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3.

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Die Schebecke der Seewölfe segelte über Backbordbug liegend auf Südkurs. Ihr Ziel war Bombay, die Hauptstadt von Maharashtra.

Als besonders gut konnte man die Stimmung an Bord nicht gerade bezeichnen. Der ganze Ärger über die gescheiterte Surat-Mission steckte den Arwenacks noch zu sehr in den Knochen, und gar mancher von ihnen wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher, als sich einen gewissen Francis Ruthland persönlich vorknöpfen zu können.

Edwin Carberry, der Profos der Seewölfe, rieb sich allein schon bei dem Gedanken an eine solche Begegnung die mächtigen Pranken.

„Vor allem würde ich diesem lausigen Hundesohn gern die hellen Fischaugen etwas dunkler einfärben“, verkündete er Batuti, dem Mann aus Gambia. „Zuerst veilchenblau, dann grün und zum Schluß gelb. Selbst seine eigene Großmutter würde den Kerl nicht mehr erkennen.“

Batutis Augen waren auf die kabbelige Wasserfläche gerichtet.

„In Gambia“, so erklärte er, „verfährt man anders mit solchen Leuten. Der Stamm der Mandingos würde Ruthland ausstoßen und ihn mit einer Ziegenhaut voll Wasser und etwas Nahrung aus dem Dorf vertreiben. Und kein anderes Dorf der Mandingos würde ihn jemals aufnehmen. Er müßte sein weiteres Leben allein im Busch verbringen. Das ist schlimm, Ed, sehr schlimm.“

Diese Meinung teilte Edwin Carberry ganz und gar nicht.

„Das ist viel zu mild für einen tückischen Ziegenbock“, entschied er. „Mit dem entsprechenden Proviant könnte sich der Kerl ja unter jedem schattigen Baum gemütlich niederlassen. Nichts da – ich würde ihn zu Fuß die Wüste Sahara durchqueren lassen, aber ohne eine Ziegenhaut voll Wasser, sondern mit einer Pütz voll eingesalzener Heringe.“

Mac Pellew, der die Kombüse verlassen hatte, um Gemüseabfälle über das Schanzkleid zu kippen, hatte die letzten Worte Carberrys noch mitgekriegt und stieß ein meckerndes Lachen aus.

„Du hast wohl heute deinen rachsüchtigen Tag, wie?“

Der Profos bedachte den sonst meist recht griesgrämig dreinblickenden Koch mit einem finsteren Blick.

„Fang du nicht auch noch an, mit meinen Nervenfäden Zupfgeige zu spielen, du Trauerkloß. Verhol lieber in die Kombüse und rühr fleißig die Suppe um.“

Immerhin, da hatte ihnen die alte Lissy eine ganz schön dicke Suppe eingebrockt, als sie den Seewolf beauftragte, zum Wohle Englands nach Indien zu segeln, um dort den Boden für Handelsbeziehungen vorzubereiten. Zunächst war dieser königliche Auftrag den Arwenacks noch ziemlich reizvoll erschienen.

Nur hatten sie die Rechnung ohne den besagten Francis Ruthland gemacht – einen Kauffahrer und skrupellosen Geschäftsmann, der den vermeintlichen „großen Kuchen“ in Indien für sich allein haben wollte.

Er war den Seewölfen heimlich gefolgt und bereitete ihnen seitdem Schwierigkeiten, wo immer sich eine Möglichkeit dazu bot. Dabei war es sein erklärtes Ziel, die vermeintlichen Konkurrenten auszuschalten. Sie sollten auf keinen Fall nach England zurückkehren.

Mac Pellew hatte inzwischen wieder sein gewohnt essigsaures Gesicht aufgesetzt und strebte der Kombüse zu.

„Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als die Suppe umzurühren“, nörgelte er. „Ich habe die ganze Kocherei mal wieder allein am Hals.“

„Und was treibt der Kutscher?“ wollte der Profos wissen. „Haben wir nicht zwei Kombüsenhengste an Bord, was, wie?“

Mac winkte ab. „Der betätigt sich mal wieder als Knochenflicker. Dieser Holzkasten hier ist ja kein Schiff mehr, sondern ein schwimmendes Hospital. Bald haben wir nur noch Kranke an Bord. Beim Backen und Banken merkt man allerdings nichts davon, da hauen selbst die Todkranken rein wie die Scheunendrescher.“

Mac Pellew verschwand murmelnd und brummelnd in der Kombüse, und gleich darauf war ein lauter Fluch zu hören, weil er sich womöglich an irgendeinem heißen Kessel die Finger verbrannt hatte.

Das bekümmerte Carberry jedoch nicht. Vielmehr war es das Wort „Hospital“, das ihn von seiner Taurolle hochpurrte. Als Profos war er schließlich für Zucht und Ordnung zuständig, und diese Zuständigkeit bezog er selbstverständlich auch auf grassierende Seuchen und Epidemien. Es ging ja nicht an, daß aus diesem flotten Schiffchen ein schwimmendes Hospital wurde.

„Räucherspeck und Rübensuppe!“ schnaubte er und fügte zu Batuti gewandt hinzu: „Du kannst ja allein weitermachen.“

„Weitermachen? Mit was denn?“ fragte Batuti verwundert.

„Mit dem Einfärben von Ruthlands hellen Fischaugen, mein Freund. Und vergiß nicht die Reihenfolge der Farben: zuerst veilchenblau, dann grün, dann gelb. Ich muß jetzt meines Amtes walten, damit das Siechtum an Bord gestoppt wird.“

Zum Äußersten entschlossen, schob der Profos das mächtige Rammkinn vor, legte das zernarbte Gesicht in Falten und marschierte gewichtig über die Planken – mit Kurs auf die Krankenkammer.

„Wohin so eilig, Ed?“ rief der Seewolf lächelnd vom Achterdeck. Er sah dem Profos regelrecht an, daß er der Erfüllung einer wichtigen Aufgabe zustrebte.

„Bin auf dem Weg zum Hospital – äh, zur Krankenkammer, Sir.“

„Bist du etwa krank?“ fragte Hasard.

„Ich und krank? Nein, Sir. Aber der Kutscher hat alle Hände voll damit zu tun, die Seuchen und Epidemien an Bord zu bekämpfen. Der Bursche hat kaum noch Zeit für die Kombüse, und das kann ja nicht angehen, Sir.“

Bevor der Seewolf nach der Art der Seuchen und Epidemien fragen konnte, verschwand der Profos unter Deck.

Der Kutscher, der nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein hervorragender Feldscher war, hatte tatsächlich allerhand zu tun. Die Patienten drängten sich sozusagen in der Krankenkammer und warteten auf ihre Behandlung.

Der blonde, sehr hagere Mann hatte gerade Will Thorne, den alten Segelmacher, in der Mangel. Der lag auf dem Bauch, und der Kutscher drückte während seiner Untersuchung so lange seinen Rücken ab, bis er laut aufstöhnte.

„Da haben wir’s“, stellte der Kutscher zufrieden fest. „Hier läuft ein Nerv, der entzündet zu sein scheint. Die Schmerzen strahlen ähnlich wie bei Ischias durch die linke Gesäßhälfte bis ins Bein. Das kriegen wir wieder hin, Will. Sobald ich die anderen behandelt habe, werde ich dich kräftig einreiben, damit die Durchblutung gefördert wird. Morgen wird das Ganze wiederholt …“ Er unterbrach seine Erklärungen, als er den Profos eintreten sah. „Sag bloß, du hast dir auch eine Blessur geholt, Ed?“

Der Profos grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Das würde dir so passen, Kutscher, wenn du mich auch mit deiner stinkenden schwarzen Salbe einreiben könntest, was, wie?“

„Aber klar doch“, entgegnete der Kutscher. „Ein größeres Vergnügen könnte ich mir kaum vorstellen.“

„Da spielt sich aber nichts ab“, erklärte der Profos. „Meine Knochen sind heil, an denen hast du nichts zu suchen mit deinem gräßlichen Salbenzeug. Wegen mir wird dieses Schiffchen jedenfalls nicht zu einem schwimmenden Hospital, klar?“

„Sagtest du eben ‚Hospital‘?“ fragte der Kutscher erstaunt.

Der Profos nickte. „Du hast richtig gehört, mein Freund. Deine Lauscher sind noch völlig in Ordnung. So, nun wird es aber Zeit, daß ich mir einen Überblick über den Ernst der Lage verschaffe. Wer gehört hier zu den Siechen?“

Der Kutscher holte eine kleine braune Flasche aus seinem Medizinkasten und öffnete sie.

„Wenn man dich reden hört, Ed, könnte man gerade meinen, wir hätten die Pest an Bord. Aber falls es dich beruhigt – hier gibt es keine Siechen. Und ein Hospital wird ebenfalls nicht gebraucht. Will hat’s im Kreuz, aber in ein paar Tagen wird er wieder herumhüpfen wie ein Veitstänzer. Plymmie, unsere verehrte Hunde-Lady, hat sich einen Holzspan in die rechte Hinterpfote getreten, und hätte Paddy, der das bemerkt hat, nicht soviel Schiß vor Hunden, hätte er dem armen Tier längst selber helfen können. Dann haben wir da noch Old Donegal, der sich an einem hervorstehenden Nagel eine ziemlich tiefe Schramme in einen gewisse edlen Körperteil gerissen hat. Für ihn ist diese wohlriechende Tinktur bestimmt, damit er nicht den Wundbrand kriegt. Und wenn mich meine Augen nicht täuschen, handelt es sich bei dem Gentleman, der da gerade mit einem Gesicht, das tiefste Pein erkennen läßt, zum Schott hereinschneit, um meinen geschätzten Kollegen Mac Pellew, der sich in der Kombüse wieder mal die Finger verbrannt hat. Aber keine Bange, die schwarze Salbe wird hier hervorragende Dienste leisten. Er wird rasch in die Kombüse zurückkehren können, und du, verehrter Mister Carberry, wirst pünktlich zum Backen und Banken deine Erbsensuppe in der Kumme haben.“

„Uff“, schnaufte der Profos, „das war mal eine lange Rede.“

„Du brauchst ja nicht die Luft anzuhalten, während ich was sage“, entgegnete der Kutscher freundlich.

Für Old Donegal war das Grund genug für ein glucksendes Lachen.

„Schade, daß du nicht ein bißchen länger geredet hast, Kutscher, sonst wäre noch ein Erstickungsanfall zu behandeln gewesen.“

Der Profos bedachte Ed Old Donegal mit einem strafenden Blick. Dann zog er es jedoch vor, sich aus der Krankenkammer zurückzuziehen, zumal der Kutscher – wie es schien – das „allgemeine Siechtum“ dank seinen übelriechenden Arzneien gut im Griff hatte.

Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um.

„Übrigens, Mister O’Flynn: Wenn du dir demnächst wieder eine Schramme holst, dann laß gefälligst dein zartes Hinterteil aus dem Spiel und verpaß dir den Kratzer ins Holzbein. Dann kannst du damit unseren Schiffszimmermann von der Arbeit abhalten, und nicht den Koch, der Wichtigeres zu tun hat, als angekratzte Achtersteven mit Tinkturen zu beträufeln. Und was dich betrifft, verehrter Mister Pellew: Wenn du unser Schiffchen noch mal als schwimmendes Hospital bezeichnest, fülle ich dir einen ganzen Topf heißer Erbsensuppe in deine Pluderhose und binde sie unten zu, du blaukarierter Zackenbarsch.“

Unter dem allgemeinen Gelächter schloß der Profos das Schott und verholte wieder an Deck.

„Dein Gesicht ist so ernst, Ed“, sagte der Seewolf. „Wir haben doch hoffentlich nicht die Pestilenz an Bord?“

Carberry winkte ab.

„Ach was, Sir, außer ein paar angekratzten und angesengten Affenärschen ist nichts weiter.“

„Brrrh!“ Luke Morgan schüttelte sich, bevor er zu einem Tuch griff, um sich die Nässe vom nackten Oberkörper zu wischen. Der kleine, drahtige Mann mit dem dunkelblonden Haar und der Messernarbe auf der Stirn hatte einen heftigen Regenschauer oben im Ausguck abgewettert.

„Plymmie kann das wesentlich besser“, bemerkte Old Donegal, der auf seinem Holzbein herangestakt kam. „Ich meine natürlich das Schütteln.“

„Was du nicht sagst.“ Luke Morgan grinste. „Ich dachte schon, du meinst das Aufentern und Ausschau halten.“

„Nun – äh, das kannst du natürlich besser, denn du bist ja keine Hündin“, meinte Old Donegal.

„Vielen Dank für diese Feststellung.“ Luke grinste noch breiter. „Sie kam gerade noch rechtzeitig, sonst hätte ich angefangen, zu bellen.“

Tückisch und wechselhaft, wie der Sommermonsun war, hatten sich die dunklen Regenwolken zum größten Teil wieder aufgelöst, und die Sonne brach durch.

Noch während Luke Morgan damit beschäftigt war, sich abzutrocknen, ertönte ein lauter, krächzender Schrei über der Kuhl. Danach näherte sich lauter Flügelschlag, und Sir John, der karmesinrote Aracanga-Papagei landete auf Lukes Schulter.

„Noch eine Nuß!“ forderte der bunte Vogel.

„Doch nicht schon wieder“, entgegnete Luke. „Du hast heute schon mindestens fünf Nüsse von mir geschnorrt.“ In der Tat war Sir John häufig Gast bei ihm im Ausguck gewesen – bis ihn der Monsunregen vertrieben hatte.

„Noch eine Nuß!“ Der Papagei war hartnäckig.

„Nichts da, heute nicht mehr.“ Luke dachte nicht daran, wieder in die Hosentasche zu greifen.

Da fluchte Sir John fürchterlich. Zuerst auf englisch, und als das keinen Erfolg brachte, versuchte er es auf spanisch.

Luke blieb hart.

„Wenn du dich überfrißt und von der Stange fällst, zieht mir Mister Carberry die Haut vom Achtersteven. Also verschwinde, du Nebelkrähe.“

Jetzt war Sir John beleidigt. Bevor er zur Nagelbank hinüberflatterte und sich dort niederließ, mußte sich Luke Morgan noch einiges an Flüchen anhören.

Die Arwenacks lachten dröhnend. Aber Sir John lehrte sie gleich das Fürchten. Zumindest bei Old Donegal gelang ihm das. Er gab nämlich einen langgezogenen hohen Pfeifton von sich, der weithin zu hören war.

Die Art, in der Old Donegal zusammenzuckte, erinnerte an die Behandlung seiner Schramme durch den Kutscher. Als dieser ihm zur Wundreinigung die höllisch brennende Tinktur aus der braunen Flasche auf den Achtersteven geträufelt hatte, war sein Körper jeglicher Kontrolle entglitten.

Nach heftigem Zusammenzucken hatte er die Augen verdreht, einen Zischlaut ausgestoßen, und war dann – trotz Holzbein – so schnell im Kreis herumgelaufen, daß die anderen Patienten ihre Wehwehchen vergaßen und ihm bewundernd zuschauten.

Jetzt aber war die Sachlage etwas anders. Da Sir Johns Pfiff nicht wie Feuer brannte und demnach auch nicht zu heftigen Bewegungen Anlaß gab, blieb der alte Zausel nach dem Zusammenzucken stehen und richtete den Blick gen Himmel.

„Beim heiligen Bimbam“, stieß er hervor. „Der Krummschnabel wird uns doch hoffentlich nicht einen Sturm herbeipfeifen?“

„Nun mal langsam, Mister O’Flynn“, sagte Luke Morgan lachend. „Sir John pfeift, weil es ihm Spaß bereitet, nicht, weil du abergläubisch bist.“

Old Donegal wischte die Worte Lukes mit einer ärgerlichen Geste weg.

„Was verstehst du Heringsschwanz schon von den Dingen, die sich hinter der Kimm abspielen? Pfeifen auf See ruft Unglück oder Sturm herbei. So was hat unsereiner schon gelernt, als er noch in den Windeln gelegen hatte. Und was tut dieser Radauvogel, nur weil du ihm keine Nuß gegeben hast? Er hockt sich auf die Nagelbank und pfeift uns das schönste Unwetter herbei.“

Luke zog sein Hemd über und grinste unverschämt. „Der Vogel will doch nur auf sich aufmerksam machen. Und gerade das ist ihm offenbar gelungen.“

In diesem Moment wiederholte Sir John nicht nur seinen durchdringenden Pfiff, sondern er fügte noch einen anderen hinzu – nach Art der jungen Burschen, die auf der Gasse einer hübschen jungen Lady hinterherpfeifen.

Old Donegal riß es fast vom Holzbein. Nach der Tortur in der Krankenkammer war er offenbar noch etwas überempfindlich.

„Das ist nicht mehr zu verantworten!“ rief er. „Wo ist der Stückmeister?“

„Hier bin ich, Mister O’Flynn.“ Der schwarzhaarige Al Conroy hob die Hand und kämpfte dabei mühsam gegen den Lachreiz an. „Soll ich die Stückpforten öffnen und die Culverinen ausrennen lassen?“

„Unsinn!“ schimpfte Old Donegal. „Es genügt, wenn du mir eine Drehbasse auflädst. Wenn der Höllenvogel dann noch einen einzigen Pfiff von sich gibt, schieße ich ihm sämtliche Federn vom Leib.“

Das Drama auf der Kuhl zog Kreise. Der Seewolf, der auf dem Achterdeck zusammen mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter, über Karten gebrütet hatte, beschwerte diese mit einem Stein und blickte auf die Männer, die sich im Halbkreis um Old Donegal scharten.

Pete Ballie, der Rudergänger, vergaß beinahe den Kurs, den er steuern sollte. Obwohl er nicht viel sah, hörte er dennoch, daß Außergewöhnliches im Gange war. Sogar Bill sah vom Ausguck herunter, auf dem er Luke Morgan abgelöst hatte.

Natürlich war der Zwischenfall auch Edwin Carberry nicht entgangen. Er stapfte heran wie ein Racheengel aus biblischen Zeiten.

„Darf man erfahren, was hier los ist? Warum steht ihr alle plattfüßig da herum und haltet Maulaffen feil?“

„Oh, nichts Besonderes, Mister Carberry“, erwiderte Luke Morgan. „Al soll nur eine Drehbasse aufladen, damit Mister O’Flynn Sir John die Federn vom Leib schießen kann.“

„Die – Federn – vom – Leib – schießen?“ Der Profos geriet fast ins Stottern, und sein im Grunde genommen butterweiches Herz zerfloß fast vor Rührung, als ihm dieses barbarische Ansinnen erst richtig bewußt wurde. „Und warum hat Mister O’Flynn diesen – diesen teuflischen Wunsch geäußert? Ist ihm vielleicht die Tinktur des Kutschers durch den Achtersteven hindurch bis ins Hirn gedrungen? Oder hat er von Natur aus einen Sprung in der Schüssel?“

„Das kann ich nicht beurteilen“, fuhr Luke grinsend fort. „Jedenfalls hat Sir John laut und schrill gepfiffen, weil ich ihm keine Nuß mehr gegeben habe. Und gemäß Mister O’Flynn ruft dieses Pfeifen Unglück und Sturm herbei. Deshalb …“

„Genug!“ unterbrach der Profos. „Genug des Wahnsinns. Würde einer von euch Rübenschweinen pfeifen, könnte das durchaus einen Sturm anlocken. Bei einem kleinen, zarten Vögelchen jedoch ist das Pfeifen etwas ganz Natürliches. Wer ihm das Pfeifen verbieten will, könnte genauso gut einer Katze das Miauen oder einem Hund das Bellen verbieten. Und dann noch wegen einer Nuß! Wegen einer klitzekleinen Nuß! Das ist einfach nicht zu fassen. Al – hast du die Drehbasse geladen?“

„Natürlich nicht, Mister Carberry.“

„Das ist Donegals Glück, sonst hätte ich ihm damit das Holzbein weggeschossen und Ferris damit beauftragt, ihm einen Pferdefuß zu schnitzen.“

Sir John saß die ganze Zeit über auf der Nagelbank und lauschte hingerissen dem Disput, der offensichtlich durch sein Zutun entfacht worden war. Außerdem schien der Vogel durchaus zu begreifen, daß sich sein Herr und Lehrmeister für ihn einsetzte. Er schwang sich genau zum richtigen Zeitpunkt in die Luft, flatterte zum Profos und ließ sich auf dessen breiter Schulter nieder.

„Noch eine Nuß!“ flötete er ihm ins Ohr.

„Eine Nuß möchtest du haben, mein Täubchen?“ Die sonst so rauhe Stimme des Profosen klang gar lieblich. „Na, wenn es sonst nichts ist – die kannst du haben.“ Er kramte in den Hosentaschen und erfüllte seinem gefiederten Liebling den sehnlichen Wunsch.

Während Sir John mit der Nuß in luftige Höhen entschwebte, brummte der Profos vorwurfsvoll: „Bin mal gespannt, wie oft man euch Rübenschweinen noch verklaren muß, daß so ein Vogel auch nur ein Mensch ist.“

Das Problem war gelöst. Sir John war der Gewinner dieser Runde. Er hatte seine Nuß, und Sturm und Unglück blieben aus. Die Schebecke lief weiterhin gute Fahrt auf südlichem Kurs. Der heftige Regenguß war vergessen, die Sonne brannte längst wieder heiß vom Himmel.

Seewölfe Paket 34

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