.

Das Geld war knapp, die Wünsche zu üppig. Die Kinder? Eine einzige Enttäuschung. Die Enkel, soweit vorhanden, keinesfalls besser geraten.

Ihm war schlecht. Richtiggehend übel.

Da war es wenig hilfreich, sich in dem vollgemöbelten winzigen Wohnzimmer umzusehen.

Nippes.

Überall. Das war weiß Gott keine Übertreibung! Mommsen gönnte sich ein boshaftes Grinsen, als er die Formulierung überdachte – schließlich konnte ja niemand im Ernst annehmen, der Herr habe an solchen Banalitäten auch nur das geringste Interesse.

Wo er hinsah – saß, stand, lag oder räkelte sich eine Figur. Aus Holz, aus Porzellan, aus Keramik. Eine kitschiger als die andere. Er schauderte. Dazwischen Fotos der gar nicht so Lieben. Die hässliche Tochter der Familie grinste in die Kamera, der inzwischen straffällige Sohn fläzte sich in einem Liegestuhl. Ein Luxus, auf den er wohl im Gefängnis noch für viele Jahre würde verzichten müssen. Vielleicht dachte er nun darüber nach, ob es wirklich notwendig war, den Ladenbesitzer gleich zu erschlagen, nur weil er die Tageseinnahmen nicht einem Fremden überlassen wollte? Eher nicht, schloss Arne diesen Gedankengang ab.

An den Wänden beliebte Ölgemälde der Küstenbewohner.

Tapfere Seeleute, die sich in Nussschalen dem grässlichen Wetter entgegenstemmten. Womöglich noch versuchten, trotz des hohen Wellengangs einen erlegten Wal zum Mutterschiff zu schleppen und dort an Bord zu hieven. Mann gegen Naturgewalt. Nichtschwimmer. Bei einem Sturz in das tosende Meer für die Zukunft verloren.

Er spürte förmlich den Seegang unter seinen Füßen, die sturmgepeitschten Brecher, die sich aufbäumenden Planken, merkte, wie das Wasser über ihm zusammenschlug. Hörte die verzweifelten Rufe des Mannes im Ausguck, der sich kaum mehr halten konnte, die schwarze, ungewisse Tiefe vor Augen hatte. Seemannsgrab. Das Brüllen des Meeres nahm an Lautstärke zu, er roch das Salz, die Nässe, das Blut, den Tod.

Mommsen!, rief er sich zur Ordnung, nun nimm dich aber mal zusammen!

Als er versuchte, eine Vase auf dem Fensterbrett als Anker zu fixieren, wollte das nicht recht gelingen. Undeutlich registrierte er, dass er schwankte. Schweiß brach ihm aus. Wahrscheinlich werde ich jetzt auch ein Opfer der Dorfgrippe. Das Tosen der aufgebrachten See erfüllte sein Denken. Die Übelkeit nahm weiter zu.

Ich muss hier raus!, dachte er mit größter Anstrengung.

Doch seine Beine hielten nicht viel von der Idee aufzustehen, seine Arme reagierten ungehalten, als er verlangte, sie sollten seinen feisten Körper hochstemmen. Plötzlich wurde ihm auch noch die Luft knapp! Verdammte Scheiße, dachte er, rufen konnte er schon nicht mehr.

Hätte er geahnt, dass dies sein letzter Gedanke in diesem Leben war, wäre ihm vielleicht zum Abschied etwas Netteres eingefallen.

Aber Pfarrer Arne Mommsen war nicht nett. Und zu Freundlichkeiten neigte er auch nicht.

Vielleicht war es deshalb auch völlig in Ordnung, am Ende einen Fluch zu denken – authentisch eben.

Zuhause wartet schon dein Henker

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