Читать книгу Ferienhaus für eine Leiche - Franziska Steinhauer - Страница 9

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Lundquist seufzte, als er am nächsten Morgen zum dritten Mal die Liste der Sommermieter in Gunnars Häuschen durchging. Zwei schwedische, drei dänische Familien, eine deutsche, eine britische und sogar eine italienische Familie hatten in der vergangenen Saison in Hilmarströms Ferienhaus gewohnt.

»Da kommt ganz schön Bein- und Fahrarbeit auf uns zu, was? Wir müssen mit den Kollegen in Italien, Dänemark, Deutschland und Großbritannien Kontakt aufnehmen.« Lars Knyst klang unzufrieden. »Das gibt immer Schwierigkeiten«, setzte er hinzu.

»Bernt spricht gerade mit den Kollegen im Ausland. Wir wissen auch schon, dass die Familie aus Uppsala noch immer oder schon wieder unterwegs ist. Wir haben bei ihnen angerufen und einen Nachbarn erreicht, der die Blumen gießt und die Katzen füttert. Er erwartet die Familie erst Ende des Monats zurück«, versuchte Lundquist die Lustlosigkeit seines Freundes etwas aufzufangen. »Björn ist zu den Hilmarströms gefahren und nimmt das Protokoll auf.«

Er mochte diese erste Ermittlungsphase nicht.

Zu wenig Informationen, um Theorien zu entwickeln, Motive aufzudecken, Schlüsse zu ziehen. Der Anfang war meist langweilige Routine: Überprüfungen, Berichte, die noch ausstanden, Informationen, die nicht zusammenpassen wollten, kein roter Faden … Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und presste mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Nasenwurzel fest zusammen.

»Kopfschmerzen?«

»Nicht so schlimm«, Lundquist schlug die Akte auf und meinte: »Diese Familie Pattersson aus Stenungssund ist ja schon seit einiger Zeit wieder aus dem Urlaub zurück. Wenn wir nach dem Abstecher zu Dr. Mohl losfahren, könnten wir bis Mittag bei ihnen sein.«

»Gut. Ich sage nur den anderen Bescheid.« Knyst sprang auf.

»Fangen wir also mit der Rechtsmedizin an. Der Bericht aus der Pathologie ist vielleicht auch bis heute Nachmittag fertig – dann haben wir wenigstens einige Informationen, mit denen wir arbeiten können.« Sven Lundquist streckte sich. Knyst beobachtete ihn, als er langsam an das große Fenster ihres Büros trat und nachdenklich, fast melancholisch auf die Straße hinaus blickte.

Sie waren erst vor einigen Wochen in diese renovierten Büros umgezogen und genossen den Blick auf andere Häuser und Menschen, weil es ihnen das Gefühl gab, von Leben umgeben zu sein; selbst ein Bestandteil dieses Lebens zu sein.

In den Räumen, in die sie während der Renovierungsaktion wegen eines Wasserschadens ausweichen mussten, hatte es nur winzig kleine Fenster gegeben, durch die man auf einen finsteren Innenhof sehen konnte, dessen andere Begrenzungsmauern fensterlos waren. Schon im Sommer lagen die Räume sicher in permanentem Dämmerlicht. Besonders schlimm wurde es im Winter, als sie die Zimmer benutzten. Ständig waren sie von einer Art Polarnacht umgeben. Ohne künstliches Licht konnte man dort an keinem Tag des Jahres arbeiten.

In diese frisch gestrichenen Büros flutete das Tageslicht, und sie waren in den ersten Tagen so geblendet wie Ratten, die aus finsteren Kellerlöchern ans Tageslicht kommen. Endlich hatten sie wieder genug Platz, um ihre Schreibtische aneinander zu stellen und sich beim Arbeiten ansehen zu können. Auf jedem ihrer Tische stand ein moderner Computer, der ihnen die Möglichkeit bot, durch Vernetzung Zugang zu anderen Dateien zu bekommen und sich gegenseitig Informationen auf den Schirm zu schicken. Britta hatte zusammen mit Bernt ein eigenes Büro, das dem ihren direkt gegenüberlag.

Doch Dank der modernen Technik war es jetzt gar nicht mehr unbedingt notwendig, wegen jeder Kleinigkeit aufzustehen und hinüber zu gehen, Informationsübermittlung erledigte jetzt der Computer für sie. Lundquist hatte seinen Mitarbeitern scherzhaft zu bedenken gegeben, dass diese neue Art der Kommunikation auch unübersehbar große Risiken berge. Es sei unbedingt notwendig, sich regelmäßig zu bewegen da sonst die Nutzung des Computers nur die beginnende Fettleibigkeit bei einigen Mitarbeitern unterstützen würde und bei anderen zu speziellen Formen der ›Vereinsamung am Arbeitsplatz‹ führen könne.

Sven Lundquist sah müde aus, dachte Knyst. Dunkle Schatten lagen unter seinen stahlblauen Augen. Sein markantes Gesicht mit der prägnanten Nase war blass und seine sonnengebleichten, sonst so ordentlich frisierten Haare waren heute fast struppig. Vielleicht hatte Lisa ihn in der letzten Nacht nicht richtig schlafen lassen. Seine kleine Tochter war zwar schon vier Jahre alt, flüchtete sich aber bei schlechten Träumen noch immer gerne in Papas sicheres Bett.

»Lisa hat wohl wieder mal eine schlechte Nacht gehabt und dich als Tröster gebraucht. Mann – so ein Kind kann einen glatt zehn Jahre älter aussehen lassen!«

»Na ja, in dem Alter träumen sie allerhand beängstigendes Zeug – da braucht sie ihren Papa noch. In ein paar Jahren komme ich für diesen Job ohnehin nicht mehr infrage, da muss ich es jetzt genießen. Warum fragst du?«, wollte Lundquist wissen und fuhr sich wieder mit der Hand über die Augen.

Das war typisch Lars, registrierte er dabei amüsiert. Er verbrachte einen großen Teil seiner Freizeit im Fitness-Studio und achtete eitel auf sein Äußeres. Bei einer Größe von fast zwei Metern war er eine auffallende Erscheinung und sein gestählter Körper wirkte mit dem lausbubenhaften Gesicht und den kinnlangen dunklen Haaren auf Frauen beinahe unwiderstehlich.

Knysts Freundin wünschte sich Kinder, das hatte Lars kürzlich erzählt – da war es nur natürlich, dass der junge Mann die möglichen negativen Auswirkungen einer Vaterschaft auf seinen trainierten Körper und seine energiegeladene Erscheinung bedachte.

»Du siehst nicht gerade wie das blühende Leben aus. Vielleicht hast du dich ja auch bei Britta angesteckt.«

Britta Liliehöök, einzige weibliche Mitarbeiterin der Abteilung und erklärte, latent militante, Feministin, litt schon seit einigen Tagen unter einer Erkältung, die ihre Nase gerötet, ihren Hals rau gemacht und ihre Stimme verflüstert hatte. Tapfer kam sie dennoch jeden Tag zum Dienst, obwohl einige ihrer Kollegen den Verdacht geäußert hatten, sie käme nur, um die männlichen Mitarbeiter mit ihrem Virus wirksam auszurotten, damit deutlich mehr Stellen mit Frauen besetzt werden konnten.

»Ach was – gegen den Erreger bin ich immun. Das sind nur Kopfschmerzen und die unangenehme Startphase bei dieser Ermittlung«, beruhigte Lundquist seinen Kollegen und fügte hinzu: »Ich habe heute Abend noch einen privaten Termin. Wir sollten also zügig losfahren, damit wir so rechtzeitig wieder hier sind, dass ich den Autopsiebericht noch vorher lesen kann. Besprechung im Team dann gegen 16 Uhr.«

Er drehte sich langsam um, griff in seine Hosentasche und grinste Lars Knyst an, was ihn noch jünger aussehen ließ. Mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung zog er die Hand aus der Tasche und warf ihm den Autoschlüssel zu. Voller Eifer hechtete Knyst, der ein begeisterter Autofahrer war, nach dem Bund und fing es geschickt auf.

»Du fährst!«, sagte Lundquist. Sie sahen einander an und lachten.

»Privater Termin heute Abend, hä? Ein Rendezvous etwa?«, grinste Knyst, als sie kurze Zeit später zur Rechtsmedizin unterwegs waren und lauschte so zufrieden dem gleichförmigen, leisen Motorengeräusch, wie es nur einem echten Autofan möglich war.

»Nein«, antwortete Lundquist, »es sei denn, mein Hausarzt interpretiert neuerdings Besuche in seiner Praxis auf diese Weise.«

»Aha. Also doch Brittas Virus! Ich sag’s ja: Die wird uns alle ausrotten damit!«, stellte Knyst fest und knurrte verärgert.

»Nur der normale Check. Außerdem freut sich Gitte doch bestimmt, wenn du heute mal eher nach Hause kommst.«

»Ja, das wär wohl nicht ganz verkehrt«, antwortete Lars nachdenklich und begann mit der Planung eines romantischen Abends mit Rosen und gutem Essen in ihrer Lieblingspizzeria, und danach …

Gitte hatte sich in letzter Zeit oft über seine unkalkulierbaren Arbeitszeiten beschwert, und jetzt war die Gelegenheit ihr zu beweisen, dass Unkalkulierbarkeit auch ihre Sonnenseiten haben konnte. Er durfte nur nicht vergessen einen Tisch in ihrem Ristorante zu bestellen; in letzter Zeit war das Lokal immer gut besucht. Leise pfiff er vor sich hin.

Dr. Mohl, ein untersetzter, älterer Herr erwartete sie schon.

»Guten Morgen! Da habt ihr uns eine echte Knobelaufgabe geschickt. Nicht das Übliche jedenfalls, nein, wirklich nicht.«

Lundquist begrüßte den Rechtsmediziner herzlich. Sie arbeiteten schon zusammen, seit er seinen ersten Fall lösen musste.

Auf Dr. Mohls Urteil war Verlass.

»Was wir mit Sicherheit feststellen konnten ist, dass es sich um eine Frau handelt. Alles andere wird schwierig. Sehr schwierig«, erklärte der forensische Pathologe, während er mit kleinen, trippelnden Schritten vor den beiden jungen Männern herlief. Der Gang schien sich endlos hinzuziehen, rechts und links gingen Stahltüren ab, die in Sektions- oder Kühlräume führten. Lundquist zog fröstelnd die Schultern hoch. Er kam nicht gerne an diesen Ort. Der Tod bekam unter den Händen der Gerichtsmediziner eine neue Dimension. Qualen, von denen man zuvor nichts geahnt hatte, erhielten Konturen und teilten sich den erfahrenen Obduzenten mit, das Opfer erhielt eine Vergangenheit, gab Auskunft über seine Lebensumstände, über frühere oder akut erlittene Misshandlungen und die Todesumstände.

»Wir untersuchen ihren Mageninhalt – oder das, von dem wir glauben, dass es der Mageninhalt ist. Vielleicht finden wir Barbiturate darin.«

Dr. Mohl stieß die Tür zu seiner Linken auf.

Lundquist hielt den Atem an.

Das diffuse Licht auf Hilmarströms Dachboden hatte den Zustand des Körpers nur erahnen lassen. Doch hier, im Licht der OP-Lampe, waren die Auswirkungen der Verwesung nicht zu übersehen. Selbst Knyst, der nicht leicht aus der Ruhe zu bringen war, gab einen seltsamen, gurgelnden Laut von sich.

Sie hatten Dr. Mohl bei der Sektion unterbrochen.

Der Brustkorb war geöffnet und in einigen Edelstahlgefäßen lagen bräunliche Proben.

»Wir haben die Organe entnommen. Manche sind schon zersetzt, andere relativ gut erhalten. Wir glauben, wie ich schon andeutete, sogar den Mageninhalt noch untersuchen zu können – mal abwarten.«

Lundquist versuchte so flach wie möglich zu atmen.

»Es handelt sich, wie gesagt, um eine Frau. Über sechzig, wahrscheinlich sogar über siebzig. Wir haben sie geröntgt. Keine stumpfe Gewalt gegen den Schädel, keine Brüche oder erkennbaren Verletzungen. Nur alte, zum Teil schlecht verheilte Frakturen. Die Halswirbel sind ebenfalls unverletzt, kein gebrochenes Genick. Im Moment kann ich nur Vermutungen anstellen, und das bringt dich nicht weiter. Es gibt Indizien für eine Erstickung, aber um das zu belegen, muss ich mir ihr Gesicht genauer ansehen.«

Ihr Gesicht.

Lundquist zuckte heftig zusammen. Das, was unterhalb des Haaransatzes zu erkennen war, hatte kaum Ähnlichkeit mit einem Gesicht. Die Augen waren trübe, tief in die Höhlen gesunken, ihre Lippen entblößten einen weitgehend zahnlosen Kiefer, an der Nasenspitze waren Haut und Knorpel verschwunden und der Knochen freigelegt. Pergamentartig spannte sich die Haut über die knöchernen Strukturen und ließ das Gesicht wie einen Totenschädel wirken. Es kostete Lundquist Mühe, seinen Blick über den Rest des Körpers gleiten zu lassen. Die Fingerknochen endeten in langen Krallen. Er registrierte, dass einige von ihnen abgebrochen waren.

Dr. Mohl bemerkte das Stutzen des Hauptkommissars.

»Ja, wir haben das natürlich auch bemerkt. Sieht aus, als habe sie sich vehement gewehrt. Bestimmt hat sie den Täter erheblich verletzt. Interessant ist auch eine Stelle am unteren Rücken. Wir untersuchen das näher, es könnte sich dabei um einen ausgeprägten Dekubitus handeln. Das würde darauf hindeuten, dass sie längere Zeit bettlägerig war.«

»Dekubitus?«, Knyst runzelte die Stirn. »Das sind doch offene Wunden, die Menschen bekommen, die schlecht gepflegt werden, oder? War sie eine Patientin in einem Pflegeheim?«

»Das können wir nicht ausschließen. Freiwillig ist sie jedenfalls nicht gestorben, und dann in die Truhe geklettert«, gab der Rechtsmediziner zurück. »Ihr werdet geduldig auf unsere Ergebnisse warten müssen. Die Organe … nun, und die Körpermitte …«

»Ja, ich sehe schon«, fiel Lundquist Dr. Mohl hastig ins Wort. Gerade mit der geöffneten Körpermitte und ihrem schon verflüssigten Inhalt wollte er sich lieber nicht eingehender befassen. Es im Bericht zu lesen, würde ausreichen.

»Wir schicken noch heute einen ersten Bericht. Sagen wir am Nachmittag. Bis dahin kann ich euch sicher schon mehr sagen. Es ist, wie gesagt, etwas komplizierter als sonst.«

Sven Lundquist sah während der Fahrt nach Stenungssund aus dem Fenster und hing seinen eigenen Gedanken nach. Es war sinnlos, über die Umstände des Todes der Unbekannten zu spekulieren. Er wusste, dass ohne weitere Information keine Theorie entstehen konnte, die tatsächlich als Arbeitshypothese Bestand haben würde. Nicht einmal die Todesursache war bisher bekannt. Aber wer sollte nur auf die Idee kommen, eine Leiche auf dem Dachboden eines Ferienhauses zurückzulassen – niemand konnte doch ernsthaft glauben, sie würde dort unentdeckt bleiben?, überlegte er. Die Autopsie war noch nicht abgeschlossen. Lundquist war der Anblick von Toten ohnehin schon unangenehm genug, aber wenn er bei einer Öffnung zusehen musste, kam er sich immer wie ein Frevler, wie ein Leichenschänder vor.

Das würde ihm diesmal erspart bleiben.

Dr. Mohl schickte die beiden Ermittler an ihre Arbeit zurück.

Er meinte, direkt bei der Obduktion ergäben sich in diesem Fall wahrscheinlich keine konkreten Ergebnisse, sie müssten die Analysen abwarten.

Wirklich bedauerlich, dachte Lundquist, dass es noch keine weniger invasive Möglichkeit gab, den Toten Informationen über Todesursache, Todeszeitpunkt und vieles mehr zu entlocken.

Am Fenster zog der dunkle Tannenwald vorüber, der an manchen Stellen so dicht war, dass man zwischen den Stämmen nicht in die Tiefe blicken konnte. Hier wirkte er wie eine dunkle, undurchdringliche Wand. In solchen finsteren Waldarealen sangen keine Vögel, jagten sich keine Eichhörnchen und auch andere Waldtiere fühlten sich dort nicht wohl.

»Unheimlich!«, hatte Lisa gesagt. Sie glaubte fest daran, dass im Dunklen Trolle hausten, die neue ärgerliche Streiche ausheckten. Lundquist lächelte, als er an seine kleine Tochter dachte. Nicht nur Kinder glaubten an die Existenz dieser Waldgeister, die immer zu Abenteuern aufgelegt waren. Unzählige Geschichten beschäftigten sich mit diesen Wesen, mal mit lustigen, mal mit ernsten, unheimlichen Episoden. Zahlreiche Puppenmacher gestalteten Trolle und Kinder wie Erwachsene waren von ihnen so fasziniert, dass einige sie sogar mit ins Bett nahmen. Wahrscheinlich war es das Unberechenbare in ihrem Wesen, das die Menschen so für diese Waldgeister einnahm. Der Überlieferung nach konnte man versuchen sich mit ihnen gut zu stellen, indem man sie in das eigene Leben mit einbezog, sich mit ihnen unterhielt, sie streichelte und liebkoste. Aber auch intensivstes Bemühen war keine Garantie. Trolle waren in dieser Beziehung unbestechlich. Wenn sie entsprechender Laune waren, spielten sie auch dem nettesten Lebenspartner gemeine und hinterhältige Streiche.

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und drückte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand fest auf die Augenlider, strich dann in Richtung Nasenwurzel. Vielleicht bin ich doch müder, als ich dachte, gestand er sich ein. Als er die Augen öffnete, tanzten kleine glänzende Pünktchen in der Luft.

Es war angenehm, sich von Lars fahren zu lassen. Er fuhr sicher und gleichmäßig. Die mehrspurige Europastraße führte in der Regel an den Ortschaften vorbei. Sie lag schnurgerade vor ihnen und war fast kilometerweit einsehbar.

Sven Lundquist warf einen prüfenden Blick auf den Tacho – und konnte ihn nicht sehen!

Schnell schloss er die Augen und öffnete sie wieder.

Es änderte sich nichts!

Er konnte nicht mehr richtig sehen!

Als würden sich einige Bereiche einfach ausblenden.

Blind, schoss es ihm durch den Kopf, jetzt werde ich blind!

Der Schweiß brach ihm aus und er spürte seinen rasenden, hämmernden Puls.

Es ist bestimmt nur ein Konzentrationsproblem, versuchte er sich zu beruhigen, ich bin sicher nur etwas übermüdet!

Es wird vergehen!

Sein Atem ging stoßweise und die Finger hatten sich schmerzhaft in die Oberschenkel verkrallt. Lundquist bemühte sich um eine ruhigere und bewusstere Atmung. Zählte langsam bis zehn. Ein lautes Rauschen breitete sich in seinem Kopf aus, überflutete sein Denken. Die Augen hatte er fest geschlossen und sich so weit in seinem Sitz zurückgelehnt, wie es ihm möglich war.

Knysts Stimme, die ihn dem Tonfall nach wohl etwas fragte, schien von weit her zu kommen, war seltsam körperlos.

Allmählich gelang es ihm seine Reaktionen wieder zu kontrollieren. Als er seine Angst niedergerungen hatte und die Augen aufschlug, war der große blinde Fleck einer Art waberndem Nebel gewichen. Schon besser. Lundquist atmete erleichtert tief durch, spürte, wie das Zittern, das seinen Körper erfasst hatte, nachließ. Wie bei den vielen früheren Attacken war zwar nicht mit einem Augenaufschlag alles vorbei, aber es besserte sich. Hysteriker, beschimpfte er sich leise, verfluchter Hysteriker! Wenn er sich konzentrierte, konnte er durch die Nebelbänke hindurchsehen – oder doch relativ gut hindurchahnen.

Er bemerkte, dass sein Freund den Wagen in einer Parkbucht zum Stehen gebracht hatte und ihn voller Sorge ansah.

»Nur ein bisschen übel«, versuchte er eine lahme Erklärung. »Ich hatte damit in letzter Zeit häufiger zu tun. Es ist gleich wieder weg.«

»Komm, wir gehen ein paar Schritte. Dann wird dir vielleicht besser!«, forderte Lars ihn auf.

Sven Lundquist löste mit steifen Fingern seinen Gurt. Er fühlte sich ungewohnt schwach und brauchte alle Kraft, um die Tür aufzustoßen. Mühsam hievte er sich aus dem Wagen, drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen schwer atmend auf dem Wagendach ab, weil er sich nicht sicher war, ob seine weichen Knie ihn zuverlässig tragen würden.

Lars war auch ausgestiegen und kam zur Beifahrerseite hinüber. »Vielleicht hast du was Komisches gegessen? Oder du kriegst jetzt eben auch die Grippe.«

»Nein. Nein, ich glaube nicht. Es ist sicher gleich wieder ganz in Ordnung – kein Grund zur Sorge«, behauptete Lundquist mit mehr Zuversicht, als er tatsächlich empfand. Er hörte selbst, wie schwach und instabil seine Stimme klang und bemühte sich rasch um ein zuversichtliches, beruhigendes Lächeln.

»Lass uns den Weg bis zum See hinunter gehen. Eine kleine Pause wird uns beiden nicht schaden!«, schlug er vor, und bereitwillig schloss Lars das Auto ab, nicht ohne ein letztes Mal liebkosend über den Lack zu streichen.

Ferienhaus für eine Leiche

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