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Es war um die Mittagszeit, eine friedliche Stille lag über dem Garten der Familie Vergilius. Cornelia schlenderte die Wege zwischen den kunstvoll angelegten Beeten entlang. Die vergangenen zwanzig Tage waren für sie wie ein Traum gewesen, nichts schien ihr Glück mit Duncan zu trüben. Niemals hatte sie geglaubt, so für einen Mann empfinden zu können. Ihren Ehemann hatte sie geachtet und geschätzt. Er war gut zu ihr gewesen, und als er starb, trauerte sie ehrlich um ihn. Aber bei Duncan war alles anders. Wenn sie seine warme, rauhe Stimme hörte, seine Hände zärtlich über ihre Haut streichelten oder seine samtweichen Lippen die ihren berührten, hörte die Zeit auf zu existieren. Es gab nur noch sie und ihn. Selbst jetzt, wenn sie nur an ihn dachte, schlug ihr Herz schneller, und über ihren Rücken liefen wohlige Schauer. Mit einem Seufzer der Zufriedenheit ließ sie sich neben ihrer Dienerin am Wasserbecken nieder.

»Denkt Ihr gerade an ihn, Herrin?«

Cornelia blickte überrascht auf.

»Woher weißt du das, Sylvia?«

Die Sklavin lächelte.

»Man sieht es Euch an! Jedesmal, wenn Ihr mit den Gedanken bei Eurem Geliebten seid, verändert sich Euer Gesicht und strahlt beinahe heller als die Sonne!«

Cornelia errötete vor Verlegenheit.

»Ich wußte nicht, daß ich so leicht zu durchschauen bin. Aber ich liebe ihn, wie ich noch nie zuvor einen Menschen geliebt habe.« Sie senkte den Blick, und ihre Stimme wurde leise. »Ich hebe ihn so sehr, daß ich manchmal Angst bekomme.«

»Macht Euch keine Gedanken!« Die Dienerin legte ihr eine Hand auf den Arm. »Er erwidert Eure Gefühle aufrichtig. Deshalb spielt es keine Rolle, daß er ein Kelte ist und Ihr Römerin seid!«

Cornelia lächelte ihre Sklavin an.

»Selbst wenn ich sie nicht ausspreche, kennst du meine Gedanken.«

In diesem Moment klopfte jemand laut und ungeduldig an die Haustür. Ein Sklave öffnete, und kurz darauf erfüllte die herrische Stimme einer Frau das Haus. Cornelia fühlte sich, als ob der Boden unter ihren Füßen wankte. Natürlich hatte ihr Marcus Brennius alles über das Selbstgespräch von Gaius erzählt, das er mit angehört hatte. Doch sie hatte in den letzten Tagen weder an den dunkelhaarigen Offizier noch an den Brief gedacht, den er hatte schreiben wollen.

»Bei den Göttern, meine Mutter ist aus Aquae Sulis zurückgekehrt!«

»Aber weshalb, Herrin? Sie wollte doch erst im August wiederkommen!« Die Sklavin wirkte ebenso entsetzt wie Cornelia.

»Darauf gibt es nur eine Antwort: Gaius hat ihr geschrieben!« Allmählich wich Cornelias Schrecken dem Zorn. Wie konnte er es wagen, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen? »Komm, Sylvia, wir müssen meine Mutter begrüßen!«

Sie erhoben sich rasch und eilten in die Halle.

Octavia Julia war in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Frau. Sie war schlank und für eine Römerin ungewöhnlich groß. Ihre scharfe Nase, das energische Kinn und ihre strengen, braunen Augen zeugten von ihrem starken Willen. Obwohl sie keine Schönheit war, blickten ihr auf der Straße Männer und Frauen nach; die einen bewundernd, die anderen voller Neid.

Denn Octavia Julia verwendete viel Zeit und Geld für die Pflege ihres Körpers und war stets bemüht, auch in Eburacum die neueste römische Mode zu tragen.

»Die Truhen kommen ins Schlafgemach!«

»Willkommen zu Hause, Mutter!« Cornelia bemühte sich, ihren Ärger zu verbergen und erfreut zu erscheinen. »Wir haben dich nicht vor August zurückerwartet. Es ist doch hoffentlich nichts geschehen?«

»Ich hatte ...« Das Geräusch einer fallenden Kiste ließ Octavia wütend herumfahren. »Kannst du nicht aufpassen, du vertrottelter, alter Narr? Sieh nur, was du angerichtet hast!«

Eilig sammelte der alte Sklave die Kleidungsstücke wieder ein, die aus der Truhe gefallen waren.

»Sorge dafür, daß er zwanzig Peitschenhiebe erhält!« befahl Octavia einem anderen Diener und glättete vorsichtig ihre kunstvolle Frisur. Nur der aufmerksame Beobachter erkannte, daß ihr schwarzes Haar gefärbt war, um graue Strähnen zu überdecken. Dann wandte sie sich wieder ihrer Tochter zu. »Ich träumte, daß dir etwas zugestoßen ist. Ich war deshalb so beunruhigt, daß ich mich sofort zur Rückkehr entschloß!«

»Das war nicht nötig, Mutter. Es ist nichts geschehen!«

»Wirklich, Cornelia?« Octavia hob eine ihrer sorgfältig gezupften Augenbrauen.

Der forschende Blick überzeugte Cornelia davon, daß es klüger war, die Wahrheit zu erzählen. Wer konnte ahnen, was Gaius ihr geschrieben hatte?

»Ich hatte vor einiger Zeit einen kleinen Unfall. Es ist nichts Schlimmes passiert ...«

»So? Da kann ich also den Göttern dankbar sein, daß sie mir den Traum geschickt haben. Sonst hätte ich bis heute nichts davon erfahren!«

Cornelia schluckte die bissige Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Ihre Mutter brauchte schließlich nicht zu erfahren, daß sie von dem Brief wußte.

»Vielleicht erzählst du mir jetzt, was geschehen ist?«

Cornelia berichtete ausführlich von dem Unwetter und den römischen Soldaten, die im richtigen Augenblick vorbeikamen. Nur beiläufig erwähnte sie, daß einer der keltischen Gefangenen sie aus den Trümmern der Kutsche befreit hatte.

»Ich hatte mir zwar das Bein gebrochen, aber es ging mir gut. Deshalb haben Vater und ich entschieden, dich nicht wegen dieser Kleinigkeit aus Aquae Sulis zurückzuholen!«

»Allmählich sollte ich mich daran gewöhnt haben, daß dein Vater nicht in der Lage ist, die richtige Entscheidung zu treffen. Aber es regt mich immer wieder auf!« Octavia wandte sich an die Sklavin, die dicht bei ihr stand. »Claudia, ich nehme ein Bad! Nach dem, was ich soeben hören mußte, brauche ich Entspannung. Außerdem bin ich erschöpft von der Reise. Was man hier in Britannien Straßen nennt, wäre in Latium bestenfalls ein Weg für Viehtreiber!«

»Hast du dich in Aquae Sulis erholt, Mutter?« Cornelia versuchte das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

»Leidlich. Es ist natürlich nicht Ischia, aber für britannische Verhältnisse annehmbar. Leider fahren jetzt auch schon Kelten hin! Natürlich nur vornehme, wohlhabende Familien, die sich bemühen, römische Bildung anzunehmen.« Sie streifte ihren Reisemantel von den Schultern und ließ ihn fallen. Die Sklavin, an das Verhalten ihrer Herrin gewöhnt, fing das Kleidungsstück auf, bevor es den Boden berührte. »Aber du kennst die Kelten. Sie sind rückständige Barbaren.«

Cornelia runzelte unwillig die Stirn.

»Es gibt in jedem Volk Menschen von gutem und von schlechtem Charakter. Ich finde ...«

Octavia unterbrach ihre Tochter mit einer Geste.

»Laß uns nicht am Tag meiner Ankunft über Nichtigkeiten streiten!« Sie wandte sich zum Gehen. »Dieser Kelte hat dir keine Gewalt angetan und auch nicht versucht, dich zu töten, um dein Blut zu trinken? Das ist erstaunlich! Vielleicht sollte ich ihm aus Dankbarkeit dafür ein Fest ausrichten. Ich habe gehört, daß die Kelten das für eine angemessene Belohnung halten. Was hältst du davon?«

Obwohl Octavia ihr den Rücken zukehrte, konnte Cornelia das boshafte Lächeln erahnen. Offensichtlich wußte ihre Mutter von dem Beltaine-Fest und versuchte, ihr eine Falle zu stellen. Sie mußte vorsichtig sein, um sich nicht zu verraten!

»Cornelia? Ich warte auf deine Antwort.«

Octavia drehte sich um und sah ihre Tochter mit unschuldiger Miene an. Doch Cornelia entging weder das hinterlistige Funkeln in den braunen Augen noch das spöttische Zucken der Mundwinkel. Mühsam bewahrte sie ihre Fassung, obwohl sie innerlich vor Wut kochte. Verfluchter Gaius!

»Warum nicht? Es wäre eine großzügige Geste von dir!«

»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen!« Octavia ging zum Bad. »Ich nehme an, daß dein Vater aus Freude über meine Heimkehr ein Gastmahl geben wird. Sorge dafür, daß die Vorbereitungen getroffen werden, Cornelia!«

»Selbstverständlich, Mutter!«

Während bereits Sklaven in die Küche liefen, um den Befehl auszuführen und die Speisen zuzubereiten, sah Cornelia der davonschreitenden Octavia mißmutig nach. Ihre Mutter würde sie in der nächsten Zeit kaum aus den Augen lassen. Das erschwerte aber die Treffen mit Duncan erheblich. Sie mußte sich etwas einfallen lassen! Cornelia seufzte tief.

»Schicke einen der Küchenjungen zu meinem Vater, damit er sich auf die Anwesenheit meiner Mutter vorbereiten kann, Sylvia! In Zukunft müssen wir doppelt so vorsichtig sein wie bisher! Wer weiß, wo Gaius überall seine Schnüffler hat. Und was er weiß, erfährt auch meine Mutter!«

Cornelia bebte vor Zorn. Ihr war nicht bewußt, daß der Fluch, den sie zornig hervorstieß, ein keltischer Fluch war.

Am darauffolgenden Tag betrat Gaius Lactimus das Haus von Vergilius. Ein Diener führte ihn sofort in das Schreibzimmer, wo ihn bereits Octavia Julia erwartete. Aufmerksam sah sie den muskulösen, dunkelhaarigen Offizier an. Es war noch früh am Morgen, und Lactimus waren die Spuren seines nächtlichen Dienstes deutlich anzusehen. Bartstoppeln warfen dunkle Schatten auf seine Wangen, und die braunen Augen waren blutunterlaufen. Nur mühsam unterdrückte er ein Gähnen.

»Setzt Euch!« Aus dem Mund Octavias klangen diese Worte mehr nach einem Befehl als nach einer freundlichen Aufforderung. Ohne Umschweife begann sie das Gespräch. »Wie Ihr seht, habe ich Euren Brief erhalten, Gaius. Ihr habt jedoch vergessen, den Schwur zu erwähnen.«

»Welchen Schwur? Davon weiß ich nichts!«

»Nun, bei unserem gemeinsamen Mahl spät am gestrigen Abend erzählte Cornelia, daß sie aus Dankbarkeit über ihre Rettung den Göttern geschworen hat, jeden Abend den Kelten Nahrungsmittel zu bringen.«

»Es ist wahr, daß Cornelia täglich in den Kerker geht. Aber erst seit der Verhandlung über den Silurer, von der ich Euch geschrieben habe.«

Octavia hob ihre Augenbrauen. Plötzlich hatte sie den Verdacht, daß ihre Tochter den Eid erst am Abend zuvor geleistet hatte.

»Höchst interessant, Gaius. Was ist mit dem Kelten?«

»Er ist ein wilder, gefährlicher Bursche, die Rebellion liegt ihm im Blut. Ich hatte die Befürchtung, daß sich Cornelia von ihm einwickeln ließ. Ihr wißt, daß ich Zeuge war, als sie ihn geküßt hat. Eine weichherzige, junge Frau wie Eure Tochter ist von einem exotischen Mann leicht zu beeindrucken. Doch ihr heiliger Eid erklärt natürlich hinreichend ihre täglichen Besuche im Kerker.«

Octavia hob spöttisch ihre Augenbrauen.

»Glaubt Ihr? Ich bin eher der Ansicht, daß die Gefahr größer ist, als ich befürchtet habe! Ich verstehe allerdings nicht, weshalb Ihr mich nicht eher benachrichtigt habt!«

Der Offizier errötete. »Ich habe nicht gedacht, daß ...«

Octavia unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Geste.

»Es nützt jetzt kein Herumreden mehr! Wir können nur hoffen, daß es noch nicht zu spät ist, etwas zu unternehmen!«

»Was soll ich tun?«

»Ihr werdet Cornelia fortan in den Kerker begleiten, Gaius. Laßt sie nicht aus den Augen! Außerdem werde ich dafür sorgen, daß Ihr viel Zeit für Cornelia habt. Bringt ihr Geschenke, unterhaltet Euch mit ihr, geht mit ihr spazieren! Sorgt dafür, daß sie den bluttrinkenden Barbaren vergißt!« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Und nun geht. Wir sehen uns heute abend zum Essen, Ihr seid unser Gast. Aber zu niemandem ein Wort von dem Brief oder unserer Unterredung!«

»Ich versichere Euch, daß ich verschwiegen sein werde. Cornelias Wohl liegt mir ebenso am Herzen wie Euch!«

Gaius erhob sich und verbeugte sich höflich, bevor er das Haus verließ.

Octavia sah ihm lächelnd nach. Auf ihre Art mochte sie den Offizier. Im Gegensatz zu ihrem Mann und ihrem verstorbenen Schwiegersohn war er ehrgeizig. Mit der richtigen Frau an seiner Seite stand Lactimus eine aussichtsreiche Karriere bevor. Daß er ausgerechnet Cornelia für die richtige Frau hielt, konnte Octavia nur recht sein. Für sie war die Ehe zwischen Gaius Lactimus und ihrer Tochter bereits beschlossene Sache, auch wenn Cornelia davon noch nichts wußte.

Octavias Gedanken kehrten von Zukunftsvisionen zurück in die Gegenwart, und unwillkürlich runzelte sie die Stirn. Sie kannte ihre Tochter gut genug, um zu wissen, daß der ›Schwur‹ allenfalls ein Vorwand, aber sicher nicht der eigentliche Grund für Cornelias Besuche bei den Kelten war. Sie hatte in Aquae Sulis junge, hochgewachsene und gutgebaute keltische Männer gesehen, deren Charme man sich nicht entziehen konnte. Doch Cornelia hatte noch nie den Sinn für erotische Abenteuer. Wenn sie sich für einen Mann interessierte, dann war es ernst! Octavia verzog ihre rot geschminkten Lippen zu einem gefährlichen Lächeln. Vielleicht mußte man diesen Gefangenen auf die Reise zu seinem nächsten Leben schikken, wenn andere Maßnahmen nichts nützten. Denn niemand durchkreuzte die Pläne einer Octavia Julia. Kein Römer – und schon gar kein Kelte!

Die letzten Söhne der Freiheit

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