Читать книгу Wenn du zerbrichst - Franziska Wild - Страница 6

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Ich drehte meinen Kopf zur Seite und da stand meine Oma.

“Liebling! Oh Gott sei Dank bist du wach. Schätzchen, wie geht es dir? Tut dir etwas weh?” sie klang wahnsinnig besorgt.

Ich versuchte mich aufzurichten, aber es tat so wahnsinnig weh.

Ich spürte ein gemeines Ziehen in meinem Brustbereich und legte mich gleich wieder hin.

“Oma hier,” ich deutete auf mein Schlüsselbein, “hier tut es weh!” jammerte ich und weinte.

“Och Schätzchen. Meine kleine, liebe Maus. Du hast dir wahrscheinlich das Schlüsselbein gebrochen. Keine Angst, das heilt wieder zusammen.”

Und erst als sie das sagte, merkte ich wie ausgemergelt sie aussah.

Ihre Augen waren geschwollen und mit roten Äderchen durchzogen. Ihr Mascara völlig verwischt und ihre Hände zitterten.

“Oma was ist denn los? Du hast doch geweint.” sagte ich leise und vorsichtig.

“Nein Schätzchen, nein nein. Wie kommst du denn darauf?” fragte sie und lächelte.

Dabei nahm sie meine Hand zwischen ihre Hände und tätschelte sie.

Verwirrt sah ich sie an. Und sie lächelte. Abwesend und traurig.

Wir saßen ewig und eine Nacht so da. Da ging auf einmal die Zimmertüre auf, und mein Opa stand im Türrahmen.

Auch er sah aus, als hätte er geweint und er zitterte fast noch schlimmer als Oma.

“Oma wo ist Mama? Geht es ihr gut?” fragte ich.

Da weinte meine Oma und sprang auf.

“Könntest du das bitte übernehmen?” wisperte sie meinem Opa zu.

“Ich kann das nicht. Entschuldige!” sagte sie und verließ den Raum.

“Opa, was ist denn? Wo sind Mama und Kobold?” fragte ich, reichlich verwirrt.

“Kobold ist zu Hause Schätzchen, er wartet da auf dich. Er hat sich nur seine Vorderpfote am Sitz eingeklemmt, aber das wird wieder.” sagte er lächelnd.

Ich war erleichtert. Gott sei Dank war meinem Hund nichts passiert.

“Und Mama? Wann kommt sie zu mir?” fragte ich wieder.

“Meinem Opa liefen ein paar Tränen übers Gesicht und dann sagte er: “Marie, du weißt, dass deine Mama dich sehr lieb hat. Und du weißt auch, dass sie alles auf der Welt tun würde, um dich glücklich zu machen. Stimmt’s?” fragte er.

Ich nickte.

“Und Marie glaube mir, sie wird sehr stolz auf dich sein, wenn sie sieht, was für eine wundervolle Frau du werden wirst, und sie wird immer bei dir sein, ganz egal, wo auch immer du bist. Hörst du?” wieder nickte ich.

“Deine Mama würde dich bestimmt auch hier besuchen, dich in den Arm nehmen, und dir sagen, dass alles wieder gut wird. Aber mein Schatz das kann sie nicht.”

“Warum denn nicht Opa?” fragte ich verwirrt.

“Schatz, deine Mama, ist jetzt oben, beim lieben Gott und seinen vielen tausend Engelchen und singt da zusammen mit ihnen, jeden Tag ein Schlaflied für dich. Aber sie kann dich hier nicht mehr in den Arm nehmen. Hier, bei uns auf der Welt, kann sie dir keins mehr singen.” sagte mein Opa und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

“Meine Mama, ist … tot?” fragte ich. Es konnte sich doch nur um ein Missverständnis handeln oder? So etwas passiert anderen Kindern, mit anderen Müttern, aber doch nicht mir! Nicht mir, nicht mir, nicht mir, nicht mir. Nicht uns!

Mein Opa nickte, und da kletterte ich, trotz meiner Schmerzen aus meinem Bett auf seinen Schoß, presste mein Gesicht gegen seinen Brustkorb und weinte. Ich schluchzte und weinte und wollte nie wieder damit aufhören.

“Sie soll wieder kommen, sie soll wieder kommen Opa, das kann nicht sein. Sie ist nicht tot. Du lügst, sie ist bestimmt draußen vor meiner Tür und stürmt gleich herein, um mir zu sagen, dass wir nach Hause fahren und das alles nur ein böser Traum war. Du lügst, das kann gar nicht sein. Sie würde mich hier nicht alleine lassen. Niemals. Sie hat versprochen, dass sie immer für mich da ist. Egal wann und wo und warum und jetzt ist sie einfach ohne mich gegangen. Opa, die Engel können doch noch warten. Der liebe Gott kann doch noch warten.”

Mein Opa hielt meinen Kopf und legte seine Wange auf meinen Haarschopf. Er streichelte mir über meine Engelshaare und ließ mich weinen.

Irgendwann kam auch meine Oma wieder herein. Mit einer großen Box Kleenex und schnäuzte sich mit mir die Nase.

Ich wachte am nächsten Morgen, in meinem Zimmer auf und war fröhlich.

Es war alles nur ein Traum gewesen. Gott sei Dank. Meine Mama stand unten in der Küche und kochte Kaffee und meine Oma stand daneben und machte mir Pfannkuchen, weil ich die so gerne aß.

Ich stand auf. Mein Schlüsselbein zog und da wusste ich, es war kein Traum gewesen.

Der gestrige Tag, war wirklich geschehen und ich war zu Hause. Aber nicht wirklich zu Hause, denn der liebste Mensch auf Erden, der der ein zu Hause ausmacht, der fehlte.

Da ließ ich mich zurück in meine Kissen sinken und weinte wieder völlig haltlos drauf los.

Meine Oma hatte mich gehört und kam herein. Kobold hinkte hinter ihr her und sprang auf mein Bett.

Er kuschelte sich an mich, während meine Oma mein Haar streichelte und mich weinen ließ.

Die Tage zogen schleichend dahin und ich merkte nicht, dass die Zeit verging.

Eine Woche später, war die Beerdigung. Ein Pompöser Sarg, mächtige Blumengestecke, unzählige Trauerkarten, an mich und meine Großeltern gerichtet und ein ewiglanges Buffet.

Die Beerdigung meiner Mama.

Sie war genau das Gegenteil von dem was sie gewollt hätte.

Es gab kein Testament, aber meine Großeltern gingen davon aus, das pünktlich zu meinem achtzehnten Geburtstag, alle Habe meiner Mutter an mich gehen würde.

Sie bewahrten den Schmuck, und sogar die Kleidung in einer Aluminium-Truhe auf, die sie Mottendicht versiegeln ließen.

Meine Großeltern bekamen das Sorgerecht für mich zugesprochen, da kein Vater auf der Geburtsurkunde eingetragen war.

Ich war ganz froh darüber, denn seien wir einmal ehrlich, einen Vater, hatte ich doch sowieso nie gehabt.

Die Schule wurde eine einzige Tortur.

Meine Klassenkameraden sahen mich an als wäre ich ein neugeborenes Alien, meine Lehrer sprachen mir ihr falsches Mitleid aus und sogar der Hausmeister sah mich mit besorgten Augen an.

So als hätte er Angst, dass ich mir im nächsten Augenblick etwas aus seinem Werkzeugkoffer nehmen würde, um mich damit zu erstechen.

Ich war neun Jahre alt. Wie sollte ich verstehen, dass sich Menschen sorgen um andere Menschen machten, die jemanden verloren hatten, der einem wichtig war.

Ich bekam Mitleidsnoten und irgendwann merkt das sogar ein neunjähriges kleines Mädchen.

Ich schrieb absichtlich nichts auf meine Tests und sagte bei Abfragen irgendwelche Gedichte auf, die ich im Kindergarten gelernt hatte.

Irgendwann erhielt ich einen Brief nach Hause, dass ich stark gefährdet sei, durchzufallen, den ich dezent im Schredder verschwinden ließ.

Ich legte mich absichtlich mit anderen Schülern an, nur um zu provozieren, einen Verweis zu bekommen.

Ich machte keine Hausaufgaben mehr und genoss jede Moralpredigt meiner Lehrer auf meine ganz eigene Weise. Es machte Spaß.

Es machte einen riesen Spaß und wurde zu meinem neuen Lieblingshobby.

Schlecht in der Schule sein.

Man bekam Aufmerksamkeit und jede Menge Bewunderung von Klassenkameraden.

Ich merkte gar nicht, wie ich in unserem Städtchen zum Gesprächsthema Nummer eins wurde.

Meine Großeltern allerdings schon.

Sie merkten kaum etwas mehr als das. Sie regten sich tierisch darüber auf, zum Spott der Nachbarschaft zu werden.

Mir war das egal.

Meine Noten wurden immer schlechter und ohne die Bestechungen meiner Großeltern hätte ich die dritte Klasse nicht geschafft.

Die vierte Klasse schaffte ich nicht.

Ich fiel sang und klanglos durch.

Naja wie auch nicht. Mit nur ungenügend, mangelhaft und der für mich neu erfundenen Note:

„Zutiefst entrüstend“

Denn ich schrieb Sachen auf meine Schulaufgaben, die kein Lehrer der Welt lesen sollte.

Dinge die ich über sie dachte, Dinge die ich über meine Klassenkameraden dachte und Dinge die ich über die Welt dachte oder die Politik.

Beim zweiten Anlauf in der vierten Klasse ging es wieder schief und meine Großeltern waren total verzweifelt.

„Marie, Marie wie kannst du uns das antun. Wir wissen doch alle, dass du mehr kannst als das!“ sagte meine Großmutter, abfällig auf meine neuste Matheerrungenschaft deutend.

„Ich weiß es und du auch. Ich weiß auch wer es noch weiß! Marie!? Weißt du es auch?“ fragte meine Oma mit Tränen in den Augen.

„Lass sie da raus!“ sagte ich.

„Lass Mama da raus ok?“ sagte ich und musste fast selbst weinen.

„Nein Marie, das kann ich nicht mehr. Du wirst wieder durchfallen. Wieder und wieder und unendlich oft kann man die Grundschule nun mal nicht machen Marie.“ Schrie sie.

„Das weiß ich selbst! Aber weißt du wenn du Mama da schon mit rein bringen musst, dann kann ich das auch. Soll ich dir sagen, dass ich weiß, warum Mama so früh schwanger war? Weil die einzigen Menschen die sie beachtet haben, die waren die sie gevögelt hat!!“ schrie ich zurück. Dann rannte ich in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu.

Ich wusste, dass sie weinte. Ich wollte sie nicht sehen. Ich wusste, dass es unfair war, das zu sagen, aber ich vergalt immer gleiches mit gleichem.

Dann fasste ich einen Entschluss.

Ich riss die Türen meines Kleiderschrankes auf, fetzte alles heraus.

Meine Pullis, meine Hosen, meine T-Shirts,

und dann legte ich los.

Ich schnitt Löcher in meine Jeans, nähte Netze an die Ärmel meiner schwarzen T-Shirts, schrubbte mit Drahtbürsten über meine Sweatshirts und machte meine Klamotten altkleidermäßiger als legal.

Ich wurde zum Müllmonster. Punk. Abstieg. Ich suchte im Kosmetikschrank meiner Oma, nach einer schwarzen Haarfarbe, nach schwarzem Nagellack und jeder Menge schwarzem Kajal und Lidschatten. Wimpertusche und Mondweißes Makeup.

Dann ging es los.

Ich ging ins Badezimmer, färbte mir die Haare, lackierte meine Nägel und schminkte mich wie Edward mit den Scherenhänden.

Als ich das Badezimmer wieder verließ, war ich ein anderer Mensch.

Ich ging nach draußen auf die Straßen und stieg in den nächsten Zug in Richtung Stadt.

„Nächste Haltestelle, Berlin Westbahnhof, Ausstieg in Fahrtrichtung links.“ Kam aus den uralten Lautsprechern, der S-Bahn.

Ich ging aus dem Zug heraus auf den Bahnsteig und dann einfach auf den Vorplatz des Bahnhofs.

Nächste Haltestelle, sozialer Abstieg. Ausstieg, wenn du Pech hast, niemals.

Es war nicht schwer sie für mich zu gewinnen.

Erst grinsten sie, dann hielten sie mir ein Bier hin, und dann saß ich bei ihnen.

Ich zog an Zigaretten und trank von Bierflaschen die nicht meine waren.

Als ich nachts einmal wieder, irgendwann kurz nach ein Uhr, zu Hause war, standen meine Großeltern im Wohnzimmer und starrten mich fassungslos an.

„Marie! Was tust du denn? Ich weiß nicht was ich sagen soll… du hast Hausarrest. Für… ach auf unbegrenzte Zeit!“ sagte meine Oma und dann ging sie.

„Marie. Ich möchte mich mit dir unterhalten.“ Sagte mein Opa und strich sich mit der Hand über den Nacken. So wie er es immer tat wenn er verzweifelt war.

„Fein.“ Ranzte ich.

Wir setzten uns auf das Sofa und er sagte: „Marie. Ich möchte dir etwas erzählen. Von deiner Mutter. Sie hat als sie ein Teenager war, viel Unsinn gemacht. Und sie war unvorsichtig. Ich will dir nur sagen, dass du bei dem Unsinn den du machen musst um erwachsen zu werden, bitte auf dich aufpassen sollst. Du weißt wie ich das meine ja? Pass auf deinen Körper auf, pass auf, dass niemand ihn besitzen darf, außer dir und pass auf, dass kein Stoff der Welt ihn ruinieren kann. In Ordnung?“

Ich nickte.

Aber ich wusste, dass ich ihm das nicht versprechen konnte.

Denn ich hatte es nicht gewusst, aber innerhalb von einer Woche, war ich abgestürzt. Ich war in einen Zug gestiegen, sieben Tage lang und wieder ausgestiegen, sieben Tage lang, ich war zu fremden Menschen gegangen die meine Freunde wurden und ich hatte mich betrunken, sieben fucking Tage lang und sieben fucking Nächte lang und ich hatte mit meinen zwölf Jahren, bestimmt schon mehr Bier getrunken als alle anderen auf meiner verdammten Eliteschule.

Innerhalb von einer Woche!!

Wenn du zerbrichst

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