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1995: Ein Jahr, das in meinem Leben Geschichte schrieb, oder besser, das Jahr in dem meine Geschichte anfängt.

Es war der 23. Dezember und meine Mum war siebzehn junge Jahre alt.

Ich beschreib euch mal eben, diese wahnsinnig, weihnachtliche Situation:

Der Mond scheint über dem Krankenhaus in Berlin, hell und weiß, die Sterne funkeln und der Christbaum auf dem Marktplatz ist so groß, dass man ihn hier noch sieht. Hier ist Zimmer 323 auf der Kinderstation. Oder besser, der Kreissaal.

“Aaaahrgh! Scheiße, wenn mir einer gesagt hätte, dass das so wehtut, hätte ich es doch abtreiben lassen, oder die Pille danach genommen.” drei Mal dürft ihr Raten, wer diesen liebevollen Satz quer durchs Krankenhaus gekreischt hat. Richtig, meine Mum.

“Du bist doch selber schuld, du kleines Flittchen, was musst du auch mit dem Pooljungen in die Kiste hüpfen!!” ja auch hier wieder richtig geraten, meine liebe Oma Julia. Zu diesem Zeitpunkt sechsunddreißig Jahre alt.

“Glaubst du ich wollte Mutter werden?!

Außerdem habe ich dir schon mal gesagt, es war der Gärtner.”

“Denkst du ich wollte Oma werden?!

Und als ob das besser wäre.”

Ja solche Gespräche werden im Kreissaal geführt.

“Frau Gebrecht, es wäre vielleicht besser, wenn sie sich nicht so aufregen!” Dieser Satz ist der netteste, der an diesem Tag über meine Geburt gesprochen wurde. Und er ist trauriger Weise von einer Krankenschwester.

“Ich kann mich aufregen, soviel und über was ich will.” Das war nicht meine Mutter.

“Frau Gebrecht ich meinte Ihre Tochter.” Murrig sah meine Oma zu Boden.

“Wann kommt das verdammte Balg denn endlich da raus? Können sie nicht irgendwas machen, dass es schneller geht?” Ja meine Mami ist ein kleines Weichei gewesen. Gut sie war ja auch erst siebzehn.

Ein klopfen war zu vernehmen und herein trat Walter. Der Gärtner. Zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt.

“Karo es tut mir leid, aber früher hab ich es nicht geschafft.” keucht er.

“Womit warst du denn beschäftigt? Rasenmähen?!” der Sarkasmus mit dem meine Mutter das sagte war… speziell…. Nicht witzig, aber speziell.

Okay um ihre Aussage zu verstehen, müssen wir ein paar Monate zurück: …

Mai 1995: “Walter, wann kommst du denn endlich?” fragte meine Mutter mit äußerst genervtem Unterton.

“Tut mir leid. Ich muss den Rasen deiner Mutter noch mähen!” gibt er mindestens genauso genervt zurück

“Aber heute ist unser einjähriges!! Kannst du nicht einmal mir Vorrang geben? Ich finde es unmöglich, dass du dich so schikanieren lässt, du hast den Rasen doch gestern erst gemäht und sie weiß genau, dass wir ein Paar sind, und zwar heute seit einem Jahr verdammt!!” brüllte sie so laut in den Hörer, dass das Zimmermädchen kam um nach ihr zu sehen.

“Tut mir leid, ich komme in etwa `ner halben Stunde! Aber vorher muss ich den Rasen noch mähen!” sagte er geknickt.

“Walter ich muss dir was verdammt Wichtiges sagen! Also mach dass du herkommst!” schrie sie wieder.

“Was denn, das kannst du mir auch am Telefon sagen! Also was?” gab er genervt und doch gespannt zurück.

“Nein das kann ich nicht! Ich werde es dir sagen, wenn du endlich bei mir aufschlägst!!” und sie hängte den Hörer in die Gabel.

Tja dreimal dürft ihr raten was sie ihm sagen wollte: genau, dass sie schwanger war!

Und da er schon zu dieser Verkündung zu spät dran war, war sie an dem Tag meiner Geburt, deswegen nicht besser gelaunt.

Zurück in den Dezember.

“Haha, sehr witzig! Wie sieht’s aus?” fragte er umsorgend.

“Wie schon ich habe Schmerzen und dieses verdammte Ding soll endlich da raus. Also komm gefälligst hier her und halte meine Hand du Idiot.” schrie sie ihn an.

“Sie dürfen sich nichts dabei denken. Sie hat Schmerzen und glauben sie mir, ich habe schon schlimmere gesehen!” beruhigte ihn die Schwester. Er musste ziemlich Planlos dreingeblickt haben, warum seine Liebste ihn so an plärrt.

“Aaaau, was war das denn… ich sterbe hier heute, hundert pro.” sie klang schon ziemlich weinerlich findet ihr nicht auch?

Ihre Ärztin ging zu ihr und sagte: “So jetzt pressen, Vorsicht, ja noch mal pressen und…”

“Oh verdammt, das tut weh Walter, Mutti hilf mir!” schrie meine Mama.

“Da ist der Kopf, okay noch einmal pressen und dann haben Sies geschafft.”

“Aua, was hat das Balg denn für eine riesen Rübe?!” ja sie war so freundlich zu ihrem Baby.

“Pressen und ja, da ist sie ja, eine gesunde kleine Dame.” Ich glaube die Ärztin freute sich mehr über mich, zumindest in diesem Moment, als meine Mum, verständlicher Weise.

Sie legten mich meiner Mama auf den Bauch und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte sie.

“Oh du bist ja eine ganz süße kleine Maus, hallo Mäuschen, na wie geht es dir?” Ja in diesem Moment freute auch sie sich über mich. Auch Walter und meine Oma lächelten und alle freuten sich über das vorweihnachtliche Geschenk.

“Wie willst du sie denn nennen?” Fragte meine Oma während sie meinen kleinen verschmierten Kopf streichelte.

“Ich weiß nicht, darüber habe ich noch nicht so viel nachgedacht. Wie würdest du sie nennen?” ja sie hatte wirklich ihre biestige Mutter gefragt, wie sie mich nennen würde.

“Marie. Weil sie uns doch so bald vor einem so schönen Ereignis geschenkt wurde, wie die Mutter Gottes.” Dabei lächelte sie.

“Hallo Mariechen, na wie findest du die Welt?” fragte meine Mama mich lächelnd.

Hätte ich antworten können, hätte ich “Kalt!!” gesagt. Stattdessen, plärrte ich einfach.

Nach unserem Krankenhausaufenthalt, zogen meine Mama und ich zu meiner Oma. Dort war immer alles sauber und ordentlich. Viel Personal wuselte herum und wenn meine Mama einmal weggehen wollte, was nicht so oft passierte, weil sie mich nicht gerne alleine lies, gab sie mich bei einem Dienstmädchen ab.

Ich wuchs in Prunk und Adel auf. Meine Großeltern hatten wahnsinnig viel Geld und Liebe, für mich und meine Mama. Und auch Walter durfte sein Bett im Gartenhäuschen, gegen das Doppelbett im Zimmer meiner Mama tauschen.

So lebten wir lange und glücklich, bis zu meinem vierten Geburtstag.

1999: Ich und meine Familie, waren auf die Kanareninseln geflogen und hatten dort ein schickes Landhaus gemietet.

Wir fuhren zu Weihnachten immer weg und am liebsten irgendwo hin wo es warm war.

An meinem Geburtstag, kam meine Oma morgens in mein Zimmer und weckte mich. Doch kurz nachdem ich die Augen aufgeschlagen hatte, wurden sie mir wieder verbunden.

Ich wurde in meinem Nachthemd ins Wohnzimmer gebracht und dort lagen auf dem Tisch um eine gigantische Torte herum, meine Geschenke.

Das alles konnte ich jedoch erst sehen, als mir die Augenbinde abgenommen wurde. Doch was ich auch sah war, dass Walter nicht da war. Ich war ein bisschen verwirrt.

Dennoch stürmte ich mit wilder Begeisterung in meinem kleinen rosa Nachthemd, auf den Geschenkeberg zu und riss die Verpackungen auf.

Ein großes Puppenhaus, von Barbie, eine Pferderanch von Playmobil, ein Gucci Kleidchen, ein Bananaboat und am Ende, noch eine Packung, in der ein Hundeknoten und ein Napf waren.

Ich war ein bisschen verwirrt, aber das war bald wieder vergessen. Wir schnitten die Torte an und warteten auf Walter, der eigentlich bloß schnell los wollte um ein paar Brötchen im Ort zu holen, falls jemand nicht nur Torte frühstücken wollte. Wir warteten und warteten, aber Walter kam nicht wieder. Meine Mama rief ihn an, und als er abhob, sagte er, er hätte noch keine Bäckerei gefunden, aber wir sollten schon mal ohne ihn anfangen. Wir dachten uns nichts dabei und aßen drauf los.

Etwa zwei Stunden später, kam er endlich, und hatte dennoch keine Brötchen dabei. Das war auch nicht weiter tragisch, denn mit frühstücken waren wir ohnehin schon fertig gewesen.

Dennoch fragte meine Mutter ihn wo er gewesen wäre, wohl nicht bei einem Bäcker wie es schien.

“Ich war in er Stadt und habe keinen verdammten Bäcker gefunden, und die die ich gefunden hatte, hatten alle schon geschlossen, was erwartest du es ist der Tag vor Weihnachten.” erklärte er.

Niemand in meiner Familie sah damals so aus als würde man ihm das glauben, aber wir konnten ihm schlecht das Gegenteil beweisen.

Am nächsten Tag, machten wir einen Ausflug an den Strand, nur Walter blieb daheim, weil er sich nicht so wohlfühlte.

Wir hatten eine Menge Spaß am Strand, bis ich in einen Seeigel stieg. Eigentlich wollten wir den ganzen Tag am Strand bleiben, aber dann fuhren wir zu einem Arzt und waren schon nachmittags wieder daheim.

Mein Fuß tat weh und deswegen wollte meine Mama mir aus dem Buch mit den vielen Bildern und dem Häschen vorlesen.

Sie war gerade nach oben gegangen, als sie auf einmal furchtbar schrie. Meine Oma rannte nach oben und dann ging ein riesiger Streit los.

Das komische war nur, meine Oma und meine Mama waren nicht die Streitenden, sondern Walter und meine Mama. Nach etwa drei Minuten wuselte eine junge Frau, in Sommerkleidchen und mit total zerwühlten Haaren die Treppe hinunter und durch unser Wohnzimmer davon. Kurz danach, kam Walter die Treppe runtergeschossen, meine Mama hinterher und jagte ihn aus dem Haus.

Damals hatte ich es nicht verstanden, heute schon. Walter hatte meine Mama mit dieser Frau betrogen und sie hatte sie in Aktion erwischt.

Meine Mama weinte und ging auf ihr Zimmer. Ich musste sehr verwirrt ausgesehen haben und so setzte sich meine Oma erst einmal zu mir und erklärte mir, dass meine Mama ein bisschen traurig sei und ihre Ruhe bräuchte. Ich und sie würden ein großes Eis essen gehen und Opa würde Mama trösten.

Nach „wir würden Eis essen gehen“ hatte ich schon nicht mehr zugehört und war Feuer und Flamme gewesen.

Ich und Oma gingen also in die Stadt und waren Eis essen. Als wir abends wieder kamen, hatte meine Mama ein sehr verheultes Gesicht und doch begrüßte sie mich mit einem gequälten Lächeln.

“Hallo Mausi, na wie war dein Tag?” fragte sie mit verstopfter Nase und schniefend.

“Toll Mami, ich und Oma waren ein Eis essen, das größer war, als mein Bauch!” sagte ich lachend.

Dann nahm sie mich in den Arm und schniefte ein bisschen.

“So Schätzchen, in einer Stunde ist Bescherung und wir wollen doch beide hübsch sein für die Kamera stimmt`s? Genau und deswegen, gehen du und Opa hoch und ihr macht euch fertig und ich und Oma gehen dann nach euch okay?” Sie war immer noch verschnieft und rotzte und schluckte, aber ich ging hoch so wie sie es gesagt hatte. Und zum ersten Mal in meinem Leben, tröstete meine Oma meine Mama.

“Opa, was hat Mama denn? Warum ist sie so traurig?” fragte ich meinen Opa besorgt.

“Walter hat etwas sehr schlimmes gemacht und deswegen war deine Mama sehr traurig. Aber das ist nicht so wichtig, wir haben Weihnachten und du sollst dich freuen. Deine Mama schafft das schon Marie, da bin ich mir ganz sicher.” sagte mein Opa ganz ruhig zu mir.

Wir gingen nach unten und setzten uns in die Küche, dann gingen meine Mama und meine Oma sich fertig machen und auf einmal sah Mama wieder ganz normal aus.

Auch Mama kam in die Küche und dann Oma und die sagte: “Schnell Mariechen, geh nachsehen, was das Christkind dir gebracht hat.”

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich rannte ins Wohnzimmer und riss alle meine Geschenke auf, wie auch schon am Vortag.

Jetzt waren es jedoch kleinere Geschenke und viele Barbiepuppen. Ich freute mich sehr als ich alles ausgepackt hatte und aß ein paar der leckeren Kekse die meine Oma gebacken hatte.

“Oh Mariechen, ich glaube draußen im Hof ist noch ein Geschenk für dich.” Sagte meine Mama.

Verwundert und zugleich begeistert, rannte ich nach draußen. Da stand Walter, mit einem Karton in der Hand. Der Karton war rund, mit einer Schleife zugebunden, und hatte oben Luftlöcher.

Ich zog an dem breiten Geschenkbandschleifchen und schwups, streckte ein kleiner schwarzer Welpe seinen Kopf aus der Schachtel.

Ich quietschte vor Freude und nannte ihn Kobold. Er hatte eine weiße Nase und der Rest war ganz und gar schwarz.

Ich nahm ihn mit ins Wohnzimmer wo wir den Napf und den Kaustrick gleich einweihten.

Er machte mich und meine Mama glücklich und wir konnten viel mit ihm lachen. Seine lustigen Schlabberohren, auf die er fast drauf treten konnte und seine viel zu großen Pfoten, machten es einem unmöglich, ihm zu widerstehen.

An diesem Abend führten meine Mama und Walter noch ein langes Gespräch im Garten und kamen damals zu dem Schluss, dass er mich sehen durfte, sie aber nichts mehr von ihm wissen wollte.

Als ich gerade in mein Bett ging, kam Walter die Stufen in mein Zimmer hoch und sagte: “Marie, du wirst mich für eine ganze Weile nicht mehr sehen, aber ich rufe dich an. Versprochen. Gleich morgen, wenn ich wieder in Deutschland bin. Genieße den Urlaub mit Mama und Opa und Oma okay?”. Er strich mir über meine gewellten blonden Haare, kniff mich in meine Apfelbacken und dann ging er.

Und in seiner Welt, wurde es offensichtlich nie Morgen, denn er rief nicht an.

Manchmal schickte er mir Postkarten, von Orten an denen er gewesen war und zu meinem Geburtstag und zu Weihnachten schickte er mir Karten und Briefe. So wusste ich wenigstens, dass Walter noch lebte.

Wenn du zerbrichst

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