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Der Sturm heulte durch die Wipfel der Bäume und bog die Kronen fast bis zum Boden. Blitze zuckten aus den tiefschwarzen Wolken, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. In dem Steinbruch, der etwa zwei Wegstunden von Eburacum entfernt lag, saßen keltische Gefangene gemeinsam mit ihren römischen Bewachern dicht gedrängt in einer Höhle, die Schutz vor dem Unwetter bot.

Antonius Grassius, ein bereits ergrauter Soldat, sah mit finsterer Miene dem Naturschauspiel zu.

»Wenn dieser verfluchte Sturm nicht bald nachläßt, können wir die Nacht hier verbringen! Es wird in drei Stunden dunkel!«

Sein Freund, ein junger, schwarzhaariger Mann, der den Beinamen Sicilianus trug, zog fröstelnd die Schultern hoch. »In meiner Heimat blühen jetzt die Orangenbäume!« sagte er leise.

»Das sind die Iden des April in Britannien, Flavius! Daran wirst du dich gewöhnen müssen!« Grassius spie auf den Boden. »Ich hasse dieses verfluchte Land! Entweder macht das Wetter uns das Leben schwer, oder es sind die Kelten. Meistens geschieht sogar beides gleichzeitig! Während der Kaiser in Rom sich eines wunderbaren Lebens erfreut, halten wir hier am Ende der Welt für ihn den Kopf hin. Und wofür? Für ein jämmerliches Stück Land, auf dem wir unsere von der Feuchtigkeit gichtgeplagten, schmerzenden Knochen ausruhen können.« Er spuckte wieder aus.

»Aber wir dürfen heiraten und eine Familie gründen, sobald wir im Ruhestand sind!«

Grassius lächelte bitter.

»Wenn wir in den Ruhestand gehen, Flavius, sind wir bereits so alt, daß nicht einmal die Huren etwas von uns wissen wollen! Sieh dir doch Brennius an! Statt seinen Ruhestand zu genießen, ist er jetzt Befehlshaber der Stadtkohorten. Und weißt du, warum?«

Der junge Soldat schüttelte den Kopf.

»Weil er nicht weiß, was er mit seiner Zeit anfangen soll! Wenn du in die Legion eintrittst, dann ist die Legion dein Zuhause, deine Familie, dein Leben. Und du wirst sie nicht eher wieder los, bis du deine Reise zur Unterwelt antrittst!«

»Das klingt nach Rebellion, Grassius!« Die rauhe Stimme von Claudius Publicus, dem Zenturio, ließ beide Männer herumfahren. »Ich könnte mir vorstellen, daß deine Worte ein Nachspiel haben werden!«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst!« Grassius versuchte, seiner Stimme einen empörten Klang zu geben. Publicus war für seine Grausamkeit und Niedertracht bekannt. Der Zenturio liebte es, die keltischen Gefangenen zu mißhandeln, und hatte Freude daran, Kameraden zu denunzieren. Grassius’ Worte verfehlten ihre Wirkung, und Publicus grinste höhnisch.

»Dann wird die Peitsche heute abend wohl deinem Gedächtnis auf die Beine helfen müssen!«

Er ließ die beiden Soldaten stehen, auf seinem von Narben entstellten Gesicht lag ein boshafter, zufriedener Ausdruck. Es verzog sich jedoch plötzlich zu einer Grimasse, als er nach wenigen Schritten den Boden unter den Füßen verlor und in hohem Bogen in den Schlamm vor dem Höhleneingang stürzte.

Duncan lag in der Nähe und hatte das Gespräch zwischen den Soldaten mitgehört. Er hatte zwar kein Mitleid mit Flavius und Antonius, aber in diesem Augenblick empfand er für die beiden Männer Sympathie. Publicus war ein dummer, widerlicher Kerl, dessen Grausamkeiten er oft genug am eigenen Leib zu spüren bekam. Als der Zenturio nun selbstzufrieden dicht an ihm vorbeiging, nutzte Duncan seine Chance. Er streckte seine Beine etwas weiter aus und wickelte die Fußkette um die Knöchel des Römers, so daß er zu Fall kam.

Die Kelten brachen in schallendes Gelächter aus, und auch die beiden Soldaten konnten ihre Schadenfreude nur mühsam bezähmen.

Publicus sprang wütend hoch. Augenblicklich waren alle Männer still. Außer sich vor Zorn blickte er sich unter den Gefangenen um, die jedoch mit keiner Miene den Schuldigen verrieten. Er konnte sich zwar denken, wer ihn zu Fall gebracht hatte. Doch selbst als Zenturio würde er für die Bestrafung dieses Mannes Beweise brauchen. Ein Blick zu Flavius und Antonius überzeugte ihn davon, daß er von den beiden keine Hilfe erwarten konnte – was ihn nur noch wütender machte. An Duncan würde er sich auch später rächen können. Fast von Sinnen brüllte er die Soldaten an:

»Was steht ihr da herum? Los, bewegt euch! Macht die Gefangenen zum Abmarsch bereit! Wir kehren nach Eburacum zurück!«

»Was denn, jetzt?! Aber der Sturm ...«

»Spreche ich hebräisch? Ich sagte, wir machen uns sofort auf den Weg!« Die Stimme des Zenturio überschlug sich.

Ratlos sahen sich Flavius und Antonius an. Dann zuckten sie resigniert mit den Achseln.

»Wir sollten tun, was dieser Sklaventreiber befiehlt!« Über Antonius’ Gesicht huschte ein Lächeln. »Duncan hat etwas gut bei mir! Sollte er jemals einen Fluchtversuch wagen, während ich Wache halte, werde ich ihn bestimmt nicht sehen!«

Etwa zur selben Zeit fuhr eine überdachte Reisekutsche die Straße nach Eburacum entlang. Unbarmherzig trieb der Sklave auf dem Kutschbock die bereits schwer atmenden Pferde zu noch schnellerem Lauf an.

Im Inneren des Wagens saß Cornelia Vergilia, die Tochter des Verwalters von Eburacum. Schaudernd beobachtete sie das Unwetter. Der Donner übertönte das Geräusch des strömenden Regens und der Hagelkörner auf dem Dach der Kutsche. Durch die schmalen Schlitze in der Holzverkleidung trieb der Wind den Regen in das Wageninnere. Fröstelnd zog Cornelia ihren aus feiner weißer Wolle gewebten Umhang enger um die Schultern.

Kaum die passende Kleidung für dieses Wetter! dachte sie und sah zu der ihr gegenübersitzenden Sklavin, die einen dikken Wollmantel mit Kapuze trug. Sylvia hatte sie vor dem aufziehenden Sturm gewarnt und sie angefleht, nicht auf das entlegene Landgut einer Freundin zu fahren, sondern in Eburacum zu bleiben. Doch sie hatte Sylvia mit einem Blick zum strahlendblauen Himmel ausgelacht.

»Ich hätte auf dich hören sollen, Sylvia!« schrie Cornelia, um das Unwetter zu übertönen.

Die Sklavin nickte.

»Hoffentlich schaffen wir es bis Eburacum, Herrin! Der Sturm fängt erst an!«

Beide Frauen kauerten sich in die Kissen der Sitzbänke, als der Wind heftiger wurde und an der Holzverkleidung der Kutsche rüttelte.

Plötzlich war ein lautes Krachen zu hören, das den Donner übertönte. Der Wagen stoppte so abrupt, daß Cornelia vom Sitz fiel. Sie hörte das ängstliche Wiehern der Pferde und die Schreie ihrer Sklavin. Einen Lidschlag später begann sich die Welt immer schneller zu drehen. Cornelia stieß mit dem Kopf hart gegen die Holzverkleidung, als sich die Kutsche überschlug und einen Abhang hinunterstürzte. Noch bevor der Wagen gegen einen Felsen prallte, verlor sie das Bewußtsein.

Marcus Brennius saß in seinem Zimmer im Justizgebäude am Schreibtisch. Der Sturm rüttelte an den schweren Fensterläden, peitschte den Regen gegen das Holz und übertönte das Kratzen des Federkiels auf dem Papyrus. Der Raum war nur von wenigen Lampen schwach erhellt. Fast lautlos öffnete sich die Tür, doch der Luftzug ließ die Talglichter flackern. Ohne aufzublicken, wußte Brennius, daß sein keltischer Diener den Raum betreten hatte.

»Was gibt es Ceallach?«

»Der Sturm schwillt an, Herr!«

»Es war töricht, die Kelten an diesem Tag im Steinbruch arbeiten zu lassen!« Brennius sah kurz auf. »Aber der Befehl des Frontinus lautet, daß die Bauvorhaben um nichts in der Welt unterbrochen werden dürfen. Auf den Baustellen der Stadt fehlen Steine!«

»Verzeiht, aber für die ehrgeizigen Pläne eines einzelnen müssen viele Männer leiden! Es ist gefährlich, sich heute im Freien aufzuhalten!«

Brennius sah den Kelten an, der dem Toben des Unwetters zu lauschen schien. Ceallach war etwas älter als er selbst. Er war römisch gekleidet, und sein dunkles, mit silbernen Fäden durchsetztes Haar war kurz geschnitten. Er sprach das Latein eines gebildeten Mannes, und Brennius wußte, daß er auch lesen und schreiben konnte. Er war hoch gewachsen, ging jedoch leicht gebeugt, als ertrüge er es nicht, seinen Herrn um Haupteslänge zu überragen. Dennoch hatte Brennius oft das unbestimmte Gefühl, daß seinen Diener ein Geheimnis umgab. Da war etwas in den grauen Augen des Kelten, das ihm Ehrfurcht einflößte.

»Befehl ist Befehl, Ceallach! Wenigstens konnte ich die Zahl des Arbeitstrupps auf zehn Gefangene reduzieren. Die anderen sind heute in der Stadt beschäftigt.« Brennius seufzte. »Das ist alles, was ich für sie tun konnte.«

Er tauchte den Federkiel erneut in das Tintenfaß und setzte seine Arbeit fort.

»Ihr schreibt wieder an Vergilius wegen des Silurers?«

»Ja. Seit Aufnahme meines Amtes als Befehlshaber der Stadtkohorte schreibe ich zu jeder Kalenda diesen Brief und ersuche um die Versetzung zu einer seiner Herkunft angemessenen Arbeit. Dies ist inzwischen das neunte Schreiben! Bisher erhielt ich keine Antwort. Ich vermute keine böse Absicht dahinter. Wahrscheinlich verschwindet mein Schreiben jeden Monat unter einem Stapel, und Vergilius hat noch keines von ihnen gelesen!«

Ceallach lächelte.

»Und dennoch setzt Ihr Eure Bemühungen fort?«

»Ja, weil er irgendwann diesen Brief lesen muß!« Brennius schlug mit der Faust auf den Tisch. »Er muß einfach!«

»Weshalb kümmert Ihr Euch um das Schicksal dieses Jungen?«

»Ich weiß es selbst nicht, Ceallach!« Brennius lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. Leise sprach er weiter. »Ich bin mehr als fünfundzwanzig Jahre lang Soldat gewesen. Ich habe in den Schlachten viel Leid, Tapferkeit, Stolz und Haß gesehen. Aber da war etwas in seinem Blick ...«

Er schwieg einen Moment. »Er verdient es nicht, in den Steinbrüchen einen langsamen, qualvollen Tod zu sterben! Ich habe gehofft, als Offizier der Stadtkohorte etwas für ihn tun zu können. Doch mir sind die Hände gebunden!«

»Eines Tages werden Eure Bemühungen Erfolg haben, Herr!«

Brennius sah das eigentümliche, zuversichtliche Lächeln des Dieners. Manchmal wurde er aus ihm nicht schlau. Ratlos zuckte er mit den Achseln und beendete sein Schreiben.

Als Sylvia aus ihrer Ohnmacht erwachte, hatte sich der Sturm gelegt. Ihr Kopf schmerzte, und sie hatte Schwierigkeiten, sich an das Geschehene zu erinnern. Erst allmählich kehrte ihr Gedächtnis zurück.

»Herrin, wo seid Ihr?«

Sie erhielt keine Antwort.

Mühsam kletterte Sylvia aus den Trümmern und begann mit der Suche nach Cornelia. Schließlich fand sie ihre Herrin, eingekeilt unter den Trümmern der Sitzbank. Blut floß von ihrer Schläfe über das Gesicht. Sie atmete schwer.

»Herrin, so sagt doch etwas!«

Verzweifelt versuchte die Sklavin, die Trümmer beiseite zu schaffen, um Cornelia zu befreien. Doch schon bald mußte sie einsehen, daß ihre Kräfte dafür nicht ausreichten. Weinend sank sie in die Knie.

»Ihr Götter, ich flehe Euch an! Rettet Cornelias Leben!«

Schluchzend bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. Dann glaubte sie plötzlich, über sich von der Straße her Stimmen zu hören. Augenblicklich kämpfte sie sich den Abhang empor.

»Hilfe! Geht nicht vorbei! Helft mir!«

Die Soldaten trieben die Gefangenen zurück nach Eburacum. Es regnete noch immer in Strömen, doch der Wind hatte sich gelegt, und das Gewitter war vorüber. Innerhalb kurzer Zeit waren alle bis auf die Haut durchnäßt. Hinter einer Wegbiegung versperrten die Wurzeln einer mächtigen Eiche ihnen den Weg. Der Baum war halb einen Abhang heruntergestürzt und hatte im Fallen mehrere Sträucher mitgerissen. Die Wurzeln hatten die Straße aufgewühlt. Die großen Steinquader der Via Eburacum lagen überall verstreut, und zu Füßen der Pferde gähnte ein tiefes Loch.

»Bei Mithras!« rief Publicus aus. »Hat sich denn heute alles gegen uns verschworen? Einige der Gefangenen sollen den Baum zur Seite schaffen!«

Plötzlich hörten sie vom Ende des Abhangs eine schwache Stimme.

»Hilfe!«

Eine junge Frau erklomm mühsam die steile Böschung. Ihr rotes Haar war zerzaust, ihr Kleid zerrissen, das Gesicht und die Arme schlammbedeckt und zerkratzt. Sie taumelte auf den Zenturio zu.

»Ihr müßt mir helfen!« stammelte sie weinend. »Unsere Kutsche ist den Abhang hinuntergestürzt. Meine Herrin ist verletzt! Ich konnte sie nicht allein befreien!«

Publicus blickte den Abhang hinunter. Zwei Pferde lagen mit gebrochenem Genick und verrenkten Gliedern auf den Felsen. Ein Mann, offensichtlich der Kutscher, war halb von Schlamm und dem mächtigen Stamm der Eiche begraben. Der Wagen selbst war größtenteils zerborsten, die Trümmer lagen verstreut in einem Umkreis von vielleicht hundert Fuß. Der Hang war sehr steil. Jeder Fehltritt konnte eine Schlammlawine auslösen. Nachdenklich rieb sich Publicus das Kinn.

»Das ist verflucht gefährlich, und wir haben kein Seil dabei!«

»Aber Ihr müßt mir helfen, sonst wird meine Herrin sterben!«

Publicus sah sich hilfesuchend um, bis sein Blick auf Duncan fiel. Ein boshaftes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Wir werden dir helfen, Weib!« Er winkte einen der Soldaten zu sich. »Nehmt Duncan die Ketten ab, er soll hinuntersteigen!«

Augenblicklich wurde der Befehl ausgeführt. Rasselnd fielen die Ketten zu Boden. Duncan rieb seine von den enganliegenden Fesseln steifen Handgelenke.

»Tu es nicht!« raunte Dougal ihm zu. »Er will dich töten! Ein falscher Tritt, und du wirst unter Schlamm begraben!«

»Ich weiß!«

»Wird’s bald? Mach endlich, daß du hinunterkommst!«

Duncan trat an den Abhang und blickte hinunter. Etwa hundert Meter tief und stellenweise fast senkrecht fiel der mit Schlamm und Geröll bedeckte Hang ab. Felsbrocken ragten aus dem Erdreich hervor. Vielleicht konnte er diese als Stufen benutzen? Wenn jedoch einer von ihnen unter seinem Gewicht nachgeben sollte, würden ihm die Schlamm- und Geröllmassen die Glieder zerschmettern.

Es gibt schlimmere Arten zu sterben! dachte er und sah Publicus spöttisch lächelnd in die Augen, bevor er mit dem Abstieg begann.

Die drei Soldaten traten dicht an den Abgrund und sahen Duncan zu, der geschickt und leichtfüßig von einem Stein zum nächsten kletterte.

»Ich weiß nicht, ob es klug war, ihm die Fesseln abzunehmen, Claudius!«

»Wieso nicht? Mit etwas Glück bricht sich der Bastard den Hals, und wir sind ihn los!«

»Wenn er jedoch die Gelegenheit nutzt und flüchtet?«

»Dann wird seine Familie das zu spüren bekommen. Er soll eine sehr hübsche Schwester haben, und die Legionäre in Caerleon wären sicherlich froh über etwas Abwechslung!«

Publicus lachte hämisch.

Duncan erreichte nach kurzer Zeit die Kutsche, in deren Trümmern die Frau lag. Er keuchte vor Anstrengung, als er Bretter und schmutzige Kissen zur Seite räumte. Endlich hatte er die Römerin befreit. Ihr dunkles Haar war schlammverkrustet und hing in wirren Strähnen in das bleiche, blutüberströmte Gesicht. Vorsichtig strich Duncan die Haare zurück, um ihren Kopf zu untersuchen.

Cornelia erwachte, als sie Hände auf ihrem Gesicht spürte. Sie schlug die Augen auf und sah einen jungen Mann, der sich über sie beugte. Wasser tropfte aus den beiden Zöpfen an seinen Schläfen, die ihm sein langes Haar aus dem Gesicht halten sollten. Sein kurzärmeliges Hemd und die weite, blaugefärbte Hose klebten vor Nässe eng an seinem Körper. Massive goldene Reife schmückten seine Oberarme und seinen Hals. Cornelia erschrak und wollte schreien, doch der Mann legte ihr einen Finger auf die Lippen. Cornelia verstand seine Worte nicht, aber seine Stimme hatte einen angenehmen, beruhigenden Klang. Trotzdem hatte sie Angst. Sie dachte an die Geschichten, welche man ihr über die Kelten erzählt hatte. Sie war allein, weit entfernt von Eburacum. Es waren keine römischen Soldaten in der Nähe, um sie zu beschützen. Sie war dem Kelten hilflos ausgeliefert! »Was ist geschehen? Warum bin ich hier?«

Cornelia war überrascht, als ihr der Kelte auf lateinisch antwortete. Er hatte einen starken, singenden Akzent und sprach langsam, als müßte er erst nach den Worten suchen.

»Du hattest einen Unfall. Der Wagen ist von einem Baum in die Tiefe gerissen worden.« Er machte eine Pause. »Hast du Schmerzen?«

»Ich weiß nicht! Eigentlich fühle ich nichts. Mir ist nur furchtbar kalt!«

Behutsam tastete er Cornelia ab. Als er jedoch ihren rechten Unterschenkel berührte, schrie sie vor Schmerz auf.

Eine Stimme brüllte etwas hinunter, und der junge Mann antwortete auf keltisch:

»Wer war das?«

»Der Zenturio.«

»Dort oben sind römische Soldaten? Warum kommen sie nicht herunter, um mich zu holen? Warum ...«

»Warum schicken sie einen Wilden, der dich vergewaltigen oder töten könnte, oder vielleicht auch beides?« Die blauen Augen des Kelten blitzten spöttisch, und Cornelia wurde bei seinen Worten bleich. »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe kein Interesse an dir!«

Cornelia war sich nicht sicher, ob sie erleichtert sein oder sich über die Antwort ärgern sollte. Der Kelte nahm ihren Fuß in beide Hände und drehte ihn vorsichtig im Gelenk. Erneut schrie Cornelia auf.

»Dein Bein ist gebrochen, ich werde es schienen müssen!«

Er blickte sich nach geeignetem Material um. Schließlich fand er zwei Radspeichen, die lang genug waren. Nervös beobachtete Cornelia, wie der Kelte mit seinen schlanken Händen den Stoff eines der Kissen in Streifen riß.

»Du sprichst ausgezeichnet lateinisch«, bemerkte sie, verlegen darum bemüht, ein Gespräch aufrechtzuerhalten. »Ich wußte nicht, daß ihr Kelten unsere Sprache beherrscht!«

»Ihr Römer haltet uns Kelten für ungebildet und einfältig. Aber eure Sprache ist so einfach, daß sie auch ein keltischer Greis noch erlernen könnte. Und für meine Ohren ist sie etwas klanglos, ohne Feuer und ohne Herz!«

Der beißende Spott in seiner Stimme ließ Cornelia erröten.

»Es tut mir leid, ich wollte ...«

»Sei jetzt lieber still! Ich muß dir jetzt weh tun!«

Er schob Cornelia ein Stück Holz zwischen die Zähne und machte sich ans Werk. Sie schrie und wand sich vor Schmerz, als er die Knochen ihres Unterschenkels richtete. Tränen liefen ihr übers Gesicht, und ihr wurde übel. Als er jedoch begann, die Speichen an ihrem Bein zu befestigen, ließ der Schmerz nach und wurde erträglicher.

»Jetzt wird es schwierig! Wir müssen wieder hinauf!«

»Der Zenturio weiß nicht, daß du lateinisch sprichst?«

»Richtig!« Vorsichtig hob er sie vom Boden hoch. »Von mir wird er es bestimmt nicht erfahren, darauf gebe ich dir mein Wort!«

»Wir werden sehen!«

»Du traust mir nicht, nicht wahr?«

»Ich habe keinen Grund, den Römern zu vertrauen!«

Cornelia erschrak über die plötzliche Bitterkeit in der Stimme des Kelten.

»Warum ...«

»Hör endlich auf, Fragen zu stellen! Halte dich lieber an mir fest! Sonst liegen wir beide schneller, als du denken kannst, mit zertrümmertem Schädel am Fuße dieses Abhangs.«

Cornelia schlang ihre Arme um den Hals des jungen Mannes und schwieg. Während er langsam, jeden Schritt sorgfältig erwägend, hochstieg, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Sie spürte, wie sein Herz immer schneller schlug und seine Muskeln vor Anstrengung zitterten.

Als sie endlich auf der Straße ankamen, wußte Cornelia kaum, wie ihr geschah. Ehe sie sich versah, saß sie auf dem Pferd des Zenturio. Sylvia dankte weinend den Göttern für ihre Rettung und bestürmte sie mit Fragen. Doch Cornelia hörte nicht zu.

Der junge Kelte wurde freudig von den seinen empfangen. Die Ketten, mit denen die Männer an Handgelenken und Knöcheln aneinandergefesselt waren, rasselten, als sie ihm auf die Schulter schlugen. Dann trat er mit ausgestreckten Händen auf einen der Legionäre zu. Sein Kopf war stolz erhoben, als sich die Fesseln um seine Handgelenke schlossen. Cornelia fühlte, wie ein glühender Schmerz ihr Herz durchdrang, als er zu den anderen Gefangenen gestoßen und mit ihnen zusammengekettet wurde. Dann trafen sich ihre Blicke. »Habt Ihr Schmerzen?« fragte Sylvia besorgt, als sie die Tränen auf dem Gesicht ihrer Herrin bemerkte.

Cornelia nickte stumm.

»Sobald wir zu Hause sind, werden wir nach dem Arzt schicken. Er wird Euch eine Medizin geben, und dann werden die Schmerzen bald vergessen sein!«

»Vielleicht ...«

Die Dämmerung brach bereits herein, als die Kelten endlich wieder in ihrem Verlies waren. Erschöpft vom Sturm, naß und hungrig sanken sie zu Boden. Duncan schloß müde die Augen. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte. Trotzdem lag ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht. Und als er wenig später einschlief, träumte er von schönen rehbraunen Augen.

Die letzten Söhne der Freiheit

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