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Jonny Appleseed

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oder: der Wanderer, der Gutes tat

Ah einem schönen Frühlingstag des Jahres 1806 beobachteten Siedler in Jefferson County, Ohio, ein seltsames Fahrzeug mit. einem sonderbaren Mann und einer ungewöhnlichen Ladung.

Mit zwei aneinandergebundenen Kanus transportierte er eine Ladung Apfelkerne nach dem Westen. Er fuhr den Ohio hinunter bis nach Marietta, wo er in den Miskingum-Fluss einbog, dem er bis zur Mündung des White Woman Creeks folgte. Damit nicht genug: Nun fuhr er den Mohican hinauf und kam schließlich über den Black-Fork-Fluß in die Richland Counties, ein Landstrich in der Nähe des heutigen Pittsburgh. Überall auf dieser langen und mühsamen Reise tat der einsame Mann, was er bereits fünf Jahre früher in Ohio getan hatte: Er rodete Land in der Wildnis, legte Baumschulen an und verschwand wieder. Das war der Mann, den man später in jedem Blockhaus zwischen Ohio und den großen Seen Jonny Appleseed nannte.

Jonathan Chapman hieß er in Wirklichkeit und wurde um das Jahr 1775 in Boston geboren. Nach seinen eigenen Angaben war er um die Zeit seines ersten Auftauchens am Licking Creek etwa sechsundzwanzig Jahre alt. Liebeskummer hatte ihn in die Wildnis getrieben. Aber niemand weiß, wie er auf den Entschluss verfiel, sein ganzes Leben künftig an entlegenen Orten Apfelbäume zu pflanzen.

Sein Saatgut holte er sich aus den Obstkeltereien in West-Pennsylvania. Nur selten verlud er seine Fracht auf ein Packpferd, meist schleppte er sie in Lederbeuteln auf seinen eigenen Schultern. Er folgte dem alten Indianerweg nach Westen, der von Fort Duquesne über Fort Sandusky nach Detroit führte. Mit alten Landkarten lässt sich seine Wegstrecke berechnen. Sie muss über 160 Meilen geführt haben.

Die Gegend, durch die er zog, war damals nur dünn besiedelt. Alte Siedler berichten, dass die Ufer der Flüsse und Bäche meist mit dichtem Unterholz bestanden waren, während näher am Wasser langes Gras mit Schlingpflanzen und Weiden wucherte. In den Wäldern gab es Wölfe, Bären, Rehe und ganze Rudel sehr kampflustiger Wildschweine. Im Gras lebten die Massasauga und andere gefährliche Reptilien, und zwar in solchen Mengen, dass einer der Siedler erzählen konnte, er habe im ersten Jahr nach seiner Landnahme auf einem kleinen Stück Prärie, das er vor dem Pflügen abmähte, zweihundert schwarze Klapperschlangen totschlagen müssen. Der Grenzer, der sich durch sein Gewehr hinreichend gegen Angriffe durch wilde Tiere oder feindliche Indianer gesichert fühlte, wusste sich im Kampf gegen die unsichtbar im Gras lauernden Feinde keinen anderen Rat, als seine Lederhosen und Mocassins mit dichten, dicken Ballen aus dürrem Gras zu umwickeln.

Durch diese Gegenden wanderte Jonny mit seinem Ledersack voll Apfelsaat auf der Schulter barfuß auf der Suche nach einem Stück Erde, das schön gelegen wie auch fruchtbar sein musste. Dort streute er dann seine Saat aus, umgab den Platz mit einem schützenden Gatter und überließ dann die Saat mit einem Gebet Gottes Pflege. Waren aus den kleinen braunen Kernen Setzlinge geworden, so kamen die Siedler der Umgebung und pflanzten sie auf ihre Rodungen.

Er war ein kleiner, hagerer Mann, hatte langes dunkles Haar, einen struppigen Bart und wache schwarze Augen, die von intensiver Lebendigkeit funkelten. Seine Kleidung spottete jeder Beschreibung. Sie bestand aus abgelegten Hosen und Hemden, die er im Tausch gegen Apfelschösslinge eingehandelt hatte. In seinen späteren Jahren schien ihm auch diese Mode noch zu luxuriös. Er begnügte sich dann mit einem einzigen aus einem Kaffeesack verfertigten Kleidungsstück, das, wie er selbst sagte, »einen sehr guten Mantel abgibt und zugleich der beste Anzug ist, den sich ein Mann wünschen kann«.

Am Liebsten wanderte er barfuß. An einem ungewöhnlich kalten Novembertag begegnete John einem Siedler, der ihm ein Paar Schuhe aufdrängte, die ihm selbst zu klein waren. Ein paar Tage später traf dieser Mann Jonny in dem kleinen Dorf Mansfield wieder, das heute eine große, aufblühende Stadt ist. Zu seiner Verwunderung musste er feststellen, dass Jonny wieder barfuß des Weges kam. Erzürnt über soviel vermeintlichen Eigensinn, stellte er den Beschenkten zur Rede: Jonny hatte die Schuhe einer armen, ebenfalls barfuß daher kommenden Familie geschenkt, die nach Westen zog. »Sie waren noch schlechter dran«, erklärte er.

Was seine Kopfbedeckung anging, so war sein Geschmack gleichfalls recht eigenartig. Zuerst benutzte er dazu einen Zinnkessel, in dem er auch seinen Brei kochte. Gegen diese Kopfbedeckung gab es nur einen Einwand: Sie schützte seine Augen nicht vor der Sonne. Deshalb bastelte er sich einen Hut aus Pappe und verzierte ihn mit einer gewaltigen Spitze. In dieser seltsamen Gewandung zog er durch Wälder und Sümpfe und tauchte unverhofft in den Siedlungen der Weißen und den Dörfern der Indianer auf. In seinem Blick und in seiner Art zu reden muss eine seltene Kraft freundlicher Güte gewesen sein, denn es ist bezeugt, dass man ihn trotz seines lächerlichen Aussehens immer mit größter Achtung behandelte. Im Umgang mit Erwachsenen und Jungen war er gewöhnlich wortkarg und zurückhaltend, aber er hatte eine große Zuneigung zu kleinen Mädchen, für die er immer ein paar Bänder oder einen Fetzen bunten Stoffes aus seinen Taschen hervor zauberte.

Die Indianer behandelte Jonny mit großer Freundlichkeit. Die Wilden nannten ihn den »großen Medizinmann«, hauptsächlich wohl wegen seiner seltsamen Erscheinung, seiner exzentrischen Handlungen und besonders wegen seiner Fähigkeit, große Schmerzen zu ertragen. Während des Krieges im Jahr 1812, als die Grenzer von den mit England verbündeten Indianerstämmen überfallen wurden, setzte Jonny Appleseed seine Wanderungen unbeirrt fort und wurde auch nie von den umherziehenden Indianerbanden angegriffen. Oft warnte er auch Siedler vor Überfällen. Als nach der Niederlage des amerikanischen Generals Hull Engländer und Indianer mordend und sengend das Grenzgebiet überzogen und selbst wehrlose Frauen und Kinder töteten, eilte Jonny Tag und Nach durch die Wildnis, um die Menschen vor der herannahenden Gefahr zu warnen. Er gönnte sich keine Ruhe, bis er auch in den entlegensten Hütten seine Botschaft verkündet hatte:

»Der Geist des Herrn ist über mich gekommen und hat mir bedeutet, ich möge laut blasen die Trompete in der Wildnis und Alarm schlagen in den Wäldern, denn, hört, die Völker der Heiden stehen um Euer Haus, und die alles verschlingende Flamme folgt ihnen auf dem Fuß.«

Seine Warnung war ebenso ernst, wie seine Worte dunkel waren. Denn Jonny Appleseed war ein eifriger Schüler der Lehren Emanuel Swedenborgs und behauptete, ständig selbst Gespräche mit Engel und Geistern zu führen. Zwei weibliche Engel, so erzählte er, hätten ihm enthüllt, sie seien ihm in einem anderen Leben als Frauen bestimmt, deshalb dürfe er auch in dieser Welt nicht heiraten. Auf seinen Reisen führte er die Schriften des schwedischen Mystikers mit sich und lieh sie auch aus. Da er aber von jedem der Bücher nur ein Exemplar besaß, zerlegte er die Bände in einzelne Bogen und ließ jeweils ein Kapitel in einer Blockhütte zurück, das er bei seinem nächsten Besuch gegen die Fortsetzung austauschte.

Jonnys Vertrauen auf die Schriften Swedenborgs war unerschütterlich. Als er einmal gefragt wurde, ob er sich denn nie fürchte, barfuß durch die Wälder zu streifen, in denen es von den schrecklichsten Raubtieren nur so wimmelte, erklärte er mit einem selbstsicheren Lächeln, indem er dem Fragenden das Buch ‚entgegenstreckte: »Diese Schriften sind mein unfehlbarer Schutz gegen alle Gefahr jetzt und immerdar!«

Wurde er am Abend eines anstrengenden Tages in einer Blockhütte von gastfreundlichen Siedlern zur Nacht eingeladen, so ließ er sich auf dem Fußboden nieder und holte, nachdem er die Familie gefragt hatte, ob sie »einige Neuigkeiten direkt vom Himmel« hören wollten, einige zerlesene Bücher hervor, unter denen sich immer auch ein Neues Testament befand. Aus diesen Schriften las er vor, und seine Zuhörer wurden von seinem begeisterten Redefluss mitgerissen, auch wenn sie den Inhalt nicht verstanden.

Um 1838, siebenunddreißig Jahre nachdem er zum ersten Mal am Licking Creek aufgetaucht war, hatte sich die Wildnis um den Ohio in ein dicht besiedeltes Land verwandelt. Aus den abgelegenen Blockhütten waren kleine Dörfer geworden, die größeren Niederlassungen waren zu Städten aufgewachsen. Wo früher nur Indianerpfade die Wildnis durchquerten, zogen sich jetzt feste Straßen hin, auf denen Postkutschen verkehrten. Die kleinen Mädchen, denen Jonny einst bunte Bänder mitgebracht hatte, waren inzwischen selbst Mütter geworden, die kleinen Jungen, die seine Fähigkeit, Schmerzen zu ertragen, bewundert hatten, waren zu Familienvätern herangewachsen, die schon ihre Enkel auf den Knien wiegten. Am Licking Creek war seine Arbeit getan. Ein paar Tausend Quadratkilometer Obstplantagen zeugten hier für seine unermüdliche Lebensarbeit. Neun Jahre noch zog er nun weiter nach Westen, dorthin, wo nun die »neue Grenze« gegen die Wildnis hin verlief, und pflanzte in Indiana Apfelbäume. Im Jahr 1847 starb er im Hause eines Siedlers in Allen County, Indiana. Am Abend hatte er gepredigt und in der Nacht, wie immer, auf den rohen Bodenbrettern neben seinen Ledersäcken mit Apfelkernen geschlafen. Am Morgen erwachte er nicht mehr. Der Arzt stellt den Tod fest, sagte aber zugleich, er habe nie einen Verstorbenen so ruhig und friedvoll gesehen.

Noch heute aber erinnern in jedem Frühling die weißen Blüten tausender Obstbäume im Tal des Ohio und in Indiana an jenen Mann, der keinen Feind hatte, der den einsamen Siedlern Freund, Helfer und Prediger war: an Jonny Appleseed, den Wanderer, der allen Gutes tat.


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