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Die Tage gingen dahin. Die Iden des Mai brachten Sonnenschein und Wärme, die den ganzen Monat anhielt. Überall auf den Ländereien um Eburacum und in den Gärten der Stadt blühten die Obstbäume und versprachen eine reiche Ernte.

Cornelia führte ein für sie ungewohnt stilles Leben. Ihre Mutter hielt sich immer noch in Aquae Sulis auf, und ein Brief hatte angekündigt, daß sie nicht vor Ende Juli an eine Rückkehr nach Eburacum dachte. Ihr Vater nutzte die Freiheit, die ihm durch die Abwesenheit seiner Frau Octavia Julia geschenkt wurde, auf seine Weise. Täglich sprach er dem Wein mehr zu, als für ihn gut war, und den größten Teil des Tages verbrachte er in seinem Schlafgemach. Wegen ihres immer noch schmerzenden Beins konnte Cornelia das Haus nur selten verlassen, und ihre Freundinnen verbrachten den Sommer auf entlegenen Landgütern, so daß sie nicht oft nach Eburacum kamen. Selbst die Besuche von Gaius Lactimus waren selten geworden. Die umfangreichen Bauarbeiten in der Stadt ließen ihm wenig Zeit, da er für die Beaufsichtigung der keltischen Gefangenen verantwortlich war. Doch Cornelia vermißte weder den dunkelhaarigen Offizier noch die Plaudereien ihrer Freundinnen über die Vorzüge gewisser junger Männer und die Möglichkeiten einer vielversprechenden Ehe. Ihre Zeit war damit ausgefüllt, die keltische Sprache zu lernen. Mit unerschütterlicher Geduld erklärte Sylvia ihr die Begriffe des täglichen Lebens und verbesserte ihre Aussprache. Und wenn die Sklavin müde wurde, studierte Cornelia heimlich sämtliche Schriftstücke, die mit jenem blonden Kelten zusammenhingen, der vor nicht ganz einem Jahr von Frontinus als Geisel nach Eburacum gebracht worden war. Niemand störte sie, wenn sie Stunden im Schreibzimmer ihres Vaters verbrachte, und noch nie war sie für die Vergnügungssucht ihrer Mutter und die Trunksucht ihres Vaters so dankbar gewesen.

Unbarmherzig brannte die Sonne auf die Kelten im Steinbruch nieder, Staub und Hitze machten ihnen die Arbeit zur Qual. Wegen der umfangreichen Bauarbeiten in der Stadt gingen allmählich die Steine zur Neige. Deshalb waren doppelt so viele Gefangene wie gewöhnlich im Steinbruch beschäftigt. Fast einhundertfünfzig Kelten arbeiteten auf Holzgerüsten in schwindelerregender Höhe, um mit ihren Hacken und Keilen jene rechteckigen Blöcke aus dem Fels zu schlagen, aus denen römische Villen, Tempel und Straßen errichtet werden sollten. Mühsam balancierten die Gefangenen auf den schmalen Brettern. Von ihren Ketten an Hand- und Fußgelenken zusätzlich behindert, trennte manchen nur eine Handbreit vom Abgrund. Die Arbeit war hart; die Sonne verbrannte die Haut, und der aufgewirbelte Staub dörrte die Kehle aus. Doch trotz der Hitze war es den Kelten nur zweimal während des Tages erlaubt, eine kurze Pause zu machen, um zu trinken.

Es war um die vierte Stunde, als Duncan und Dougal vorsichtig einen Korb an einem Seil hinunterließen. Zwei Männer nahmen den mit kopfgroßen Steinen gefüllten Weidenkorb entgegen. Während die Steine auf einen Ochsenkarren geladen wurden, kletterten Duncan und Dougal das Gerüst hinunter. Sie wischten sich den Schweiß von der Stirn, als sie zu dem Wasserfaß gingen, das zum Schutz gegen die Hitze unter einem überhängenden Fels stand. Zwei Soldaten bewachten das Faß und notierten jeden Gefangenen, der eine Pause machte.

»Bei den Göttern, welch eine Hitze!« stöhnte Dougal und trank gierig. Ihm waren die Strapazen deutlicher anzumerken als seinem zwanzig Jahre jüngeren Freund. Er reichte die Kelle an Duncan weiter, der sich zuerst das Wasser über den Kopf goß.

»Aber sie macht ihnen ebenso zu schaffen wie uns!« Duncan wies beim Trinken mit dem Kopf zu dem Zenturio, der unweit von ihnen aufmerksam die Gefangenen beobachtete. Schweiß lief über sein Gesicht, und seine Tunika unter dem Brustpanzer wies feuchte Flecken auf. »Publicus sollte aufpassen, daß sein Hirn unter dem Helm nicht geröstet wird.«

Die beiden Freunde lachten und erregten die Aufmerksamkeit des Zenturio. Wütend schrie er sie an, während er näher kam.

»Ihr zwei! An die Arbeit! Ihr wart lange genug untätig!«

Duncan goß sich erneut Wasser übers Gesicht und schüttelte den Kopf, so daß die Wassertropfen aus seinem langen Haar Publicus bespritzen.

»Bei Mithras, für diese Frechheit wirst du bezahlen!«

Publicus’ Gesicht verzerrte sich vor Zorn. Drohend hob er seinen eisenbeschlagenen Stock, doch mitten in der Bewegung hielt er inne.

Ein Donnern und Tosen übertönte die angstvollen Schreie der Gefangenen, unter ihren Füßen bebte die Erde. Erschrokken warfen sich Dougal, Duncan und Publicus zu Boden. Die Luft war plötzlich von feinem Staub erfüllt, so daß an Atmen kaum zu denken war.

Einen Wimpernschlag später war alles vorüber. Hustend und mühsam nach Luft ringend, richtete sich Duncan auf. Als sich die Staubwolke endlich gelegt hatte, wurde er kreidebleich. Innerhalb weniger Augenblicke hatte der Steinbruch sein Aussehen völlig verändert. Tonnen von Steinen und Erde waren die Felswand herabgestürzt und hatten eines der Holzgerüste mitsamt den darauf befindlichen Gefangenen unter sich begraben. Vereinzelt ragten Holzbalken aus dem Schutt hervor. Allmählich erhoben sich die Schmerzensschreie der Verwundeten, und langsam überwand Duncan seine Erstarrung.

»Bei Lug! Was ist geschehen?« Dougal war bleich und konnte kaum fassen, was seine Augen sahen. »Wie konnte das nur ...«

»Publiais, nimm uns die Ketten ab! Schnell! Wir müssen unseren Männern helfen!« Duncan streckte ihm seine Hände entgegen, doch der Zenturio rührte sich nicht. »Los, mach schon! Die Zeit ist kostbar!«

Ein bösartiges Grinsen verzerrte das Gesicht des Römers.

»Das könnte dir so passen, du keltischer Bastard! Ich werde nichts dergleichen tun, sondern dir ...«

Weiter kam Publicus nicht, denn Duncan schlug ihm seine gefesselten Hände ins Gesicht. Mit einem Stöhnen sank der Zenturio bewußtlos zu Boden. Rasch beugte sich Duncan über den Römer und nahm den Schlüsselring von seinem Gürtel. In Windeseile öffnete er die Schlösser an seinen Hand- und Fußgelenken und warf dann Dougal die Schlüssel zu.

»Hier, befreie auch die anderen! Vielleicht können wir noch manche von ihnen retten!«

Sofort begannen die Männer damit, Steine und Holztrümmer zur Seite zu räumen. Duncans Stimme hatte den Ton eines befehlsgewohnten Fürsten, und niemand widersprach ihm. Sogar die Soldaten gehorchten seinen Anweisungen und entluden die Karren für die Toten und Verwundeten.

»Ihr Trottel! Warum laßt ihr zu, daß die Kelten hier frei herumlaufen?« Erschrocken drehten sich die Soldaten zu Publicus um, der plötzlich hinter ihnen stand. »Wer hat euch den Befehl gegeben?«

»Ich!« antwortete Duncan ruhig. »Wir brauchen jeden Mann, um die Verletzten zu bergen!«

»Du gehst zu weit! Legt ihn und die anderen Burschen wieder in Ketten!«

Einige Legionäre traten einen Schritt vor, doch Duncans Stimme hielt sie zurück.

»Halt! Geht wieder an die Arbeit!« Dann wandte er sich an den Zenturio. »Wenn wir hier fertig sind, kannst du tun, was du willst. Aber bis dahin wirst du wie jeder andere mithelfen! Bei Lug, bewege dich endlich!«

Publicus starrte Duncan an. Sein Gesicht war wutverzerrt, doch er hielt sich zurück. Da war etwas in der Stimme und in den Augen des Kelten, das keinen Widerspruch zu dulden schien. Gehorsam reihte er sich unter die Helfer ein. Doch in seinem Innern tobte er vor Wut. Als er auch noch die höhnischen Blicke seiner Soldaten bemerkte, stieg sein Zorn ins Unermeßliche. Er, Claudius Publicus, Zenturio der Stadtkohorte und Bürger Roms, ließ sich von einem Kelten befehligen! Im Geiste konnte er schon das Gelächter und den Spott seiner Kameraden hören. Während er Steine zur Seite räumte, knirschte er vor Wut mit den Zähnen.

Das wirst du büßen, Duncan! Dafür lasse ich dich bluten! dachte er im stillen.

Zwei Stunden später waren sie fertig. Die Verwundeten wurden auf die Ochsenkarren gelegt, sofern sie nicht in der Lage waren, sich auf den Beinen zu halten. Viele Männer jedoch, unter ihnen auch drei Römer, konnten nur noch tot geborgen werden.

Widerstandslos ließen sich die Kelten wieder in Ketten legen, als Publicus den Befehl dazu gab. Dann bestieg er sein Pferd. Ein boshaftes Grinsen verzerrte das Gesicht des Römers zu einer häßlichen Fratze, als er das Tier zu Duncan lenkte, der abseits von den anderen von zwei Soldaten bewacht wurde.

»Hat es dir die Sprache verschlagen? Deine Herrschaft ist zu Ende, du Bastard!« Publicus beugte sich vor und zwang Duncan mit Gewalt, ihm anzuschauen. »Dies ist ein denkwürdiger Tag! Du hast heute dein Todesurteil eigenhändig unterzeichnet!« Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Glaube mir, ich werde dafür sorgen, daß dein Tod etwas Besonderes sein wird. Bevor du jämmerlich krepierst, wirst du den Tag verwünschen, an dem du geboren wurdest!«

Duncan sah das fanatische, wahnsinnige Leuchten in den Augen des Zenturio, als dieser einen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel zog.

»Dies ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich noch erwartet!«

Er packte Duncans rechten Arm und setzte das Messer direkt unterhalb des Armreif an. Langsam führte Publicus die Klinge bis zum Ellbogen. Duncan spürte, wie das Messer tief in seine Muskeln drang. Blut lief ihm den Arm hinab, und der Schmerz raubte ihm fast die Sinne. Doch er biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich.

Als Dougal sah, was geschah, schrie er verzweifelt auf. Bei dem Versuch, Duncan zu Hilfe zu eilen, wurde er niedergeschlagen. Zwei Soldaten hielten ihn fest und drehten seine Arme so auf den Rücken, darf er das Knacken seiner Gelenke hören konnte.

»Gib auf, Dougal, du kannst ihm nicht mehr helfen!«

Blut aus einer Platzwunde tropfte in Dougals Augen. Wie durch einen roten Nebel sah er Publicus vor sich.

»Was hast du mit ihm vor?«

»Nun stell dich nicht dümmer, als du bist, Alter! Angriff auf einen Zenturio der Stadtkohorte, darauf steht die Todesstrafe!« Das höhnische Grinsen des Römers vertiefte sich. »Diesmal ist er zu weit gegangen!«

Publicus wendete und trat seinem Pferd in die Flanken. Während Dougal von seinen Bewachern vorwärtsgestoßen wurden, ließ er seinen Freund nicht aus den Augen. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Duncan schien zu wissen, was ihm bevorstand. Dougals Herz zog sich zusammen, und das Blut in seinen Augen vermischte sich mit seinen Tränen.

Es war etwa um die neunte Stunde, als im Justizgebäude ein Legionär an die Tür des Claudius Vergilius Didimus pochte. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er in das Schreibzimmer des Verwalters.

»Was willst du?«

Vergilius sah dem Eintretenden mit glasigem Blick entgegen, ein nur noch zur Hälfte gefüllter Weinkrug stand neben ihm. Mehr aus Höflichkeit denn aus Ehrfurcht grüßte der Soldat.

»Ave, Vergilius! Publiais schickt mich zu Euch! Die Kelten haben im Steinbruch gegen ihn und seine Soldaten rebelliert. Jener Silurer, der Duncan heißt, hat Publicus niedergeschlagen. Die Verhandlung soll heute noch stattfinden, damit das Urteil so schnell wie möglich vollstreckt werden kann!«

Es dauerte eine Weile, bis der Soldat eine Antwort erhielt. Die Stimme des Verwalters klang schleppend.

»Geh zu Brennius und Lactimus. Sie müssen bei der Verhandlung dabeisein. Wir treffen uns gleich im Gerichtssaal!«

Der Soldat grüßte wieder und verließ den Raum.

Vergilius fuhr sich seufzend durch sein schütteres graues Haar. Er fürchtete Verhandlungen, am meisten aber fürchtete er jene, bei denen es um ein Todesurteil ging. Er würde eine Entscheidung treffen müssen. Seine Hand zitterte, als er sie nach dem Krug ausstreckte, um erneut seinen Becher zu füllen. »Sie werden von mir ein gerechtes Urteil erwarten. Dafür muß ich die Wahrheit finden!« Er hob den Becher und leerte ihn in einem Zug. »Im Wein liegt die Wahrheit!«

Cornelia ging langsam mit Sylvia die Hauptstraße hinunter. Da sie kaum noch Schmerzen hatte, hatte der Arzt ihr den Spaziergang erlaubt. Bei einem Tuchhändler blieb sie stehen und sah sich die Stoffe an, die ausgebreitet auf dem Ladentisch lagen. Spielerisch ließ sie ihre Finger durch die feinen britannischen Wollstoffe gleiten, deren leuchtende Farben ins Auge fielen. Doch der keltische Kaufmann, der sie sonst immer ausgesucht höflich bediente, schien von Cornelia an diesem Tag keine Notiz zu nehmen. Aufgeregt und anscheinend besorgt unterhielt er sich mit einem Landsmann.

»Wieviel verlangst du für diesen Stoff?« Cornelia, hielt einen weichen hellblauen Wollstoff in die Höhe. Der Kaufmann schien sie immer noch nicht zu bemerken. Erst als sie ihre Frage wiederholte, wandte er sich ihr erschrocken und mit hochrotem Gesicht zu.

»Verzeiht, verehrte Dame. Ich war unaufmerksam! Ihr habt eine gute Wahl getroffen. Es ist ein besonders fein gearbeiteter Stoff aus der Nähe von Caerleon.«

»Caerleon? Das liegt doch im Lande der Silurer?« Cornelia lächelte und holte ihren Beutel mit Münzen hervor. »Ich muß diesen Stoff haben. Wieviel verlangst du?«

Erneut schien der Kaufmann in Gedanken versunken zu sein.

»Wie bitte? Ach so, für eintausend Sesterzen gehört der Stoff Euch!«

Cornelia reichte ihm die geforderte Summe. Während der Kaufmann den Stoff sorgfältig zusammenlegte und verpackte, entschuldigte er sich abermals bei Cornelia.

»Verzeiht, aber ich bin mit meinen Gedanken noch bei dem schrecklichen Ereignis!«

»Was ist denn geschehen?«

»Habt Ihr denn nicht von dem Unglück gehört, welches sich heute im Steinbruch zugetragen hat?«

Cornelias Lippen wurden trocken.

»Nein! Was für ein Unglück?«

»Eine Felswand ist eingestürzt und hat Dutzende Gefangene unter sich begraben! Viele von ihnen sind schwer verletzt, mehr als zwanzig Männer tot.« Der Kaufmann schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich sah sie, als sie vor etwa einer Stunde zurückkehrten. Die Verwundeten und Toten lagen auf Wagen. Überall war Blut, und die Männer stöhnten vor Schmerzen. Es war ein grauenhafter Anblick!«

Cornelia hatte das Gefühl, daß die Erde unter ihren Füßen nachgab.

»Weißt du, wohin man sie gebracht hat?«

Der Kaufmann sah überrascht in das bleiche Gesicht der jungen Römerin vor ihm.

»Man hat die Gefangenen wahrscheinlich wieder in den Kerker gebracht. Aber was ist mit Euch? Ist Euch nicht wohl? Wollt Ihr Euch setzen, oder soll ich Euch eine Erfrischung bringen? Ihr seid ja totenbleich?«

Mühsam hielt Cornelia sich am Ladentisch fest, während ihre Gedanken rasten.

»Ich muß hin! Ich muß sofort zum Gefängnis!« Sie ergriff den Arm ihrer Sklavin. »Komm, Sylvia, schnell! Laß uns den Arzt holen! Vielleicht können wir helfen!«

»Verehrte Dame, Euer Stoff! Ihr habt ihn bereits bezahlt!«

Doch weder Cornelia noch Sylvia hörten ihn noch. Kopfschüttelnd sah der Mann den beiden davonlaufenden Frauen hinterher.

Unterdessen hatten sich Claudius Vergilius, Marcus Brennius und Gaius Lactimus im Gerichtssaal eingefunden. Ein Schreiber saß etwas abseits, um die Verhandlung aufzuzeichnen. Zuerst hörten sie, was Publicus zu sagen hatte, dann ließen sie noch zwei Soldaten zu Wort kommen. Alle drei berichteten das gleiche. Duncan hatte den Zenturio niedergeschlagen und sich und die anderen Kelten befreit. Dann war die Felswand eingestürzt und hatte die Flucht der Gefangenen verhindert. Infolge der Katastrophe sei es den Soldaten geglückt, Duncan zu überwältigen und die rebellischen Kelten zur Aufgabe zu zwingen.

Vergilius atmete erleichtert auf.

»Der Fall ist eindeutig. Der Kelte ist des Aufstands gegen das Römische Reich schuldig. Damit steht auch das Urteil fest. Morgen zur zweiten Stunde wird er durch das Beil hingerichtet.« Er lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. Das war wesentlich schneller und einfacher gewesen, als er befürchtet hatte! »Wenn niemand Einwände hat, dann können wir das Verhandlungsprotokoll unterzeichnen!«

»Ich habe Einwände!«

Vergilius und Lactimus blickten überrascht zu Brennius.

»Der Silurer wird eines schweren Verbrechens beschuldigt, und das Römische Recht fordert, auch den Angeklagten zu hören. Er muß die Möglichkeit erhalten, sich zu verteidigen!« Brennius holte tief Luft. Er wußte, daß er sich auf einem schmalen Grat bewegte. »Anderenfalls sehe ich mich gezwungen, Frontinus bei seiner Ankunft in Eburacum auf diese Rechtswidrigkeit aufmerksam zu machen!«

Vergilius wandte sich unsicher an Lactimus.

»Ist das wirklich so?«

»Ich gebe es nur ungern zu, aber Brennius hat recht. Wir müssen auch den Angeklagten hören. Sonst hätten wir mit unangenehmen Folgen zu rechnen!«

Vergilius zuckte erschrocken zusammen.

»Gut dann holt den Kelten!«

Als Cornelia und Sylvia kurze Zeit später das Haus des Arztes erreichten, war dieser gerade aus den Thermen zurückgekehrt. Cornelia ließ sich keine Zeit für Erklärungen, sondern verlangte seine Arzttasche und zerrte ihn auf die Straße. Der Mann war über diese Entführung wenig erfreut, doch er war der Leibarzt im Haus des Vergilius. Er verdiente an der Familie gut und wollte sich Cornelias Gunst nicht verscherzen. Außerdem weckte die ungewöhnliche Situation seine Neugier. Deshalb lief er, ohne weitere Fragen zu stellen, hinter den beiden Frauen her. Er war jedoch nicht wenig erstaunt, als ihn Cornelia zum Kerker führte.

»Was wollt Ihr von mir?« Keuchend wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er war sehr beleibt und eine körperliche Anstrengung wie diese nicht gewohnt. »Außerdem hatte ich Euch noch zur Schonung geraten! Ich bin nicht erfreut, zu sehen, auf welche Weise Ihr meine Ratschläge befolgt!«

»Das ist doch jetzt unwichtig!« Cornelia runzelte ärgerlich die Stirn. »Im Steinbruch ist heute ein Unglück geschehen. Viele der Gefangenen wurden verletzt. Ich wünsche, daß Ihr Euch der Männer annehmt!«

»Aber die Stadtkohorten haben ihren eigenen Wundarzt. Er wird sich um die Kelten kümmern.«

»Ein Arzt ist aber bei so vielen Verwundeten zu wenig!«

Cornelias Stimme duldete keinen Widerspruch. Gehorsam zuckte er mit den Achseln.

Als sie den Kerker betraten, stockte Cornelia der Atem. Die Luft war erfüllt von den Schreien der Verletzten. Erschöpft wirkende, staub- und schweißbedeckte Männer versuchten, die Leiden ihrer Mitgefangenen zu lindern, indem sie ihnen Wasser einflößten und die Wunden notdürftig verbanden.

Während der Arzt sich sofort an die Arbeit machte, eilte Cornelia durch das Verlies. Doch unter den bleichen, schmerzverzerrten Gesichtern war nicht jenes, das sie suchte. Ein älterer Mann lehnte erschöpft an der Wand. Auf seiner Stirn klebte Blut, und seine langen grauen Haare fielen wirr über die breiten Schultern. Vorsichtig berührte Cornelia seinen Arm.

»Wo ist Duncan?«

Mühsam kamen die keltischen Worte aus ihrem Mund. Gramerfüllt sah er sie an, als er mit heiserer Stimme antwortete.

»Ich kann dich nicht verstehen, du sprichst zu schnell!« Cornelia spürte jedoch, daß etwas nicht stimmte. In ihrer Verzweiflung packte sie den Mann bei den Schultern. »Was ist mit Duncan?«

»Sie haben ihn in eine andere Zelle gebracht!«

Cornelia war erleichtert. Nicht nur, weil der Mann lateinisch sprach, sondern vor allem, weil sie seiner Antwort entnahm, daß Duncan lebte.

»Warum? Was ist geschehen? Ist er verletzt?«

Langsam, mit gesenktem Kopf erklärte ihr der Kelte, was vorgefallen war.

»In dieser Stunde findet die Verhandlung statt. Doch das Todesurteil ist bereits beschlossen.«

»Nein! Sie dürfen ihn nicht hinrichten!«

Der Mann legte ihr seine kräftige, rauhe Hand auf den Arm. Tränen liefen über sein vom Leben gezeichnetes Gesicht.

»Diesmal kann ihm niemand helfen. Er weiß es!«

»Es muß einen Weg geben, ihn zu retten! Ich bin schließlich die Tochter des Verwalters!« Cornelia wischte sich die Tränen vom Gesicht und erhob sich.

»Was hast du vor?«

»Ich weiß es nicht, aber mir wird schon etwas einfallen! Ich gehe in den Gerichtssaal. Solange die Hinrichtung nicht vollzogen ist, kann ich das Urteil vielleicht noch abwenden. Schließlich hat er nur getan, was erforderlich war!«

»Deine Worte hätten von Duncan stammen können!« Der Mann lächelte unter Tränen.

Cornelia ergriff seine Hände.

»Ich kenne die Namen eurer Götter nicht. Aber ich flehe dich an, bete für ihn!«

Dougal blickte der davoneilenden Römerin noch lange nach.

Duncan hing mit gefesselten Händen und Füßen kopfüber in der Folterkammer des Kerkers. Die Soldaten hatten ihm das Hemd ausgezogen und bereits damit begonnen, ihn auszupeitschen, als ein Soldat den Befehl überbrachte, daß man ihn in den Gerichtssaal führen sollte. Sofort wurde die Kette gelokkert, die ihn etwa drei Fuß über dem Boden hielt. Hart schlug Duncan auf den Steinen auf und blieb benommen liegen.

»Zieht ihm das Hemd an! Er soll halbwegs menschlich aussehen, wenn er vor ein römisches Gericht tritt!« Der Zenturio, ein Freund von Publicus, stieß Duncan höhnisch grinsend seinen Fuß in die Flanke. »Steh auf, edler Fürst, dein Todesurteil erwartet dich!«

Brutal rissen ihn zwei Soldaten vom Boden hoch. Sie lösten die Eisen an seinen Handgelenken, zerrten ihm das Hemd über den Kopf und fesselten ihn erneut, bevor sie ihn unsanft vorwärtsstießen. Willenlos ließ Duncan alles mit sich geschehen. Sein Schädel dröhnte von dem Sturz, und vor seinen Augen tanzten Lichter. Er konnte kaum erkennen, wohin er seinen Fuß setzte. Mühsam stolperte er die Stufen hinauf. Erst im Gerichtssaal beruhigten sich die Lichtblitze vor seinen Augen. Der dumpfe Schmerz in seinem Kopf ließ nach, und allmählich wurde sein Verstand wieder klar. Aufmerksam musterte er die versammelten Männer. Lactimus sah ihm gleichgültig entgegen. Vergilius wandte den Blick ab, als müßte er sich übergeben. Duncan wußte nicht, daß es die Spuren der Peitschenhiebe auf seinem Hemd waren, deren Anblick der Verwalter nicht ertragen konnte; denn aus den frischen Wunden sickerte Blut durch das Leinen. Es war jedoch Brennius, der Duncan am meisten verwirrte. Der Offizier wirkte ebenso besorgt, wie Dougal, als er ihn zuletzt im Steinbruch gesehen hatte.

»Ich nehme an, es ist nicht notwendig, dir zu sagen, welchen Verbrechens du angeklagt wirst!« Duncan registrierte ohne große Verwunderung Vergilius’ weinschwere Stimme, der einige der keltischen Worte nur mühsam aussprechen konnte. Die Trunksucht des Verwalters war allgemein bekannt. »Sicher bist du dir auch im klaren darüber, welche Strafe du zu erwarten hast!« Vergilius machte eine Pause, um seinen Blick, der ruhelos im Raum umherschweifte, kurz dem Angeklagten zuzuwenden. »Was hast du dazu zu sagen?«

Aber fasse dich kurz, damit ich mich wieder dem Wein widmen kann! dachte Duncan, und ein spöttisches Lächeln glitt, über sein Gesicht.

»Gibst du zu, daß du Claudius Publicus, einen Zenturio der Stadtkohorte, im Steinbruch niedergeschlagen hast?«

»Ja!«

»Gibst, du ebenfalls zu, danach dich selbst und die anderen Gefangenen befreit zuhaben?«

»Ja!«

Lactimus lehnte sich kalt lächelnd in seinem Stuhl zurück.

»Da habt Ihr es, Brennius! Er gesteht! Dem Protokoll ist Genüge getan. Wir können das Urteil verkünden!«

»Nicht so schnell, Lactimus! Ich habe auch noch einige Fragen an den Angeklagten!« Brennius seufzte und sah Duncan an. »Weshalb hast du Publicus niedergeschlagen?«

»Ist es nicht vermessen zu glauben, daß ausgerechnet meine Aussage, die eines Wilden, ein römisches Gericht in seinem gerechten und unfehlbaren Urteil umstimmen könnte?«

Brennius rang innerlich vor Verzweiflung die Hände. Er hatte schon genug Schwierigkeiten mit Vergilius und Lactimus, der bereits schadenfroh grinste. Nun fiel ihm Duncan selbst auch noch in den Rücken! Sein Stolz würde ihn das Leben kosten. Der Junge trieb es entschieden zu weit!

»Du irrst, Duncan! Wir Römer haben Gesetze. Ein Urteil wird erst gefällt, wenn die Schuld des Angeklagten bewiesen ist! Weshalb hast du den Zenturio niedergeschlagen?«

»Er war nicht bereit, unsere Ketten aufzuschließen. Wir mußten aber die Verletzten aus den Trümmern bergen und durften keine Zeit verlieren! Ich sah deshalb keinen anderen Ausweg, als ihn niederzuschlagen!«

Brennius wurde hellhörig und setzte sich auf.

»Was hast du gesagt? Soll das heißen, du hast Publicus erst niedergeschlagen, nachdem die Felswand eingestürzt war?«

»Ja.«

»Das ändert alles! Offensichtlich hatte der Angeklagte einen Grund für sein Handeln, einen triftigen Grund. Es handelt sich nicht um Rebellion! Ich beantrage Freispruch!«

»Brennius, Ihr wollt doch nicht der Aussage dieses Barbaren mehr Glauben schenken als der eines römischen Bürgers!«

»Nein, aber auch nicht weniger! Durch sein rasches Handeln hat er unter Umständen mehrere Menschenleben gerettet! Vergeßt das nicht, Lactimus!«

Duncan hätte am liebsten laut gelacht. Der Anblick der beiden Männer, die sich über den Kopf des verzweifelt auf seine Hände starrenden Vergilius hinweg ein Rededuell lieferten, ließ ihn vergessen, daß es sein Leben war, um das es hier ging.

Plötzlich ging die Tür des Saales auf, und Cornelia trat ein.

»Halt, Vater, Ihr dürft ihn nicht zum Tode verurteilen!«

Überrascht sahen die Männer sie an. Hastig erzählte sie, was sie von Dougal über den Hergang erfahren hatte.

»Da hörte Ihr es!« rief Brennius. »Und wenn Euch diese Aussage immer noch nicht ausreicht, beantrage ich die Vorladung der Gefangenen als Zeugen. Und zwar aller Gefangenen!«

»Er hat einen Zenturio niedergeschlagen. Dieser Tatbestand bleibt. Das ist Rebellion!«

»Hätten die Kelten fliehen wollen, hätten sie sich wohl kaum wieder fesseln lassen!« Cornelia sah ihren Vater an. »Außerdem habe ich ihm mein Leben zu verdanken! Ich denke, daß du ihm dafür auch noch etwas schuldig bist! Du mußt eine Entscheidung treffen!«

Alle Augen wandten sich Vergilius zu, der unsicher von einem zum anderen blickte und nervös seine Hände knetete. Das war es, wovor er sich gefürchtet hatte! Er wußte beim besten Willen nicht, was er tun sollte.

Cornelia bemerkte den inneren Kampf ihres Vaters. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, und sie trat nahe an ihn heran.

»Ich habe heute früh einen Brief verfaßt, in dem ich Mutter von meinem Unfall berichtet habe. Wahrscheinlich wird die Sorge um mich sie vorzeitig zurückkehren lassen!« Mit Genugtuung sah sie, wie ihrem Vater das Blut aus den Wangen wich. »Ich könnte natürlich davon absehen, den Brief abzuschicken, wenn du den Kelten freisprichst!«

Dieses Biest! dachte Lactimus, der die Unterredung mit anhörte. Octavia Julia schien ihrer Tochter eine ausgezeichnete Lehrmeisterin zu sein.

»Aber Publicus wird Genugtuung fordern!« flüsterte Vergilius. »Die hat er bereits erhalten! Der Kelte wurde ausgepeitscht, und das ist eine durchaus angemessene Strafe.«

Cornelia lächelte, als das Gesicht ihres Vaters vor Erleichterung strahlte. Dies war der Fingerzeig, um den er die Götter gebeten hatte!

»Ich verkünde das Urteil!« Laut erhob er seine Stimme. »Der Silurer wird freigesprochen!«

Nach der Verkündung des Urteils stapfte Publicus wütend aus dem Raum. Lactimus blickte finster zu Brennius, der seine Erleichterung kaum verbergen konnte, und Vergilius erhob sich hastig von seinem Stuhl.

»Ich ziehe mich zurück!« Er raffte seine zerknitterte Toga zusammen. »Bringt den Gefangenen wieder in den Kerker!«

Während Duncan von den Soldaten hinausgeführt wurde, wandte sich Brennius an Cornelia.

»Ich muß Euch danken! Ihr habt den Prozeß entscheidend beeinflußt. Es stand sehr schlecht um den jungen Silurer, und ohne Euer Eingreifen wäre das Todesurteil gefällt worden!«

Cornelia lächelte. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, schaltete sich Lactimus in das Gespräch ein.

»Es war töricht, ihn so davonkommen zu lassen. Er hat den Tod verdient!« Die buschigen Augenbrauen des Offiziers zogen sich bedrohlich zusammen. »Warum mußtet Ihr Euch einmischen, Cornelia?«

»Ich habe lediglich für Gerechtigkeit gesorgt, Gaius!« Ihre Stimme klang eisig. »Sein entschlossenes Handeln hat vielen Männern das Leben gerettet.«

»Es ist nicht das erste Mal, daß er unseren Soldaten Schwierigkeiten bereitet! Publicus leidet täglich unter den Frechheiten dieses keltischen Schurken!«

»Mir ist zu Ohren gekommen, daß Publicus weder ein unbescholtener Mann noch eine Zierde der Stadtkohorte ist!« Cornelia lächelte kalt. »Außerdem sollte man niemals Mut und Verstand mit Frechheit verwechseln! Und nun entschuldigt mich, ich habe noch etwas zu erledigen!«

Cornelia wandte sich zum Gehen, doch Lactimus stellte sich ihr in den Weg.

»Wollt Ihr etwa zu ihm in den Kerker? Was versprecht Ihr Euch davon?« Mit zornig funkelnden Augen ergriff Lactimus ihren Arm. »Er mag ein gutaussehender Bursche sein. Aber vergeßt niemals, daß er Kelte ist! Er haßt alle Römer. Glaubt Ihr, er würde bei Euch eine Ausnahme machen? Er wartet nur auf die Gelegenheit, Euch die Kehle aufzuschneiden, damit er Euer Blut trinken kann!«

Cornelia hatte schon von den grausamen, entsetzlichen Bräuchen der Kelten gehört. Man erzählte, daß sie das Blut ihrer Feinde tranken, um deren Kraft in sich aufzunehmen.

Mühsam verbarg sie ihre aufkeimende Unsicherheit und hob stolz ihren Kopf.

»Nehmt Eure Hände von mir, Gaius! Euer Verhalten ist eines römischen Offiziers unwürdig!«

Lactimus ließ die Arme sinken. Er fühlte, wie Cornelia sich seinem Einfluß entzog, und er bebte vor Zorn.

»Er hat Euch einmal das Leben gerettet, und Ihr habt ihn dafür belohnt. Das ist Dank genug! Treibt es nicht zu weit!«

»Ich glaube nicht, daß ausgerechnet Ihr das Recht habt, mir Ratschläge zu erteilen!« entgegnete Cornelia kalt. »Und nun geht mir aus dem Weg, bevor ich die Wachen rufen lasse!« Zähneknirschend ließ Lactimus Cornelia gehen.

»Es muß etwas geschehen! Wenn nur Octavia Julia hier wäre; sie könnte Cornelia zur Vernunft bringen!« Ein böses Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich werde ihr schreiben! Die Gattin unseres Verwalters sollte so bald wie möglich nach Eburacum zurückkehren! Was Duncan angeht – um ihn wird sich Publicus kümmern!«

In seiner Wut bemerkte Lactimus nicht, daß er laut gesprochen hatte, so daß Marcus Brennius, der in seiner Nähe stand, jedes Wort hören konnte.

Als sich die Kerkertür öffnete und Duncan von den Soldaten in den Raum gestoßen wurde, sprang Dougal vor Überraschung und Freude auf.

»Duncan! Gepriesen seien die Götter!« Er lief auf den Freund zu. »Was ist denn geschehen? Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dich in diesem Leben noch einmal wiederzusehen!«

»Glaube mir, auch ich habe nicht damit gerechnet. Das Todesurteil stand bereits fest, als man mich in den Gerichtssaal brachte. Doch plötzlich hat sich Vergilius anders entschieden und mich freigesprochen!«

»Es war die junge Römerin, nicht wahr?«

Duncan sah seinen Freund überrascht an.

»Woher weißt du das?«

»Sie war hier, bevor sie in den Gerichtssaal ging.« Dougal lächelte, als er die unausgesprochenen Fragen auf Duncans Gesicht las. »Sie hat sich nach dir erkundigt.«

»Was wollte sie von mir?«

»Vielleicht hat ihr jemand von dem Unglück im Steinbruch erzählt. Wenigstens wirkte sie sehr besorgt!«

»Du meinst, sie hat sich Sorgen um mich gemacht? Warum denn?« Dougal verdrehte die Augen und seufzte.

»Ich weiß es nicht, Duncan! Aber vielleicht solltest du sie selbst fragen!« Dougal deutete lächelnd über Duncans Schulter hinweg zur Tür. »Da kommt sie gerade!«

Überrascht wandte sich Duncan um. Vor ihm stand Cornelia. Sie sahen einander verlegen an.

Duncan wollte etwas sagen, aber er brachte kein Wort über seine Lippen. Eine unbekannte Kraft schien seine Zunge gefangehzuhalten, etwas, das mit der Frau vor ihm zu tun hatte.

»Jetzt stehst du in meiner Schuld!«

Cornelia verwünschte sich im selben Augenblick, in dem sie die Worte ausgesprochen hatte.

»Das ist wahr!« Duncan antwortete lächelnd auf lateinisch. Er war erleichtert, daß er die Sprache wiedergefunden hatte.

»Der Tag hätte schlecht enden können, wenn du nicht gewesen wärst!«

»Ich mußte nicht viel tun, um das Urteil abzuwenden!«

»Aber es war genug, um einem Barbaren das Leben zu retten!« Ein schalkhaftes Lächeln umspielte seine Lippen. »Übrigens, diese Sitte aus deiner Heimat – gilt sie auch, wenn eine Frau einem Mann das Leben gerettet hat?«

Cornelia sah auf, ihre braunen Augen strahlten.

»Ja!« erklärte sie ernsthaft. »Aber du bist Kelte, und es handelt sich um eine römische Sitte!«

Als habe er ihren Einwand überhört, beugte sich Duncan zu Cornelia vor, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie. Die Berührung seiner Lippen war sanft und dennoch voller Leidenschaft. Cornelia schlang ihre Arme um seine Schultern und erwiderte den Kuß. Das Spiel seiner Zunge erzeugte in ihrem Mund ein Gefühl, das ihr Schauer des Wohlbehagens über den Rücken jagte. Langsam glitten ihre Hände an Duncans Armen herab. Als Cornelia jedoch die Schnittwunde an seinem rechten Oberarm berührte, zuckte er unwillkürlich vor Schmerz zusammen.

»Du bist verletzt, Duncan! Ich sollte den Arzt holen. Die Wunde muß versorgt werden!«

»Es ist nicht schlimm. Dougal wird sich gleich darum kümmern.« Er wurde ernst und senkte verlegen den Blick. Plötzlich war ihm ein unangenehmer Gedanke gekommen. »Aber du solltest jetzt lieber gehen. Dein Mann wäre sicher nicht erfreut, dich hier zu sehen!«

»Mein Mann starb im vergangenen Jahr, und ich bin nicht verlobt«, antwortete Cornelia auf die indirekte Frage. »Und du?« Duncan lächelte erleichtert und schüttelte den Kopf. Dann küßte er sie erneut.

»Trotzdem ist es besser für dich, wenn du jetzt gehst! Die Wachen werden sonst mißtrauisch!«

»Wahrscheinlich hast du recht. Aber ich komme morgen wieder!«

»Das hoffe ich!«

Cornelia wandte sich zum Gehen. Duncans Herz schlug schneller, als er ihre schlanke, wohlgeformte Figur betrachtete. Selbst als sie bereits den Kerker verlassen hatte, spürte er noch ihre Lippen auf seiner Haut und sah ihre Augen vor sich. Allmählich begann Duncan zu begreifen, was geschehen war.

»Bei den Göttern!« Verwirrung, Verzweiflung und Freude wechselten einander in derart rascher Folge ab, daß er sich setzen mußte.

»Du siehst aus, als wärst du überrascht, mein Junge!« Dougal legte ihm lächelnd eine Hand auf die Schulter. »Ich sagte dir doch, daß du dein Herz an sie verloren hast. Nun freue dich darüber, daß sie deine Gefühle erwidert!«

»Aber weißt du nicht, wie kompliziert jetzt alles wird?« Ratlos stützte Duncan seine Ellbogen auf die Knie und fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde Haar. »Sie ist eine Römerin!« Die Worte klangen wie ein verzweifelter Aufschrei.

Die letzten Söhne der Freiheit

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