Читать книгу Wenn du zerbrichst - Franziska Wild - Страница 9

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Auf der Bühne stand ein Rednerpodest, und hinter diesem Podest stand Ms. Hosenanzug.

Ich ließ meine Blicke schweifen und suchte die Aula nach Kibo ab.

Ich entdeckte ihn in der dritten Reihe vor der Bühne. Ich stellte fest, dass jedem ein Platz zugeteilt war, als ich im Mittelgang eine Frau mit Platzkärtchen sah.

Schnell drückte sie mir die Nummer 126 in die Hand und ich suchte. Siebte Reihe. Linke Seite.

Ich setzte mich hin und langsam füllte sich die Aula.

Die Reihen wurden immer voller. Neben mich setzte sich ein ungepflegtes Mädchen mit langen gräulichen Haaren.

„Hi ich bin Lola.“ rotzte sie.

Sie zog den Schleim in ihrer Nase bis zu ihrem Haaransatz, wie mir schien.

„Und wie heißt du?“ fragte sie mit einem fetten, stinkenden grinsen.

„Marie… aber ganz ehrlich, sehe ich so aus als wollte ich mich mit dir unterhalten?“ fragte ich und zog die Augenbrauen hoch.

„Ähm ich… ich wollte nur nett sein.“ sagte sie nun leise und drehte sich wieder weg.

Und in dem Moment feuerte Ms. Hosenanzug ihre Begrüßungsrede in die Masse.

„Guten Abend liebe Schülerinnen, liebe Schüler, mein Name ist Ms. Lourdess. Ich bin eure Betreuerin. Das bedeutet ich lebe auch im Wohnheim. Im Personalblock.“ Sie beamte eine Karte des Schulgeländes an die Wand und zeigte auf den linken Flügel, des Wohngebäudes.

„Ich weiß, für viele hier, ist es das erste Mal, für viele aber auch nicht.

Ich freue mich, all diejenigen, wieder hier begrüßen zu dürfen, die uns schon in den vorigen Jahren besucht haben. Doch natürlich, freue ich mich auch über unsere Neuankömmlinge.

Wie viele von euch schon wissen, ist dies hier die Einführungsveranstaltung, die an jedem Schuljahresbeginn stattfindet.

Ihr findet unter eurem Stuhl eine Mappe, in der sich die Hausordnung befindet und eine Zugehörigkeitskarte. Wozu die ist, erkläre ich euch später.

Zuerst einmal möchte ich mit euch die wichtigsten Punkte, der Hausordnung durchgehen, vor allem was die Nachtruhe betrifft, müssen wir dieses Jahr, einiges wieder etwas gewissenhafter behandeln.

Also wenn ihr die Seite 4 aufschlagt, findet ihr den Abschnitt, über Nachtruhe und Kontakt mit Mitschülern nach Ruhezeit.

Als erstes einmal, die Nachtruhe beginnt um halb neun ABENDS. Nach halb neun, möchte ich niemanden mehr auf den Fluren erwischen, wenn er nicht auf die Toilette muss.

Letztes Jahr gab es auch mehrere Verstöße, die in sogenannten Zimmerpartys ausgeartet sind.

Diese sind strengstens verboten!!“ Sie sah sich in der Menge um und wirkte als würde sie das äußerst ernst meinen.

„Des Weiteren, sind Beziehungen mit Mitschülern untersagt. Und damit meine ich keine freundschaftlichen Interaktionen sondern mehr die, sexueller Natur. Sollte ich jemanden bei diversen Handlungen erwischen, die auf eine Beziehung hindeuten, werdet ihr genauer beobachtet und bei einer Wiederholung erhaltet ihr eine Verwarnung und eure Eltern eine Benachrichtigung über euer Fehlverhalten.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass das Konsumieren von Alkohol, Zigaretten und allen härteren Drogen, sowohl die natürlicher Basis als auch die chemischer Basis, verboten ist. Sollten wir euch beim Konsumieren von Alkohol und Zigaretten erwischen, erhaltet ihr eine Verwarnung. Beim Einnehmen von Drogen, erhaltet ihr einen Schulverweis.

Die Pünktlichkeit, beim Unterricht, ließ letztes Jahr auch sehr zu wünschen übrig. Sollten wir Unpünktlichkeiten feststellen, wird dies unverzüglich vermerkt und beim dritten Mal eure Eltern benachrichtigt.

So das waren nun die wichtigsten Verhaltensregeln.

Als nächstes klären wir, wozu eure Zugehörigkeitskarte gut ist.

Selbstverständlich dürft ihr das Schulgelände auch hin und wieder verlassen, um euch mit Süßigkeiten oder anderen notwendigen Dingen einzudecken. Ihr dürft auch, in der nächsten Stadt shoppen gehen.

Wenn ihr wieder zurückkommt, kommt eure Zugehörigkeitskarte zum Einsatz.

Wenn ihr am Eingang steht, steht da entweder ein Betreuer oder ein Wachmann oder ihr müsst klingeln. Dann wird jemand zu euch kommen, und ihr müsst eure Zugehörigkeitskarte hervorzeigen.

Sie ist dazu gut, dass niemand auf das Schulgelände kommt, der dort nichts zu suchen hat…“

Sie redete noch eine Weile über die Geschichte der Schule, Projekte außerhalb der Schulzeit und alle Kurse die man belegen konnte.

In unseren Mappen waren auch Kurspläne, von denen wir jeden Tag mindestens sechs ankreuzen mussten außer am Wochenende.

Wir hatten bis zum dritten Eingewöhnungstag Zeit um uns die Kurse auszusuchen.

Als sie uns dann endlich gehen ließ, war ich wahnsinnig erleichtert.

An der Tür hielt mich Kibo am Arm fest.

„Kommst du nun heute Abend?“ fragte er leise.

„Na klar. Schon alleine weil`s verboten ist.“ Erwiderte ich und grinste.

Er grinste zurück.

„Na dann bis dann. Hey Ähm, wollen wir zusammen die Kurse ankreuzen? Das macht zu zweit immer mehr Spaß.“ fragte er.

Und tatsächlich. Ich sah wie sich immer mehr Paare fanden, die Ihre Kurse zusammen aussuchten und sich gegenseitig berieten.

„Klar warum nicht.“ Ich lächelte.

„Gut dann komm doch gleich mit zu mir aufs Zimmer. Also nur wenn du willst.“

Fügte er schnell hinzu.

Er hatte wahrscheinlich Angst gehabt, ich könnte das mit seinem Zimmer falsch auffassen.

„Ja ich will.“ sagte ich und lachte. Dann lachte auch er und wir gingen auf sein Zimmer.

Der Unterricht war wahnsinnig umständlich gestaltet.

Chemie zum Beispiel, wurde donnerstags und freitags angeboten. Man musste aber nicht an beiden Tagen ankreuzen.

Es gab eine große und zwei kleine Chemie Klassen. Eine für Donnerstag, eine für Freitag und eine für Donnerstag und Freitag.

Ich kreuzte also jeden Tag die Fächer an, die mir für den Tag zusagten und verpasste nichts vom Stoff.

Das Lehrkonzept war erstaunlich gut.

Kibo hielt mir die Tür auf, als wir oben ankamen.

Ich knickste übertrieben und sagte „Danke!“

Verschämt schaute er zu Boden. Ich lachte und dann lachte er auch.

Das Zimmer war wesentlich kleiner als das von mir und den Mädchen. Nur drei Betten und drei Schränke hatten darin Platz. Wäschepuffer hatten sie nicht.

Sie hatten Wäschesäcke, die sie jeden Morgen an die Tür hängen mussten und die sie in ihrem Schrank verstauen konnten.

Ein Stockbett und ein Einzelbett, standen sich im Raum gegenüber.

Wir setzten uns auf das Einzelbett. Es war Kibos.

Er ging zu seinem Schrank und wühlte etwas heraus. Dann drückte er mir einen kleinen Eisbecher in die Hand.

„Tauen die da drin nicht?“ fragte ich verdutzt.

„Nein.“ sagte er und hielt die Tür ganz auf. Auf dem Schrankboden stand eine kleine Kühlbox, die durch ein Loch in der Schrankwand mit einer Steckdose verbunden war.

Ich grinste. „Das ist mal ne Idee!“ sagte ich.

„Nicht wahr. Ich liebe Eis. Ich wollte nicht darauf verzichten.“ sagte er sichtlich stolz auf seine Idee.

„Ich steh auch total auf Eis.“ Sagte ich leise.

Dann setzte er sich wieder zu mir und gab mir einen Löffel.

Wir löffelten unser Eis und lachten über die Kurse und die Freizeitangebote.

Ich kreuzte ein paar Kurse an, die nicht so anstrengend klangen. Und als Freizeitaktivität nahm ich Kreatives Arbeiten. Ich wusste noch nicht was da alles auf mich zukommen würde.

Als wir unsere Kreuzchen setzten und Eis aßen fing er auf einmal an zu kichern.

„Was ist so witzig!“ fragte ich und musste auch grinsen.

„Du hast da Eis unterm Auge.“ lachte er.

„Oh wie peinlich. Jaaa bei mir isst immer das ganze Gesicht mit.“

Ich wischte mir über die Wange.

„Du hast es nicht erwischt… Ähm warte.“ etwas ungelenk streckte er seine Hand aus und wischte mir mit dem Daumen über die Wange.

Er sah mir lange in die Augen und nahm seine Hand auch nicht wieder weg. Ich guckte zurück und legte meine Hand auf seine.

„Da war gar nichts auf meiner Wange stimmt’s?“ flüsterte ich sanft.

„Nein.“ wisperte er ebenso sanft zurück und beugte sich vor. Wir kamen uns immer näher und auf einmal kribbelte alles in mir.

Da schwang die Tür auf und wir schossen auseinander. Raffi und irgendein anderer Kerl standen in der Tür. Sie hatten, wie es schien, nichts gemerkt.

Wir schielten uns an.

„Hey Kibo, wir müssen noch vorbereiten Alter. Kommt die auch?“

fragte Raffael.

„Ja DIE kommt auch.“ sagte ich ironisch. „DIE heißt übrigens Marie. Wann geht’s denn heute Abend los?“ fragte ich.

„Um elf.“ schoss Kibo.

„Gut dann geh ich jetzt mal wieder rüber zu mir. Bis heute Abend Jungs.“ sagte ich und sah Kibo noch einmal an.

Er blickte mir tief in die Augen und ich musste gehen. Meine Knie wabbelten und wollten unter mir zusammenbrechen.

Auf dem Flur begegnete ich Ms. Lourdess.

„Marie. Ich muss mich mit dir unterhalten.“ sagte sie.

Sie nahm mich an der Schulter und ging mit mir in unser Zimmer. Außer uns war niemand da.

„Marie, ich weiß um dein Schicksal. Also ich weiß, dass du bei deinen Großeltern aufgewachsen bis und…“

Ich schnitt ihr ins Wort.

„Ich bin nicht bei meinen Großeltern aufgewachsen. Ja meine Mutter ist gestorben als ich neun Jahre alt war, aber meine Großeltern haben mehr falsch, als richtig gemacht. Alles was ich bin, bin ich weil ich meine Mutter liebe und sie mich geprägt hat. Und wenn sie sich so ausführlich mit meinen Großeltern unterhalten haben, wie ich denke, dann wissen sie auch, wie unperfekt mein Leben ist. Und dann wissen sie auch, wie sehr freiwillig ich hier bin. Und wenn sie glauben, dass sie hier jetzt einen auf Verständnisvoll machen müssen, dann muss ich sie enttäuschen. Ich brauche keinen Seelenklemptner und auch kein Mitleid von einer Betreuunskraft, die glaubt mich zu verstehen. Niemand versteht wie das ist, wenn man von seiner freien, lebensfrohen Mutter zu einer Großmutter muss, die kaum um ihr Kind trauert und nur versucht ihr Enkelkind, nach ihrer Vorstellung umzuformen. Also lassen Sies gut sein.“ Fuhr ich sie an.

Sie sah mich verdutzt an.

„Falls du doch mal reden möchtest, stehe ich dir gerne zur Verfügung.“ sagte sie und ging an mir vorbei.

Sie strich mir über die Schulter und sah mich ein bisschen mitleidig an.

Ich riss meine Schulter weg und setzte mich auf mein Bett.

Dann packte ich die Schachtel mit den Bildern heraus.

Ich vermisste sie unheimlich.

Aber im Moment wünschte ich mir nichts mehr, als dass Kobold da wäre.

Mein Hund fehlte mir. Sein Geruch, sein weiches Fell und seine verständnisvolle Art.

Wenn du zerbrichst

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