Читать книгу Ferienhaus für eine Leiche - Franziska Steinhauer - Страница 7

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Den schlimmsten Moment hatte er bis zum Schluss vor sich hergeschoben: Das Abnehmen des Kissens! Wie er es schon erwartet hatte: Ihre Augen waren weit aufgerissen, etwas aus den Höhlen getreten und starrten ihn jetzt hasserfüllt an, gerade so, als wolle sie sich sein Gesicht für die Ewigkeit, in die sie nun abgetaucht war, besonders gründlich einprägen.

Er sog die Luft scharf ein.

Mit der rechten Hand versuchte er ihr die Augen zu schließen, doch das, was in Filmen immer so einfach zu funktionieren schien, war ihm nicht möglich! Verzweiflung verdrängte das angenehme Gefühl des Triumphes, das sich seiner langsam bemächtigt und ihm vorgegaukelt hatte, Herr über Leben und Tod zu sein.

Jetzt war ihm klar: Sie würde jede seiner Handlungen über den Tod hinaus im Auge behalten!

Um ihn in einer anderen Zeit, an einem unbekannten Ort dafür zur Rechenschaft zu ziehen!

Sekundenlang starrte er in ihr Gesicht, unfähig zu reagieren oder zu denken. Dann, als löse sich eine unsichtbare Fessel, kam wieder Bewegung in ihn. Er trat vom Bett zurück und zog aus der obersten Schublade ihrer Kommode einen Seidenschal.

Mit dem Tuch in der Hand setzte er sich auf die Bettkante, hob ihren Kopf auf seinen Schoß und bürstete ihr mit zügigen, rücksichtslosen Bürstenstrichen das graue Haar, flocht ihr einen ordentlichen Zopf. Er wusste, dass jetzt Eile geboten war.

Bald würde ihr Körper steif und unhandlich werden und damit seinen genialen Plan doch noch scheitern lassen.

Zum Schluss verband er ihr die Augen mit dem Seidenschal.

»Weißt du noch, wie du Maybritt vertrieben hast?«, fragte er, während er weiter in ihrem Zimmer hin und her ging. »Wie, du kannst dich nicht mehr an Maybritt erinnern? Kein Problem, ich werde dir helfen. Es wird dir wieder einfallen!«

Inzwischen hatte er damit begonnen, ihren kleinen Koffer sorgfältig zu packen. Damit er nur nichts vergaß, hakte er jedes Teil auf einer Liste ab, die er zu diesem Zweck angefertigt hatte. Es durfte ihm jetzt kein Fehler unterlaufen, sonst wäre alles umsonst gewesen!

»Du wolltest Maybritt unbedingt kennen lernen«, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. »Wir waren zu der Zeit schon seit mehreren Monaten heimlich befreundet und hatten ernsthafte Pläne für unsere gemeinsame Zukunft. Zwischen uns war eigentlich schon alles klar! Ich kam also eines Abends mit ihr zu dir – zu einem stimmungsvollen Abendessen. Stimmungsvoll! Ich hätte wissen müssen, dass es neben angenehmen Stimmungen auch noch andere gibt. Damals war ich leider noch nicht so weit, deine Sprachspielchen durchschauen zu können!« Er faltete ein Nachthemd zusammen und legte es in den Koffer.

»Natürlich war Maybritt aufgeregt. Jedes Mädchen ist bei der ersten Begegnung mit der zukünftigen Schwiegermutter nervös. Maybritt, die sonst immer nur Hosen trug, am liebsten superenge Jeans, hatte sich extra für den Antrittsbesuch bei dir ein Kleid gekauft.« Aus der mittleren Schublade der Kommode entnahm er fünf Spezialunterhosen für Menschen mit Blasenschwäche, Hemden sowie drei BHs und packte alles ordentlich auf das Nachthemd. »Du hattest ein wirklich großes Essen vorbereitet. Weißes Tafeltuch, Stoffservietten, eine Vielzahl verschiedenster Besteckteile, die den ungeübten Benutzer verwirrten. Mehrere Gänge folgten aufeinander und alles schmeckte prima. Es lief zu meiner Überraschung alles bestens. Ich fing doch tatsächlich an, mich sicher zu fühlen. Auch Maybritt, die ich natürlich vorgewarnt hatte, entspannte sich zusehends. Wenn man euch so sitzen und lachen sah, konnte man glauben, ihr könntet gut miteinander auskommen. Doch ich hätte es besser wissen müssen! Ich hätte wissen müssen, dass du mich, deinen einzigen Sohn, deinen einzigen Nachkommen überhaupt, nicht so einfach an eine andere ›abtreten‹ würdest!«

Er nahm den warmen Pullover, den er bei seinen letzten Worten wütend in den Koffer geschleudert hatte, wieder heraus, versuchte mühsam seine Erregung zu dämpfen, legte ihn ordentlich zusammen und platzierte in neben der bequemen Hose im Deckel.

Das war alles schon Jahre her.

An jenem Abend wurde ihm klar, dass er direkt in der Hölle gelandet war!

Keine Chance zu entkommen.

»Beim Dessert hast du dann angefangen, Maybritt von deinen vielen eingebildeten Leiden zu erzählen. Und davon, dass ich versprochen hätte dich zu pflegen, nie zu verlassen. Bis zum Ende. Vielleicht konnte Maybritt zu diesem Zeitpunkt noch glauben, dieses Ende sei weit entfernt. Ein Irrtum, wie du ihr kurze Zeit später dramatisch verdeutlicht hast! Du erzähltest von deinem Magenkrebs. Immerzu versuchte ich Maybritt ein Zeichen zu machen. Sie sollte dir nicht glauben. Doch ich erreichte sie gar nicht mehr. Wie gebannt starrte sie dich an. Und dann hast du plötzlich gekotzt! Über den ganzen Tisch, direkt auf das neue Kleid von Maybritt!«

Er erinnerte sich genau an jede Sekunde dieses katastrophalen Abends. Maybritt war aufgesprungen – mit entsetztem Blick und kalkweißem Gesicht. Er wollte ihr den Weg ins Bad zeigen, die Gelegenheit nutzen und sie über die fiesen Tricks seiner Mutter aufklären, doch die kam ihm auch hier zuvor. Sie müsse sich schließlich auch reinigen, da könne sie Maybritt auch gleich mitnehmen. Die beiden Damen, gab sie ihm zu verstehen, kämen sehr gut ohne ihn klar. Also blieb er sitzen. Heute wusste er, dass das ein grober Fehler war!

Er hatte sich glatt ausmanövrieren lassen!

Was dann im Bad genau passierte, hatte er nie erfahren.

Maybritt war jedenfalls plötzlich wieder aufgetaucht, hatte sich seine Autoschlüssel von der Kommode im Flur geschnappt und startete schon den Motor bevor er die Haustür erreicht hatte. Er sah die Scheinwerfer verschwinden, als sie mit quietschenden Reifen auf die Hauptstraße bog. Nach diesem Abend hatte er sie nie wiedergesehen. Sie ging nicht ans Telefon, seine Briefe blieben unbeantwortet.

Die Schlüssel zu seinem Wagen hatte er am nächsten Tag im Briefkasten gefunden – zusammen mit einem Zettel auf dem stand, wo er sein Auto abholen könne.

Natürlich war er nach dem stürmischen Aufbruch Maybritts sofort ins Bad gelaufen. Dort fand er seine Mutter auf dem Rand der Badewanne sitzend, mit einem beinahe wahnsinnigen, triumphierenden Lächeln im Gesicht.

»Tja, Maybritt. Das war nur die erste in einer unendlichen Liste von Verleumdungen, Lügen und Demütigungen. Du bist in diesem Metier ungekrönte Königin, nicht wahr?«, fragte er die reglose, kleine Gestalt. »Am Ende hast du in mir deinen Meister gefunden!«

Ferienhaus für eine Leiche

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