Читать книгу Seewölfe Paket 34 - Fred McMason - Страница 43

9.

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Sie erschienen in der Nacht, wie Hasard und einige andere ganz richtig vermutet hatten.

Vier Mann waren flußaufwärts gepullt und glitten jetzt fast lautlos in die Bucht. Am Wrack der „Aguila“ verhielten sie die Jolle.

Etliche Minuten lang war kein einziges Geräusch zu hören. Nur weit entfernt im Dschungel zirpten Zikaden.

„Die Bastarde haben eine Lampe an Deck brennen“, sagte eine Stimme auf Spanisch. „Scheinen sich sehr sicher zu fühlen. Aber ich sehe keinen Mann an Deck.“

Hasard, Edwin Carberry und Batuti hörten und verstanden jedes Wort, obwohl sehr leise gesprochen wurde.

Der Sprecher war der „Giftzwerg“ Garcia, wie sie eindeutig an der Stimme erkannten.

„Sie nehmen auch nicht an, daß wir bei Nacht und Nebel noch mal auftauchen“, sagte ein anderer Spanier. „Sollen wir weiter in die Bucht pullen?“

„Nein, das ist mir zu riskant. Von Land her sind die Möglichkeiten besser. Dort können wir beobachten und uns notfalls in den Dschungel zurückziehen. Wir bringen die Fässer bei der Landzunge an Land. Jeder nimmt ein Fäßchen. Sie werden, wie besprochen, achtern deponiert. Dort befindet sich der tote Winkel.“

Der Himmel war bewölkt, die Nacht schwarz. Über den Tapti strich ein warmer Luftzug. Zwischen den dahinziehenden Wolken zeigte sich ab und zu ein Stern.

Für die drei Seewölfe genügte es, die Kerle nach einer Weile zu erkennen. Es waren Garcia, Molina, der Engländer Hugh Lefray mit dem „Leichenauge“ und ein weiterer Engländer.

Für die Seewölfe stand der Wind günstig. Er trug ihnen das leise Geflüster zu. Wenn sie sich dagegen selbst unterhielten, konnten die anderen nichts verstehen, es sei denn, sie hätten Luchsohren.

„Sie haben also vier Fässer mit Schießpulver dabei“, raunte Hasard. „Und die wollen sie uns unters Heck packen. Daran werden sie ganz sicher nicht viel Freude haben.“

„Ganz schön rotzig, die Burschen“, gab der Profos zurück. „Aber immerhin, sie versuchen es. Solche Frechheit muß belohnt werden. Ich denke dabei an eine saftige Tracht Prügel.“

Jetzt war der Profos wieder in seinem Element. Das hier waren Kerle und keine Knochenmänner, die einen garstig anstarrten und mit denen er nichts anfangen konnte. Wären diese Kerle Geister gewesen, hätte sich der Profos klammheimlich zurückgezogen. Aber diese Männer waren gefährlich und konnten töten, was ein Knochenmann nicht vermochte. Carberry nahm auch ohne weiteres zwei oder drei Burschen gleichzeitig zur Brust.

Das war etwas, was Hasard bis heute noch nicht richtig verstand. Dieses narbige Monstrum von Kerl kloppte sich mit den gefährlichsten Schnapphähnen liebend gern herum oder stürzte sich furchtlos ins dickste Kampfgetümmel. Aber ein Sarg, eine Mumie oder ein paar ausgebleichte Knochen trieben ihn zur Flucht. Da verschwand er lieber.

Der Seewolf grinste in der Dunkelheit vor sich hin. Na ja, Old O’Flynn und Smoky hatten es auch nicht mit Geistern oder Wassermännern und ein paar andere ebenfalls nicht. Heute nachmittag hatte der Profos mit versagender Stimme und klopfendem Herzen vor den Köpfen auf den Stangen gestanden und sich ziemlich schnell wieder verabschiedet.

„Die Prügel kriegen sie auch“, versprach Hasard. „Ich habe da noch einen weiteren Gedanken. Aber das erzähle ich später.“

Sie hatten sich so postiert, daß sie die Kerle abfangen konnten, und sie hatten sogar damit gerechnet, daß sie mit der Jolle vorsichtig im Schutz der Nacht durch die Bresche glitten. In diesem Fall wären sie durch den Dschungel zurückgegangen und hätten sich die Halunken von der anderen Seite geschnappt.

Jetzt stand aber fest, daß sie den Weg durch den Dschungel nehmen würden, um sich leichter anschleichen zu können.

Da lagen die drei Seewölfe genau an der richtigen Stelle.

Die Jolle wurde vom Wrack abgestoßen und nutzte den Schwung bis zum Landzipfel aus. Hier hatten Carberry und Jan Ranse die beiden anderen Kerle abgefangen, die auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren.

Aber dann überlegte es sich Garcia im letzten Augenblick anders, als die Jolle ans Ufer stieß.

„Halt“, sagte er. „Laßt die Fässer noch in der Jolle. Zwei Mann erkunden zunächst die Lage. Ich traue El Lobo nicht über den Weg. Vielleicht hat er doch in der Nähe des Schiffes Posten aufgestellt. Sie werden die Erkundung übernehmen, Molina, und Lefray wird Sie begleiten. Wir warten hier bis zu Ihrer Rückkehr. Beobachten Sie das Schiff von der Seite, wo es achtern aufliegt. Aber verhalten Sie sich absolut ruhig. Die haben einen Köter an Bord, der Sie wittern könnte. Immer so halten, daß dieses Wolfsvieh die Witterung nicht aufnehmen kann. Lassen Sie sich nicht allzuviel Zeit. Geht jetzt.“

„Den Weg können wir uns sparen“, meinte Lefray. „Das kostet alles viel zuviel Zeit.“

„Nein, es bleibt dabei. Wir haben üble Erfahrungen mit den Bastarden hinter uns, und ein solches Desaster will ich nicht noch einmal riskieren. Also keine Diskussion.“

Der Engländer fügte sich knurrend und brummig. Molina gab überhaupt keine Antwort.

Die beiden Männer sprangen an Land und sanken sogleich bis an die Knöcheln im morastigen Untergrund ein.

Sie mußten so dicht an den Seewölfen vorbei, daß sie sie fast berührt hätten.

Die beiden waren noch nicht richtig an Land, als Garcia die Jolle wieder abstieß und zum Wrack verholte. Der Don war sehr vorsichtig geworden und wollte nicht das geringste Risiko eingehen.

„Was tun wir mit ihnen, wenn wir sie zusammengeklopft haben?“ fragte der Profos. „Wenn wir Garcia und dieses Leichenauge haben, könnten wir sie einsperren, bis sie schwarz werden. Irgendwo auf einer Insel an der indischen Küste setzen wir die Halunken aus.“

„Ich möchte nicht, daß wir uns auf der Weiterreise mit dem Gesindel belasten“, sagte Hasard. „Das bringt nur Ärger an Bord, wie wir es ja leider schon zu oft erlebt haben. Eine harte Tracht Prügel wird ihnen ein Denkzettel sein.“

„Und zwar so kräftig, daß sie ein paar Tage lang nicht aus den Klüsen plieren können“, ergänzte der Profos begeistert.

„Wir tunken sie nach der Senge in den Bach, damit sie sich abkühlen können“, meinte Batuti.

„So ähnlich werden wir verfahren.“

Batuti war in der Dunkelheit wegen seiner Hautfarbe überhaupt nicht zu sehen. Auch wenn er aufrecht gestanden hätte, wären die Kerle achtlos an ihm vorbeigegangen.

„Diesmal wird es klappen“, hörten sie Garcia rumtönen. Er sprach ein Mischmasch aus Spanisch und Englisch, das sich fürchterlich anhörte, und genauso schauderhaft antwortete auch der Bärtige, der sich Mühe gab, sein Englisch mit spanischen Brocken zu würzen. Manchmal mußten sie schon genau hinhören, um zu erfahren, was sich die beiden zu sagen hatten.

„Vier Fässer Schießpulver reißen das Heck ab“, erklärte Garcia. „Wenn die Kerle erst mal ohne Schiff sind, fangen wir einen nach dem anderen ein. Und El Lobo lasse ich mir ausstopfen. Den Triumph will ich genießen.“

„Unser Kapitän wird sich auch freuen“, versicherte der Engländer. „Dann sind wir ihn endlich los.“

Sie quasselten im Flüsterton viel Stuß, um sich die Zeit zu vertreiben. Ab und an lugte Garcia über das Wrack und peilte die Schebecke an. Er sah nur den milchigen Schein einer trüben Laterne. Alles andere befand sich in einem Dunstkreis. Er entdeckte auch keinen Mann an Bord, was ihn immer wieder erstaunte.

„Sie fühlen sich zu sicher, und das wird ihnen zum Verhängnis“, sagte er.

Fast eine halbe Stunde verging, in der die Seewölfe herumlagen und nur beobachteten.

„Sie nähern sich“, sagte Batuti. Er, selbst ein Mann der Wildnis, bemerkte die beiden Gestalten viel früher als Hasard und der Profos. Er hatte ein Gespür dafür entwickelt.

Die beiden verhielten sich wirklich leise, als sie an ihnen vorbeigingen und sich ans Ufer stellten.

„Garcia schnappe ich mir selbst“, raunte Hasard. „Die anderen könnt ihr abräumen.“

„Einverstanden.“

Vom Ufer aus ertönte ein leises Räuspern. Garcia bemerkte die beiden Männer und stieß die Jolle wieder ab, so daß sie am Ufer auflief.

„Wie sieht es aus?“ erkundigte er sich im Flüsterton.

Lefray lachte leise und hämisch.

„Pst! Nicht so laut“, warnte der Spanier.

„Keine Sorge, die hören uns nicht. An Deck ist nur ein einziger Mann, und der hat die Arme auf das Schanzkleid gestützt. Und damit ihm der Kopf nicht runterfällt, hat er ihn auf die Arme gelegt.“

„Er pennt also. Kein Wunder um diese Zeit. Da wird auf Wache meistens gepennt. Sonst habt ihr niemanden gesehen?“

„Keine Seele“, versicherte Molina. „Der Posten schnarcht so laut und ordinär wie ein Affe. Nirgendwo sind Leute postiert. Die sind von der Schufterei und der Aufregung erschöpft.“

Der Don rieb sich die Hände. „Dann sollten wir vielleicht doch mit der Jolle … Nein, es bleibt dabei, das Boot kann man auf dem Wasser eher sehen. Wir nehmen den Weg durch den Dschungel. Ladet die Fäßchen aus und legt sie dort neben den Busch.“

Hasard amüsierte sich insgeheim. Der Schnarcher an Bord war kein anderer als Old Donegal, der seinen Schlaf nur vortäuschte. In Wahrheit war er hellwach und hatte die Kerle vermutlich gesehen.

Die Fässer wurden ausgeladen und hinter den Busch gelegt. Dort lauerte Batuti, der sich ein Fäßchen schnappte und es völlig lautlos hinter dem Stamm einer Palme verschwinden ließ. Auch das zweite und dritte Fäßchen nahm den gleichen Weg.

Das vierte; hochbrisante Faß trug Molina und wollte es soeben neben die anderen setzen. Aber da waren keine mehr.

Garcia vertäute inzwischen das Boot an der Palme und bückte sich dann nach einem Faß. Sie waren von der Größe, wie man sie bequem auf beiden Armen vor der Brust tragen konnte.

„Nanu!“ flüsterte er erstaunt. „Wo sind denn die Fässer?“ tastete mit den Händen herum und konnte nichts finden.

Molina setzte seine Last ab und half suchen.

Batuti stibitzte dieses Faß ebenso lautlos wie die anderen und brachte die vier Kerle damit völlig durcheinander.

„Das gibt’s doch nicht“, sagte der triefäugige Lefray entrüstet. „Ich habe doch selbst eins neben den Busch gelegt.“

„Ich auch“, knurrte der andere Engländer. „Aber es ist nicht mehr da.“

Blindlings tastete sie die Büsche ab und wurden immer verwirrter.

„Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben“, sagte Garcia in hilfloser Wut. „Oder gehen hier Geister um?“

Sie suchten verzweifelt weiter, bis es ihnen immer unheimlicher wurde. Garcia sackte einmal in den morastigen Untergrund ein und fluchte ohne Rücksicht darauf, daß man ihn hören konnte.

Hasard, Carberry und Batuti amüsierten sich über die verzweifelten Bemühungen der vier Kerle, die schon ganz kopflos waren.

Jetzt hasteten sie in der Finsternis von einem Strauch zum anderen, und wieder sank einer in den Matsch ein.

„Hier ist Zauberei im Spiel“, sagte Garcia wütend. „Das ist alles wie verhext. Ich habe ja schon mal gesagt, daß die Bastarde mit dem Teufel persönlich im Bunde stehen.“

„Zur Sache“, raunte Hasard seinen beiden Begleitern zu.

Die Arwenacks erhoben sich blitzschnell.

Als vor Garcia urplötzlich eine riesige Gestalt auftauchte, zuckte der Spanier heftig zusammen.

„Hilfe“, gurgelte er entsetzt.

Eine Faust schoß vor und umklammerte seinen Hals.

„El Lobo läßt grüßen“, sagte Hasard kalt. „Jetzt hast du ihn endlich!“

Seine Faust schoß wie ein Hammer vor und schlug zu. Der Spanier wurde wild durchgeschüttelt und brach zusammen. Er gab keinen Ton mehr von sich.

„Was geht hier vor?“ schrie Lefray, der in der Dunkelheit nicht mitgekriegt hatte, was passiert war, und nur das erstickte Gurgeln und ein paar Worte vernommen hatte. „Wer ist da?“

Er tastete sich rückwärts durch die Büsche, als aus einem der Sträucher plötzlich ein Arm langte, der ihn mit einem wilden Ruck hinüberzog. Für ein paar Sekunden zappelte Lefray hilflos in der Luft. Dann wurde er hart auf die Beine gestellt und sah in der Dunkelheit nur ein prächtiges Gebiß, das aus dem Nichts zu grinsen schien.

Batuti schmetterte ihm die rechte Faust an die Schläfe.

Lefray flog erneut über den Busch und landete neben dem bewußtlosen Spanier.

Die beiden anderen gerieten in Panik, zumal vor ihnen jetzt ebenfalls eine riesige Gestalt auftauchte. Sie schien aus dem Mangrovensumpf zu wachsen und wurde immer größer.

Die beiden wichen zurück, doch der riesigen Gestalt entkamen sie nicht mehr.

Carberry ließ den berüchtigten Profoshammer fliegen, und er traf trotz der Dunkelheit punktgenau. Dem Engländer half auch nicht, daß er einen wilden Bart trug. Die ausgefranste Matte konnte den harten Schlag keinesfalls dämpfen.

Er stöhnte leise, als er in die Mangroven flog.

Der letzte Mann wollte sich mit einem Sprung ins Wasser in Sicherheit bringen, doch der Profos war schneller und ahnte die Absicht des anderen mehr, als daß er sie sah. Er griff sich den Kerl und schmetterte ihm die Faust an die Schläfe. Der Spanier flog ebenfalls in die Büsche und verschwand darin.

„So, die ehrenwerten Rübenschweine hätten wir abgeräumt“, sagte Carberry etwas lauter. Jetzt konnte sie niemand mehr hören. „Wie geht es jetzt weiter, Sir? Du hattest doch eine Idee.“

„Jetzt sammeln wir die Lumpenkerle erst mal ein und legen sie nebeneinander. Sie werden eine ganze Weile brauchen, um aus dem Traumreich zurückzukehren. Legt sie hier an die Landspitze. Ich werde inzwischen die Jolle untersuchen.“

Batuti klaubte den einen Kerl auf und trug ihn wie einen nassen Lappen zur Landspitze. Dort warf er ihn ins sumpfige Gras.

Carberry schnappte sich den bewußtlosen Giftzwerg Garcia und verfuhr mit ihm in der gleichen Weise. Die beiden anderen wurden ebenfalls eingesammelt und an der Landspitze abgelegt.

Batuti überzeugte sich davon, daß sie noch eine Weile im Träumland bleiben würden.

Hasard fand in der Jolle alles das, was er brauchte. Flintstein, Stahl und eine Laterne, die er entzündete.

„Jetzt könnt ihr das Schießpulver in die Jolle bringen“, sagte er.

„Wollen wir das nicht lieber mit an Bord nehmen?“ fragte der Profos unsicher. „Schießpulver kann man nie genug haben.“

„Wir brauchen es hier“, erwiderte Hasard freundlich. „Damit sprengen wir nämlich das Wrack in die Luft, damit wir später freie Fahrt haben.“

„Na klar!“ rief Carberry begeistert. „Die Fässer haben Lunten und sind hervorragend präpariert. Die Idee ist wirklich gut.“

Batuti grinste auch. Im schwachen Schein der Lampe sah er unheimlich aus, dieser riesige Mann aus Gambia.

„Das Wrack fliegt in die Luft“, sagte er, „und Ruthland wird glauben, daß sein Kommando unsere Schebecke gesprengt hat. Darüber wird er sich mächtig freuen, denn den Knall hört man meilenweit.“

„So ist es, Batuti.“

„Und die Kerle lassen wir hier liegen?“ fragte Carberry.

„Eins nach dem anderen. Erst kümmern wir uns um das Wrack. Unsere übrige Mannschaft wird zwar etwas erstaunt sein, aber das verklaren wir ihnen später. Helft mir mal.“

Die Fässer wurden in die Jolle gestaut. Sie brauchten die Strecke nicht zu pullen. Ein kleiner Stoß genügte, um das Boot hinübertreiben zu lassen.

Am Wrack vertäute Hasard es und sah sich um.

„Wenn das Vorschiff auseinanderfliegt, müßte die schmale Durchfahrt für die Schebecke bereits genügen. Der Bug liegt etwas höher als der Rest. Wir werden die Ladungen hier vorn anbringen und kehren dann mit der Jolle zum Ufer zurück.“

Sie mußten im Wasser waten. Hasard suchte mit der Laterne nach einem günstigen Ansatzpunkt zum Sprengen. In der Vorpiek gab es noch dicht unter den Decksbalken trockene Stellen, wie er nach dem Öffnen des Schotts feststellte.

„Wenn hier vier Fässer hochgehen, bleibt keine Planke mehr auf der anderen“, sagte Carberry. „Die Explosion reißt alles auseinander.“

Hasard verstaute das erste Fäßchen, das Batuti ihm reichte, und betrachtete die Lunte. Sie war kurz bemessen und würde höchstens eine halbe Minute glimmen, bevor das Pulver explodierte.

Garcia und Ruthland hatten sie absichtlich so kurz berechnet. Es sollte alles schnell gehen, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden. Sie hätten sich blitzschnell in den Dschungel zurückziehen können, ohne selbst Schaden zu nehmen.

Das zweite und dritte Fäßchen wurde verstaut. Das vierte und letzte klemmte Hasard mit einem Stück Holz fest. Dann sah er sich ein letztes Mal um.

„In Ordnung. So müßte es klappen. Ihr geht jetzt in die Jolle und löst die Leine. Haltet das Boot mit den Händen am Wrack fest. Sobald ich die Lunten angesteckt habe, bin ich oben. Als letztes muß ich nur noch das Schott verriegeln, damit der Druck nicht nach außen entweicht. Los, verschwindet. Wir pullen anschließend an dem Wrack vorbei ins Innere der Bucht.“

Der Profos und Batuti nickten sich zu und enterten auf, während Hasard damit begann, die Lunten zu entzünden. Als alle vier glimmten, eilte er aus der Vorpiek und schlug das Schott hinter sich zu. Zuletzt legte er den schweren Riegel vor.

Mit ein paar langen Sätzen war er an Deck und sprang in die Jolle. Gleichzeitig drückte er sie kräftig ab.

Batuti und der Profos legten sich in die Riemen und trieben die Jolle am Bug der halbgesunkenen „Aguila“ schnell vorbei. Knapp hundert Yards weiter, nahe den Mangroven, stoppten sie das Boot.

„Gleich wird sich Ruthland die Hände reiben“, sagte Carberry. „Ich kann ihn förmlich grinsen sehen …“

Seine Worte wurden von einem grellen Blitz abgeschnitten, dem ein urweltliches Getöse folgte.

Vom Bug des Wracks raste ein weißglühender Feuerball in den nächtlichen Himmel und erhellte den Dschungel bis hin zur Schebecke.

Das Wrack hob sich zu einem Teil aus dem Wasser. Die Wucht der Explosion fetzte Holztrümmer in die Höhe. Planken flogen nach allen Seiten. Der Bug wurde weggerissen und verschwand bei einer weiteren Detonation, als habe es ihn nie gegeben. Etliche der Splitter verstreuten sich über die ganze Bucht und gingen noch in der Nähe der Jolle nieder.

Ein brüllendheißer Wind fuhr ihnen in die Gesichter. Dem Knall folgte noch ein zentnerschwerer glutender Eichenbalken, der sich in der Luft mehrmals überschlug und dann wie ein Geschoß ins Wasser raste.

Die Feuersäule sank in sich zusammen. Das grelle Licht nahm ab und wurde matter, bis nur noch eine dunkle Rauchsäule zu sehen war.

Sie pullten wieder zurück und sahen sich das Wrack an.

Bis fast zur Kuhl war alles zerrissen und zerfetzt worden. Auf dem Wasser schwammen qualmende Holzstücke. Vom Vorschiff war nichts mehr zu sehen.

„Das hat aber gesessen“, sagte Batuti beeindruckt. „Die Rinne ist jetzt frei und sogar noch breiter geworden, als wir geschätzt haben.“

„Ja, es reicht für die Durchfahrt“, sagte Hasard und rieb sich die Augen, die von dem grellen Blitz tränten.

Die Lücke war wirklich breit genug, um ihnen ein ungehindertes Auslaufen zu ermöglichen.

Sie hatten wieder freie Fahrt, sobald die Reparatur beendet war.

„He, wir dürfen unsere vier Helden nicht vergessen“, sagte der Profos. „Die liegen sicher noch da herum und träumen von der Hölle, falls sie den Knall im Unterbewußtsein mitgekriegt haben. Was tun wir mit den triefäugigen Nachteulen?“

„Pullt mal hin“, erwiderte Hasard.

Die zwei Engländer und die beiden Dons rührten sich nicht, als sie die Landspitze erreichten. Sie lagen noch genau in derselben Stellung da wir zuvor. Von dem Geschehen hatten sie nichts bemerkt.

Hasard sprang aus der Jolle, schnappte sich Garcia und schleifte ihn hinter sich her. Er warf den Giftzwerg Carberry zu.

„Pack ihn in die Jolle, damit er gemütlich sitzen kann, Ed. Die drei anderen verfrachten wir auf die gleiche Art.“

„Und dann, Sir?“

„Dann schicken wir sie fein zusammengefaltet den Tapti hinunter auf die nächtliche Reise. Irgendwann werden sie wieder auf den anderen Bastard treffen und sich dann vermutlich viel zu erzählen haben. Hier ist noch einer.“

Lefray wurde verstaut, dann Molina und schließlich der andere Spanier.

Der Profos knautschte die vier Kerle freundlich zusammen und verstaute sie zwischen den Duchten. Grinsend betrachtete er sein Werk.

„Na, die werden staunen, wenn sie aufwachen. Hoffentlich treiben sie nicht an der Bucht vorbei, wo die ‚Ghost‘ versteckt liegt. Wäre doch ein Jammer, was, wie?“

Hasard war sich ganz sicher, daß Garcia und Ruthland bald wieder zusammentreffen würden. Ewig würden sie ja nicht den Schlaf der Ungerechten schlafen. Das Erwachen würde nur sehr peinlich werden.

Aber das war ihm egal. Die Kerle hatten ihnen ja keine Ruhe gelassen, also mußten sie jetzt dafür bezahlen.

Er gab der Jolle mit der Stiefelspitze einen Tritt und sah zu, wie sie auf den Tapti hinaustrieb und in die leichte Strömung geriet. Sie drehte sich ein paar Male um die Achse und glitt dann in die Finsternis.

Die Kerle darin sahen aus, als schliefen sie friedlich, und das war ja auch der Fall. Sie wirkten sehr friedfertig.

Als die Finsternis sie geschluckt hatte, drehten die Arwenacks sich um und gingen zur Schebecke zurück, wo alle schon in heller Aufregung waren.

Hasard verklarte den Unwissenden, was soeben geschehen war, und darauf stieg ein donnerndes „Ar-we-nack“ in den nächtlichen Himmel.

Der Überfall durch die blindwütigen Sikhs erfolgte am anderen Tag um die Mittagszeit.

Die Arbeiten gingen zügig voran und würden bis zum späten Abend vermutlich abgeschlossen sein, so daß sie die Bucht am nächsten Morgen verlassen konnten. Ihr Ziel war Bombay, wie Hasard gesagt hatte. Dort wollten sie versuchen, Handelskontakte zu knüpfen.

Zuerst wurden sie durch wüstes Geschrei aus der Ruhe gerissen, ohne jemanden zu sehen. Der Lärm kam von der anderen Seite der Bucht, wo sich die Skelette befanden und das Ufer mit Knochen übersät war.

„Das sind sie“, sagte Ben Brighton. „Das müssen die Kerle sein, die hier ihre Kämpfe austragen und sich gegenseitig die Köpfe abschlagen.“

Es dauerte nicht lange, bis zwei Boote sichtbar wurden. Es waren lange Boote, und in jedem hockten etwa ein Dutzend Inder zusammengedrängt.

Die Langboote erschienen von dem Fluß, der in die Bucht mündete.

„Jetzt können wir uns auf was gefaßt machen, wenn die Kopfabhacker hier antanzen“, sagte der Profos. „Sicher werden sie an unseren Rüben auch ein bißchen schnippeln wollen.“

Die Arwenacks waren im Nu bewaffnet.

Die beiden Boote hielten respektablen Abstand voneinander. Die Inder, nur bekleidet mit einer Art Lendenschurz, sprangen immer wieder auf und brüllten sich gegenseitig an. Ihr Geschrei hallte über die gesamte Bucht. Sie beschimpften sich ganz offensichtlich in rasender Wut, schwangen dabei Keulen und Messer und brüllten sich heiser.

Sie waren so in ihr Geschrei vertieft, daß sie nicht mal die Schebecke sahen.

Es waren rasende Teufel, die jenen Platz ansteuerten, wo die Skelette lagen. Erst am Strand würden sie sich gegenseitig anfallen und voller Wut niedermetzeln.

„Sikhs“, sagte der Kutscher. „Man sieht es an den eisernen Armreifen. Es müssen verfeindete Kasten oder Stämme sein.“

Das Geschrei wurde noch wilder. Gegenseitig stachelten sie sich an und brüllten wie wilde Tiere.

Lange Messer blitzten in der Sonne auf, und die Armreifen funkelten, während große unhandliche Keulen geschwungen wurden. Was die Inder brüllten, war nicht zu verstehen.

Ganz plötzlich wurde es ruhig in der Bucht.

Die Inder hatten die Schebecke entdeckt und rührten sich nicht mehr. Schwarze Augen starrten zu ihnen.

„Jetzt sind sie platt“, sagte der Profos in die Stille hinein.

Da geschah etwas Seltsames. Die Männer, die sich eben noch wüst angebrüllt und beschimpft hatten, sprachen jetzt leise, aber aufgeregt miteinander, als hätten sie ganz plötzlich Frieden geschlossen. Von Haß war keine Spur mehr zu bemerken. Die Boote glitten zusammen, und es wurde weiter geflüstert und getuschelt.

Hasard deutete das als schlechtes Zeichen.

Schweigend pullten die Inder ihre Boote an den Strand. Dabei starrten sie unverwandt und haßerfüllt zu den Arwenacks hinüber.

Sie waren kaum am Ufer, als sie sich zusammentaten, Messer und Keulen schwangen und ihr haßerfülltes Gebrüll wieder anstimmten. Diesmal galt es jedoch eindeutig den Fremden.

Dann stürmten die Inder wie bis aufs Blut gereizte Fanatiker, die sich selbstmörderisch in einen gnadenlosen Kampf stürzten, auf die Schebecke los.

Hasard rief ihnen etwas zu, doch die Kerle waren wie taub und so fanatisch, daß sie nichts hörten. Der Seewolf wollte ein eventuelles Mißverständnis auf friedliche Weise beilegen, doch daran war nicht zu denken. Offenbar hatten sie in den Augen der Fanatiker doch ein Tabu verletzt, als sie hier in die Bucht eindrangen.

Zwei Kerle rannten allen voraus. Sie schrien gellend, schwangen ihre Messer und Keulen und stürzten sich auf die ersten Arwenacks, um sie gnadenlos niederzumetzeln.

Batuti hatte seinen Morgenstern in der Faust und schwang ihn, als der erste Angreifer heran war.

Der Sikh stürzte sich auf ihn, ohne das Mordinstrument überhaupt zu beachten.

Der Morgenstern schwirrte durch die Luft, und die schwere, dornengespickte Eisenkugel fegte gleich beide Sikhs von den Beinen.

Hasard feuerte einen Schuß ab, um den sinnlosen Angriff zu stoppen. Es nutzte nichts. Es versetzte die Kerle nur noch mehr in blinde Raserei.

Da senste Ferris Tucker mit der Zimmermannsaxt um sich, als etliche Kerle von allen Seiten auf ihn eindrangen. Er schlug zu wie ein Berserker und hieb zwei Mann zu Boden.

Die Inder kämpften mit einer Wut, die selbst den Arwenacks unbegreiflich war.

Ein Sikh sprang Luke Morgan an und stach mit dem Messer zu. Er erwischte Luke am Oberarm, und da sah der explosive Mann nur noch rot.

Mit dem Schiffshauer verteidigte er sich und trieb den Sikh ins Wasser. Der hob selbst im Tod noch das Messer, aber da war der Profos zur Stelle und schlug ihn nieder.

Ein Kampf Mann gegen Mann entbrannte.

Die Sikhs schrien weiter, haßerfüllt. Von Raserei und Blutdurst getrieben, stachen und hieben sie auf alles ein, was in ihrer Nähe stand.

Ausnahmslos alle Arwenacks hatten jetzt das Schiff verlassen und stürzten sich in das Kampfgetümmel.

Hasard schoß zwei Männer nieder, als sie auf den alten Will Thorne losgingen. Ein dritter wurde von einer Kugel gestoppt. Er wollte gerade Bill von hinten den Schädel einschlagen.

Die Arwenacks zeigten jetzt, was sie konnten. Sie waren nicht so wild und fanatisch, obwohl auch sie jetzt die Wut gepackt hatte. Aber sie waren erprobte und berechnende Kämpfer, und so überwältigten sie einen Sikh nach dem anderen.

Die Skelettküste trug ihren Namen zu Recht, denn immer mehr Inder bedeckten jetzt den Sand, der sich langsam rot färbte.

Die letzten Fanatiker kamen erst zur Besinnung, als sie sahen, daß nur noch ein kläglicher Rest von ihnen übrig war. Da war es schlagartig mit ihrer Wut vorbei.

Sie starrten ihre Gegner an, als sähen sie sie zum ersten Male. Dann warfen sie ihre Waffen weg und flüchteten über, den Strand zu ihren Booten. Sie brauchten nur noch eins. Lediglich ein halbes Dutzend war von ihnen übriggeblieben.

Sie sprangen in das Boot und pullten los – dahin, von wo sie gekommen waren. Noch einmal drang ihr Geschrei herüber, danach verschwanden sie wie ein böser Spuk.

„Die kehren wieder zurück und bringen Verstärkung mit“, vermutete Don Juan. „Das lassen sie nicht auf sich sitzen.“

„Hoffentlich sind wir bis dahin weg“, sagte Hasard. „Langsam reicht es mir, daß wir ständig überfallen werden.“

Die Sikhs kehrten nicht zurück, jedenfalls nicht am anderen Tag. Aber da waren die Arbeiten abgeschlossen und die Schebecke wieder manövrierfähig wie zuvor.

Die Männer pullten aus der Bucht und setzten auf dem Tapti die Segel. Sie sahen auch von der „Ghost“ und von der Jolle mit den vier Bastarden nichts mehr. Wahrscheinlich hatten sie wieder zusammengefunden und waren Hals über Kopf geflüchtet.

Die Arwenacks jedenfalls würden nach Bombay segeln, das war ihr nächstes Ziel …

ENDE

Seewölfe Paket 34

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