Читать книгу Wenn du zerbrichst - Franziska Wild - Страница 7

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Wie vorausgesehen, durfte ich nach meinem Grundschulabschluss nicht auf meiner Privatschule bleiben.

Keine andere Schule wollte mich nehmen also wurde ich in eine ziemlich miese Schule in Westberlin gesteckt.

Das erste Jahr auf der Schule war hart.

Ich hatte Klassenkameraden, die mich verspotteten. Lehrer die mir keine Chance gaben. Ein Leben das aus den Fugen lief.

Ich etablierte mich immer besser in meine Bahnhofsclique.

Meine erste richtige Freundin dort, war Mara.

Alle Kids, am Bahnhof, waren Straßenkinder, ich war die einzige, die noch zu Hause lebte.

Und bald, nahmen sie mich mit auf meine erste Party.

Es war eine typische Hinterhofparty, mit Bier, Sex on the Beach aus der Dose, Vodka Bull.

Ich war in meinem neuen Element, ohne es zu wissen.

Ich trank, lachte und dann stürzte ich ab. Für diesen Abend. Für diese Stunde. Diese eine Minute. Für den Rest meiner Jugend.

Ein paar Jahre später als ich 15 war:

Ich tanzte mit einem Kerl, keine Ahnung wie er hieß, keine Ahnung wie er ausgesehen hat, aber was ich noch genau weiß, war wie er gerochen hat.

Nach Moor, und nach Schnaps.

Ich tanzte und nach und nach hatte ich immer weniger an. Mein T-Shirt flog auf einen Stuhl, mein Rock segelte auf das Autodach und ich in Unterwäsche auf die riesige Motorhaube des Mercedes. Dort kroch ich hin und her und wurde mit Bier geduscht und mit Ketchup besprenkelt.

Ich stand auf der Motorhaube und bekam das Mikro der Karaoke Maschine in die Hand. Dann schmetterte ich 99 Luftballons vor mich hin.

Das Video gibt es immer noch. Und ich war nicht mal schlecht.

Das entscheidende an dem Song war aber, dass ich weinte.

Es war der einzige Song gewesen, den ich und meine Mutter immer zusammen gesungen hatten, wenn wir weggefahren waren.

Ich weinte auf der Autohaube eines Mercedes Benz während ich den schönsten Song der Welt sang und an nichts dachte, als an meine Mutter. Und wo immer sie war, ich liebte sie.

Nach diesem Song hab ich keine Ahnung mehr was passiert war. Ich weiß nur, dass ich zwischen alten Bananenschalen, leeren Bierdosen und Pizzakartons aufwachte, zwischen denen Ratten und Kakerlaken rumwuselten.

Ich suchte in dem ganzen Chaos nach meiner Handtasche.

Ich fand sie unter dem Deckel eines Mülleimers, der scheinbar, ob meines Gewichtes, umgekippt war.

Ich wühlte in der Tasche nach meinem Handy, tippte die Nummer unserer Villa und wartete bis mein Großvater abhob.

„Gebrecht? Hallo!“

„Opa! Hier ist Marie, kannst du mich abholen?“ fragte ich verpennt und verkatert.

„Aah,“ stöhnte er genervt, aber offensichtlich erleichtert, dass ich lebte.

„Schätzchen wo bist du?“ fragte er

„Keine Ahnung Opa, ich liege zwischen den Müllcontainern von irgendeinem indischen Restaurant. Könnte auch Japanisch sein…“

„Okay rühr dich nicht von der Stelle ich denke ich weiß wo du bist.“ Sagte er entnervt.

„Okay.“ Fauchte ich und legte auf.

Ich versuchte mich weitestgehend von dem ganzen Müll zu befreien, der an meiner Kleidung hing und mich zu einem stinkenden Müllmonster machte.

Ich wartete geschlagene zwei Stunden auf meinen Opa.

Als er endlich kam stand ich auf der Straße und war bibbernd in mein bauchfreies Top und meinen Minirock versunken.

„Wenn hier jemand vorbeifährt, der Bock auf ne schnelle Nummer hat, hält er mit Sicherheit und fragt wie viel du kostest!“

Schnauzte mein Opa.

„Witzig!“ fauchte ich zurück. „Wo warst du überhaupt so lange? Ich habe ja mindestens zwei Stunden gewartet!“

Motzte ich.

„Tut mir wirklich leid, aber ich wusste ja aufgrund deiner wahnsinnig konkreten Wegbeschreibung, nicht einmal ansatzweise wo ich hinfahren musste. Ach so und bevor ich es vergesse, du hast dich am wenigsten zu beschweren! Ich bin derjenige, der sich vom Frühstückstisch mit deiner Oma entschuldigen musste, weil sie nicht wissen darf, dass ihre kleine Prinzessin sich auf einer Hinterhofparty so sehr die Kante gegeben hat, dass sie wahrscheinlich nicht mal mehr weiß, wann sie zuletzt vernünftige Klamotten anhatte!“

Ich war seine Moralpredigten so leid. Immer hatte er etwas zu bemäkeln, immer dann, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte.

„Achja? Ich bin es satt mir das immer anzuhören. Was denkt sie denn wo ich die ganze Nacht bin? Bei meiner Freundin Mercy und schmeiße mit ihr eine fette Pyjamaparty, mit Keksen und Chips und Cola bis zum abwinken? Gott so naiv kann sie gar nicht sein! Sie ist eine erwachsene Frau und wird doch wissen, dass ich mit fünfzehn andere Vorstellungen von Feiern habe als eine fünfjähre. Sie wird doch nicht wirklich glauben, dass ich immer noch das brave, kleine Mädchen bin, das ich war, bevor …“ Ich brach im Satz ab.

Er wusste was ich meinte. Er wusste es nur zu gut.

Den Rest der Fahrt schwiegen wir beide.

Zu Hause angekommen hüpfte ich aus dem Wagen und rannte in mein Zimmer, ich wollte kein dummes Gespräch mit ihr führen, über meine Zustände.

Es war mein Leben und wenn sie sich einmischte, kam nie etwas Gutes dabei heraus.

Dummerweise hält sie kaum etwas davon ab, mit mir solche Gespräche zu führen, und dabei auch noch meine Mutter ins Spiel zu bringen, also klopfte es kurze Zeit später an meiner Zimmertür.

„Marie? Bist du da? Wir müssen uns unterhalten!“ sagte sie entnervt.

„Sieht so aus oder, aber eigentlich will ich nicht mir dir reden!!“ motzte ich zurück.

„Du glaubst gar nicht wie egal mir das ist.“ Schrie sie und kam herein.

„Worüber willst du diesmal diskutieren? Darüber wie schrecklich ich mich verhalte, darüber wie spät ich nach Hause komme oder wie oft, darüber wie schlimm und schwierig ich doch bin??? Worüber sag’s mir dann kann ich den Gesprächsverlauf ausdrucken!!“ fetzte ich ihr entgegen.

„Das ist nicht mehr komisch Marie. Ich kann nicht mehr. Du machst mich wahnsinnig!! Ich wollte immer nur dein Bestes. Immer. Und ich wollte immer, dass ich dich nicht so zu erziehen brauche, wie deine Mutter es immer versucht hat zu vermeiden. Denkst du sie wäre stolz auf das was du tust!? Das wäre sie nicht. Wenn sie sehen würde wie du dich zurichtest! Wie du dich mit deinen Alkoholorgien und weiß Gott was noch kaputt machst! Marie ich kann nicht mehr und ich und dein Großvater, haben überlegt, ob wir … ob wir dich nicht auf ein Internat schicken sollen.“

Das sagte sie so eiskalt und direkt, dass ich nichts sagen konnte. Ich atmete tief durch um ihr nicht ins Gesicht zu springen, aber dann brach es aus mir heraus.

„Was denkst du denn welche verdammte Schule mich nehmen würde?? Mit welchem Zeugnis willst du mich dort einschreiben? Mit meinem Grundschulzeugnis?? Ich war seit über einem Jahr nicht mehr regelmäßig in der Schule. Ich war seit Ewigkeiten bei keinem Test mehr dabei. Ich habe nichts mehr, was auf ein Leben schließen lässt. Welches verfluchte Internat würde mich schon nehmen!!!“ Danach sah sie mich an als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet.

„Wir haben uns schon eine Schule ausgesucht. In Brighton!“ sagte sie.

„Das ist in England verfluchte Scheiße! Du kannst mich nicht einfach abschieben. Und schon gar nicht nach England. Was ist mit meinen Freunden, mit meinen Erinnerungen. Was ist mit Kobold? Ich werde nicht einfach gehen. Nicht nach England!!“

„Ich schiebe dich nicht ab. Und Freunde wirst du neue finden!! Kobold wirst du in den Ferien sehen, wenn wir dich besuchen kommen. Dann gehen wir in das Ferienhaus und haben ein paar nette Wochen zusammen.“ Sie hatte entschieden.

Sie hatte für mich entschieden, dass ich weggehen würde.

Sie wollte mich vollständig isolieren und genau das tat sie.

Ich sah sie mit den wütendsten Augen an, die man einer Fünfzehnjährigen zutrauen würde.

„Das kannst du mir nicht antun! Wenn du das tust, dann schwöre ich bei Gott, rede ich nie wieder ein Wort mit dir. Nie wieder!“ schrie ich.

„Dann soll es so sein. Irgendwann wirst du mir dafür danken.“ Schrie sie zornig zurück.

„Nie werde ich dir danken, dass du mir alles genommen hast was ich noch hatte!! Ich habe doch sowieso schon nichts mehr! Warum willst du mir das Nichts auch noch nehmen.!?“ schrie ich und fing an zu weinen.

„Ich nehme dir nichts das wichtig ist. Deine Freunde sind schlecht! Schlechter als schlecht. Sie sind das grauen jeder sozialen Persönlichkeit. Sie ziehen dich runter!“ schrie sie.

„Ich habe deine Zeugnisse bereits hingeschickt und ein Telefonat mit dem Direktor gehabt. Es ist eine deutschsprachige Schule nach englischer Reform. Finde dich damit ab.“

Aber das kam überhaupt nicht in die Tüte. Mich damit abfinden? Einfach so? Niemals. Ich würde auf die Barrikaden gehen und das konnte ich nur zu gut.

Der nächste Morgen brach an. Ein Sonntag. Ein schrecklicher Sonntag.

Oma öffnete die Tür meines Zimmers. Sie schob drei Koffer in den Raum und weckte mich.

Dann öffnete sie die Flügeltüren meines Kleiderschrankes.

„Pack ein was du willst. Es ist mir egal. Das ist dein Gepäck für die ersten drei Monate. Los. Ich komme in drei Stunden wieder.“ sagte sie resigniert und ging wieder.

Ich sah, dass Kobold an ihr vorbei in mein Zimmer schlich. Mit seinen traurigen großen Augen, die seit dem Unfall kaum mehr gelächelt hatte sah er mich an.

Er sah mich an als wüsste er, dass auch ich jetzt noch gehen würde. Als wüsste er, dass er noch jemanden verlieren müsste, den er liebte.

Ich nahm seinen großen, schwarzen Hals in meine Arme und weinte in sein dickes, warmes Fell.

Er war zwölf Jahre alt, ich wusste nicht, wie oft ich das einzige, das ich wirklich liebte, in meinem Leben noch sehen würde.

Ich saß bestimmt eine halbe Stunde in meinem Zimmer und weinte meinem Hund in sein Halsfell.

Er saß einfach nur da und wartete bis ich fertig war.

Dann setzte ich mich auf mein Bett und er stämmte sich neben mich.

Ich fasste an der Bettkante, die zur Wand hinzeigte herunter, unter das Bett und zog einen Fotokarton hervor.

Langsam schob ich den Deckel hinunter, als hätte ich Angst, dass all die Erinnerungen mich umhauen würden.

Ich stellte den Karton auf meinen Schoß, Kobold legte seinen Kopf auf meine Schulter und gemeinsam sahen wir uns Fotos an, Fotos aus einer Zeit in der noch alles gut war. In der wir noch zu dritt, zum Felsen gefahren waren und gebadet hatten, gezeltet und gegrillt hatten und einfach nur wir gewesen waren.

Ich saß da noch zweieinhalb Stunden. Meine Oma kam rein und sah mich an.

Sie wollte schreien und schimpfen, das sah ich ihr an. Bis sie bemerkte was ich in den Händen hielt und dass ich weinte.

Ich sah sie an, mit meinen rot unterlaufenen Augen und sie setzte sich an meine andere Seite. Dann sahen wir uns zusammen die Bilder an. Lächelten und erinnerten uns.

An den Tag meines vierten Geburtstags, an Kobold, der als Welpe über seine eigenen Ohren gestolpert war. Und an sie. An meine Mama.

Meine Oma strich über meine Haare, über Kobolds Fell und dann über das Foto in meiner Hand.

Darauf waren meine Mama und ich im Krankenhaus abgebildet. Ich drückte ihr das Bild in die Hand.

„Nimm es. Stell es auf den Kamin und versprich mir, dass du mich und sie niemals vergisst.“ sagte ich.

„Nein Marie das kann ich nicht annehmen. Das gehört dir, das ist für dich eines deiner wertvollsten Besitztümer. Behalt es bitte.“

Sagte sie und wollte es mir wieder geben.

Ich schüttelte den Kopf „Nein. Ich werde gehen und hab noch 249 andere Bilder. Nimm du`s. Und vergiss uns nicht.“

Sie strich mir übers Haar.

„Wie könnte ich euch je vergessen.“ sagte sie und wischte sich eine Träne von der Wange.

Ich packte. Nicht weil ich wollte, nicht weil ich musste, nicht weil ich keine andere Wahl gehabt hätte… Ich packte weil ich es versuchen konnte. Weil ich darin eine Möglichkeit sah, die Situation zu entschärfen. Sie zu entschärfen, bevor es richtig losgehen würde.

Es vergingen noch ein paar Tage bis ich ins Internat ging. Tage in denen ich mich von allen verabschieden konnte.

Ich fuhr fast jeden Tag an den Berliner Westbahnhof und traf sie.

Jeden Tag tranken wir ein paar Bier, schnupften ein bisschen Koks und rauchten ein paar Joints.

Aber die Zeit verging zu schnell.

Der erste September rückte immer näher, die gepackten Koffer wanderten jeden Tag weiter den Flur entlang in Richtung Ausgang. In Richtung Ende.

Meine Zeit in unserem kleinen Ort war besiegelt, abgelaufen, als hätte es sie nie gegeben, als wäre mein ganzes Leben, ohne jegliche Geschichte.

Ich wollte es nicht. Es brach mir das Herz, all meine Erinnerungen loszulassen.

All mein Leben hinter mir zu lassen.

Und IHR Grab hier zu lassen.

Dann fragt man sich wieder, was bringt einem ein solches Grab.

Nähe?

Vertrauen?

Hoffnung?

Ja das sagen die Menschen immer, wenn es um Friedhöfe geht.

Aber mir gab dieser Ort nichts.

Sie lag Tot unter der Erde, seit sieben Jahren.

Nähe konnte ich spüren, wenn ich in ihr, bis heute unverändertes, Zimmer ging.

Nicht auf dem Friedhof, an einem Grab mit ihrem toten Körper.

Vertrauen? Auf was denn? Darauf, dass ich irgendwann wieder bei ihr sein dürfte? Vertrauen in Gott, dass es die richtige Entscheidung war? Nein. Ich konnte niemandem vertrauen, der mir so wehgetan hatte. Geschweige denn an seine Existenz glauben.

Und warum Hoffnung? Hoffnung auf einen Himmel? Hoffnung auf ein richtiges System? Hoffnung auf ein Wiedersehen? Auf ein Leben nach dem Tod? Wozu? Wenn dort alles genau so scheiße war, dann wollte ich keines. Dann sollte es einfach vorbei sein.

Aber so etwas hatte ihre Seele nicht verdient. Sie war eine wundervolle Persönlichkeit. Sie hatte mich bekommen, trotz ihrer kompliziert nervigen Familie. Trotz ihrer unsicheren Beziehung, und trotz ihrer jungen Jahre, die sie hätte anders verbringen können, als damit ein Kind aufzuziehen. Sie hatte ein Leben nach dem Tod verdient.

Das alles würde hier bleiben. Und das war gut so.

Vielleicht war ein Neustart genau das was ich brauchte. Aber trotzdem würde es Krieg geben. Und diesmal würde meine gute Oma nicht gewinnen. Denn dieses Mal würde ich kämpfen bis zum bitteren Ende.

Wenn du zerbrichst

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