Читать книгу Ferienhaus für eine Leiche - Franziska Steinhauer - Страница 8

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Es dauerte ziemlich lange, bis die Kriminalpolizei eintraf. Die Straße führte durch dichten Wald und das Sommerhäuschen war schwer zu finden. Die Mitarbeiter der Spurensicherung tauchten zuerst am Fundort auf und verschwanden mit Köfferchen und allerlei Gerät im Haus. Wenig begeistert hatte der Leiter der Gruppe den Bericht über Gunnars Putzaktion zur Kenntnis genommen. »Da müsse man eben sehen, was an Spuren überhaupt noch zu sichern sei«, war sein bissiger Kommentar, bevor er im Schutzanzug, der ihn und seine Kollegen wie Aliens aus einem fremden Universum aussehen ließ, auf den Dachboden eilte.

Von seinem Platz auf der Bank aus konnte Gunnar sie im Inneren rumoren und sprechen hören. Danach war der Arzt vorgefahren. Knut hatte ihnen die Leiche gezeigt und posierte nun wichtigtuerisch im Türrahmen, wie eine Palastwache, die einen Schatz bewachen muss.

Ein Leichenwagen parkte diskret in einer Ecke der Zufahrt. Die dazugehörigen Männer warteten auf ein Zeichen der Polizei, um die Tote wegbringen zu können. Sie saßen Karten spielend in der geöffneten Heckklappe, rauchten und tranken Kaffee aus einer silbern glänzenden Thermoskanne.

Endlich bog auch der Wagen der Göteborger Beamten in die Zufahrt ein.

Zwei junge Männer stiegen aus, sprachen kurz mit Knut, der ihnen entgegeneilte und kamen dann zu Gunnar herüber.

»Hauptkommissar Sven Lundquist und sein Kollege Kriminalinspektor Lars Knyst«, stellte Knut vor.

Gunnar schüttelte beiden die Hand und war schon wieder unzufrieden.

Hatten sie denn nicht genug Leute bei der Kriminalpolizei, so dass sie die Ermittlungen in seinem schwierigen Fall ausgerechnet an so einen jungen, unerfahrenen Spund vergeben mussten!

Sein Fall! Das klang fast so, als erhebe er einen Besitzanspruch auf die Leiche! Dieser Gedanke ließ ihn erschrocken zusammenfahren und er bemerkte, dass Sven Lundquist ihn freundlich und aufmunternd ansah.

»Können Sie mit ins Haus kommen, oder sollen wir uns lieber hier draußen unterhalten?«

Er stellte die Frage wohl schon zum zweiten Mal. Ihm entging der leicht ungeduldige Unterton nicht.

Und Gunnar wollte nicht ins Haus zurück – auf gar keinen Fall.

Der Göteborger Hauptkommissar und sein Kollege stiegen auf den Dachboden, um sich ein Bild vom Fundort zu machen und einen Blick auf das Opfer zu werfen, bevor es zur Obduktion abtransportiert werden würde.

Sven Lundquist starrte mit einer Art ungläubigem Entsetzen auf den Frauenkörper.

»Der Außenriegel war eingerastet. Es ist also klar, dass jemand die Frau mit Absicht in der Truhe abgelegt hat«, informierte ihn ein Kollege von der Spurensicherung.

»Sie war schon älter. Das ist offensichtlich«, murmelte der Hauptkommissar betroffen. »Du liebe Güte. Was hast du nur getan, dass Dir jemand den kleinen Rest deines Lebens nicht mehr gönnen wollte?«

Der Himmel war inzwischen beinahe nachtschwarz.

Es begann zu tröpfeln.

Einer der Polizisten versuchte vergeblich das Licht einzuschalten. Gunnar hörte das nervöse Klicken des Schalters. »Ich habe den Strom abgestellt, als ich fertig war«, erklärte der unglückliche Vermieter kläglich, »unten im Keller kann man ihn wieder einschalten.«

Der freundliche Mitarbeiter der Spurensicherung tastete sich vorsichtig die finstere Treppe hinunter und kurze Zeit später ging das Licht im Flur an. Das Radio begann unpassend laut einen fröhlichen Sommerhit zu dudeln.

Jemand schaltete es aus.

Gunnar hörte nur die Schritte, die eilig durch das Wohnzimmer polterten. Dann war es wieder still, bis auf das gleichmäßige Geräusch der Regentropfen und die Stimmen der Polizisten.

Viele fremde Menschen liefen geschäftig hin und her, warfen sich Satzfetzen zu, aus denen Hilmarström schloss, dass sie ein eingespieltes Team waren.

Der Arzt hatte nicht viel über den Todeszeitpunkt oder die Todesart sagen können. Gunnar wusste aus der Zeitung, dass man dazu erst eine Autopsie durchführen musste.

Ohne weitere Vorwarnung brach das Unwetter los!

Von einer Sekunde auf die andere hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet und Bäche sintflutartigen Regens stürzten sich auf Rasen, Autos, Ferienhaus und den bibbernden Gunnar. Als er bis auf die Haut durchnässt war und nicht mehr schneller zittern konnte, um seinen Körper zu erwärmen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in den Schutz und die Wärme des plötzlich so unheimlichen Hauses zu flüchten.

Und dabei war er vor wenigen Minuten noch so sicher gewesen, das Haus nie mehr betreten zu können! Er hatte es im Geiste sogar bereits an eine dänische oder deutsche Familie verkauft, wie manche seiner Nachbarn es schon getan hatten.

Nun saß er in der Küche, und während der Regen in Sturzbächen an den Scheiben hinunter lief und immer wieder im großen Schwall über die Regenrinne schwappte, die diese Wassermassen nicht mehr fassen konnte, dachte er darüber nach, ob die Polizei ihn wohl einfach vergessen hatte. Er wollte nach Hause, sehnte sich nach trockener Kleidung, einer heißen Tasse Tee und einem vertrauten Mitmenschen, obwohl sein vertrauter Mitmensch zugegebenermaßen schwierig war. Vielleicht sollte ich einfach gehen, grübelte er. Doch bevor er sich zu einem endgültigen Entschluss durchringen konnte, betrat der Hauptkommissar die Küche und nahm auch an dem kleinen rohen Holztisch Platz, der ohne Tischdecke fast ebenso nackt wirkte, wie die Tote auf dem Dachboden.

»Können wir uns unterhalten?«, fragte Lundquist mitfühlend.

Er wusste, dass die meisten Menschen nach einer solch grausigen Entdeckung unter Schock standen. Er selbst hatte nach all den Dienstjahren noch immer große Probleme damit, den gewaltsamen Tod anderer zu akzeptieren. Einige der älteren Kollegen hatten ihm erzählt, dass es bei manchen mit zunehmenden Dienstjahren besser wurde. Andere aber litten bis zu ihrer Pensionierung bei jeder Leiche mit. Sven Lundquist wusste schon jetzt sicher, dass er zu der zweiten Gruppe gehörte.

»Es … es geht schon wieder. Ich … ich glaube, es war nur der Schreck.« Gunnar merkte selbst, dass er stammelte und seine Stimme viel zu hoch, ja direkt hysterisch klang. Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, atmete tief durch, räusperte sich und begann noch einmal von vorn, wobei er sich angestrengt um wohlgesetzte Worte bemühte, als könne er Angst und Schrecken dahinter vor sich selbst verbergen.

»Natürlich habe ich vorhin einen gewaltigen Schreck bekommen, als ich so unvermutet auf die tote Frau stieß. Wer erwartet schließlich auch so was! Aber jetzt geht es mir schon wieder besser − ehrlich«, beteuerte er, als er dem skeptischen Blick Lundquists begegnete.

»Na gut. Kannten Sie denn die Tote? Vielleicht von einem Ihrer Besuche hier. Knut hat mir erzählt, dass Sie alle vierzehn Tage zum Mähen herkommen. Oder stammt sie hier aus dem Ort?«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ich kann mich an keine Frau mit langem grauem Haar erinnern. Und ihr Gesicht …« Gunnar ließ den Satz unvollendet und schüttelte bedauernd den Kopf.

»Wir werden von Ihnen die Namen und Adressen Ihrer Feriengäste brauchen. Sie führen doch Buch darüber, oder haben Sie das an eine Vermittlungsfirma abgegeben?«

»Mein Häuschen wird über eine Firma vermittelt, aber ich führe auch Buch über meine Mieter. Schließlich muss ich ja nach der Abreise immer das Haus überprüfen. Schon wegen der Endreinigung und so. Die Liste liegt zu Hause auf meinem Schreibtisch.«

»Wie viele Familien waren in diesem Sommer hier?«

»Genau kann ich das nicht sagen. Fünf oder sechs? Ich kann mich im Moment nicht darauf besinnen.« Gunnar kam sich ziemlich dumm vor, doch Lundquist lächelte ihn freundlich an und meinte: »Das ist doch ganz normal nach so einem Schock. Einer meiner Leute wird mir die Liste holen, dann wissen wir es genau.« Er sprach leise und beruhigend. »Natürlich müssen wir mit Ihnen morgen noch ein ausführliches Protokoll erstellen, aber können Sie mir bitte jetzt schon mal erzählen, wie sie die Frau gefunden haben, was Sie davor und danach gemacht haben? Es ist für uns sehr wichtig.«

Endlich, dachte Gunnar erleichtert, endlich interessiert sich jemand für meine Geschichte! Immerhin hatte er die Frau schon vor ungefähr drei Stunden gefunden! Nach anfänglicher Unsicherheit sprudelten die Worte nur so hervor und der Hauptkommissar hörte geduldig zu, ohne zu unterbrechen. Nur ganz zu Anfang, als der Vermieter von seiner gründlichen Hausputzaktion berichtete, zog er für einen kurzen Augenblick die linke Augenbraue hoch. Was für ein fähiger, junger Kriminalist, dachte Gunnar, als er sich viel später von Lundquist verabschiedete, hat man ihm gleich angesehen, dass der was kann!

Ein Streifenwagen setzte ihn zu Hause ab. Den schwarzen Volvo fuhr Jan und parkte ihn vor der Haustür der Hilmarströms.

»Eine Leiche in der Truhe auf unserem Dachboden! So eine Unverschämtheit!« Inga war zutiefst entrüstet. Gunnar, dem es nicht entgangen war, dass sie plötzlich von ›unserem Dachboden‹ gesprochen hatte, schmunzelte zaghaft. Bald würde sie von diesem Fund all ihren Freundinnen berichten und da wäre es doch zu schade, wenn es ›nur‹ Gunnars Dachboden wäre! Sie wollte persönlich in diese Geschichte verwickelt werden! Er seufzte leise. Typisch Inga! Jetzt war es auch ›ihre‹ Leiche!

»Und«, fragte sie ihren Mann, »hast du die Frau denn erkannt? Wer war sie denn?«

»Nun mal langsam, Inga!«, stoppte Jan ihren Redefluss, »sei ein bisschen vorsichtig mit deinem Mann. Es hat ihm ziemlich zugesetzt. Vielleicht solltest du ihm erst einmal einen schönen heißen Tee kochen!« Er bugsierte den bleichen Herrn des Hauses zu einem großen weichen Sessel und ließ ihn sachte hinein gleiten.

»Meine Güte! Du bist ja wirklich ganz weiß!«, stellte Inga missbilligend fest und stopfte ihrem Mann theatralisch ein Kissen in den Rücken. »Dann werde ich mal schnell Tee machen. Jan, trinkst du auch eine Tasse mit?«, fragte sie den jungen Mann, der etwas unschlüssig neben dem Sessel stehen geblieben war. »Ja. Danke«, antwortete Jan artig und nahm auf dem altmodischen weichen Sofa Platz. Über ihm an der Wand hing ein monströses Ölgemälde, das eine Schiffskatastrophe zeigte. Wackere Seemänner mit Südwester und Ölzeug kämpften mit Fluten und Sturm, die Takelage des Dreimasters war gerissen, einige Segel zerfetzt.

Gunnar lächelte Jan gequält an. Ihm war noch immer übel und wenn er jetzt das Bild über Jans Kopf betrachtete, hatte er das Gefühl, in den aufpeitschenden Wellen hin und her geworfen zu werden. Fast glaubte er schon, die Stimmen der Männer hören zu können, die dort um ihr Überleben kämpften. »Mensch, Gunnar. Jetzt fängst du wirklich langsam an zu spinnen!«, ermahnte er sich flüsternd.

Gerade noch rechtzeitig erreichte er das Bad.

Als er mit einer trockenen, warmen Jacke, weichen Knien und schalem Geschmack im Mund wieder ins Wohnzimmer zurück wankte, hatte Inga schon das Tablett mit der bauchigen Kanne und drei Tassen auf den Tisch gestellt. Schwankend erreichte er seinen Sessel, der ihm wie ein Schutzschild vorkam und ließ sich aufatmend hinein fallen. Vielleicht war es seinem Großvater ja auch immer so gegangen, und er hatte seinen Sessel mit seinen ausladenden Armlehnen und den breiten Ohren deshalb so sehr geliebt. Jan hielt ihm eine Tasse mit heißem Tee hin und er nahm sie in beide Hände, um sich seine eisigen Finger daran zu wärmen. Prüfend sah der junge Polizist Gunnar an und meinte dann: »Inga, wo steht denn der Schnaps? Ich glaube, dein Mann braucht seinen Tee heute etwas stärker.« Gunnar Hilmarström warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick zu und Inga erhob sich zu seinem maßlosen Erstaunen ohne bissigen Kommentar, um die Flasche aus dem Wandschrank zu holen.

»Jan hat gerade gefragt, ob eigentlich unsere eigene Verwandtschaft komplett ist!«, kicherte sie dabei albern. »Er wollte wissen, ob wir irgendwelche ›Abgänge‹ zu verzeichnen hätten. Abgänge! Was für eine Wortwahl! So kann man das doch wohl wirklich nicht nennen!« Sie schüttelte amüsiert und zugleich missbilligend den Kopf. »Ausdrücke habt ihr jungen Leute!«

»Und, haben wir?«, fragte Gunnar mit unsicherer Stimme.

»Was?«

»Na, ›Abgänge‹ zu verzeichnen?« Es entstand eine kleine Pause.

Jan hob seinen Blick wieder aus der Teetasse und sah Inga interessiert an.

»Hm. Da wäre natürlich meine Tante. Sie ist vor ein paar Monaten gestorben. Ganz überraschend. Sie hat sich bei einer Seereise, die ihr Jörgen, ihr Sohn, zu Weihnachten geschenkt hatte, über die Reling ins Meer gestürzt. Man weiß das aber nicht so genau – es gab keine Zeugen und ihre Leiche wurde auch nie gefunden. Aber der Totenschein wurde dennoch schnell ausgestellt.«

»Gott sei Dank! Sonst hätte dein armer Cousin wohl gar noch auf sein Erbe warten müssen!«, murmelte Gunnar grantig.

Ferienhaus für eine Leiche

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